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Begeisterung
ОглавлениеDas menschliche Gehirn wird so, wie es der Mensch benutzt, aber ganz besonders so, wie er es mit Begeisterung benutzt. Was in seinem Gehirn mit Nachdruck hängen bleibt, hängt mit Erlebnissen zusammen, die ihn berühren, bewegen, ihm „unter die Haut“ gehen. Und hier tut sich schon ein erstes ernstes Problem auf: Viele Menschen haben in ihrem Leben nicht nur die Begeisterung, sondern mit ihr auch die Lebensfreude verloren. Und weil ihnen in der Folge nichts mehr unter die Haut geht, glauben sie sich den Luxus der Begeisterung auch nicht mehr leisten zu können. Sie haben sich wunderbar angepasst an das, was täglich von ihnen verlangt wird. Dadurch haben sie sich selbst funktionalisiert. Sie „funktionieren“ nur mehr, und ihr glatter Panzer, mit dem sie sich dabei umgeben, ist kaum noch durchdringbar. Bereits beim Erwachen wissen sie, was der Tag bringen und was an diesem Tag zu vollbringen sein wird. Aber trotz allem befindet sich auch bei diesen Menschen als wunderbar angepasste und stereotyp funktionierende Zeitgenossen hinten auf dem Rücken eine kleine Stelle, an der sie noch berührbar und damit auch verwundbar sind, die Stelle, wo beim Bad des Siegfried im Drachenblut das Lindenblatt gelegen hat. Dort steht geschrieben: „Es gibt kein gutes Leben ohne Begeisterung!“ Der Begriff „Begeisterung“ ist in diesem Zusammenhang auch deshalb so wichtig, weil daran zu erkennen ist, woran eine Gesellschaft, der nichts mehr nahegeht, besonders zu leiden hat. Es fehlt vielen Menschen das innere Feuer, der Antrieb und die Motivation, etwas, das sie bewegt und von innen her anrührt …
Wo aber allzu lange nichts mehr passiert, erlischt das Leben, berührt uns das Unvorhergesehene, das Überraschende, das Wohltuend-Andere nicht mehr, das, wovon wir in glücklichen Momenten so gerne berichten und von dem wir dann sagen, dass wir nie gedacht hätten, solches (noch einmal) erleben zu können. Wo solche Erlebnisse nie stattfinden oder zur absoluten Rarität verkommen, ist es gut zu verstehen, dass Menschen, denen es an Begeisterung fehlt, krank werden. Wenn die WHO den westlichen Industriestaaten für die nächsten zwanzig Jahre den Anstieg von Angststörungen und depressiven Erkrankungen vorhersagt, dann kann die Schlussfolgerung daraus doch wohl nur lauten: Die Gesellschaft, in der wir leben, schreit geradezu nach Veränderung. Dabei geht es nicht um ein gemütlich-oberflächliches „Schau-ma-mal-dannseh-ma-schon“, sondern um unser aller nacktes Überleben. Der Umgang mit der Natur muss noch deutlicher ins Bewusstsein rücken, menschliches Miteinander in allen Lebensbereichen neu überdacht werden, die Behandlung von Kranken in einen größeren Zusammenhang gestellt und junge wie alte Menschen aus einer völlig neuen Perspektive betrachtet werden. Was eine seelisch gesunde Gesellschaft braucht, sind Beispiele des Gelingens, an denen deutlich wird, wie es gemacht werden kann und wie es anders gemacht werden muss, damit es gelingen kann.
Ein sozial hochkarätig wirksames Medikament lautet: Rede jeden Tag wenigstens einmal mit einem Menschen, der viel älter ist als du, und bemühe dich gleichzeitig, jeden Tag wenigstens einen Gesprächspartner zu finden, der weit jünger ist als du. Das Interesse an den Erfahrungen und Sichtweisen anderer Menschen macht uns reich, offen, hellhörig und weit. „Wir müssen füreinander Sorge tragen und füreinander da sein“, sagte ein Indianerhäuptling. „Deshalb fragen wir uns bei jeder Entscheidung, die wir treffen, welche Folgen sie für spätere Zeiten hat und ob sie den kommenden Generationen nützt oder schadet. Wir arbeiten mühevoll auf unseren Feldern, von deren Früchten wir leben; genauso müssen wir jede Mühe auf uns nehmen, für die Menschen zu sorgen, die um uns sind – denn auch von ihnen leben wir.“