Читать книгу Das leere Grab - Arya Andersson - Страница 10
ОглавлениеKapitel 5
Ein kleiner runder Eingang im Boden gab einen winzigen Blick auf eine Treppe frei. Ein Stromkabel schlängelte sich vom Lager über die Stufen ins Grab hinab. Aleandro zauberte eine Taschenlampe hervor.
„Die Gänge haben wir nicht beleuchtet, nur die Kammer, in welcher wir derzeit arbeiten. Vergiss also niemals, eine Handleuchte mitzunehmen.“ Er wedelte mir mahnend mit seiner Lampe vor dem Gesicht herum. „Diese Anlage ist etwas verzwickt angelegt.“
Behutsam setzte ich einen Fuß auf die jahrtausendalte Treppenstufe. Sie war fest und stabil. Kleine Kiesel lösten sich unter meinem Tritt. Leise scharrend purzelten diese auf die darunterliegende Stufe. Aleandro ging mir voran. Das Tageslicht im Rücken, das künstliche Licht vor mir, wagte ich mich an den Abstieg, welcher stoisch in die finstere Tiefe führte. Nach wenigen Schritten beschrieben die Stufen eine steile Kurve und die Finsternis schlug endgültig über uns zusammen. Nur der Lichtkegel der Taschenlampe verhinderte, dass die Grabesnacht uns gänzlich verschluckte. Ein Hauch von Kühle kroch uns aus der Tiefe entgegen. Eigentlich hätte ich sie begrüßen müssen, doch es war keine angenehme Brise der Linderung, sondern die Kühle eines Toten. Mit eisigen Klauen zerrte die schauerliche Zugluft an mir. Mit aufgestellten Härchen wehrte ich mich gegen das Gefühl des Gefangenseins und mit jedem Schritt, den wir vorankamen, trieb mir die stickige Luft den Angstschweiß aus den Poren, so dass mir schon bald die Bluse klatschnass auf der Haut klebte.
„Vorsicht! Die Stufen gehen jetzt in ein anderes Gefälle über.“ Aleandros Stimme klang ungewöhnlich dumpf, fast wie eine Trompete mit Dämpfer.
Hilfesuchend streckte ich meine Arme zu beiden Seiten aus, so dass ich in dem engen Gang die Wände berühren konnte. Behutsam tastete ich mich weiter in der stickigen Düsternis voran. Das Gestein fühlte sich seltsam an. Steinig, sandig, kühl, aber dennoch warm. Sand rieselte von der Wand, während meine Finger tastend darüber glitten. Doch irgendetwas stimmte nicht. Ich hatte nicht mehr das Gefühl nach unten zu steigen.
Überrascht hielt ich inne. „Die Stufen führen nach oben!“
„Faszinierend, nicht wahr? Der Professor hatte eigentlich eine Grabanlage in 20 Metern Tiefe erwartet, doch stattdessen wurde nach oben gebohrt.“
„Aber dieser Berg besteht aus Granit.“ Ich kniff die Augen zusammen und musterte die Decke, welche knapp über mir schwebte. Zaghaft tastete ich diese, während ich weiterhin meinem Grabführer folgte, ab.
„Hier wurde ordentlich gesprengt.“ Aleandro musste sich ducken, da ihm die Decke an einer Stelle gefährlich nahe kam. „Die Archäologen meinen, dass die alten Ägypter mit dieser Methode schon vertraut waren, vor allem zu Hatschepsuts Zeiten. Sie soll angeblich nur in Stein gearbeitet haben.“
Geistesabwesend nickte ich, obwohl der Brasilianer es nicht sehen konnte. „Für ihre Obelisken ließ sie die Steinblöcke teilweise aus verschiedenen Bergen sprengen und heraus meißeln. Ihre Baumeister mussten wahrhaft immer wieder vor neuen Herausforderungen gestanden haben.“
„Achtung, wir sind jetzt in der Vorkammer.“
Tatsächlich trafen meine Füße auf geraden Grund. Aleandro ließ den Lichtkegel seiner Taschenlampe über die Wände gleiten. Mir klappte die Kinnlade herunter, während meine Augen dem Licht folgten, welches für wenige Momente das Antlitz von Göttern, Pharaonen und Tieren erhellte, die in das Mauerwerk gemeißelt worden waren. Hieroglyphen blitzten im Schein der Lampe auf und lockten mich mit ihren Geheimnissen aus längst vergangenen Tagen. Vergessen war die Beklemmung, vergessen die Angst vor den Toten.
