Читать книгу Du sollst dir kein Bildnis machen - Ein Roman aus Hollywood - Arnold Höllriegel - Страница 10

VII.

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Am Nachmittag dieses Sonntags wird Claire Pauer von Lotto Heller und Ilona Lupu zu einer Spazierfahrt abgeholt, in dem grösseren von den beiden Hellerschen Autos; der asiatische Diener des Haushalts fungiert als Chauffeur, es sieht so feudal aus, der schlanke, exotische Mensch in einer Livree. Zwischen Claire und Lotto und Ilona ist über Nacht eine heisse Freundschaft entstanden, obwohl die rundliche Ilona nicht ohne Eifersucht ist; sie und Lotto waren bisher wie leibliche Schwestern, nun ist eine Dritte da. Arme Ilona, der kleinen berlinischen Lotto bedeutet die Zugereiste aus Steglitz sofort so viel mehr! Schon während der Spazierfahrt zur Beach fühlt Frau Lupu sich manchmal wie ausgeschaltet und höflichst zur Seite gedrängt; dann später am Nachmittag, in Lottos Haus, tuscheln die beiden schon, Claire und Lotto, intimst in einem gemütlichen Winkel, und Ilona ist, irgendwie, nicht dabei und spricht im Salon mit den Männern! Frau Claire ist glücklich, sehr. Sie ist auf der Santa Monica Beach spazieren gefahren worden, wie eine Prinzessin, am Palmenstrand des Ozeans (sie sagt sich, selig, obgleich es kaum stimmt: „der Südsee!“), auf einer Strandpromenade mit herrlichen Villen und fürstlichen Badeklubs; so, denkt sie, muss die französische Riviera sein!

Und in Venice waren sie, auf dem grossen Vergnügungsplatz, der krampfhaft Venedig spielt, Canal Grande, und Markuslöwe, und Gondeln und alles (und eine Berg- und Talbahn, und Automaten, und Austern-Cafeterias und Photographiermaschinen, in die man Nickelmünzen einwirft, gleich kommt eine runde, blecherne Photographie heraus) und jetzt sitzt sie mit einer wirklichen Freundin in einer so schönen Villa; wie gut hat es diese glückliche Lotto! Das heisst, sie ist nicht so glücklich; sie jammert ja furchtbar. Sie hat so ein Heimweh! Sie hält es in Hollywood gar nicht aus. Warum klagen die Frauen alle, auch Ilona? Was fehlt ihnen hier? Es ist alles himmlisch! Sie haben die prachtvollsten Autos und wohnen in wahren Palästen, und nie ist es Winter — —.

Claire sagt nichts und hört sich Lottos Klagen geduldig an: man ist fast immer allein, die Männer fahren am Morgen ins Studio und kommen am Abend sehr müde heim, mit keinem anderen Gedanken im Kopf als an dumme Filme; dann sitzt man in irgendeinem Hause beisammen, in einem von den fünf, sechs befreundeten Häusern, und säuft schlechten Alkohol, das muss man, weil es verboten ist, und redet den nämlichen Klatsch von gestern, unter den Frauen, während die Männer fachsimpeln, der Film wird gut, der Regisseur kann nichts, bei Metro Goldwyn drehen sie nächstens das, bei Paramount soll Erich Pommers Situation jetzt ein wenig unsicher sein. — —. Dann setzt man, vielleicht, das Grammophon in Bewegung und tanzt ein bisschen; oder man geht ins Montmartre tanzen, wie grauenhaft öde!

All das, sie kann sich nicht helfen, kommt nach den grauen Jahren in Steglitz der Claire keineswegs trostlos vor; sie fühlt vielmehr, dass dies hier das Wasser ist, nach dem sie auf dem Trockenen lange verzweifelt gejapst hat. Vielleicht, denkt sie sich, stelle ich mich deswegen anders zu Hollywood, weil ich ja doch eine Schauspielerin bin, Clara Dara — —.

