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2.

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Das fest im Dorfkruge und die durch den Regen aufgeweichten Wege hatten das ihre getan. Der Pfarrer hielt seine Predigt vor einer völlig leeren Kirche.

Er kehrte sehr missgestimmt heim.

„Ich wusste es vorher,“ sagte er, „so ist es jeden Sonntag.“

Seine junge Frau legte das Gesangbuch aus den Händen und tat den leichten Umhang von den zart gebauten Schultern.

Ein dunkler Ernst beschattete ihre traurigen Züge — nicht jener Ernst nur der inneren Weihe, der uns so friedlich und versöhnend anmutet, wenn wir ihn auf dem Antlitz eines Menschen sehen, der von einem erhebenden Gottesdienste in das alltägliche Leben zurückkehrt und in das Dunkel seines Kampfes und seiner Prosa einen Schimmer des Überirdischen zu tragen scheint — es war ein Ernst, in seiner Verschlossenheit um so schmerzlicher, der aus den braunen Augen zu dem geliebten Manne sprach.

„Du solltest nicht undankbar sein, Hermann,“ sagte sie beschwichtigend, aber sehr bestimmt, „deine Gemeinde ist kirchlich und wohl empfänglich.“

„Aber sie wird verdorben — systematisch verdorben!“ gab jener, durch ihren Widerspruch gereizt, zurück, und in seinen lebensvollen Augen blitzte es. „Wie oft habe ich den Amtsvorsteher gebeten, diese rohen Vergnügungen wenigstens am Sonnabendabend zu untersagen, wie mir nicht nur ihn, nein auch diesen tückischen Krugwirt und das halbe Dorf durch meine Beschwerden bei dem Landrat auf den Hals gehetzt, und nichts erreicht! Wir armen evangelischen Pfarrer! Man tritt uns mit Füssen, wo man nur kann. Wir mögen nur der Sache dienen und das Beste im Auge haben, man stellt unser Interesse und das unserer Kirche jedem anderen hintenan.“

„Aber du dienst nicht nur der Sache,“ sagte sie mit sanfter, aber fester Stimme.

„Elisabeth!“

Über seine bleichen Züge flog ein Schatten heissen Unwillens. Das Blut stieg ihm bis unter die durchsichtigen Haare. Er schien nicht minder betroffen als erzürnt. — Sie nahm seine Hand und liess sie auch nicht, als er sie ihr mit einer raschen Bewegung zu entziehen suchte. Ihr Auge ah bittend, besänftigend in das seine. Aus ihrem Blicke sprach die Tiefe einer besorgten, aber unerschütterlichen Liebe.

„Weisst du noch?“ sagte sie leise begütigend — „was wir uns vor vier Jahren in die Hand gelobten, als wir vom Altare in das elterliche Haus zurückkehrten? Offenheit, — unbedingte, unbegrenzte Offenheit in allen Lagen des Lebens — sei sie auch schmerzend — und kränkend, wenn wahre Liebe überhaupt kränken kann. — Nein, Hermann, du dienst der Sache nicht, suchst nicht ihre Förderung. Deine eigene erstrebst du nur, und weil du sie in dem bescheidenen Berufe eines Landpastors nicht findest, haderst du mit ihm und bist nicht glücklich.“

Er konnte sich der überzeugenden Wahrheit ihrer Worte nicht entziehen — das aber machte ihn nicht milder.

„Ich hätte ihn vielleicht nie wählen dürfen,“ gab er kurz zur Antwort.

Durch die dunklen Augen zuckte ein schmerzliches Erschrecken — die Hand der jungen Frau bebte in der ihres Mannes, aber sie liess sie nicht.

„Wie durftest du es denn jemals tun — jeden anderen Beruf, aber gerade diesen —?“

„Weshalb ich es tat — wer wüsste es besser als du?“

Er hatte es schärfer gesagt, als es in seiner Absicht lag. Elisabeth trat einen Schritt zurück — aus ihrem linken Mundwinkel sprang eine harte Falte hervor — ihre Hand hatte sich aus der seinen gelöst.

„Mir zum Opfer — ja, ich verstehe dich ... Mich zu heiraten — wurdest du Landprediger. Du hast es mir nie gesagt .. aber ich wusste es längst. Dass du es mir einmal so kalt, so knapp gestehen würdest ... ich habe es lange erwartet, mich lange darauf vorbereitet, aber ... nun, — nun trifft es mich mehr, als ich gedacht. Vergib mir, Hermann. Du hast ganz recht. Ich trage die Schuld. Weshalb liess ich es zu?“

„Weil du mich liebtest — wie ich dich, Elisabeth,“ antwortete er rasch und wärmer als bisher.