Ich spürte, wie Tränen in meine Augen traten. Seit dem Unfall hatte ich jede Hoffnung auf Feldforschung aufgegeben. Alles, was mir geblieben war, waren bohrende Fragen gewesen. Wie die Luft dort zu atmen sein würde ... Wie dunkel es sein würde ... Wie es riechen würde ... Was ich fühlen würde ... Was sich mir offenbaren würde. Alles Fragen, worauf ich mir nur zögernd erlaubt hatte Antworten zu finden, aus lauter Angst, ich könnte meine Sehnsüchte dadurch zerstören. Nun war es so weit. Ich stand in einem Grab eines Pharaos. Ergriffen ließ ich die Finger über die kühle Wand gleiten. Sie ertasteten ein eingemeißeltes Bildnis. Hastig riss ich meine Hand fort, um nur ja nichts zu zerstören. „Kein Zweifel. Dies ist das Grab eines Pharaos.“
„Du teilst die Meinung des Professors?“
„Siehst du das hier? Das ist ein Abbild – wir würden heutzutage ein Porträtfoto machen. Dieser Mann wird mit dem falschen Bart der Pharaonen abgebildet. Daneben siehst du ein Symposion.“
„Symposion?“
„Das ist eine darstellende Kunst, ein Bildnis, welches das gesellige Beisammensein bei Musik, Spiel oder dergleichen zeigt.“
„Vielleicht ist das nur der Herrscher der damaligen Zeit, in welcher der Tote gelebt hat.“
Verneinend schüttelte ich meinen Kopf. Ich nahm Aleandro die Taschenlampe aus der Hand und ließ den Lichtkegel über die Wand gleiten. „Dafür sind es zu viele Bildnisse, die den Pharao zeigen. Derselbe Mann bei der Jagd, beim Spiel, beim Musizieren ... oder hier.“ - ich ergriff Aleandros warme Hand und zerrte ihn mit mir, weiter in die Kammer hinein. Zu zweit starrten wir auf die Szene vor uns. – „Das ist der gleiche Mann beim Nilpferd bändigen. Dies ist das Grab eines Pharaos.“
Die Meißelarbeiten waren einfach gehalten worden. Keine Bemalungen, keine Vergoldungen, nur die schlichte vollendete Eleganz eines wahren Meisters. Erneut schickte ich den Lichtkegel auf Wanderschaft. Das dunkle Gestein gab nur widerspenstig seine eingearbeiteten Geheimnisse preis. Langsam folgte ich meinem Lichtstrahl an der Wand. Ich suchte ein ganz bestimmtes Zeichen, etwas, das eindeutig beweisen würde, dass wir hier richtig waren. Meine Schritte wurden dumpf von der Kammer verschluckt. Da blitzte es auf. Triumphierend wirbelte ich zu Aleandro herum. Ich hatte angenommen, dass er stehen geblieben war, doch er war mir langsam gefolgt, so dass ich beinahe gegen ihn krachte. Aufgeregt deutete ich auf jene Stelle in der Wand, welche der Lichtkegel offenbarte.
„Siehst du diese ovale Umrandung der Inschrift? Das ist ein sogenannter Königsring. Allgemeiner bekannt als Kartusche. Es verkörpert die Symbole für Sonnenscheibe und Horizont und ist nur den Königsnamen vorbehalten.“ Hippelig drückte ich dem Brasilianer die Taschenlampe in die Hand. Dieser leuchtete mir unaufgefordert, während ich meine Augen überlegend zusammenkniff. Es war schon so lange her, dass ich mich mit Hieroglyphen beschäftigt hatte. Angestrengt kramte ich in meinem Gehirn nach der Übersetzung.