In ihren Gedanken fängt sie an, mit einer gewissen Scheu noch, sich wieder bei diesem Namen zu nennen.

Die Gesellschaft bei Hellers besteht an diesem stillen Sonntagnachmittag zunächst nur aus dem Ehepaar Lupu, ausser den Pauers. Erst nach dem Tee, gegen sechs, fährt ein Auto vor, der Packard des kleinen Cox, und aus ihm steigt nicht nur ein sichtlich glückgeschwellter Cox, sondern es ist noch einer bei ihm, Gabriel Garisch. Das ist ein Besuch, der ein bisschen Aufsehen erregt; der grosse Filmregisseur kommt nicht häufig in die Häuser der Fachkollegen und war noch niemals bei Heller. Karl Erich Heller, der Hausherr, erstrahlt, als ob unter seiner Brillantine und unter seiner Nagelpolitur und allem gefällig Glatten, wovon er jederzeit schimmert, ein Extralicht eben entzündet wäre. Es strahlt auch der kleine Cox, da er es sein darf, der den Gewaltigen hergebracht hat; sieht es nicht aus, als wären sie riesig intim? Die Sache verhält sich so, dass der kleine Cox vorhin einen Augenblick im Studio war, um ein deutsches Buch zu holen, das er der Frau Lotto versprochen hat, er hatte es gestern im Bureau gelassen. Dort hat er Gabriel Garisch getroffen; der Mann hat offenbar, am Sonntag nachmittag, im Ernst gearbeitet; er „schneidet“ jetzt seinen letzten Film, kürzt, stellt die Stücke zusammen. Der kleine Cox, der im Grunde mit Garisch nicht gar so intim ist, hat ihm gesagt, dass er jetzt zu Heller fährt, und wen er dort treffen wird, wahrscheinlich auch diesen Doktor Pauer und seine Frau; da hat ihn Garisch gebeten, ihn mitzunehmen; er hat sein eigenes Auto erst für später bestellt. Die Ehre für das Haus Heller ist recht erheblich und strahlt auch auf Egon Cox zurück.

Zur Stunde des Sonnenunterganges geht Georg Lupu ein wenig mit Dr. Pauer spazieren, erst rund um den Block, in dem das Hellersche Haus steht, dann weiter, die stillen Strassen entlang, an den Häusern vorbei, vor denen die Autos der Sonntagbesucher stehen; der Himmel ist blauviolett, dann purpurn, dann grün, mit Scharlachflammen darin, und die vielen Palmen heben sich herrlich ab; im Hintergrund sind die Berge, rostrote Zinnen am Horizont. Der Abendspaziergang dauert ein Stündchen und Pauer geniesst ihn; Lupu selbst ist weniger melancholisch als sonst. Sie reden vom Film, was man machen sollte und machen könnte — —.

Und Pauer ahnt nicht, dass unterdessen auch Claire vom Film spricht, mit Gabriel Garisch. Sie sitzen im kleinen Garten der Hellers beisammen. Der grosse Filmregisseur ist höflich und kühl wie immer, der Ehemann der Frau Claire brauchte nicht eifersüchtig zu sein, wäre er unsichtbarer Zeuge des langen Gesprächs. Dennoch, Paul Pauer würde rasen und toben. Denn dieser Mann wendet sich nicht an Claire Pauer, er spricht, viel und eindringlich, zu Clara Dara.

