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Zusammenbruch

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In einem rötlichen, unwirtlichen Dämmerlicht wanderten sie einen schmalen Pfad entlang, der an beiden Seiten durch eine fahlblau leuchtende, etwa vier Meter hohe Mauer begrenzt wurde. Diese bestand aus ihnen unbekannten, an Ackerschachtelhalm erinnernde Pflanzen. Sie konnten das leise Geräusch von glucksenden Wellen, die sich zwischen den grünlich phosphoriszierenden Wurzelknollen totliefen, vernehmen. Wind strich durch das auf beiden Seiten aufragende Gesträuch. Die auf und ab schwankenden, aneinander reibenden und mit einer festen, glasartigen Siliziumhaut überzogenen Pflanzenteile verursachten ein leise klirrendes Geräusch.

Der Pfad führte auf und ab, über kleine Brücken, die über murmelnde Bachläufe führten, über Anhöhen, von denen sie einen unglaublich schönen, mitreißenden Blick auf die nächtliche Gartenlandschaft hatten. Die Ufer des Sees waren ringsherum von diesem eigenartigen Glühen erleuchtet, und kontrastierten mit der tiefdunklen Wasserfläche, die wie ein unergründbarer, nachtschwarzer Spiegel wirkte.

Die Stadt über ihnen schien niemals zur Ruhe zu kommen: Hell erleuchtete Züge fuhren einige 100 Meter über ihnen von Wohnsäule zu Wohnsäule. Trotz der späten Stunde konnten sie zahllose Reisende ausmachen, die aus den Waggons stiegen.

Ihr Blick nach oben wurde am Ende des Weges durch hoch aufragende Gewächse versperrt. Sie bildeten ein fast lichtundurchlässiges Dach über ihren Köpfen. Die sich vor ihnen im düsteren Licht nur ganz schwach abzeichnende Wegbegrenzung wies ihnen den Weg, während das Gelände leicht abschüssig wurde. Plötzlich weitete sich der Raum. Eine ruhige Wasserfläche lag vor ihnen. Sie war wie Tinte schwarzblau gefärbt und phosphoriszierte leicht. Die Reflexionen der Sterne spiegelten sich in ihr. Funkelnde Kronen uralter Bengosien, einem bis zu 200 Meter Höhe wachsenden, bis zu 20 000 Jahre alt werdenden Lebewesen dieser Welt, neigten sich fast bis zur Mitte des ovalen Sees, der etwa 150 Meter lang und 60 bis 70 Meter breit war.

Sie standen regungslos vor dieser traumhaft schönen Kulisse.

„Bitte hier nach links abbiegen”, hauchte Rogopol, und führte sie einen feuchten, mit Schelpus überwucherten schmalen Pfad entlang. Diese Lebensform erfüllte auf dieser Welt die Funktion von irdischem weichen Moos, nämlich Wasser zu speichern. Schließlich hörten sie ein munteres Plätschern vor sich und überquerten, etwa 20 Meter von der Schmalseite des Sees entfernt, über eine aus großen Steinblöcken errichtete Furt einen breiten Bach. Auf der anderen Seite kletterten sie eine etwa drei Meter hohe Uferböschung hoch und standen vor einem etwa fünf Meter hohen Hügel.

„Wartet hier einen Moment”, flüsterte ihr Anführer. Er ging einige Schritte auf das eigenartige Gebilde vor ihnen zu, bückte sich und berührte die Wand vor ihm. Eine runde Tür schwang auf und warmes, gelbes Licht fiel als breiter Streifen auf den Boden.

„Willkommen in meiner bescheidenen Behausung”, meinte Rogopol herzlich. „Ich freue mich, dass mir als erstem Bewohner des Saphirs die Ehre zu Teil wird, euch in der ersten Nacht auf dieser Welt zu beherbergen.”

Das war so nett und liebenswürdig formuliert, dass Fatima als erste auf den hochgewachsenen Roboter zulief, ihn umarmte und zutiefst gerührt ausrief.

„Auch wenn Sie nur eine künstliche Lebensform sind: Ihr Stil, Ihre Umgangsformen und Ihre Aufrichtigkeit machen Sie viele Male humaner, als dies bei der Mehrzahl meiner so genannten menschlichen Artgenossen zu beobachten ist.”

„Nun lobt ihn nicht zu sehr”, meinte Knud schließlich lachend, „sonst brennen ihm vor lauter Rührung noch sämtliche Schaltkreise durch.”

Plötzlich wandte er sich um. Dabei suchte er die Umgebung ab

„Wo steckt eigentlich Saleh?”

Yossi und Aaron drehten sich entsetzt um.

Aber ehe die beiden ehemaligen Israelis reagieren konnten, war Knud bereits auf und davon. Er sprintete den selben Weg zurück, den sie gekommen waren.

Er erreichte Saleh genau in dem Moment, als er sich eine der rasiermesserscharfen, bläulichen Blattlanzen in die Nähe seiner Halsschlagader führte. Seine Hände waren blutverschmiert. Trotz des Dämmerlichts erkannte Knud seine Verzweiflung. Er ergriff ihn, hob ihn hoch und drückte ihn an sich.

„Bitte,” flüsterte er, „das kannst du Yossi, Aaron und auch mit nicht antun. Das wäre so, als wenn du auch uns töten würdest. Wieso redest du nicht mit deinen Freunden? Du hast doch nach deiner letzten Krise im Arboretum den Eindruck gemacht, als ob du diese neue Welt als Chance für einen Neustart deines Leben ergreifen würdest.”

„Ich ertrage es einfach nicht mehr, weiterzuleben. Denk doch bitte nur daran, dass ich doch von meiner eigenen Familie dazu auserwählt worden war, viele Menschen mit in den Tod zu reißen. Ich bin doch von fast allen Menschen in meinem Leben enttäuscht worden.”