Murmelnd folgte ich den Meißelarbeiten. „Hier steht geschrieben, Maatkare, Gerechtigkeit und Lebenskraft, ein Re! Re bedeutet König und Maatkare ist der Name des Königs.“ Ehrfürchtig unterdrückte ich den Impuls die Hieroglyphenschrift zu berühren. Der Gedanke, dass meine Berührung den Zerstörungsprozess dieser Herrlichkeit einleiten würde, war kaum zu ertragen. Aleandros Lichtkegel wanderte weiter. Ich brauchte einige Sekunden, bis ich mich von der Wand trennen konnte.
„Dort hinten ist ein zugemauerter Durchgang.“ Er deutete mit der Lampe auf das andere Ende der Kammer. „Bisher hat der Professor es noch nicht gewagt diesen zu öffnen. Er vermutet dahinter die Sargkammer mit etlichen tückischen Fallen.“
Mein Blick folgte dem Lichtstrahl. Ein eingemauerter Bogen prangte über der zugemauerten Türe. „Warte mal, nicht so schnell.“, rief ich, als er den Lichtkegel bereits weiterwandern lassen wollte. „Da steht etwas.“
Aleandro führte das Licht zurück. „Ich bin der rechtmäßige Pharao, gezeugt von Amun. Von ihm bestimmt die Doppelkrone des Unteren und des Oberen Reiches zu tragen. Ich, Pharao Maatkare. Oh, mein Gott!“
„Du kannst Hieroglyphen lesen?“ Erstaunt leuchtete Aleandro mir ins Gesicht.
Geblendet kniff ich meine weit aufgerissenen Augen hastig zu und hielt mir eine Hand vor. Ein heller Lichtblitz flammte vor mir auf, als ich die Lider schloss. „Nimm die Lampe runter.“
„Entschuldige.“
„Ich gestehe, dass ich etwas eingerostet bin. Die Hieroglyphen sind trügerisch und schwer zu entziffern. Während meines Studiums habe ich mich mit dieser Schrift befasst, vor allem mit den Königsnamen. Das meiste habe ich schon wieder vergessen. Aber diese Inschrift über der Tür kenne ich in- und auswendig. Es ist nicht zu glauben. Ich habe immer davon geträumt, in einem Pharaonengrab zu stehen.“
„Du bist wunderschön, wenn du träumst.“ Seine sinnierende Stimme war kaum zu hören.
Verblüfft blinzelte ich Aleandro an und versuchte, durch die halbe Dunkelheit hinweg sein Gesicht zu deuten. Möglicherweise hatte mir die Finsternis einen Streich gespielt. Als aber Aleandro seine Hand hob und mir sachte über die Wange strich, erfasste mich tiefe Bestürzung. Mein Herz setzte aus. Langsam wich ich zurück. Beinahe atemlos versuchte ich, die Verwirrung zu unterdrücken.
„Ich bin verheiratet, Aleandro!“
„Ich weiß, der Professor hat es mir gesagt. Kommt nicht wieder vor.“ Mein Begleiter lenkte die Taschenlampe auf die gegenüberliegende Wand von mir und leuchtete in einen Durchgang.
„Dort geht es zum Annex rauf. Möchtest du es dir ansehen?“
„Klar.“ Ich versuchte, meiner Stimme einen alltäglichen Klang zu verleihen. Aleandro leuchtete mir den Weg bis zu den Stufen. Staunend blickte ich in den Tunnel. „Jetzt verstehe ich endlich, was Professor Bachmann meinte. Ein Grab, am Fuße des höchsten Berges des Landes - in den Himmel hinein.“ Ohne nachzudenken, ergriff ich Aleandros dargebotene Hand und ließ mich von ihm die Stufen hinaufführen.
Oben angekommen sah er von mir ab und huschte in eine Ecke. Wenige Sekunden später flammte spärliches Licht auf und hüllte die Nebenkammer in einen dunklen Schein. Regale, Truhen, aufgereihte Körbe und Weinkrüge, Steindosen, sowie ein halbes duzend diverser Gefäße reihten sich ordentlich an den Wänden entlang auf. Mein Grabführer deutete an die Decke.
