Читать книгу Das leere Grab - Arya Andersson - Страница 8

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Kapitel 3

Das Flugzeug landete sanft wie eine schwebende Daunenfeder auf dem flimmernden Asphalt, so dass kaum ein Ruckeln zu spüren war. Ein erleichtertes Lächeln glitt über meine Züge. Das Fliegen war für mich schon immer ein riskantes Unterfangen. Bei einer Seereise blieb dem Untergehendem wenigstens die Option des Schwimmens, bei einem Flugzeugabsturz aus 1000 Meter Höhe nur der Tod.

Als unsere Maschine zum Stillstand gekommen war, ging ein erleichtertes Raunen durch das Flugzeug. Einige Passagiere begannen sogar zu klatschen. Beruhigt schloss ich daraus, dass nicht nur ich an dem glimpflichen Ausgang der menschlichen Herausforderung an Mutter Natur gezweifelt hatte. Befreit fiel ich in den siegesreichen Applaus ein. Der Kapitän bedankte sich und wünschte allen einen angenehmen Aufenthalt. Dies war das Zeichen! Die Fluggäste sprangen von ihren Sitzen auf und stöberten nach ihrem Handgepäck. Aus irgendeinem Grund hatte es plötzlich jeder sehr eilig die Flugmaschine zu verlassen.

Als ich mich der allgemeinen Flucht anschließen wollte, legte mir Professor Bachmann seine Hand beruhigend auf den Arm. „Lassen Sie den anderen den Vortritt. Wir haben es nicht eilig.“

Mit einem seltsamen Gefühl kaute ich auf meinen Lippen herum, während ich einem vorbeihuschenden Reisegast nachblickte, dem die Erleichterung deutlich ins Gesicht geschrieben stand. Mit rotierendem Magen setzte ich mich wieder auf meinen Platz. Professor Bachmann lachte leise. „Die meisten haben Angst vor dem Fliegen. Kaum einer gibt es zu, doch der Applaus nach der Landung spricht Bände. Eigentlich müssten sie nach dem Start, sobald die richtige Flughöhe erreicht wurde ebenfalls applaudieren. Denn es besteht eine geringe, aber nicht unerhebliche Gefahr während des Abhebens.“

Verwirrt riss ich den Blick von dem davoneilendem Gästestrom fort. „Wie meinen Sie das?“

„Beim Start sind die Tanks angefüllt mit Kerosin.“

„Sie meinen ...“

„Wir haben eine ungefähre 13%ige Wahrscheinlichkeit im wahrsten Sinne des Wortes in die Luft zu fliegen.“ Während der Professor amüsiert über meinen geschockten Gesichtsausdruck lachte, wurde mir schlecht. Wenn ich das vorher gewusst hätte, dann wäre ich wohl nicht geflogen. Plötzlich sah ich mich einer ganz anderen Problematik gegenüber: Wie sollte ich wieder nach Hause kommen? Denn fliegen kam nicht mehr in Frage. „So, nun können wir raus, ohne Gefahr zu laufen, zertrampelt zu werden.“

Mit leicht zittrigen Knien stand ich auf. Professor Bachmann nahm mir mein Handgepäck ab und bugsierte mich zum Ausstieg.

Flirrende Hitze schlug mir wie eine Feuerwand entgegen. Benommen schob ich meine Hand vors Gesicht, als könnte ich mit dieser Geste die Wahnsinnshitze abwehren. Schweiß rann an mir herunter, kaum, dass ich die sengende Glut eingeatmet hatte. „Ich wusste, dass es heiß sein würde, aber gleich so heiß?“

„Warten Sie ab, bis wir in der Wüste sind. Das hier ist Kairo, hier herrscht zwar schon das Wüstenklima, aber so richtig kochend heiß ist es erst im unendlichen Sand.“

Kopfschüttelnd stieg ich die Treppe hinab. Als ich meinen Fuß auf den Asphalt setzte, fiel die Gluthitze mit endgültiger Macht über mich herein. Augenblicklich hatte ich das Gefühl, dass die Sonnenstrahlen Tonnen Wogen, die mich in Richtung Boden drückten. Während ich zu gehen versuchte, hielt ich nach Schatten Ausschau. Alles in mir schrie, der Sonne schnellstmöglich zu entkommen. „Das halte ich nicht aus! In zwei Tagen bin ich tot.“

Professor Bachmann lachte hell auf. „Als ich das erste Mal diesen Flughafen betrat, habe ich genau dasselbe gedacht. Mittlerweile friere ich mir in Deutschland den Allerwertesten ab.“

Ich fühlte mich wie ein Stückchen Schokolade, welches unter den grausamen Sonnenstrahlen zerfloss. Bleierne Müdigkeit zerrte an mir.

