Читать книгу Du sollst dir kein Bildnis machen - Ein Roman aus Hollywood - Arnold Höllriegel - Страница 6
III.
ОглавлениеEin Zug, nicht einer von den glanzvollen transkontinentalen Luxuszügen der Southern Pacific Railway, fährt durch die grosse amerikanische Wüste, dort, wo New-Mexico an Kalifornien angrenzt. Der Zug enthält Wagen der billigen „Touristenklasse“, und es fehlen ihm viele von den Bequemlichkeiten des Golden State Express, das Duschebad, der Friseur, die Stenotypistin, selbst der prachtvolle Speisewagen. Die Reisenden essen in Eile auf den Stationen oder kochen im Touristenwagen sich selbst etwas auf Spiritus. Aber ein Aussichtswagen ist dennoch vorhanden, mit einer offenen Plattform.
Es ist Vormittag; welcher Tag der Reise? Der fünfte? sechste? Die Rechnung verwirrt sich. In ihrem Coupé liegt Claire und schläft von neuem; das kurze rote Haar vergoldet ein weisses Kissen. Sie hat mit Paul gefrühstückt, irgendwo in einem Bahnhofsbüfett, auf einem hohen Stuhl baumelnd, und ist nachher gleich wieder eingeschlafen, müde, müde. Paul, ihr gegenüber, sieht sie friedlich atmen, steht behutsam auf, geht durch den ganzen langen Zug bis zu dem letzten Wagen, dem mit der offenen Plattform. Der Zug ist voll, und die Reisenden haben viel zu viel Handgepäck; romantische Rollen und Bündel und Koffer, die man in teueren Zügen nie sieht. Es ist nicht so leicht, zu passieren. Paul, mit einem Lächeln, windet sich durch. Jetzt kennt er die Leute schon, die mit ihm fahren, nur ein par Mexikaner sind neu, in der Nacht irgendwo eingestiegen, Vaqueros offenbar, von einer Ranch, Cowboys ins Indianisch-Spanische übersetzt, Zigaretten drehend und spuckend und laut. Ein alter Mann ist unter ihnen, mit ganz silbernen Haaren über einem kupferbraunen Gesicht mit den starken Backenknochen der Indios. Paul Pauer denkt bei sich, dass jetzt also doch ein alter Mensch in dem Zuge ist, die anderen sind alle jung, Männer und Frauen; in diesem Zug fahren lauter junge und fast lauter schöne Menschen nach Hollywood. Paul Pauer, durch die Korridore gehend, sieht nach rechts und links und vergnügt sich insgeheim damit, seine Mitreisenden zu klassifizieren. Dieser junge Mann glaubt offenbar, dass er so aussieht wie Valentino; ein anderer hat sich von der Sonne braun brennen lassen und zeigt, fortwährend lächelnd, seine weissen Zähne, ganz wie Douglas Fairbanks. Die Mädels sind ebenso leicht einzuteilen; hier fährt eine neue Lilian Gish nach Hollywood, um dort ein so berühmter Star zu werden wie die bisherige; Mary Pickford ist mehrfach da, zum Aussuchen, die Miss dort sucht den Stil der Constance Talmadge. Paul Pauer denkt sich, dass um diese Zeit, in dieser gleichen Sekunde, noch viele andere Eisenbahnzüge durch Amerika rollen, auf anderen Schienensträngen, die auch nach Kalifornien führen, nach Hollywood, und es fahren Schiffe nach Hollywood, durch den Panamakanal, und andere, die aus Australien kommen, durch die Südsee, und Autos rollen nach Hollywood, auf tausend Strassen, und in allen diesen Zügen und Schiffen und Autos sitzen lauter schöne, junge Menschen, die davon träumen, dass sie doch eigentlich aussehen wie Douglas Fairbanks oder Lilian Gish, und dass sie daher in Hollywood bestimmt berühmt werden müssen, und reich, das auch, aber das wichtigste ist doch, dass dieses ihr Gesicht, o aus tausend Spiegeln kennen sie es, dass es in der ganzen Welt sichtbar sein wird, lächelnd, oder in tragischer Traurigkeit, und dass über dem Broadway die Flammen den Namen an den Nachthimmel schreiben werden, den neuen Namen des jungen Menschen, der jetzt nach Hollywood kommt, heute, einer von Tausenden, aber nicht lange — —.
Paul Pauer ist ans Ende des Zuges gelangt und muss hinter einer Glastür einige Zeit warten, bis auf der hinteren Plattform einer der Klappstühle für ihn frei wird.
Endlich bekommt er den Platz und setzt sich nieder, zwischen zwei junge Burschen aus dem mittleren Westen, die ihre Füsse auf den Messingstangen der Brüstung liegen haben, und je einen breiten Stetson-Hut tragen und je eine kurze Pfeife rauchen, sie sind beide, offenbar, Zwillingssöhne von Tom Mix und werden in Hollywood zahllose Heldinnen, unschuldig-holde, aus den Klauen der Bösewichter befreien, herbeisprengend auf ungesattelten Bronchos. Paul Pauer, zwischen Tom Mix und Tom Mix, liegt in dem bequemen niederen Sessel und blickt auf die Schienen, die hinter dem Zuge rennen wie zwei flinke Schlangen. Das Land, das er sieht, hinter dem eilenden Zuge, ist seltsam fremd und dennoch wieder vertraut, die Wüste aus hundert Filmen, der Wilde Westen der Kinos, nur anders, farbig, ganz toll und besoffen von Farbe; blutrot steigt ein Tafelberg auf, oder sonderbar grün, nicht durch Pflanzen grün, sondern durch giftig gefärbtes Gestein; gelb, braun und purpurn sind kahle Hügel, und in den Felsenschluchten liegen die Schatten bläulich. Auch blüht diese Wüste wie ein phantastischer Garten; ein verfrühter Regen hat hier plötzlich den Sand erweckt, und es sind Blumen da, in ganzen Feldern und, scheinbar, Unendlichkeiten; hier ist alles weiss von kleinen Kamillenblüten, dort ist ein rotes Feuer aus Blüten, weithin, und dort ein stahlblauer See, der nicht aus Wasser ist. Grotesk dazwischen die Säulen und Pfeiler und Kandelaber und Trolle und Gnomenfiguren und Urwelttiere, die der Kaktus vortäuscht. Ein feiner Staub, vom Wind über das Hochplateau der Wüste getrieben, hüllt das alles ein, Paul Pauer fühlt ihn rauh in seinem Gesicht und salzig auf seiner Zunge.
