Читать книгу Du sollst dir kein Bildnis machen - Ein Roman aus Hollywood - Arnold Höllriegel - Страница 8

V.

Оглавление

Am nächsten Morgen steht Paul auf, ohne Claire zu wecken, die selig unter ihrer blauen Satindecke liegt und nur ein bisschen blinzelt, als er beim Waschen ein Geräusch nicht vermeiden kann. Als er auf den Zehenspitzen das Zimmer verlässt, liegt sie auf der anderen Seite und schläft wieder fest, mit einem Lächeln, das er gern küssen möchte.

Paul Pauer geht in die Lobby hinunter, steht einen Augenblick draussen auf der umblühten Terrasse in einem unerhörten duftigen Sonnenschein, und sucht dann sein Frühstück, dort wo es am billigsten ist, er hat innerhalb des Hotels eine grosse Auswahl an Lokalen. Im offiziellen Speisesaal beginnt man das Frühstück mit geeisten Grapefruits, so gross wie blonde Kinderköpfe, oder mit kostspieligen Cantaloupe-Melonen, und beendet es lange nicht. Hier kann man sechs oder acht Mark für das Frühstück bezahlen, Paul denkt nicht daran. Vor der „Cafeteria“ zögert er, hier ist es schon billiger. Schliesslich geht er spartanisch in den Drug-Store des Hotels, der alles zugleich ist, Apotheke, Parfümeriegeschäft, Buchhandlung, Sodawasserfontäne; hier kann man, auf einem hohen, runden Postament sitzend, mit schlenkernden Beinen, eine Tasse vortrefflichen Kaffees schon für zehn Cents bekommen, und dazu geröstete warme Sandwiches, belegt mit Eiern und Tomaten und Käse und Salatblättern, es kostet nicht viel. Nachdem er gegessen hat, geht Paul eine Stunde lang im Garten spazieren, weil es noch zu früh ist, um die Filmgesellschaft anzutelephonieren, die seinen Sketch „Erpressung“ verfilmen soll. Der nächste und bisher einzige praktische Zweck seiner Reise nach Hollywood besteht doch darin, bei den Aufnahmen dieses Films dabei zu sein, vielleicht bei der Abfassung des Drehbuchs mitzutun. In seinem Herzen weiss freilich Paul, dass das nur der äussere Anlass der Reise ist, der Vorwand — — Er will — — Er weiss nicht so genau, was er will, er weiss nur, dass er mit Claire so lange hier bleiben wird, als ihr Geld reicht, und lernen, lernen, alles von der Technik und den Ausdrucksmöglichkeiten der Kinematographie lernen, was er den Hollywoodern abgucken kann. Vielleicht wird er ein Buch schreiben. Vielleicht ― ― In ihm steckt seit zwei Tagen, seitdem er vom Zug aus den müden Strolch durch die Wüste stapfen gesehen hat, ein Samenkorn, das anfängt zu keimen und Würzelchen herauszustrecken, eine beginnende Idee ― ― Vorläufig ist er froh und beglückt, obwohl auch eine dunkle Sorge im Hintergrund da ist, eine unbestimmte ― ―

Der Reporter des „Film Spectator“, der ins Hotel gekommen ist, um den deutschen Preisdichter zu interviewen, findet ihn erst nach langem Suchen in einem Winkel des Hotelparks, hinter dem kobaltblauen Schwimmbassin.