„Wir werden in Kairo Station machen, damit Sie sich an die Hitze gewöhnen können. In zwei Tagen fahren wir Richtung Naama Bay.“

Ausgelaugt hob ich meinen Kopf, um nach dem Flughafengebäude zu spähen. Wie eine Oase lag es flirrend vor mir. Wie zum Teufel sollte ich nach Naama Bay kommen, wenn ich schon vermutlich auf dem Weg in das Gebäude den schrecklichen Vertrocknungstod sterben würde? Professor Bachmann schlug ein rasches Tempo an. Meinen Überlebenskampf schien er gar nicht zu bemerken. „In Naama Bay stoßen wir auf Aleandro, anschließend geht es über das Katharinen Kloster nach El-Milga zu unserem Hauptlager. Von dort aus ist es nur noch ein Katzensprung bis zur Ausgrabungsstätte. Wir haben hier ebenfalls ein Lager errichtet, wenn auch ein erheblich kleineres. Daher müssen die Hilfsarbeiter des Abends ins Hauptlager zurück, was an für sich recht praktisch ist, denn so können sie uns jeden Morgen mit frischen Lebensmitteln und Wasser aus El-Milga versorgen.“

Keuchend blieb ich stehen. Der Eingang lag direkt vor mir und versprach Kühle und Linderung. Ich spürte, wie meine Lungen verzweifelt nach Luft pumpten. Das Hauptgebäude konnte noch so sehr mit schattigem Schutz locken, ich fand einfach keine Kraft mehr, mich zum Weitergehen aufzuraffen. Dafür war die Wucht der Hitze zu übermächtig und die Sonne zu ungnädig. Ich sah mich schon am Rande des Schattens entkräftet zusammensacken, um tragisch zu verenden. „Wer ist Aleandro?“

„Der Sohn meines Partners und Sponsors.“

„Klingt, als wäre er Italiener.“

„Brasilianer. Sein Vater hat eine riesige Firma aufgebaut. Die Tochtergesellschaft hat ihren Sitz in Deutschland.“

Meine Lungen pumpten gequält nach Luft. „Ich muss raus aus dieser Hitze. Ich fühle mich jetzt schon wie eine Mumie.“

Der Professor packte meinen Arm. Innerlich protestierend ließ ich mich weiter zerren. Als wir in das Hauptgebäude des Flughafens eintauchten, empfing uns berauschender Lärm. Fremde Stimmen, exotische Dialekte und Schreie drangen tief in mein Bewusstsein ein und versetzten mich in die Welt aus tausend und einer Nacht. Staunend musterte ich die fremdländischen Gesichter. Professor Bachmann packte meinen Ellbogen, um mich zwischen das Gemenge hindurchzuschieben. Plötzlich hörten wir eine Stimme, welche laut nach ihm schrie.

„Aber das ist ja Aleandro.“ Über die Züge des Professors huschte Verblüffung, doch schon bald wurden sie von Besorgnis beherrscht. Wir steuerten auf einen Kiosk zu, an welchem weniger Gedränge herrschte.

Ein Mann kam freudestrahlend auf uns zu. Sein Lächeln war so herzlich, dass ich nicht umhinkam es zu erwidern. Blitzweiße Zähne funkelten mit seinen tiefbraunen Augen um die Wette. „Guten Flug gehabt?“

„Was machen Sie denn hier? Wir wollten uns erst in zwei Tagen in Naama Bay treffen.“ Ich konnte nicht so recht einordnen, ob der Professor besorgt oder eher verärgert klang.

„Nicht erfreut mich zu sehen? Das hätte ich mir denken können. Hand aufs Herz, Chef, wir haben die Zeit ohne Sie sehr genossen.“

Bachmann lachte leise und schlug Aleandro kameradschaftlich auf die Schulter, eine Geste, welche die gegenseitige Sympathie zum Ausdruck brachte.

„Justin hat ausgerechnet, dass Sie heute in Kairo ankommen würden und da uns Verbandsmaterial sowie die Gegengifte ausgegangen sind, dachte ich mir, dass dies ein hervorragender Zeitpunkt wäre nach Kairo zu fahren, um unsere Phiolen aufzufüllen.“

Erschrocken starrte ich den Professor an. Sein Gesicht verlor alle Heiterkeit, zurück blieb der Ausdruck der erdrückenden Verantwortung. „Was ist passiert?“

„Keine Sorge, es ist alles in Ordnung. Ich bringe euch erst einmal von hier fort. Wir genehmigen uns ein wunderbares Essen, währenddessen erzähle ich alles. Ach, übrigens, hallo, ich bin Aleandro!“ Sein jungenhaftes Gesicht wandte sich mir zu.

