Читать книгу Das Glück - Artur Brausewetter - Страница 15
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ОглавлениеKein Leben ist so kämpfereich und mühselig, dass es in ihm nicht Stunden eines Sonnenscheins gäbe, viel zu rein und ungetrübt, als dass er uns in den harten Rahmen des täglichen Daseins zu passen schien, ... Stunden, in denen das Herz wie in himmlischem Fluge hinausgehoben ist über alles Zagen und Zweifeln seiner irdischen Entstammung, nichts sieht als die Erfüllung stillgeborgener Träume, deren Glück es um so gieriger trinkt, je heisser es vorher nach ihnen gedürstet; Stunden, deren holde Weihe nur ein kurzer, kalter Schauer der Erkenntnis stört: Sie können nicht bleiben — sie werden verfliegen wie ein blendender Dunst.
Aber gleichviel ... sie bleiben in der Erinnerung. Da zehrt, da baut das hungernde Herz an ihnen weiter, umgürtet sich mit ihnen in allem Kampfe, labt sich an ihnen inmitten von Mühsal und Entbehrung wie an dem Manna, welches der Wüste entspriesst.
Solch eine Stunde schien Hermann heute geschlagen zu haben — heute, wo er sie noch sah, ungetrübt in ihrem Zauber durch spätere Ereignisse, welche selbst in das lichte Bild ihrer Erinnerung einen rückwirkenden Schatten trugen. —
In dem Hause des Präsidenten war eine kleine, aber ausgewählte Gesellschaft versammelt.
Als Hermann mit seiner Gattin eintrat, kam ihm aus einer Gruppe plaudernder Herren ein älterer Mann entgegen mit grauem Haupte, scharfen, ausdrucksvollen Zügen und den blitzenden Augen eines Jünglings.
Es war der Professor G ...
„Wie schön, dass wir uns hier treffen, lieber Herr Pfarrer,“ sagte er, und drückte Hermann herzlich die Hand, „ich wäre bestimmt zu Ihnen nach W ... herausgekommen, wenn mich die Pflicht nicht morgen schon in aller Frühe weiterriefe. — Aber das Erfreuliche hat auch den Vorzug, dass es sich kurz sagen lässt. Kommen Sie!“ Und er zog ihn mit sich in eine Nische, wo sie ungestört waren. „Ich gratuliere Ihnen,“ sagte er, sowie sie Platz genommen hatten, „Sie haben etwas Bedeutendes geschrieben — der Erfolg kann nicht ausbleiben.“
Und vor den leuchtenden Augen seines Hörers entrollte er nun ein Zukunftsbild, so gross und lockend, dass auch das schönste Gemälde, in dem es Hermann so oft und so gerne gemalt, vor diesen Aussichten verblasste.
„Wie gesagt,“ schloss der Professor die Unterredung, „versprechen kann ich Ihnen nichts ... aber der Rücktritt meines Kollegen zum Oktober ist Tatsache ... das Fach für Pädagogik wird frei ... seine Neubesetzung erfolgt schon in den nächsten Tagen, und nicht nur ich ... auch der Präsident hat mir noch eben versprochen, für Ihre Berufung alles zu tun, ... und er vermag bei meinen Freunden sehr viel.“
Nun trat der Präsident selber zu ihm heran, und es war fast zu viel für sein wildschlagendes Herz, als er aus seinen freundlichen Worten dieselbe Verheissung vernahm.
Jetzt war es kein Luftgebilde, kein Phantom mehr. Leibhaftig — körperlich schwebte es vor seinen Augen ... nur ein kühner Griff mit der ausgestreckten Hand, ... und er hielt es — fest und unentreissbar: das Glück!
Man war zu Tische gegangen. Hermanns Blicke suchten die seiner Frau. Sein Herz stand still in seinem raschen Gange. Dieses bleiche, angstdurchwühlte Antlitz, das ihm kalt ... steinern über dem zarten Blumenstrausse, den er ihr geschenkt und der zwanglos auf der Schulter lag, entgegenstarrte, ... diese schwarzgeränderten müden Augen, die, tief in ihren Höhlen brennend, Teilnahme zu erheucheln kämpften an dem, was um sie vorging, und sie doch nicht erheucheln konnten, ... dieser fest zusammengepresste Mund, um den es in verhaltenem Wehe zuckte ... diese qualvollen Anstrengungen, ihn zu einem Lächeln zu zwingen — es hatte etwas Unheimliches für ihn. Ihm war zu Mut, als streife eine kalte Hand dahin über das eben gewonnene aufkeimende Glück dieser Stunde — die kalte Hand des Todes. Er suchte Elisabeths Nähe, sowie man sich vom Tische erhoben hatte, er ergriff ihre heissen Fingerspitzen, er flüsterte es ihr liebkosend, dankerfüllt ins Ohr, was ihm eben verheissen war, ... all das unermessliche Glück.