Er steht, mit einer dünnen Zigarre im Mund, breitbeinig vor einem Gebüsch, das scharlachrote Sternblüten trägt, jede Blüte grösser als eine menschliche Hand. Aber das, was er beobachtet, sind nicht die Blüten, sondern ist ein Kolibripärchen, das zwischen ihnen herumflattert, zwei winzige Stückchen lebendiger Farbe, regenbogenbunt, über alle Massen entzückend. Der Reporter stört eines Dichters kindliche Freude mit einem „Hello!“ und „How do you do?“ — und beginnt sein Geschäft mit der wichtigen Frage, wie also dem Dr. Power das kalifornische Klima gefällt, ist es, denkt er nicht, das beste der Welt, some climate? — Paul Pauer, in seinem nicht sehr geläufigen Englisch, antwortet dem vierschrötigen, amerikanischen Jungen das Übliche und Konventionelle; im Grunde ist er geschmeichelt, da er sich auch weiterhin als eine interessante Persönlichkeit beachtet findet und von der Presse umworben sieht. Der Reporter, ein Mister Harris, vertritt eine Wochenschrift, die in den Filmateliers ein wenig gefürchtet ist, wegen einer grossen Unabhängigkeit in ihrem Urteil; Paul kann das nicht wissen, sagt aber, zum Glück vielleicht, nichts Kompromittierendes über den amerikanischen Film, da Harris ihn gierig befragt: er weiss noch nicht, er will sich seine Meinung erst bilden, der europäische Film ist auch erst in seinem Beginn, die Amerikaner haben doch wenigstens die grossen Mittel voraus, und so prächtige, junge Menschen — —. Dann ist Charlie Chaplin da, so ein grosses Genie! Der Reporter Harris denkt unter seinem etwas schief aufgesetzten grauen Hut an eine fette „Head-Line“, die man jedenfalls über dieses Inverview schreiben könnte: „Preisgekrönter deutscher Romanschreiber sagt: Charlie grösstes Filmgenie“ — und notiert sich’s sogleich, nebst einem Schlagwort, betreffend das kalifornische Klima: „Bestes in der Welt, some climate!“ — Das ergibt doch ein bisschen Copy für die dieswöchige Nummer des „Film-Spectator“, und „Dr. Power“ verspricht, sich wieder zu äussern, sobald er mehr von Hollywood weiss. Nächste Woche? Nein, vielleicht wird Dr. Power selbst in der nächsten Woche noch nicht alles von Hollywood wissen, aber er verspricht, Triumph, der Konkurrenz nichts anzuvertrauen, sobald er eine wirkliche Story hat, soll Harris sie als erster drucken. Der höfliche Paul begleitet den Mr. Harris bis in die Lobby zur Drehtür und gibt ihm die Hand, auf Wiedersehen also, und während Harris, im ganzen nicht unzufrieden, in seinem kleinen, zweisitzigen Oldsmobile davonfährt, geht Paul zum Telephon und ruft das Direktionsbureau der Fantoma Film Company an: „Hier bin ich, Dr. Pauer aus Berlin, wir haben korrespondiert, und — —“ Eine weibliche Stimme am anderen Ende des Drahtes verspricht, sich zu erkundigen, ob Mr. Parker Brown, der Generalmanager, für den Gentleman eine Nachricht zurückgelassen habe, er ist jetzt nicht da. Die Stimme verstummt und nach einer Weile spricht eine andere Dame: hier die Sekretärin des Mr. Parker Brown, ja, Mr. Brown kommt heute nicht in sein Office, es ist Sonnabend, da pflegt er nach Lake Arrowhead zu fahren, über den Sonntag. — Gewiss, sie weiss, Dr. Power; sie hat die Briefe an ihn getippt. Am Montag findet er den Generalmanager sicher, er soll sich solange gedulden. Montag, um elf, Sunset Boulevard, Ecke Accacia Avenue. Da kann man nichts machen! Paul, ein bisschen verstimmt, weil er Dinge liebt, die glatt anfangen, ohne kleine Hindernisse, geht nachsehen, ob Claire bereits aufgestanden ist.