Manchmal, in einer Senkung, die Wasser enthält, einen kleinen bitteren See mit Salzkristallen an den eingetrockneten Rändern, wächst derbes Gras auf sumpfigen Wiesen, und Herden von freien Pferden sprengen herum, es weiden Rinder. Hier sieht man auf einmal einen Cowboy, einen richtigen, aus dem Indianerbuch, der hinter dem Zug dreingaloppiert, als wie um ihn einzuholen; das bunte Nackentuch flattert, und wenn er sich im Sattel hebt, bemerkt man hinten den Pistolenhalfter. Oder es stehen ein paar würfelförmige Hütten da, aus Holz genagelt oder aus Lehmziegeln aufgepappt; und Indianerkinder, zerlumpt, mit straffem Haar über schwarzen Augen, blicken dem Zuge nach; sie winken nicht und rufen nichts, sie sind feierlich ernsthaft. Einmal hält der Zug in einer Station, die ohne besonderen Zweck in der Wüste da ist; ein indianisches Weib in einem grellroten Rock geht von Wagen zu Wagen und bietet Waren an, Wolldecken, graue und rote, mit schönen Mäandern verziert, und prachtvoll buntes Korbwerk und Töpfe; der eine Topf ist ganz voll von silbernen Ringen, die mit Türkisen verziert sind, so wie sie der Indio in den Bergen findet. Paul Pauer kauft eine ganz billige, kleine Spange mit einem Türkis, und Claire, erwachend, findet sie später am Halsausschnitt ihrer Bluse.
*
Den ganzen Tag bleibt Paul Pauer auf dieser hinteren Plattform, von der Luft berauscht und fasziniert von der Wüste. Claire, die mehrmals kommt und sich neben ihn setzt, findet am Mittag die Sonne zu heiss und gegen Abend den Wind zu kalt und immer den Staub unertragbar. Jetzt, am späten Nachmittag, hat der Zug die hochgelegenen Teile Neumexikos schon durcheilt und fährt knapp an der mexikanischen Grenze entlang durch ein Gebiet, das sich langsam hinabsenkt in eine tiefe Depression; hier blüht nichts mehr, der Kaktus selbst ist verkrüppelt und schmächtig, es ist die tote und durstige Wüste; eine grosse Landstrasse, ausgezeichnet gepflegt, mit Telegraphenpfählen, die von Benzinstation zu Benzinstation führen, zerschneidet die Wüste, und manchmal sieht man ein Auto durch die gespenstischen Sanddünen fahren, rasch vorwärts, in die Oasen am anderen Ende, in Kalifornien, wo sie Wasser in diese Wüste geleitet haben und aus dem leeren Sande die Gärten gemacht, die Dattelwälder, die Königreiche der Goldorange und der silbrigen Grapefruit.
Hier, in der tiefgelegenen, trostlosen Wüste, hat der Dichter Paul Pauer eine Vision, die er lang nicht vergessen wird, und die in ihm zu dem Kern wird, um den ein schöner Kristall seines Geistes sich bilden soll. Auf dieser energischen, amerikanischen Strasse, die durch die Wüste liniiert ist, sieht er manchmal ein Auto und denkt sich immer: in diesem Auto fahren schöne, junge Menschen nach Hollywood, weil sie das grosse Glück dort vermuten. Einmal aber sieht er einen Mann, der langsam und müde zu Fuss geht, durch die unendliche Wüste der amerikanischen Mitte, von Telegraphenstange zu Telegraphenstange, von Kaktus zu Kaktus, immer weiter. Der Zug donnert vorbei an dem Tramp, der stehen bleibt und ihm nachblickt, mit einem traurigen Gesicht, in dem wenig Hoffnung ist. Paul Pauer, jetzt allein auf der hinteren Plattform, in der kalten und stauberfüllten Dämmerung des herbstlichen Abends, sieht den Menschen noch lange; es ist ein grosser, starker Mann zwischen zwanzig und dreissig, in Kleidern, die einmal städtisch waren, er trägt ein ganz kleines Bündel, und es scheint ihn zu Boden zu ziehen, er kann kaum mehr weiter. Hier, an diesem jungen Vagabunden vorbeifahrend, auf dem Weg nach dem bunten Märchenziel, Hollywood, denkt der Dichter Paul Pauer an eine Dichtung, die er schreiben möchte, an einen Film, dessen Anfang von einem Vagabunden erzählen soll, verzweifelt und müde und durstig in der grossen Wüste, hinter der Fata Morgana strahlt, die gespiegelte Phantom-Stadt der Sehnsucht, Hollywood.