Da hob sie das müde Auge — der lichte Ausdruck, der aus seinem Schmerzensdunkel hervorleuchtete, hatte etwas Ergreifendes. Die Freude über sein Glück verscheuchte für einen Augenblick alle ihre Sorgen, all ihre furchtbare Herzensangst.
„Wie schön für dich, Hermann,“ flüsterte sie ihm mit zärtlicher, wenn auch gebrochener Stimme zu, „wie gönne ich dir dein Glück.“
Ein älterer Herr trat heran und nahm ihren Gatten in Beschlag.
Elisabeth aber war es nicht möglich, jetzt zu der Gesellschaft, die laut plaudernd in die Nebenzimmer sich ergoss, zurückzukehren. Sie würde ihnen nur noch abwesender, zerstreuter erscheinen als bei Tische.
Ach, sie hatte es wohl gefühlt, wie das sanfte Auge der Präsidentin prüfend einigemal auf ihren Zügen geweilt, wie sie dann fragend mit dem feinen Haupte geschüttelt und ihrem Nachbarn, dem Medizinalrat, einige Worte zugeflüstert, auf die dieser dann die klugen Augen auf sie geheftet und nun gleichfalls mit dem grauen Kopfe geschüttelt hatte. Sie wusste es wohl, dass sie auch der anderen Gesellschaft, die so unbesorgt, so harmlos scherzen konnte, wie ein unlösbares Rätsel erschien. Was fragte sie danach, wenn sie nur ...
Ach, wo sie ging und stand, wohin sie den Blick auch richtete — nichts sah sie als ein liebes, schmerzdurchbebtes Kindergesichtchen ... zwei süsse, kleine Arme, die sich sehnsuchtsvoll, suchend nach ihr ausstreckten ... einen kleinen, fiebergeschüttelten Körper ....
Und sie? ...
Was war das?! Mit einemmal überflog es sie eiskalt ... ihr Atem stockte ... es war ihr, als presste ihr eine unsichtbare Macht mit eiserner Faust das Herz zusammen. Eine schwindelnde, furchtbare Ahnung ergriff sie ... sie raffte ihre ganze Kraft zusammen ... sie wollte zu ihrem Manne, ... keinen Augenblick länger durfte sie hier bleiben. — Vergebens! Ihre Kniee wankten ... sie konnte sich nicht von der Stelle bewegen ... kraftlos sank sie auf einen Sessel nieder, die grossen, starren Augen leblos ins Leere gerichtet.
Da rauschte hinter ihr ein seidenes Kleid.
Die Präsidentin stand vor ihr. Voll innigster Teilnahme ruhte ihr freundlich mildes Auge auf der gebrochenen Gestalt, ergriff sie die schlaff herabhängende Hand. „Was haben Sie, mein liebes Kind? ... ich weiss es, Sie sind unglücklich hier, ... was quält Sie?“ sagte sie mit einer Stimme, die Elisabeth wohl tat, wie die Sprache einer tröstenden Mutter.
Der Bann war von ihrer Seele gewichen, die fürchterliche Angst gelindert. Laut aufschluchzend öffnete sie der edlen Frau ihr ganzes Herz, klagte sie ihr grosses Leid.
Diese entgegnete kein Wort, als sie geendet. Nur ihre weiche Hand strich begütigend über Elisabeths dunkle Haare.
„Armes, armes Kind,“ sagte sie endlich nach einer längeren Pause. Dann klingelte sie.
„Der Wagen des Herrn Pfarrer soll sofort vorkommen ... hören Sie, sofort,“ sagte sie zu dem eintretenden Diener.
„Die Wagen sind erst um elf Uhr bestellt.“
„So lassen Sie sogleich den unsern anspannen ... aber der Kutscher hat sich zu beeilen ... es duldet keinen Aufschub.“
Sie wehrte Elisabeths heissen Dank ab und führte sie in die Garderobe.
Dann ging sie zu Hermann, der sich soeben mit dem Professor und einigen anderen Herren zu einem Glase Bier niedergesetzt hatte.
Die Unterhaltung, kaum begonnen, war in vollem Gange. Das Kommen der Präsidentin unterbrach sie.
„Ihre liebe Frau, Herr Pfarrer,“ sagte sie zu Hermann, „bangt sich nach dem Kleinen. Ich habe eben den Wagen vorfahren lassen.“
Hermann hatte grosse Mühe, den leisen Schatten zu verbergen, den diese Worte auf seine Stirn gerufen hatten.
„Seien Sie unbesorgt,“ fuhr die Präsidentin fort — „was in unseren Kräften steht, Ihre Berufung nach B ... zu erwirken, das wird geschehen ... ich schreibe noch heute Abend an den Unterrichtsminister, der ein alter Freund unseres Hauses ist.“
In Hermanns Seele jubelte es auf, jeder Schatten war von seinen Zügen gewichen. Ehrerbietig dankend führte er die Hand, welche die Präsidentin ihm reichte, an die Lippen.
Diese letzte, sicherste Verheissung hatte ihn so erhoben, dass er jeden Groll vergass, den der vorzeitige Aufbruch Elisabeths in seinem Herzen hervorgerufen.