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Kapitel 4

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Jeremy hatte kaum geschlafen. Seinen Wecker brauchte er nicht, er war schon gegen sechs Uhr wach. Vermutlich der Zeitzonenwechsel, dachte er, in L.A. war es da schon acht Uhr. Er nutzte die Zeit, um eine Runde durch sein Viertel zu joggen und dabei auch die Gegend zu erkunden.

Er stellte fest, dass er sich in einer reinen Wohngegend befand. Ähnlich wie in manchen Vierteln von L.A. war hier ein Wohnhaus neben dem anderen und weit und breit kein Supermarkt zu sehen. Die einzigen Unterschiede waren, dass die Häuser größer und die Straßen nicht schnurgerade waren. Und ein weiterer Unterschied war, dass hier offenbar die ganze Zeit ein starker Wind weht. Die Straßennamen waren sehr ungewöhnlich für einen Nichthawaiianer. Maalo Street, Ohaa Street, Aleo Place, Kaao Circle, Kea Street. Jeremy hoffte, dass er sich nicht verirrte.

Dann kam er an eine Hauptstraße. Auf der anderen Seite der Straße befanden sich unter anderem ein Einkaufszentrum und einige Restaurants. Er nutzte die Gelegenheit und kaufte einige Lebensmittel ein.

Die Wälder von Wisconsin, in denen Jeremy schon als Jugendlicher zusammen mit seinem Vater auf der Jagd gewesen war, waren zwar nicht mit den Straßenzügen in Kahului zu vergleichen, aber die dort erworbenen Orientierungsfähigkeiten halfen ihm auch hier, sein Haus wieder zu finden. Jeremy machte sich Frühstück, brühte sich einen frischen Kaffee auf und duschte in aller Ruhe.

Kurz vor halb neun verließ Jeremy das Haus und setzte sich auf den Treppenabsatz vor der Haustür. Er musste gut zehn Minuten warten, bis John endlich ankam. Unpünktlichkeit betrachtete Jeremy auch als Unhöflichkeit. Aber er sagte nichts. Vielleicht betrachtete man manche Dinge im sonnigen Hawaii etwas lockerer als zuhause im verschneiten Wisconsin.

„Willst du noch was essen?“, fragte John, nachdem Jeremy eingestiegen war und man sich gegenseitig begrüßt hatte.

„Nein danke, ich habe schon gefrühstückt.“

„Du hast nichts dagegen, wenn ich mir noch schnell ein paar Pancakes gönne? Ich habe Hunger wie ein Bär.“

„Sollen wir nicht um neun auf dem Revier sein?“

„Das ist zwei Minuten von hier. Wir haben noch genug Zeit.“

Zwanzig Minuten und drei Pancakes später kamen sie im Revier an. Es lag in der Tat nur wenige hundert Yards von der Dienstwohnung entfernt. Jeremy würde diese Nähe nutzen, um in den folgenden Tagen auf das Angebot, von John gefahren zu werden, zu verzichten.

Um kurz nach neun betraten sie das Revier. Es war ein für die Staaten typisches Großraumbüro. Captain Kamaka, ebenfalls ein Asiate mittleren Alters aber deutlich schlanker als John, hielt gerade das morgentliche Briefing. Als er die beiden Neuankömmlinge sah, unterbrach er seinen Vortrag.

„Oshiro. Nett, dass Sie auch endlich mal aufschlagen. Wie war das Frühstück?“, fragte Kamaka in gestellter Höflichkeit.

„Gut, wie immer“, antwortete John knapp.

„Interessiert mich nicht!“, antwortete Kamaka in einem deutlich vernehmbaren aufgebrachten Tonfall. Jeremy hatte den Eindruck, er wollte John nur zu einer Antwort verlocken, um ihm dann ins Wort zu fallen. Mit seiner knappen Antwort verhinderte John dies allerdings. Jeremy glaubte auch, ein leichtes Lächeln in Johns Gesicht wahrgenommen zu haben. Er schloss daraus, dass sich dieses Schauspiel schon öfter abgespielt hatte, und dass es sich um eins der ritualisierten Machtspiele der beiden handeln musste. Er beschloss für sich, kein Teil dieser Kampfhandlungen werden zu wollen.

