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Napoleon: Revue einer Blitzkarriere
ОглавлениеIn Frankreich, das den Weg der Revolution statt langsamer Reformen gegangen war, hatte sich nach den Verwerfungen der Terreur das gemäßigte, aber korrupte Direktorium etabliert. So manche Aufstände und Putschversuche hatte es überstanden, aber im November 1799 war sein Ende gekommen: Am 9. November, dem 18. Brumaire der revolutionären Zeitrechnung der Republik, führte der 30-jährige General Napoleon Bonaparte einen Staatsstreich durch. Eine neue Verfassung setzt er durch mit drei Konsuln an der Spitze. Bonaparte selbst wird Erster Konsul sein – zuerst auf zehn Jahre, dann auf Lebenszeit – und somit der starke Mann. Nur wenige Wochen nach dem Putsch wird er verkünden: „Citoyens, la Révolution est fixée aux principes qui l’ont commencée, elle est finie.“ (Bürger, die Revolution basiert auf Prinzipien, die an ihrem Anfang standen, sie ist beendet). Mit dieser berühmten Erklärung sorgte der Erste Konsul landesweit für Aufatmen, erwartete man doch nun innen- wie außenpolitisch eine ruhige, stabilisierende Entwicklung, die Handel und Wirtschaft zugutekäme. Andere sehen ihn als Verräter an der Revolution.
Wie auch immer man sein Wirken beurteilt, fest steht, dass Napoleon ein Kind der Revolution war. Seine Karriere allein belegt dies eindrücklich: Als zweitgeborener Sohn von acht Kindern entstammte er einer korsischen Familie des niederen Adels, dazu einer Insel, die erst im Jahr vor seiner Geburt, nämlich 1768, von Genua an Frankreich gefallen war. Italienisch sprach man dort neben der Muttersprache häufiger und sicherer als Französisch, und Napoleon hatte noch als Kaiser mit dessen grammatischen Finessen Probleme. Auf der gebirgigen Mittelmeerinsel kämpfte eine Unabhängigkeitsbewegung um die Loslösung von Frankreich, und selbst der junge Napoleon hatte sich ihr vorübergehend angeschlossen. Doch seine Familie blieb letztlich Parteigängerin des französischen Königs, unter dessen Oberhoheit die militärische Ausbildung des jungen Mannes begann. Mit knapp zehn Jahren verließ er seine Heimat, besuchte Militärschulen und schloss die Pariser Militärakademie mit 15 als Unterleutnant bei einem Artillerieregiment ab. Es folgen Jahre des nicht sehr anstrengenden Dienstes mit langen Urlauben bei der Familie auf Korsika. Hier schlüpfte Napoleon schon bald in die Rolle des Familienoberhaupts, weil der Vater früh verstorben war. Daneben schließt er sich der Revolution an und tritt einem Jakobinerclub bei. Aber erst nachdem die Familie aus politischen Gründen Korsika verlassen musste, gewinnt man den Eindruck, dass Paris dem mittlerweile zum Hauptmann Beförderten näher stand als die Mittelmeerinsel. Erstes Aufsehen errang er im Herbst 1793 als Bataillonschef bei der erfolgreichen Belagerung des aufständischen und mit den Engländern paktierenden Toulon, was ihm die Ernennung zum Brigadegeneral brachte. Zwei Jahre später beauftragte ihn Paul Barras, der starke Mann des Direktoriums, mit der Niederschlagung eines Royalistenaufstands in Paris. Rücksichtslosigkeit und Erfolg prägten das Vorgehen des nun zum Divisionsgeneral ernannten, der damit in den Führungskreisen der Republik angekommen ist. Das zeigt sich an seiner gesellschaftlichen Stellung: Erst jetzt ändert der korsische Parvenü seinen Namen Napoleone Buonaparte in Napoleon Bonaparte und heiratet die in den Kreisen der Hauptstadt allbekannte Joséphine, Generalswitwe und Ex-Geliebte von Barras. Damals fehlen noch vier entscheidende Jahre bis zum 18. Brumaire: Napoleon nutzte sie auf unvergleichliche