*

Am Abend ist es nett bei Hellers; man fährt nicht mehr aus, wie man erst wollte; der kleine Cox weiss im Villenquartier von Beverly Hills ein Geschäft, das Sonntag offen hat, ein „Delikatessen“, und fährt mit Karl Erich hin; sie bringen Aufschnitt zurück und „Fränkforters“, und herrliches Obst, und „Near-Beer“, dieses komische Dünnbier der Prohibition; und eine Flasche alkoholfreien Gilka-Kümmel; man giesst zu Hause geschmuggelten Gin hinein, und dazu wird dieser Kümmel verkauft. Zwei Flaschen Weisswein hat Heller auch noch, erinnert er sich im Auto; ein bisschen wenig, wenn Lupu doch da ist; dafür trinkt G. G. niemals Alkohol. (Sie nennen Gabriel Garisch im Atelierjargon G. G., Dschi-Dschi wird es ausgesprochen.) — Das improvisierte Abendessen verläuft sehr fröhlich; der kalifornische Weisswein ist gut, selbst in der Ära der Prohibition. (Der Weinbauer darf für sich und seine Familie ein paar Liter erzeugen: und verkauft den Wein frisch-fröhlich in Hektoliterfässern.) Aus der zweiten Flasche wird, mit Soda und Gin und Ananasscheiben, auf allgemeinen Beschluss, eine Bowle gebraut; so wird der Stoff ein bisschen gestreckt und der durstige Lupu kommt nicht zu kurz; es geschieht, dass dieser Melancholiker auftaut und, nach langer Zeit zum ersten Male, sich erbitten lässt, und Verse vorträgt.

Dass Georg Lupu, der hagere Bösewicht in idiotischen Filmen, ein grosser Meister der Sprache ist, wissen in Hollywood einige wenige Menschen. Paul Pauer erfährt es erst jetzt und hier und staunt und ist hingerissen, sobald Georg Lupu das erste Gedicht gesagt hat, Richard Beer-Hofmanns unvergängliches „Schlaflied für Miriam“. Was ist das? Dieser Mensch, der im täglichen Umgang sein Deutsch mit einem Kolosvarer Akzent spricht — — die feinste Nuance der Sprache erfasst er; und ebensogut trägt er Browning auf Englisch vor, und Dante auf Italienisch und die Odyssee auf Griechisch. Er sitzt da, auf dem Diwan, mit vorgebeugtem Oberkörper und sieht zum Zittern und Lachen gefährlich aus: ein Tyrann aus dem Melodram, in der Folterkammer, die Qualen des Opfers gemessend — — und aus dem Mund des Schrecklichen kommen die Klänge so weich, so tief — —.

Was für ein Meister! denkt sich Paul Pauer, ganz aufgeregt. Was für ein Meister! Paul sieht sich im Kreise um, fassungslos: springt denn niemand auf, weint denn niemand, warum sind sie alle so stumpf? In einem tiefen Lehnstuhl sitzt Claire und träumt von irgendetwas; dass sie fern von ihm ist, kann Paul sehen, wie fern, das ahnt er nicht; in den anderen Gesichtern spiegelt sich die Ruhe der guten Verdauung, nur dass Karl Erich, der Hausherr, als solcher ein verzücktes Gesicht machen muss (es schimmert wie illuminierte Hautcreme); aber, Frau Claire gegenüber, an der Wand, sitzt Gabriel Garisch, nicht faul wie die anderen, der Körper ist wie ein elastischer Bogen gespannt; die Hand mit der Zigarette ist leicht geballt; das ewig kalte Gesicht verliert die lächelnde Maske nicht, aber Paul Pauer weiss, dass dieser Mensch dort richtig zuhört, und dass er weiss, welch ein grosser Künstler da einige von den schönsten Versen der Welt rezitiert. Er weiss es, versteht es; und kein warmes Wort hört man nachher von ihm.

Gabriel Garisch verlässt vor den anderen Gästen das Haus, nicht mehr im Auto des kleinen Cox, sondern in seinem eigenen imposanten Rolls-Royce. in dem sein Chauffeur ihn abholen kommt. Beim Abschied spricht er halblaut etwas zu Claire Pauer; sie lächelt und sieht sich nach Paul um und antwortet, halblaut.

Du sollst dir kein Bildnis machen - Ein Roman aus Hollywood

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