Lächelnd ergriff ich seine braungebrannte Hand. „Ich bin Franziska.“ Der Händedruck entpuppte sich als überraschend fest.

„Verheiratet?“

Ich musste lachen. Eine Freundin hatte einmal Urlaub in Brasilien gemacht. Sie hatte mir erzählt, dass jede zweite Frage der Brasilianer dem Familienstand galt. Ich hatte es ihr nicht geglaubt. „Sind Sie es?“, hakte er erneut nach.

„Du kannst gerne das Sie weglassen.“

„Okay. Möchtest du etwas essen?“

Eigentlich hatte ich keinen Hunger. Mein Bedürfnis nach Schlaf war stärker als jedes andere sterbliche Verlangen.

Der Professor nahm mir die Entscheidung ab. „Schlaf wäre ihr wohl lieber, aber mit vollem Bauch schläft es sich besser. Vertrauen Sie einem ausgedörrtem Wüstenkundigen.“, sagte er und zwinkerte mir grinsend zu.

Ich konnte nicht anders, ich musste lächeln. Der Professor gehörte zu jenen Menschen, die jedem ein Schmunzeln entlocken konnten, egal ob die Situation ernst oder ausgelassen war.

„Hiermit bist du überstimmt! Habt ihr noch irgendwelche Koffer?“

Schlagartig sackte ich in mir zusammen. Mein Gepäck. Ich hatte es vollkommen vergessen und das Schlimmste war, dass es noch vom Förderband geholt werden musste.

„Einen Rucksack.“ Seufzend sah ich mich um, in der Hoffnung ein Schild zu entdecken, welches mir verriet, wo es lang ging.

„Wartet hier, ich hole ihn.“ Aleandro verschwand geschmeidig in der Menge, ehe ich ihm hinterherrufen konnte. Er wusste doch überhaupt nicht, wie mein Rucksack aussah. Hilflos starrte ich auf jene Stelle, wo der Brasilianer von dem Menschengedränge verschluckt worden war. „Er ist nett.“

„Ein guter Mann, leider etwas leichtfüßig gegenüber dem schönen Geschlecht.“

Eine schnatternde Frau, welche mehrere Kinder anführte, bahnte sich einen Weg genau in unsere Richtung. Sie drehte sich immer wieder um und brüllte ihrer Folgschar scharfe Worte zu. Die Anstrengung, den hallenden Lärm des Flughafens zu übertönen, machte sie blind für die Umgebung. Sie wäre wohl in mich hineingerannt, wäre ich nicht auf die Seite gesprungen. Was zur Folge hatte, dass ich in den Armen des Professors landete. Die fremdländische Frau sah mich im Vorbeigehen böse an. Es war ihr anzusehen, dass sie mit mir den Kampf aufnehmen würde, sollte ich es wagen, mich über ihre Eisbrechermethode zu beschweren.

Aufgelöst sah ich ihr und den Kindern nach. Erst als sie zwischen der Menschenmenge verschwunden waren, wagte ich es, den Schutz des Professors wieder zu verlassen. „Wie alt ist Aleandro eigentlich? Ehrlich gesagt, habe ich angenommen, dass Ihr Partner etwas älter wäre.“

„Sein Vater ist unser Sponsor. Vor etwa einem Monat kam er so zum Spaß nach Ägypten, um die Ausgrabungsstätte zu besuchen. Er war derart fasziniert von der Arbeit, dass er unumwunden nach einer Schaufel verlangte. Ich versuchte ihn abzuwimmeln, indem ich ihm begreiflich zu machen versuchte, dass wir mit erheblich kleinerem Werkzeug hantieren würden. Er wollte einfach nicht hören, daher übertrug ich ihm mühsame, kaum lohnende, körperliche Arbeiten. Allerdings entpuppte er sich keineswegs als das klassische Millionärssöhnchen, im Gegenteil. Nach einer Woche buddelte er nur noch mit bloßen Händen, aus Angst er könnte irgendetwas kaputt machen. Er kam mit den Entbehrungen, welche sich durch die Ausgrabungsstätte ergaben, dermaßen gut zurecht, dass ich ihm das Angebot unterbreitete, den Ausgrabungen bis zum Schluss beizuwohnen. Er ist ganz versessen auf diese Arbeit. Selbst als er von einem Skorpion gestochen wurde, weigerte er sich abzureisen. Sein ganzer Kommentar darauf lautete, dass es in Brasilien weit hässlichere und giftigere Geschöpfe als Skorpione gäbe.“

„Klingt nach einem Abenteurer.“

„Warten Sie erst einmal ab, bis Sie Justin kennengelernt haben.“

„Ich kann es kaum erwarten.“ Sarkasmus ließ mich meine Unterlippe nach vorne schieben, so dass ich einen schmollenden Eindruck erweckte.