„Dort kam der Schlangenregen über uns.“
Schaudernd trat ich in die winzige Kammer und beäugte das Loch in der Decke. „Was habt ihr da oben gefunden?“
„Nichts, rein gar nichts. Adam vermutet, dass diese Steinplatte eingepasst wurde, um eventuellen Grabräubern eine Falle zu stellen. Die Höhle ist kaum zwei Quadratmeter groß. Mehrere Löcher und Risse führen durch das Gestein. Er meint, dass die Erbauer dort Schlangen hineingesetzt haben, als der Tote bestattet wurde. Vermutlich erhofften sie sich, dass dieses Kriechgetier einen Weg nach draußen finden und anschließend hier ihr Nest bauen würde. Der Zweck galt den Grabräubern, welche die Platte sicherlich auf der Suche nach Schätzen angehoben hätten. Statt Goldregen wäre ein sogenannter Pharaonenfluch über sie gekommen. Leider kamen wir den Räubern zuvor.“
„Und wäre Justin nicht gewesen, dann wären du, Joseph und Nagib vermutlich tot.“
„Vermutlich.“ Aleandro starrte auf die Öffnung in der Decke. Seufzend zuckte er mit den Schultern.
„Ist das der Grund, warum du ihn nicht leiden kannst?“
Seine Augen richteten sich auf mich. Er wirkte verschlossen. „Ich sollte vielleicht zugeben, dass ich ihm gegenüber voreingenommen bin. Als ich hier eintraf, war Justin nicht hier. Man hat mir von ihm erzählt und es hörte sich nicht gerade sympathisch an. Als er ein paar Tage später auftauchte, begrüßte er mich mit Geringschätzung. Ich bin Brasilianer, Franziska. Während sich andere über so etwas lediglich aufregen, fühle ich mich persönlich beleidigt. Seit ich hier bin, haben wir uns nur über Lebensmittellisten unterhalten. Als er mir das Leben gerettet hatte und ich mich bedanken wollte, hat er nur verächtlich geschnaubt. Er hält nicht viel von mir. In seinen Augen bin ich nur ein verwöhntes Millionärssöhnchen, das ein bisschen Abenteuer sucht.“
Nachdenklich musterte ich Aleandros Gesicht. Es wirkte ungewöhnlich hart und strahlte eine Aggression aus, die ich ihm nie zugetraut hätte.
Nervös biss ich mir auf die Lippen. „Du bist dir absolut sicher, dass Justin für die Diebstähle verantwortlich ist?“
Aleandro rieb sich seufzend übers Gesicht. „Nein, nicht wirklich.“
„Warum unterstellst du es ihm dann?“
„Weil ich mir ansonsten nicht erklären kann, wieso Justin die Mönche mit hineinziehen sollte. Zugegeben, sie sind ruppig und rau, aber nicht kriminell.“
Ich bemerkte, dass Aleandros Stimmung wieder kippte. Aus irgendeinem Grunde war Justin ein rotes Tuch für ihn. Ich wollte nicht riskieren mit dem Brasilianer eine Debatte zu führen, worüber ich noch gar nicht richtig im Bilde war, daher versuchte ich, das Thema zu wechseln. „Woher kannst du so gut Deutsch?“
Aleandro blickte mich etwas irritiert an, überwand jedoch seine Verwirrung. Schulterzuckend ging er auf die Frage ein. „Meine Mutter ist Deutsche.“
Überrascht musterte ich seine Gesichtszüge im matten Lichtschein der Kammer. „Tatsächlich? Du siehst aber nicht sehr deutsch aus.“
„Das liegt daran, dass ich das Aussehen von meinem Vater geerbt habe.“
„Und von wem hast du dein Temperament?“
Plötzlich lächelte mich Aleandro geheimnisvoll an. „Viele denken, dass Temperament vererbt wird. Aber das stimmt nicht. Es hat was mit Erziehung und Selbstbeherrschung zu tun.“
„Glaubst du?“
