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Augustin
ОглавлениеIm siebten Wiener Gemeindebezirk, Ecke Kellermanngasse/Neustiftgasse, befindet sich der Augustinbrunnen, benannt nach dem Dudelsackpfeifer und Bänkelsänger Markus Augustin, der gegen Ende des 17. Jahrhunderts durch die Gassen und Lokale der Stadt zog und die Menschen mit Spiel, Gesang und oftmals auch derben Scherzen zu unterhalten wusste. Auf meinen Spaziergängen komme ich oft an diesem Brunnen vorbei. Schmunzelnd lese ich dort: „I wor hin, jetzt hobts mi wieda, drum hörts auf meine Lieder!“
Zur Institution wird „Der liebe Augustin“, als er im Jahre 1679 während der Pest trotzdem seinen Humor nicht verliert und anfängt, auch den nahen Tod und die damit verbundene Not zu besingen. Aber aus Angst vor der Ansteckung ziehen sich die Menschen aus den Lokalen zurück. Augustin singt und spielt in den einsamen Gassen und in leeren Gaststätten. Von den Wirten trotzdem verpflegt und vor allem mit Alkohol versorgt, trinkt er nicht selten mehr, als er verträgt, und bleibt auf dem Weg nach Hause auf offener Straße liegen. Dort finden ihn die Pestknechte: „Do schau her!“, ruft einer und bekreuzigt sich dreimal. „Des is jo der Augustin! Wenn’s den a scho erwischt hat, steht die Welt nimma lang!“ Die Männer packen die vermeintliche Leiche auf den Wagen, den Dudelsack dazu, karren ihre Fracht zur Pestgrube nach St. Ulrich und kippen sie hinein. Als Augustin die Augen aufschlägt, weiß er nicht recht, wo er ist. Zuerst glaubt er, das Brummen, das er hört, komme aus seinem Schädel. Bald aber merkt er, dass er von Tausenden Fliegen umschwirrt wird. Und was für ein Gestank um ihn herum! Dass er so weich sitzt, macht ihn stutzig. Da ist ein Mensch unter ihm! Einer? Nein, ein ganzer Haufen, Männer, Frauen, Greise, Kinder – alle mit schwarzen Pestflecken übersät! Den Augustin packt die Panik. „I wü auße do!“, schreit er. „Helft’s ma! Hüüüüfe!!!“ Doch niemand hört ihn. In seiner Verzweiflung greift er zum Dudelsack. „Der Augustin soll sterben, wie er g’lebt hat“, sagt er zu den Toten. „Spü’ auf!“ Und so sitzt er in der Grube und spielt in seiner Angst ein Lied nach dem anderen …
Einige Kirchgänger bleiben verwundert stehen. Die Musik, die sie hören, kommt nicht aus der Kirche. Sie gehen den Klängen nach, finden Augustin in der Pestgrube und helfen ihm heraus. So jedenfalls erzählt es eine der vielen Auffindungsgeschichten. Dass er die Nacht unter all den Toten verbracht hat, ohne sich anzustecken, verbreitet sich wie ein Lauffeuer in Wien. Die Menschen schöpfen wieder Hoffnung. Augustin bleibt „pumperlgsund“ und beweist damit, dass die Pest nicht unbesiegbar ist. Aus dieser Episode entsteht das Wiener Volkslied mit dem bekannten Refrain: „Oh, du lieber Augustin, Augustin, Augustin! Oh, du lieber Augustin! Alles ist hin!“
Augustins Geschichte mag makaber klingen, in ihr aber steckt viel Weisheit und viel vom sogenannten Wiener Gemüt. Der Wiener, wenn es ihn im Sinne Augustins noch gibt, liebt es, sich mit dem Tod zu beschäftigen, ihn als „Freunderl“ zu besingen. Um sich den Tod vom Leib zu halten, trinkt er augenzwinkernd mit ihm „Bruderschaft“! In feinen oder gröberen humoristischen Nuancen finden wir das aber wohl sonst auch. Ein russisches Sprichwort etwa meint: „Was fürchtest du den Tod, Väterchen? Es hat noch keiner erlebt, dass er gestorben ist.“
Mark Twain wundert sich, wozu wir eine Friedhofsmauer brauchen. „Die, die draußen sind, wollen nicht hinein, die, die drinnen sind, können nicht mehr hinaus. Wozu also eine Mauer?“
Zwei Lektionen bleiben den Wienern, die sie ihrem Augustin verdanken:
Erstens, es scheint sich in allen Situationen des Lebens zu lohnen, auch die andere Seite der Medaille anzuschauen. Gerade darin liegt ja die wohltuende Wirkung des Humors. Wer konfrontiert mit Bedrohung und Gefahr nicht vor Angst erstarrt, sondern „engagiert gelassen“ bis zuletzt nach möglichen Auswegen sucht, hat zum Schluss die besseren Karten in der Hand. Humor hat, wer ihn auch angesichts des Todes nicht verliert. Augustin jedenfalls hat ihn als die beste Medizin gegen die Pest erfahren. Vielleicht liegt ja gerade darin auch der innere Grund für die Verbundenheit der Wiener zu ihrem „lieben Augustin“. Zweitens, Augustins Pestgrubenerlebnis aus dem Jahre 1679 bestätigt auch eine Entdeckung, die erst rund 200 Jahre später dem großen Chemiker und Mikrobiologen Louis Pasteur (1822 – 1895) gelungen ist. Seine entscheidenden Beiträge zur Vorbeugung gegen Infektionskrankheiten fasst er in dem Satz zusammen: „Der Keim ist nichts, das Terrain ist alles!“