„Was kannst du nicht erwarten?“ Aleandro tauchte breit grinsend wieder auf, an seiner Schulter hing tatsächlich mein Gepäckstück.

Verblüfft riss ich die Augen auf. „Woher wusstest du...?“

„Bescheidene Geheimnisse machen geheimnisvoll.“ Augenzwinkernd unterbrach er mich mitten im Satz, dabei lächelte er so charmant, dass mein Herz einen kleinen Hüpfer vollführte.

Beinahe erschrocken rief ich mich zur Ordnung. Was sollte dieser Mist? Da treffe ich den ersten gleichaltrigen und halbwegs gutaussehenden Mann und schon hatte ich nichts Besseres zu tun als mich seinem Charme hinzugeben. Verärgert über meine Flatterhaftigkeit griff ich nach dem Gepäck.

„Schöne Frau, du wirst doch einem Gentleman nicht seiner Zuvorkommenheit berauben? Natürlich trage ich deinen Rucksack für dich.“

Im blinden Vertrauen wir würden ihm folgen, drehte Aleandro sich um und bahnte sich einen Weg zum Ausgang. Professor Bachmann packte erneut meinen Ellbogen und zog mich wie ein Kleinkind hinter sich her.

Vor dem Flughafen flaute der Lärm nicht im Geringsten ab, im Gegenteil, er schwoll an. Taxifahrer schrien zusammen mit Hotelwerbern um die Wette und versuchten, jeden auf sich aufmerksam zu machen, auch wenn dieser es gar nicht wünschte. In der Zeit, die wir vom Ausgang zum Jeep brauchten, wurden mir mehrere abgenutzte Prospekte von verschiedenen Hotels der Stadt und Umgebung in die Hände gedrückt, welche ich kurzerhand im nächsten Papiereimer ablud. Ich hatte diesem noch nicht ganz den Rücken zugekehrt, da wurden die Prospekte schon wieder herausgeangelt und dem nächstbesten Touristen aufgezwungen.

Aleandro wuchtete meinen Rucksack auf die vordere Sitzreihe des Jeeps, hielt mich an vorne Platz zu nehmen und ließ schon den ersten Fluch auf den Verkehr ab, noch ehe er sich hinters Steuerrad geschwungen hatte. Professor Bachmann keilte mich zwischen sich und dem Brasilianer ein, indem er sich zu mir auf den Beifahrersitz quetschte. Hilflos blickte ich zu unserem Fahrer, dieser grinste entschuldigend.

„Sorry, aber die Rücksitze sind vollgepackt mit Gerätschaften und Ausrüstung.“

„Was ist mit der Ladefläche?“

„Verbandsmaterial, Medizin und ein persönliches Zelt für dich. Immerhin wirst du die einzige Frau im Lager sein. Ein Mannschaftszelt kann man dir nicht zumuten.“ Mit einem hastigen Blick auf mich setzte er eine entschuldigende Miene auf. „Tut mir leid, es ist nicht persönlich gemeint. Wenn es nach mir gegangen wäre, hättest du deine Liege gleich neben meiner aufstellen können. Die Idee mit der Geschlechtertrennung kam von Professor Bachmann.“

„Wofür Sie mir noch sehr dankbar sein werden, Franziska. Aleandro teilt sein Zelt mit Justin. Ich kann eine Gazelle nicht in den Käfig eines Löwen und einer Hyäne sperren.“

„Ich frage jetzt lieber nicht, wer von uns beiden der Aasfresser ist. Aber ich muss Sie enttäuschen, Professor. Justin und ich haben uns getrennt.“ Lachend zwinkert er mir zu. „Ich wäre also wieder frei.“

Ich konnte nicht anders, ich musste dieses freche Grinsen einfach erwidern. Der Brasilianer nahm es strahlend zur Kenntnis. Mit einem letzten Blick auf mich startete er den Jeep und legte den Gang ein. Es war, als würden die bleierne Hitze, die Anstrengung des Atmens mit einem Schlag von mir genommen. Ich fühlte mich so frei – so voller Leben wie noch nie, dass ich einfach nicht anders konnte. Lachend funkelte ich den Professor an, dieser lächelte schelmisch zurück. Tiefe Dankbarkeit überflutete mich, in diesem Moment hätte ich diesen Mann küssen können. Mein Herz fühlte sich zu ihm hingezogen und hätte er etwas von mir gefordert, ich hätte alles für ihn getan. Lächelnd suchte ich nach seiner Hand und drückte sie fest. Der Professor tätschelte sachte meinen Arm, während seine Augen einen beinahe liebevollen Ausdruck annahmen.