„Mein Vater gilt als beherrscht, meine Mutter als temperamentvoll. Von ihr habe ich gelernt, dass Gefühle keine Fehler sind und dass es nicht von Schändlichkeit zeugt, sie zu zeigen. Mein Vater bevorzugt Selbstkontrolle und Unnahbarkeit, dies sind die Garanten für seinen Erfolg. Tja, irgendwann kam ich zu dem Entschluss, dass es Mutter leichter hatte, daher nahm ich ihre Philosophie an. Aber um meinen Vater nicht zu enttäuschen, beherrsche ich mich in heiklen Situationen. Dabei übernehme ich, wann immer es nötig ist, für kurze Zeit sein Erfolgsrezept. Eine kunstgerechte Mischung, welcher ich getreu Folge leiste.“
„Seltsam. Eigentlich hätte man meinen können, dein Vater wäre der feurige.“
„Ein weiterer Beweis für meine Theorie.“
Amüsiert ließ ich meinen Blick wieder über die jahrtausendalten Artefakte wandern. „Wurde schon etwas fortgeschafft?“
„Die Sachen in der Vorkammer sind der ägyptischen Behörde übergeben worden. Nur ein paar Schriftrollen sind noch hier. Adam möchte noch Abschriften erstellen. Ansonsten wurden aus dieser Kammer einige Kunstwerke in zuständige Labors geschickt, um das Alter bestimmen zu lassen.“
„Ich frage mich, wofür der Professor mich eigentlich braucht.“
„Er hat irgendetwas davon gemurmelt, dass er dich für die Sargkammeröffnung brauchen würde.“
Perplex drehte ich mich in jene Richtung um, von der wir gekommen waren. „Warum?“
„Das fragst du ihn am besten selbst. Hast du Hunger?“
Fragend horchte ich in mich hinein. Plötzlich meldete sich ein gewaltiges Knurren. Verlegen lächelte ich Aleandro an. Dieser schaltete lachend das Licht aus und führte mich anschließend die dunklen Stufen hinab, hinaus in die Sinaiwüste.
Helles Sonnenlicht begrüßte unsere Wiederkehr. Geblendet schloss ich meine Augen und beinahe im selben Augenblick kämpfte ich wieder mit der sengenden Wüstenhitze. In der Kammer hatte ich diese völlig vergessen, doch nun zerrte sie wieder an mir. Blinzelnd versuchte ich, meine Augen an das gleißende Tageslicht zu gewöhnen. Im ersten Moment wusste ich nicht was angenehmer war, die stickige Kühle der Grabkammer oder die luftige Glut der Wüste.
„Wie hat Ihnen die Grabanlage gefallen?“ Professor Bachmann stürmte erregt herbei, kaum dass ich mich an das Tageslicht gewöhnt hatte.
„Es war einfach unglaublich. Es spottet allem, was ich bisher über Grabanlagen gelesen habe. Allein, dass sich die Anlage im Berg nach oben windet ist schon sensationell!“ Meine Stimme sprühte vor Euphorie.
„Da mögen Sie recht haben. Ich möchte, dass Sie sich die Grabinschriften ganz genau ansehen und sich eine Meinung bilden. Wenn Sie zu einem Standpunkt gelangt sind, werden wir die Sargkammer öffnen.“
„Warum zögern Sie? Ich werde Wochen dafür brauchen, in dieser Zeit wird Ihr Team kaum Arbeit haben.“
„Wir haben genügend zu tun, glauben Sie mir. Mir geht es um eine bestimmte These, die Sie selbst aufgestellt haben.“
„Welche These?“
„Eine These in Ihrer Diplomarbeit. Ich möchte, dass Sie diese überprüfen.“
„Professor Bachmann, meine Diplomarbeit liegt schon ewig zurück. Ich kann mich kaum noch daran erinnern.“
„Ich habe Ihre Arbeit hier.“
Schlagartig befiel mich Unruhe. „Sie haben es doch nicht etwa Ihren Kollegen gezeigt.“ Es klang wie eine Frage. Und ich hasste es, dass meine Stimme heruntergesackt war, so dass mir mein Unbehagen anzuhören war.
„Sie können beruhigt sein. Einzig Adam kam in den Genuss Ihrer Lektüre. Zunächst war er nicht sehr begeistert, aber seit der Schlangenfalle misst er Ihrer Arbeit mehr Bedeutung bei.“
„Doch nicht etwa der Behauptung, dass Hatschepsuts Grab verflucht ist!“ Verdattert vergas ich meine Beklemmung. Wie konnte ein renommierter Wissenschaftler diesen Blödsinn ernst nehmen?