*

Dieser Tag vergeht mit der Wohnungssuche. Paul, der keine Ahnung hat, wie lange sie hier bleiben werden, oder vielmehr eine wenig günstige Ahnung, es ist doch alles so teuer, wenn man es nach Mark und Pfennigen rechnet, Paul hat daran gedacht, ein billiges, kleines Apartment House zu finden, irgendwo im Zentrum; aber Georg Lupu, den er um die Mittagsstunde anruft, um sich beraten zu lassen, kommt gleich mit seinem Auto herüber, er hat heute nichts zu tun, und stellt sich ganz zur Verfügung, mitsamt dem Auto; nie war noch ein professioneller Bösewicht so nett und freundlich. Sie lassen Claire zu Hause, die erst heute die Müdigkeit wirklich spürt; oder in der ein unterbewusster Widerstand gegen die neue, billige Wohnung strebt: man wird sie abholen, wenn die Männer denken, dass sie etwas halbwegs Passendes gefunden haben, zum Besehen und Prüfen. Sie hat, von Paul begleitet, in der Cafeteria eben ausführlich gefrühstückt und sehr spät und schenkt sich das Mittagessen und verbringt die Stunden faul und glücklich in einem Schaukelstuhl auf der besonnten Terrasse; dieses Hotel ist zu herrlich; ach, Paul und Lupu fahren los; Lupu kennt alles und hat eine Masse Adressen im Kopf, ja, die billigen Pensionen auch, in denen Statisten wohnen, aber wozu denn in eine riesige Wohnkaserne, in so ein Apartment House? Man kommt ebenso billig weg, und es ist angenehmer, wenn man ein Bungalow mietet, ein möbliertes Häuschen mit drei, vier Zimmern. Schliesslich beschreiten sie einen Mittelweg und Paul besichtigt, mit ungläubigem Staunen, ein kleines, hölzernes Märchenschloss, das mit vielen anderen in einem schönen Palmengarten steht, um ein zentrales Gebäude herum, in dem die Waschküche ist, das Bureau und eine Kantine, in der man zu essen bekommen kann, wenn man das so wünscht; das Unternehmen heisst „der Sykomoren-Bungalow-Hof“ und ist vielleicht nicht sehr vornehm; es hängt vor den anderen Bungalows, den bereits bewohnten, ein bisschen viel Kinderwäsche, aber Paul, an die Grossartigkeit kalifornischer Wohnungen noch nicht gewöhnt, findet alles vortrefflich, die drei kleinen Zimmer, die winzige Küchenkammer, ihm hat die „Porch“ es angetan, die Veranda, mit drei Schaukelstühlen darauf. Er weiss sofort, wo hier der Schreibtisch stehen wird, unter den kardinalroten, hängenden Blüten der Bougainvillea, die sich vom hölzernen Pfeiler herabrankt, köstlich, köstlich! Lupu, auch nur ein Mann und beim Wohnungssuchen unbeholfen, ist dennoch ein bisschen praktischer; den fetten Manager der Sykomoren-Bungalows nennt er, mit einer erschreckenden Bösewichtsmiene, „big boy“, und klopft ihm auf den Bauch und gibt ihm eine Zigarre, und handelt die Monatsmiete geschickt herunter, von fünfundsechzig Dollars auf sechzig, es kommt Paul lächerlich wenig vor. Sie mieten noch nicht definitiv, sie müssen erst Claire holen. Während sie in Lupus Wagen wieder ins Ambassador fahren, erkundigt sich Paul, von der Geographie dieser Stadt verwirrt, wo das eigentlich liegt, die Sycamore Bungalow Courts, ob im Zentrum, und ob nur das Atelier der Fantoma-Films in der Nähe liegt. Lupu lacht, was ist in Los Angeles-Hollywood in der Nähe? Man sitzt ja den ganzen Tag im Auto, verliert seine Zeit. Was die Bungalows anbelangt, so liegen sie schäbig, aber nicht ungeschickt: Western Avenue, die endlose, lange Querstrasse, die den Hollywood Boulevard kreuzt, ist höchstens drei Blocks entfernt, da sind wir schon; man kann sogar, wenn man Geduld hat, hier an der Ecke auf einen Autobus warten. „Das soll es geben“, sagt der Autobesitzer Lupu verächtlich. Er hat ja doch, so sehr er Hollywood hasst, schon diese Hollywooder Mentalität, für die ein Mann mit einem billigen Ford eine Art Bettler ist, geflickt, doch reinlich; beim Chevrolet fängt der Mensch erst eigentlich an, dann geht die Klassenordnung bis zu der lichten Höhe der Skala: Rolls Royce und allenfalls Lincoln. Wer nicht einmal einen Ford hat, wer den Street Car benutzt, der ist wie ein Bettler, doch einer auf Krücken. Zu Fuss geht niemand. Was ist das, zu Fuss gehen?

Ja, ein Auto müsse der Herr Doktor sich kaufen, rät Lupu, wenn sich der Aufenthalt in Los Angeles irgendwie ausdehnt. Sonst ist er, Lupu, für Sparsamkeit. „Wollen Sie die hiesigen Filmmillionäre durch den Glanz Ihrer Lebenshaltung blenden? Jede Zehn-Dollars-Note, die man nicht ausgibt, ist ein Tag, den man weniger hierbleiben muss.“

Nach solchen Tagen rechnet, scheint es, der Lupu; wie ein Sträfling im Kerker. Paul Pauer, ganz hingerissen von der Schönheit, die er überall sieht, von der Sonne, den Blumen, den Kolibris, von den kleinen Häusern, hört verblüfft und ein wenig ungläubig zu. Das ist doch gewiss nur Pose und allenfalls Spleen? Weswegen sollte man hier denn nicht leben können? Aber Lupu, immer heftiger, schwört groteske Eide: an dem Tag, an dem er eine gewisse Summe erspart hat, eine geheime Summe, die er nicht nennt, an dem Tag fährt er fort von hier. Und wenn er den letzten Rest der Summe am Vormittag kriegt, beim heiligen Gott, er wartet nicht mehr bis zum Abendzug nach Chicago, obwohl der der beste ist; er fährt mit dem Zug fort, der gegen Mittag geht, am nämlichen Tage!