Aleandro fuhr in einem wilden Zickzack durch Kairos Straßen, hupte und fluchte wie ein ausgekochtes Waschweib, nahm weder auf Esel, Fahrradfahrer noch Fußgänger Rücksicht. Sein Fahrstil hatte zur Folge, dass wir derart oft verflucht wurden, dass ich mich bekreuzigte und den Allmächtigen anflehte, uns vor den alten Göttern Ägyptens zu schützen. Meine Gebete wurden erhört. Kein Blitz zuckte vom Himmel, der uns im Auto zerschmetterte, keine Heuschreckenplage raste über unsere Köpfe hinweg und kein kriegerischer Pharao erhob sich aus seinem Grab, um uns zu zermalmen. Vielleicht rettete uns auch Aleandros leichtsinniges Geschick mit dem Auto.

Ehe ich mich versah schossen wir auf eine weite Straße hinaus. Der Fahrtwind rauschte um meine Ohren, welche unter dem höllischen Lärm des Zentrums im Nachhinein zu explodieren drohten.

„Wir steuern am besten gleich Ras El-Sudr an. Dort bekommen wir etwas zu essen und zu trinken. Die Fahrt dauert allerdings ein paar Stunden.“ Aleandro brüllte über den Fahrtwind hinweg. Professor Bachmann schien ein gutes Hörvermögen zu besitzen, denn obwohl ich kaum die Worte unseres Fahrers verstanden hatte, brüllte der Akademiker seine Zustimmung über meinen Kopf hinweg zurück. Zufrieden eingekeilt zwischen den beiden Männern, ergab ich mich dem Tosen des Fahrtwindes und schlief gleich darauf ein.

Mein Schlaf war traumlos und viel zu kurz. Ruckartig schoss ich aus den Tiefen des Schlummers heraus, ohne zu wissen, was oder wer mich aus dem Schlaf gerissen hatte. Blinzelnd suchte ich nach Orientierung. Ein Geräusch? Eine Person? Angst? Verwirrt sah ich mich um. Mein Herz raste wie wild, während die sengende Hitze der Wüste mir den Krieg erklärte. Stöhnend schloss ich die Augen und versuchte, mich zu erinnern.

„Wir sind an einer Raststätte nicht unweit von Ras El-Sudr. Jetzt gibt’s Essen!“

Verstört blickte ich den Mann neben mir an. Aleandro! „Oh, Gott, mein Kopf!“

„Möchtest du etwas gegen die Schmerzen?“

„Nein, es geht schon.“ Der Brasilianer half mir beim Aussteigen. „Wo ist der Professor?“

„Er bestellt gerade das Essen.“

Unsicher einen Fuß vor den anderen setzend, folgte ich torkelnd meinem neuen Führer durch die sengende Glut. „Man! Ist das heiß! Es fühlt sich an, als hätten wir 50 Grad.“

„Nicht ganz, es dürfte so um die 45 sein. Keine Sorge, heute haben wir absoluten Temperaturrekord. In der Nähe des Meeres ist es normalerweise nicht so heiß, meist liegt das Thermometer knapp unter vierzig Grad.“ Er führte mich über den siedend heißen Sand auf eine Holzterrasse eines alten herunter gekommenen Restaurants.

Beinahe enttäuscht schweifte mein Blick über die sandfarbene Terrasse. Keine Palmen, keine romantischen ägyptischen Sonnendächer oder sonst irgendwelcher tausendundeine Nacht Flair. Nur Hitze, Sand und noch mehr Sand. Das war nicht das Ägypten, welches ich aus meinen Träumen kannte. Statt exotisch in eine fremde Welt entführt, fühlte ich mich in einen einsamen Westernfilm mit verwaisten Farmen versetzt. Vor meinem inneren Auge sah ich schon rollende Steppenläufer vorbeiziehen. Die zwei Stufen auf die Terrasse hätten sich beinahe als ein unüberwindbares Hindernis in der Hitze herausgestellt. Doch Aleandro reichte mir helfend seine Hand und führte mich zum nächsten freien Platz. Stöhnend plumpste ich in einen laut knarrenden Korbsessel. Ein wackliger Korbtisch stand vor mir.