Weise: Als Oberbefehlshaber der Armee in Italien trieb er die Österreicher 1796/97 vor sich her und schlägt sie, wo er sie trifft. Mit knapp 38.000 Mann erobert er Mailand, Mantua und Venedig, errichtet Tochterrepubliken und zwingt den Österreichern den Friede von Campo Formio auf. Der jugendliche General als der gloriose Sieger von Schlachten wie der an der Brücke von Lodi, bei Arcoli oder Rivoli. Napoleon ist das Paradebeispiel eines republikanischen Charakters, dem durch seine Leistung alles möglich wird und der sich mit treuen Gefolgsleuten aus allen Ständen umgibt. Sein Mythos ist geboren – und er hat beizeiten kräftig daran gearbeitet, nicht zuletzt durch eine geschickte Nutzung der Medien, die im republikanischen Frankreich eine besondere Rolle spielen. Seine „PR-Berater“ kreieren denn auch das Bild des gleichsam göttlichen Generals, der mit großer Geste von Triumph zu Triumph stürmt. Darstellungen wie Antoine-Jean Gros‘ „General Bonaparte auf der Brücke von Arcole am 17. November 1796“ sind typisch für sein Image. Napoleon wird gewissermaßen als jugendlicher Held zum Liebling der Pariser und Pariserinnen und zum Heros Frankreichs.
Daran änderte auch das Debakel des Ägyptenfeldzugs 1798/99 nichts, das er geschickt zu verschleiern weiß. Was in jenem Herbst zählte, war allein die sichere Rückkehr des Generals aus dem fernen Afrika, dass er am 16. Oktober 1799 zurück in Paris ist und bereit, das Vaterland zu retten.
Im Zuge des Putsches vom 18. Brumaire wurden die fünf Direktoren kaltgestellt, auf die beiden Parlamentskammern des „Rates der 500“ und des „Rates der Alten“ wurde durch die napoleontreue Armee Druck ausgeübt. Wie bekannt errichtete Napoleon fünf Jahre später sein Empire, das ein neues aristokratisches System etabliert und für ein knappes Jahrzehnt Europa beherrschen wird. Das Kaiserreich, letztlich eine Militärdiktatur, griff in historisch einmaliger Weise in die Geschicke Deutschlands ein. Seinen deutlichsten Ausdruck findet dies mit dem Ende des fast 900 Jahre alten „Heiligen Römischen Reichs“. Aber Napoleon ist auch ein aufgeklärter Despot. Seinem durch Annexionen stark vergrößerten Frankreich und teilweise auch seinen Nachbarländern brachte er den Schuldenabbau, eine stabile Währung, Arbeitsplätze und feste Getreidepreise, aber auch ein modernes Straßennetz, Kanäle und Häfen. Sein bis heute anerkanntes Glanzstück ist der 1804 erlassene Code Napoleon oder Code Civil, ein bürgerliches Gesetzbuch, das bis heute in Frankreich gilt und erhebliche Wirkungen nicht zuletzt in Deutschland zeigte.
Allein die Kriege, zu denen Napoleon je nach Perspektive gezwungen wurde bzw. die er vom Zaune brach, vergällten den Franzosen die Vorteile des napoleonischen Systems. Nach den Befreiungskriegen wünschten sich die meisten Menschen vor allem den Frieden. Napoleons Vermächtnis blieb deshalb über die Jahrzehnte und letztlich bis heute ambivalent. Die Historiker können sich am ehesten einer Meinung des Dichters und Politikers Chateaubriand anschließen, der beileibe kein Freund des Kaisers war: „Bonaparte … ist groß, weil er eine ordentliche und mächtige Regierung geschaffen hat, einen in verschiedenen Ländern angenommenen Gesetzkodex, Gerichtshöfe, Schulen, eine starke, tätige und intelligente Verwaltung, mit der wir noch heute leben; er ist groß, weil er Italien wieder zum Leben erweckt, aufgeklärt und überlegen verwaltet hat; er ist groß, weil er in Frankreich aus dem Schoße des Chaos die Ordnung wieder erstehen ließ, weil er die Altäre wieder errichtet hat, weil er die wütenden Demagogen in die Schranken wies …“