„Aber miesmachen will ich es Ihnen nicht, Doktor!“ beteuert Lupu am Schluss.

*

Claire sieht mit den anderen, den weiblichen Augen die Wohnung an und findet kleine Fehler genug; eigentlich kommt es ihr doch wunderbar vor, dass sie ein Häuschen für sich allein haben sollen; sie wird ihren drei Freundinnen schreiben: eine Villa. Die Einrichtung besteht freilich vorwiegend aus Schaukelstühlen und Spucknäpfen. Wo, um Gottes willen, ist ein Schrank? Der dicke Manager der Sycamore Bungalow Courts öffnet einen Wandschrank, noch einen. Erst ganz am Schluss fällt es den Wohnungssuchern auf, dass sie in dem Häuschen alles gefunden haben, nur nicht ein Bett. Es stellt sich heraus, dass die riesigen Wandspiegel in jedem der drei Zimmer, die Claire bisher so sehr imponierten, die Betten sind. Man löst einen Haken, und der Spiegel sinkt aus der Wand zu Boden, entpuppt sich als die untere Seite des Klappbettes. Claire findet das reizend, Paul ein bisschen weniger. „Das ist ein Bett für euch Filmschauspieler,“ sagt er zu Lupu, „bei Tag lebt ihr gleichsam vor dem Spiegel, denn was ist denn die Kamera, und bei Nacht habt ihr einen Spiegel als Unterlage für eure Träume, wie?“

Von den dreien hat schliesslich nur Lupu Vernunft genug, um ordentlich danach zu fragen, ob Geschirr und Bettwäsche und dergleichen von der Bungalow Courts Company zu mieten seien und ob eine Aufwartefrau verfügbar ist. Paul Pauers Hauptsorge ist offenbar, ob auch in diesen Garten, in seinen Garten, die Kolibris kommen; Claire wieder hat eine leere Dachkammer entdeckt, und sagt, ganz unvermittelt: „Da könnte später der Martin wohnen!“ — Martin heisst ihr kleiner Sohn, der in Steglitz geblieben ist.

Da macht ihr Gatte sein nachdenkliches Gesicht, mit dem Faltenwinkel über der Nase. Er weiss nicht, er weiss nicht — —. Soll unter den Träumen an der Schwelle dieses kleinen Hauses auch ein Traum von Martin sein, wie er im Garten zwischen den Bungalows spielt, unter den breitblättrigen Bananenstauden, und die Kolibris flattern über seinen blonden Kopf?

Auch in dieser ersten Stunde des Besitzergreifens weiss Paul Pauer nicht, ob er das wünschen soll. Diese kalifornische Sonne ist wunderbar, aber — —.

*

Frau Claire findet ihren neuen Bungalow so lange reizend und ist so lange geneigt, vor sich selbst ein klein bisschen damit zu prahlen und sich Briefsendungen auszudenken, für ihre drei Freundinnen, bis Lupu sie um die Teestunde zu Lotto Heller fährt; er hat mit seiner Frau verabredet, dass sie hinkommen. Karl Erich, Lottos Mann, ist nur ein mittleres Licht, ein Regisseur mit fünfhundert Dollars wöchentlich, aber das Haus an der Vine Street, in den Bergen über dem Hollywood Boulevard, ein Haus in spanischem Stil und ungemein antik, obwohl es noch keine drei Monate steht und aus steinfarbener, hohler Pappe ist, kommt Claire mit seinen acht Zimmern und der schönen, mittleren Halle und mit einem Orangengarten am Abhang des Berges so unglaublich schön vor, so phantastisch millionärhaft, dass ihr die Lust vergeht, sich was auf das hölzerne Bungalow einzubilden. Zwei Autos haben die Hellers, den Buick, mit dem Karl Erich ins Studio fährt, und einen winzigen Chevrolet, für Lotto, wenn sie allein in die Stadt muss. Sie lernt selbst chauffieren, aber sie haben einen Diener für alles, einen schlanken, braunen Filipino, der kann auch das —.

An diesem Abend, da Claire schon in dem neuen Bett liegt, dessen Boden ein grosser Spiegel ist, steigen seltsame und begehrliche Träume aus dem Spiegel auf, und Wünsche fluten in den Spiegel zurück; während Paul, von Magie nicht betroffen, noch lange Zeit schlaflos im Nebenzimmer auf seinem Spiegel liegt, der ihm nicht viel zu sagen hat, ausser vielleicht, dass ein Spiegel eine harte Unterlage ist für eine recht dünne Matratze.

Du sollst dir kein Bildnis machen - Ein Roman aus Hollywood

Подняться наверх