Der Brasilianer setzte sich mir gegenüber. „Enttäuscht?“

Obwohl dem so war, schüttelte ich stumm meinen Kopf. Kurz darauf erschien der Professor und stellte uns eiskaltes Wasser vor die Nase.

Überrascht starrte ich auf das kühle Nass. „Ich dachte immer, dass man wegen den fremden Keimen und Bakterien kein offenes Wasser in heißen Ländern trinken soll. Heißt es nicht, dass man davon krank wird?“

„Das gilt für Touristen, die für ein oder zwei Wochen bleiben und wieder gesund nach Hause möchten. Besser Sie gewöhnen Ihren Magen an die arabische Esskultur. Immerhin müssen Sie hier mehrere Wochen verbringen.“

„Was gibt’s zu essen?“

Ein leises Schnauben ging seinen Worten voran. „Keine Ahnung, bei den Ägyptern weiß man das nie so recht.“

„Das hört sich nicht gerade sehr vielversprechend an.“

Aleandro lachte. „Hier draußen gibt es keine Speisekarten, nur in den großen Städten. Außerhalb wird gekocht, worauf der Koch gerade Lust hat. Zwei, drei Gerichte und damit hat sich der Fall erledigt.“

„Auf was kann ich mich einstellen? Schlangensuppe? Kamelaugen?“

„Kann es sein, dass du zu viel Asterix gelesen hast?“

„Nein, zu viel Camel-Werbung gesehen.“

Aleandro blinzelte verwirrt, aber dann brach er in dunkles Gelächter aus.

Es gab tatsächlich eine Camel-Werbekampagne in der gezeigt wurde, wie ein Araber genießerisch Kamelaugen verspeiste. Ich habe nie richtig begriffen, wie ein kamelaugenessender Orientale den Menschen das Rauchen schmackhaft machen sollte.

Der Professor schüttelte amüsiert seinen Kopf und zog sein Glas zurück, um dem Kellner Platz zu machen, der gerade aus dem Lokal heraustrat. Wenigstens sah der Ägypter wie ein Ägypter und nicht wie ein Cowboy aus. Es wurden drei dampfende Schüsseln sowie ein großer Korb mit Fladenbrot auf den Tisch gestellt. Der Kellner verschwand ebenso rasch, wie er gekommen war. Misstrauisch beäugte ich den Inhalt der Gefäße. In einer schwammen Fleischbällchen in Tomatensoße, in einer anderen häufte sich undefinierbares Gemüse, während die dritte Schüssel Reis beherbergte.

Erstaunt sah ich den Professor an. „Ich hatte mich auf das Schlimmste gefasst gemacht. Ich glaube kaum, dass es an diesem Essen etwas zu beanstanden gibt.“

Der Professor lächelte mir geheimnisvoll zu, während er sich großzügig aus den Schüsseln bediente. Aleandro folgte mit herzhaftem Appetit dessen Beispiel. Das Essen türmte sich in seiner Schale bedenklich, so dass akute Einsturzgefahr bestand. Verwirrt blickte ich zwischen ihren beiden Schüsseln hin und her. „Bekommst du im Lager nichts zu essen?“

„Als unser Chef fort war, hatte Justin die Herrschaft über den Proviant inne. Es hat sich herausgestellt, dass er weitaus geiziger veranlagt ist als unser hochgeschätzter Professor.“ Mit großem Genuss löffelte er das Essen in sich hinein. Irgendetwas klopfte mahnend in mir an, dass es besser war abzuwarten wie der Brasilianer auf das Essen reagieren würde. Ich studierte jede Regung in seinem Gesicht. Außer Entzücken konnte ich nichts entdecken. Also schaufelte ich mir ebenfalls eine beachtliche Portion in meine Schale.

„Nun verlange ich eine Erklärung, Aleandro! Warum ist unser Gegengift aus? Hat euch eine Schlangenhorde im Lager überfallen?“, fragte Bachmann, während er sich etwas Reis auf sein Fladenbrot streute.

„Nicht die Schlangen uns, sondern wir die Schlangen. Wir haben in der Decke der zweiten Kammer eine lose Steinplatte entdeckt.“ Aleandro schob sich ein Fleischbällchen in den Mund. Er machte sich nicht die Mühe das Essen runterzuschlucken, bevor er weitersprach: „Justin hatte uns mit schussbereiter Kamera zugesehen, als wir die Platte losgehebelt haben. Dabei ist ihm ein Schlangenkopf aufgefallen, der sich zwischen die Ritzen schob. Er schrie uns noch irgendetwas Unverständliches zu, dann ergoss sich ein wahrer Schlangensegen über uns. In letzter Sekunde hat Justin mich und Joseph zur Seite gestoßen. Ein paar Schlangen haben die beiden und Nagib erwischt. Justin wurde zweimal gebissen, Joseph einmal und Nagib sogar viermal. Dieser verlor beinahe augenblicklich die Besinnung. Wir mussten ihn beatmen und die dreifache Dosis an Serum injizieren. Es hätte nicht viel gefehlt und er wäre gestorben. Ein Hubschrauber hat ihn ins Krankenhaus geflogen. Bis jetzt ist er noch nicht aufgewacht. Joseph geht es wieder gut. Er hat sogar noch am selben Tag die Schlangen ausgeräuchert. Seitdem haben wir keine einzige mehr gesehen. Es ist, als würden sie die Stätte ihrer Niederkunft meiden.“