„Und jetzt setzen Sie sich und hören Sie zu. Ich habe keinen Bock, Ihretwegen neu anzufangen!“

Kamaka musterte Jeremy. Dann fuhr er mit dem Briefing fort. Ein paar Taschendiebstähle in den Touristenzentren, vor allem am Küstenabschnitt von Kapalua bis Lahaina, ein erneuter Wohnungseinbruch in Kahului und gehäufte Fälle von Alkohol am Steuer waren die Schwerpunkte. Bei letzterem musste Jeremy an John denken, er guckte ihn kurz von der Seite an. Zwischendurch schaute er sich auch in der Runde um. Nur hin und wieder traf sein Blick den eines ortsansässigen Kollegen. Aber wenn das geschah, dann glaubte er jedes Mal, Verachtung in den Blicken zu spüren.

„Interessiert uns alles nicht“, flüsterte John. „wir gehen normal auf Streife. Wenn wir was sehen, bei dem wir helfen können, oder wenn Verstärkung gerufen wird, dann können wir eingreifen. Müssen wir aber nicht.“

„Haben Sie irgendwelche Fragen, Sergeant Oshiro?“, fragte Kamaka lautstark, er unterbrach dabei seine Ausführungen mitten im Satz.

„Nein, Sir!“, antwortete John.

Kamaka bedachte John mit einem scharfen Blick, bevor er mit dem Briefing fortfuhr. Gemessen an der Länge haben sie sich doch ordentlich verspätet, dachte sich Jeremy, denn nach nicht mal zwei Minuten war das Briefing auch schon vorbei. Jeremy vermisste dabei Fälle von Drogen- und Bandenkriminalität, es wurde auch kein Mord oder Totschlag erwähnt. Es war schon ein deutlicher Unterschied zu L.A.

„Oshiro! Hagen! In mein Büro!“, brüllte Kamaka durch den Raum, während das geschäftige Treiben der Kollegen wieder Fahrt aufnahm.

Die beiden standen auf und folgten ihm. Kamaka wartete an der Tür und schloss sie hinter sich, nachdem sie das Büro betraten. Sie setzten sich alle an den Schreibtisch.

„Sie sind also Jeremy Hagen“, sagte Kamaka. „Ein harter Hund aus L.A., hat man mir gesagt.“

„Wisconsin“, antwortete Jeremy.

„Was?“

„Wisconsin. Ich stamme aus Wisconsin. In L.A. habe ich nur ein paar Jahre…“

„Interessiert mich nicht“, fiel ihm Kamaka ins Wort. „Sie gehören nicht zu meiner Einheit. Ich habe Sie und Ihre Einheit hier nur zu tolerieren. Und das ist schon mehr als nötig. Ich nehme an, Ihr Kollege hat Sie schon über Ihre Aufgaben aufgeklärt?“

Jeremy schaute zu John.

„Ja, Sir!“, antwortete John.

„Gut“, sagte Kamaka. „Marke, Dienstwaffe und Ihr komisches Robocop-Zeugs da auf der Schulter kriegen Sie in der Waffenkammer. Ihre Schichten werden von Honolulu aus eingeteilt. Sie haben sich immer zu Beginn der Schicht hier einzufinden, und danach gehen Sie mir bitte aus den Augen. Mehr gibt es nicht zu sagen, da ist die Tür.“

Jeremy war überrascht. Das sollte die ganze Begrüßung gewesen sein? Für seinen Geschmack war sie sehr kurz und unfreundlich. Sie standen auf und gingen zur Tür, John voran. Als dieser bereits das Büro verlassen hatte, drehte sich Jeremy in der Tür stehend nochmal um.

„Sir?“

„Was denn noch?“, antwortete Kamaka.

Jeremy schloss die Tür.

„Es ist mir nicht entgangen, dass Sie ein Problem mit Oshiro haben. Aber wir beide kennen uns noch gar nicht. Für eine gute Zusammenarbeit ist mir ein gutes Miteinander wichtig. Ich werde Sie mit Respekt behandeln und bitte Sie im Gegenzug ebenfalls um einen fairen Umgang.“

Kamaka musterte ihn kurz. Jeremy rechnete damit, dass er auch gleich wieder angefahren werden würde. Doch zu seiner Überraschung blieb der Captain ruhig.