„Sofern dieses Grab Hatschepsut zugewiesen werden kann.“
„Professor? Glauben Sie etwa an Flüche?“
Schnaubend schüttelte er seinen Kopf. „Nein, wahrhaftig nicht! Aber ich glaube an Fallen, böse Zufälle und Gefahren. Sie selbst schrieben, dass Hatschepsut große Angst vor der Auslöschung ihres Namens haben musste und somit keine Hoffnung auf ein Leben im Jenseits hegte. Sie führten dies als Grund auf, warum keine Mumie in Hatschepsuts offiziellem Grab gefunden wurde. Sie behaupteten, dass sie sich eine heimliche Ruhestätte mit tückischen Todesfallen erbauen ließ, im Falle Thutmosis würde ihr amtliches Grab entweihen, indem er dort eindringen würde, um ihren Namen zu löschen. Hatschepsut wollte sichergehen, dass er ein paar ihrer Kartuschen niemals finden würde, daher das geheime Grab, daher die heimtückischen Fallen.“
Joseph trat zu uns heran. Anscheinend hatte er einen Teil unseres Gespräches mitbekommen, denn sein Einwurf dockte an den Worten des Professors an. „Das würde erklären, warum in der Platte der Schlangenfalle eine Kartusche mit Maatkare eingemeißelt war. Ich habe dieses Versteck mit dem Namen als den verzweifelten Versuch, sich das Leben im Jenseits zu sichern, bereits gestern interpretiert und notiert.“
Aleandro schenkte dem Kolumbianer keine Beachtung. Unruhig trat er von einem Fuß auf den anderen. „Nichts gegen Maatkare, aber ich habe Hunger.“
Joseph schlug dem Brasilianer begeistert auf die Schulter. „Dein Magen ist so zuverlässig wie die Sonne. Kaum berührt diese den Gipfel des Kathrina, hast du Hunger. Adam hat die Reste bereits aufgewärmt.“
Der Brasilianer runzelte seine Stirn. „Adam? Dann ist Justin also immer noch nicht da?“
Joseph legte Aleandro lachend einen Arm um die Schulter und lotste ihn geschickt zum Lagerfeuer. Professor Bachmann reichte mir galant seinen Arm.
Lächelnd hakte ich mich bei ihm unter. „Professor, ich bitte Sie. Nehmen Sie die Diplomarbeit nicht zu ernst. Ich habe Ihnen bereits die Motive meiner Arbeit genannt. Genau genommen glaube ich nicht einmal selbst an diese Thesen. Im Nachhinein bedaure ich sogar, so kindisch gehandelt zu haben.“
„Lassen Sie das bloß nicht unseren deutschen Journalisten hören. Das wäre ein gefundenes Fressen für ihn.“ Gut gelaunt tätschelte der Professor meinen Arm.
„Ich meine es ernst.“ Ich zwang den Akademiker mich anzusehen, indem ich stehen blieb. Eindringlich versuchte ich, ihn von meinem Anliegen zu überzeugen. „Genauso gut könnte diese Grabanlage irgendeinem Pharao Maatkare gehört haben, der bei seinen Untertanen sehr unbeliebt gewesen war. Um sein Leben im Jenseits gewährleisten zu können, flüchtete er hierher.“
Der Professor legte mir die Hände auf die Schultern und sah mir eindringlich in die Augen. „Deswegen sind Sie hier. Ihre Aufgabe ist es, die Inschriften zu studieren. Wenn es so ist, wie Sie sagen, dann drohen uns keine hinterhältigen Fallen, denn ein unbeliebter Pharao hätte nicht die nötigen Gelder für eine derart ausgeklügelte Grabanlage aufgebracht. Aber wenn dem so nicht sein sollte, dann sollten wir darauf vorbereitet sein. Ich lege keinen Wert auf eine Schar durchgedrehter Hilfsarbeiter, welche beim ersten Todesfall die Flucht ergreifen und das Gerücht eines verfluchten Grabes verbreiten. Wenn wir mit ernstzunehmenden Fallen rechnen müssen, dann werde ich es den Männern sagen, aber ich werde sie nicht grundlos in Angst und Schrecken versetzen. Können Sie das verstehen?“
Nachdenklich musterte ich das Gesicht des Professors, welches im Schein der Sonne leuchtete. Er meinte es bitterernst und die harte Linie um seinen Mund unterstrich jedes seiner Worte. Er griff mich am Arm und wir setzten den Weg Richtung Essen weiter fort.