„Auch von Aaron und Yossi?”

Mit einer Mischung aus Trauer, Erstaunen und Entsetzen blickte er Knud an und flüsterte nach einer Weile:

„Sie waren die ersten Menschen, die mir wirklich etwas bedeutet haben, denen man zudem bedingungslos vertrauen konnte und kann.”

„Aber kommt es dir denn gar nicht in den Sinn, dass du sie mitten ins Herz treffen würdest, wenn du deinem Leben jetzt hier ein gewaltsames Ende bereiten würdest?”

Saleh schwieg betroffen.

„Reich mir mal deine Hände, damit ich die Blutungen stoppen kann.”

Mit dem baugleichen Zellregenerator, mit dem er schon einmal Mouads Leben gerettet hatte, fuhr er über die verstümmelten Finger und Handballen. Knud wunderte sich, wieso Saleh nicht vor Schmerzen wimmerte.

„Tut das denn gar nicht weh?”

„Schmerzen sind mir egal, meine Existenz ist mir vollkommen gleichgültig. Ich spüre nichts mehr. Die Realität besteht für mich nur noch aus einer grauen Suppe - ohne Höhepunkte, ohne Gegensätze. Ich bin maßlos enttäuscht über mein Leben.

-

Was habe ich denn schon erreicht? Menschen bestehlen, Drogenhandel, Prostitution - darauf soll ich vielleicht auch noch stolz sein? Und wenn ich mir diese neue Welt ansehe - ich erschaudere nur noch vor Ehrfurcht bei diesem Anblick. Ich habe endlich begriffen, was es bedeutet, wenn Menschen und andere Rassen etwas geleistet haben, das einer Zivilisation zur Ehre gereicht: In Einklang und Harmonie miteinander zu leben und die Natur als etwas Kostbares anzusehen. Dies hier hat etwas Göttliches. Für mich aber ist hier kein Platz - ich bin es nicht einmal ansatzweise wert, an diesem Ort weiter zu existieren.”

„Wenn du dich jetzt einfach aufgibst, nimmst du dir vermutlich die Chance auf einen faszinierenden Neustart in deinem Leben. Wir wissen doch, was du durchgemacht hast oder ahnten zumindest etwas. Auch dein Attentatsversuch in Israel ist uns inzwischen bekannt. Knud hat uns die Aufnahmen davon gezeigt”, ließ sich Aaron plötzlich vernehmen. „Aber wir wissen auch, dass du nichts dafür konntest, denn du bist von deiner Familie unter Drogen gesetzt worden, warst also nicht mehr du selbst. Und aus diesem Grunde denken wir nicht daran, dich einfach im Stich zu lassen. Deine Existenz jetzt einfach wegzuschmeißen ist natürlich eine einfache Lösung für dich - nicht mehr um sich selbst kämpfen zu müssen. Aber so einfach kommst du bei uns allen nicht davon: Wir fordern von dir nämlich, dass auch du den inneren Kampf durchstehst, dass du uns nicht enttäuscht.”

„Meinst du vielleicht, mir ist es leicht gefallen, in die IDF einzutreten, um dahingehend ausgebildet zu werden, Araber töten zu müssen?”, ergänzte Yossi.

„Was meine Familiengeschichte betrifft, so müsste ich auch mein Leben als eine einzige, große Enttäuschung ansehen, verbunden mit einem unbändigen Hass auf Deutsche und Araber. Mein Großvater starb nämlich in Auschwitz, weniger als eine Stunde, bevor die Aliierten einrückten- und zwar durch einen Wutanfall des Lagerkommandanten, der es nicht akzeptieren konnte, dass der Krieg verloren war. Er nahm damals jeden mit ins Verderben - ihn erschoss - der ihm über den Weg lief.

Meinen Vater erwischte es zudem beim letzten Einsatz im Libanon - er wurde von der Hisbollah grausam zu Tode gefoltert.

Und was mich betrifft: Schule abgebrochen wegen meinem Coming-Out und meiner Musik, zudem bin ich doch gerade selbst durch einen wunderbaren Zufall noch mal mit dem Leben davongekommen. Dazwischen lernte ich dich kennen, und musste zudem meinen stets sehr skeptischen Partner erst einmal überzeugen, dass du es wert bist, von uns betreut zu werden.”

„Bitte versprich uns, dir nie wieder so etwas anzutun”, flüsterte Aaron. „Wir waren doch bei unserem letzten Meinungsaustausch dahingehend übereingekommen, uns nicht mehr gegenseitig zu enttäuschen, indem irgendwelche Dummheiten gemacht werden.”

„Ihr... ihr werft mich definitiv nicht weg, obwohl ich doch versucht hatte, mich in Tel Aviv in die Luft zu jagen?”, stammelte Saleh. Er konnte seine Emotionen kaum mehr bezwingen. Erste Tränen liefen die Wangen herab.

„Wir wissen doch, dass du von den Al-Kuz-Brigaden unter der Einwirkung von Folter und Psychopharmaka zu diesem Anschlag als lebende Bombe gezwungen worden bist. Du konntest dich doch auch gar nicht mehr selbst entschärfen”, brummte Aaron.

Saleh kollabierte.

„Du bist ein liebenswerter, kleiner Idiot”, flüsterte Yossi, während sie ihn abwechselnd immer wieder umarmten.

„Wo bleibt ihr denn?”, vernahm man plötzlich Mouads Stimme. „Wollt ihr etwa hier draußen übernachten?”

„Kommt”, forderte Knud die Umstehenden auf, „gehen wir in Rogopols Haus.”

Der Kurator, Band 3

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