„Tut mir leid, falls Sie es persönlich genommen haben sollten“, antwortete er. „Sie haben recht. Wir kennen uns nicht. Aber wir werden trotzdem keine Freunde werden. Das liegt nicht an Ihnen, sondern an Ihrer Einheit. Für mich sind das Schlächter. Und ich will auch keine Zusammenarbeit mit diesen Schlächtern. Seit die hier sind, gehen vier von fünf Tötungen auf ihre Kappe. Ich mag das nicht. Ich finde es zum kotzen, gelinde gesagt. Maui war mal eine friedliche Insel. Und jetzt stapeln sich die Toten.“

Jeremy überlegte, was er darauf sagen wollte. Doch er wollte sich nicht rechtfertigen. Nicht für einen Job, den er noch nicht mal richtig begonnen hatte.

„Ein respektvoller Umgang reicht mir schon“, antwortete er. „Danke, Sir.“

Er nickte Kamaka zu, dieser tat es ihm gleich. Dann öffnete er die Tür und verließ ebenfalls das Büro.

„Was hast du mit ihm besprochen?“, fragte John.

„Wir haben Frieden geschlossen“, antwortete Jeremy.

John führte Jeremy zur Waffenkammer.

„Hey Mike“, begrüßte John den uniformierten Kollegen hinter dem Tresen. Sein Gruß blieb unerwidert. „Das ist der Neue, Sergeant Hagen. Gib ihm bitte sein Zeug.“

Immer noch ohne ein Wort zu sagen ging Mike zu einem Schrank, sperrte ihn auf und nahm eine Kiste heraus. Diese knallte er auf den Tresen.

„Danke, Mike“, sagte John, die Kälte des Kollegen überspielend.

Jeremy nahm das Holster und die Waffe an sich und befestigte beides an seinem Gürtel, genau wie die Marke. Beim Schulterhalfter half ihm John. Zuletzt entnahm er der Kiste den Mundschutz und die Schutzbrille.

„Muss ich die um den Hals tragen?“

„Nein“, antwortete John. „Wie gesagt, das ist psychologische Kriegsführung. Trag es in der Hosentasche, wenn du willst. Denk nur dran, wenn es einen Einsatz gibt, dann musst du es im Gesicht tragen. Schutz ist Pflicht.“

„Husten die mich an?“

„Nein. Aber ihr Blut könnte dir ins Gesicht spritzen.“

Da ihm keine Alternative einfiel, hängte er sich die Schutzausrüstungen ebenfalls um den Hals. Die beiden verließen die Waffenkammer. Jeremy nickte Mike zum Abschied zu, dieser reagierte jedoch nicht darauf.

„Die mögen uns hier nicht sonderlich“, sagte Jeremy.

„Nein. Das darfst du aber nicht persönlich nehmen. Sind halt alles Arschlöcher. Genau wie wir, nur von einem anderen Revier.“

Sie verließen das Revier und gingen zu Johns Auto.

„Wo willst du hin?“, fragte er. „Lahaina? Kihei?“

„Steht uns das frei, wohin wir fahren?“

„Na klar, die ganze Insel. Es steht uns auch frei, den ganzen Tag in einer Bar zu versaufen. Es ist eine Touristeninsel, hier gibt es gute Tiki Bars. Solange du genug Geld dabei hast. Ach so, ja, du trinkst ja nichts.“

Sie stiegen ins Auto.

„Du kennst dich hier besser aus“, sagte Jeremy.

„Kapalua. Das liegt an der Küste, nur neun Meilen von Moloka‘i weg. Von da kannst du die Insel der Verdammten sehen. Wer weiß, vielleicht haben wir Glück und entdecken ein Floß, das auf uns zukommt. Dann können wir die gleich in Empfang nehmen und abknallen.“

„Ist das schon mal vorgekommen?“

John lachte.

„Nein“, antwortete er. „So leicht haben sie es uns leider noch nicht gemacht. Meistens kommen sie nachts. Und auch selten bei Mondschein. Da ist die Gefahr zu groß, dass sie von der Navy entdeckt werden.“

John fuhr die Küste entlang nach Kapalua. Den Rest des Tages verbrachten beide in den verschiedenen Orten an der Westküste. Die meiste Zeit davon allerdings in unterschiedlichen Bars und Restaurants, anstatt Streife zu fahren. Hin und wieder kam ein Funkruf rein, aber John ignorierte sie. Er trank lieber Cocktails, den ersten Daiquiri bereits am Vormittag. Unter Polizeiarbeit verstand Jeremy etwas anderes.

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