Mein Blick war auf den Wüstenboden gerichtet. Der grobe körnige Sand fühlte sich steinhart an. Mein beharrliches Schweigen signalisierte dem Mann neben mir wohl sich weiter erklären zu müssen. „Franziska, wir haben zwei Journalisten im Team. Sie beide wollen nur eines – eine Story. Doch Justin will mehr. Er möchte eine Sensation – einen Skandal. Er wird in seinem Bericht nicht davor zurückschrecken, mir die Schuld an einem geschehenem Unglück zu geben.“ Dieses Mal blieb er stehen, so dass ich wieder zu ihm aufblickte. Der Professor starrte in den Himmel. Er schien immun gegen das gleißende Licht der Sonne zu sein, denn seine Augen verengten sich nur minimal. „Egal wie es vonstattengehen wird. Entweder wirft er mir vor, dass ich hätte wissen müssen, dass dieses Grab von Fallen gespickt sei, oder er hetzt die Allgemeinheit gegen mich auf, indem er schreibt, dass ich nicht auf die Hilfsarbeiter gehört hätte, welche mir einen Pharaonenfluch prophezeit hätten.“ Er nahm seinen Blick vom Himmel und erwiderte den meinen. „Ehrlich gesagt hätte ich, wenn es so weit ist, gerne ein paar Antworten auf diese Anschuldigungen parat.“
„Sie wollen einen Teil der Verantwortung auf mich abwälzen?“ Ich hob eine Augenbraue.
„Nein, ich möchte Justin ein Bein stellen, indem ich ihm antworten kann, dass er ebenso von Ihrer Diplomarbeit wusste, es jedoch nie ernst genommen hätte, zumal er sich nicht einmal die Mühe gemacht hatte, Ihnen zuzuhören. Denn hätte er es getan, dann hätte er mich beschwören müssen von der Graböffnung abzusehen, um ein vorprogrammiertes Unglück zu vermeiden.“
Misstrauisch kickte ich einen größeren Stein, welcher sich vor meine Schuhspitze gesetzt hatte, fort. Justin war den Erzählungen nach ein ziemlich gewitzter Bursche. „Sie setzen doch nicht etwa darauf, dass dieser Mann Ihre Antwort auf seine Anschuldigungen bereits vermutet?“
Der Professor lachte leise in sich hinein. War er amüsiert oder erfreute er sich daran, dass ich mitdachte? „Natürlich! Justins einzige Befürchtung lag immer darin, dass Sie kommen würden. Da Sie nun hier sind, hat er einen Skandal weniger zu verbuchen, indem ich ihn ganz einfach mit hineinziehe. Justin weiß, dass ich davon nicht absehen werde. Er wird sich hüten, mich zu beschuldigen, wenn er gleichzeitig Gefahr läuft, selbst in das Mahlwerk der Kritiker zu geraten.“
„Also bin ich nur Mittel zum Zweck.“ In meiner Herzgegend wurde es kühl. Wie hatte es auch nur anders sein können? Ich war bisher immer nur Mittel zum Zweck gewesen. Wieso nur hatte ich angenommen, dass es diesmal nicht so laufen würde.
Dem Professor entging meine Enttäuschung nicht. Mit hastigen Schritten schob er sich mir in den Weg, als ich auf das weiße Zelt zusteuern wollte. „Was Justin anbelangt, ja. Aber für die Ausgrabungen werden Sie von unschätzbarem Wert sein.“
Seufzend beschloss ich es nicht zu zulassen, dass ich meine Stimmung selbst in den Keller katapultierte. Der Professor hatte recht. Er war für alles verantwortlich und wenn ich ihm eine Hilfe sein konnte, den Tücken des Journalismus zu entrinnen, dann sollte es ebenso sein. Ich lächelte ihm tapfer zu.
„Hoffentlich lerne ich Ihren hochgeschätzten Justin niemals kennen!“ In diesen Worten lag die Inbrunst des Lebens. Je mehr ich von diesem Journalisten hörte, desto größer wurde meine Furcht vor ihm. In Gedanken nahm er bereits eine grausame heroische Dimension an, so dass ich milde überrascht war, als er plötzlich in derselben Nacht vor mir auftauchte.