„Weil ich dich liebte — gerade deshalb hätte ich es nie leiden dürfen. Ich sah es dir an — aus jedem deiner Blicke las ich es, wie wenig es dir zusagte in dem kleinen bescheidenen Predigerheim der Eltern, wie du den Vater in seiner anspruchslosen Einfachheit, seiner schlichten Weise nie verstehen konntest, so ehrliche Mühe du dir auch gabst. — Du wolltest Dozent werden; deine Gaben unterstützten einflussreiche Verbindungen. Und ich — ich — —“

Aus ihren Augen stürzten die Tränen, so sehr sie ihnen wehrte. Sie hob keine Hand, sie zu trocknen. Ihre Zähne gruben sich in die Unterlippe — sie schämte sich, ihren aufgelösten Schmerz vor seinen Augen zu zeigen.

Er kannte ihre Stärke — um so heftiger griff ihn ihre Fassungslosigkeit an.

„Ich suchte das Glück,“ sagte er weich — „und ich habe es gefunden.“

„Du suchtest das Glück — so sagtest du mir am ersten Tage, als wir uns fanden. In der Befriedigung des Ehrgeizes, der dich durchglühte, aus jedem deiner Worte, jeder deiner Taten sprach, suchtest du es. Ich wusste das bald. — Aber ich war ein Kind — und ein sehr törichtes. Was glaubt man nicht alles, wenn man liebt — was träumt man ... von der Umgestaltung eines anderen zum eigenen Ich — von Aufhebung schwerer Opfer durch tausendfache Liebe ... von — ja, ich war ein Kind, als ich deinem Stürmen nachgab, dir erlaubte, das angebotene Dozentenstipendium zu deiner Ausbildung und belehrenden Reisen auszuschlagen, um des Vaters einsame, abgelegene Pfarre anzunehmen. — Und nun — —“

Eine Tränenflut erstickte ihre Worte. Er aber ergriff ihre beiden Hände, zog sie sanft neben sich auf die Lehne des Sessels nieder, auf dem er sass, und sah ihr eine Zeit lang stumm, — wie sich sammelnd, in das erregte Antlitz.

Dann sagte er langsam, wie jedes Wort bedenkend: „Du hast recht, Elisabeth. Deinem ernsten, tiefen Schmerze gegenüber wäre Unehrlichkeit unverzeihliche Sünde. Ich habe das Glück gesucht, habe es hier in diesem stillen Wirken, an deiner Seite zu finden gehofft, und — habe es nicht gefunden. Vier lange Jahre habe ich es jeden Tag, jede Stunde unter Zagen und Zittern aufs neue versucht — vergeblich! Dieses einfache, tatenlose Wirken, in dem dein Vater einst mit seinem ganzen Leben aufging, — es ist nichts für mich! — Ich habe nicht eine der drei Tugenden, die einem evangelischen Pfarrer in ihrer Gesamtheit festester Herzensbesitz sein müssen, — habe keine Geduld, keine Demut, keine Selbstlosigkeit. Unterbrich mich nicht — ich habe sie nicht in dem Masse, als sie der schlechteste Prediger braucht. ‚Das eigene Glück nur darin suchen, dass wir es den andern erringen‘ — das sagte mir dein seliger Vater, als ich ihm mein Vorhaben kund tat. Ich aber suche ein anderes Glück — ja, ich leugne es nicht! brennender denn je, durch das lange Harren riesengross gewachsen, durchloht mich die Sehnsucht nach seinem Besitze. Fort von dieser Einsamkeit möchte ich hinaus ins Leben, auf einer Universität meine Gedanken, die ich hier gewonnen und gesammelt, denen künden, die empfänglicher, gereifter für sie sind als diese kleinen Bauern und Tagelöhner. Sie würden einen besseren Hirten, ich ein angemesseneres Feld zum Wirken und Ausbreiten meiner Kräfte fühlen. Das wäre das Glück! — Und glücklich mit mir solltest du sein, Elisabeth!“

„Dass du es fändest,“ sagte sie leise, und leiser setzte sie hinzu: „Für mich hat es bis heute hier geruht — in diesem stillen Hause, diesem einsamen Dorfe. — Nun aber will ich’s mit dir suchen, wo du’s zu finden meinst.“

Das Glück

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