Entsetzt starrte ich auf den Brasilianer. Wie konnte er sich nur so unbekümmert das Essen einverleiben, während er von so grauenvollen Dingen erzählte? Ein Schauer schoss über meinen Rücken. Ob es eine so gute Idee gewesen war hier her zu kommen? Ohne es verhindern zu können, schob sich das Bild einer sich windenden fauchenden Schlange vor mein inneres Auge. Meine Kopfhaut begann zu kribbeln.

Der Professor selbst hatte allerdings ganz andere Sorgen. Seine Beunruhigung war deutlich herauszuhören. „Was ist mit Justin. Wie geht es ihm?“

Augenblicklich veränderte sich Aleandros Gesichtsausdruck. Seine Ausgelassenheit war dahin. War es Verdruss oder deutliche Verärgerung, welche über sein Gesicht gehuscht war? „Dieser verfluchte Mistkerl! Der hatte mehr Glück als Verstand. Er wollte sich keine Spritze geben lassen, zumindest nicht bevor Nagib versorgt worden war. In der Nacht erlitt er einen epileptischen Anfall. Es war sein Glück, dass Joseph zufällig in der Nähe war.“

Professor Bachmann riss ungläubig seine Augen auf. „Um Gottes willen! Was waren das für Schlangen?“

„Verschiedene. Ein paar sahen verdächtig nach Königsnattern aus. Ich habe sogar eine Kobra gesehen, allerdings war sie ziemlich klein. Wenn mich nicht alles täuscht, waren auch Blindschleichen dazwischen. Wir müssen mitten in eine Schlangenorgie geplatzt sein.“

„Welche Schlangenbisse hat Justin abbekommen?“

„Eine Königsnatter hat ihn am Bauch erwischt. Eine zweite biss ihn in die Schulter, allerdings hatte er dieses Vieh nicht sehen können, daher haben wir ihm mehr Gegengift verabreicht als üblich. Es ging ihm ziemlich schlecht, aber mittlerweile hat er sich einigermaßen erholt. Freilich würde es ihm besser gehen, wenn er ein paar Tage mit der Arbeit aussetzen würde.“

Geschockt starrte ich Aleandro an. Sein Gesicht wirkte finster und als er von Justin sprach, klang seine Stimme gepresst. Ich konnte nicht heraushören, ob er diesen Journalisten mochte oder hasste. Gedankenverloren schob ich mir einen Löffel voll in den Mund und begann zu kauen.

Binnen Sekunden breitete sich ein Feuerorkan in meinem Rachen aus. Das Flammenmeer ergoss sich in die Nase und schoss in mein Gehirn hinauf, als würde es mein Hirn mit unendlichen Feuermassen zermalmen wollen. Gleichzeitig bahnten sich züngelnde Flammenspitzen ihren Weg in meinen Magen um das bisschen Essen, welches ich bereits geschluckt hatte, zu Asche zu verbrennen. Glühende Tränen stürzten in Lavaströme über meine Wangen und setzten diese in Brand. Verzweifelt riss ich den Mund auf um atmen zu können. In diesem Moment glaubte ich felsenfest daran, dass ich als feuerspuckender Drache Ras El-Sudr in einer Flammenbrunst versengen würde. Erst als der Professor, mir alles andere als schonend auf die Schultern klopfte, überwand der kostbare Sauerstoff die Feuerbarriere und strömte in meine Lungen.

Aleandro leistete mir erste Hilfe, indem er Fladenbrot in meinen Mund stopfte. „Los, kauen! Das Brot erstickt das Brennen!“ Hastig griff ich nach dem Wasserglas, doch mein Sanitäter riss es mir wieder aus der Hand. „Bloß nichts trinken! Essen!“

Hilflos kauend nickte ich und versuchte, die Schärfe in meinem Mund zu vertreiben, während ich eifrig darum bemüht war weiter zu atmen. Irgendwann ließ das Brennen nach. Stöhnend fiel ich vornüber, so dass mein Kopf auf die Tischplatte krachte. „Das überlebt doch kein Mensch! Wie könnt ihr das Zeug nur essen?“, fragte ich mit schmerzendem Mund.

„Irgendwann gewöhnt man sich daran.“ Der Professor tätschelte tröstend meinen Kopf.

Aleandro zwang mich wieder gerade zu sitzen und reichte mir das Wasser.

„Jetzt solltest du etwas trinken, es wird zwar seltsam schmecken, aber ...“

„...du hast dir das Essen so herzhaft in den Mund geschoben, dass ich davon ausgegangen bin, dass man das Zeug tatsächlich essen kann!“, beschwerte ich mich und nahm das Wasserglas von Aleandro entgegen.

„Ich bin Brasilianer. Wir essen ebenfalls sehr würzig. Zwar nicht ganz so wie die Araber, aber beinahe.“

„Würzig?“

„Ja!“

„Das war nicht würzig! Unter würzig verstehe ich mehrere schmackhafte Kräuter, welche sehr aromatisch und wohlschmeckend miteinander harmonieren. Das hier, ist ausschließlich scharf! Außer Schärfe trägt in diesem Gericht nichts zur Geschmacks-Zellen-Vernichtung bei! Ich weigere mich, dies als würzig zu bezeichnen.“ Trotzig nahm ich einen Schluck Wasser. Es schmeckte tatsächlich seltsam. „Wahrscheinlich werde ich nie wieder irgendetwas schmecken können.“

„Wahrscheinlich.“

„Darf ich mich erkundigen, wem in unserem Lager die Aufgabe obliegt, das Essen zuzubereiten. Ich hoffe inbrünstig, dass dieser Jemand kein Ägypter ist!“

Der Professor lächelte. „Wenn wir die Hilfskräfte außer Acht lassen, dann haben wir in unserem Team einen Polen, einen Russen, zwei Kolumbianer, einen Ägypter, einen Italiener, mit uns beiden drei Deutsche, sowie einen Brasilianer. Das Hauptteam verlässt die Ausgrabungsstätte niemals, es sei denn, besondere Umstände erfordern es. Wir nächtigen dort und jede Woche dürfen wir von einem anderen Nationalgericht der verschiedenen Kollegen kosten.“

„Soll das heißen, dass jede Woche ein anderer kocht und dass es sieben Tage lang ausschließlich ein Gericht gibt?“

„Strategisch gesehen, ist dies sogar sehr sinnvoll. Denn nach sieben Tagen können wir das Gericht nicht mehr sehen und da schmeckt uns alles, was uns als Abwechslung gereicht wird – da kann kochen, wer will. Jeder wird am Anfang der Woche mit ehrlicher Dankbarkeit bejubelt.“

„Und warum kocht nicht an jedem Tag ein anderer? Das würde die Mahlzeiten abwechslungsreicher gestalten.“

„Wir haben darüber abgestimmt. Bevor wir jeden Tag neu aufkochen, erwärmen wir lieber die Reste, das geht schneller und niemand ist an feste Mahlzeiten gebunden. Außerdem macht es die Proviantbeschaffung leichter. Der jeweilige Koch erstellt eine Liste mit Lebensmitteln, wir kaufen diese in großen Mengen ein. Zugleich bekommen wir sogar noch Mengenrabatt. Zwei Fliegen mit einer Klappe, wie es so schön heißt.“

„Ich bestehe darauf, dass unser ägyptischer Kollege des Kochamtes enthoben wird.“

„Er kocht aber ausgezeichnet, ein wahrer Künstler des Gourmets. Keine Sorge, er geht mit Gewürzen sehr sparsam um.“

„Von mir aus kann er so viel Gebrauch von den Aromen machen wie er möchte, nur von Pfeffer oder ähnlichen feuerentfachenden Stoffen nicht!“

Aleandro und der Professor glucksten miteinander um die Wette. Starrköpfig riss ich einen großen Brocken von meinem Fladenbrot ab. Ich schmeckte rein gar nichts! Während der Brasilianer sein Essen weiterhin genüsslich verzehrte, stierte ich schmollend vor mich hin. Ich bemerkte weder die skeptischen Blicke des Professors noch seine düsteren Gedanken. Zum Glück! Hätte ich auch nur im Geringsten geahnt, dass er bereits bereute mich, eine Frau, in sein Lager gebracht zu haben, hätte ich sofort meinen Rucksack gepackt und wäre abgereist. Doch so blieb ich sitzen und ließ, ohne zu klagen, die Nachwehen der Feuersbrunst über mich ergehen.

Das leere Grab

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