Читать книгу Das leere Grab - Arya Andersson - Страница 9
ОглавлениеKapitel 4
Als sich die Sonne am nächsten Morgen in El-Sudr hochmütig ihren Weg an die höchste Stelle des Himmels bahnte, der Hahn schon vor Stunden auf Deutschlands Misthaufen gekräht hatte und ich hundeelend aus meinem Bett kroch, war ich überzeugt, dass ich der letzte Mensch auf Erden sei, der sich an diesem Morgen aus seinen Bettlaken schälte.
Ich hatte alle Mühe meine Augenlider offen zu halten und fragte mich, wie ich wohl diesen Tag lebend überstehen sollte. Einzig allein die Aussicht auf einen Kaffee veranlasste mich, mein schützendes Nest, welches mir während dieser Nacht Trost gespendet hatte, zu verlassen. Als ich auf die westernhafte Terrasse hinaustrat, griff ich stöhnend nach der Sonnenbrille, welche wie ein Haarreif mein Haupt zierte.
„Bom dia, Franziska. Gut geschlafen?“ Aleandro saß guter Dinge in einem Korbsessel und schlürfte an einer Tasse heißem Kaffee, wobei er mich keine Sekunde aus den Augen ließ. Unter normalen Umständen wäre ich neidisch auf die dampfende Tasse Kaffee gewesen, doch in Anbetracht der gestrigen kulinarischen Erfahrung war ich nur noch zu dumpfem Misstrauen fähig.
„Kann ich den Kaffee trinken, ohne dabei in den Rausch höchster Geschmacksgefühle zwangsversetzt zu werden?“ Ich bemerkte, dass ich angenervt war, konnte mir aber nicht genau erklären, woher das rührte. Etwas in mir drängte zur Eile, doch wohin war mir auch nicht klar. Ich atmete tief ein und zwang mich langsam auszuatmen. Dabei starrte ich auf die verwitterte halbverfallene Balustrade der Frühstücksterrasse. Unter Umständen hätte ich in dieser Stimmung einen Baum oder eine Pflanze gesucht – irgendetwas Grünes. Diese Farbe wirkte sich positiv auf meinen inneren Frieden aus, zumindest redete ich mir das erfolgreich ein.
Doch hier gab es kein Grün, weder Pflanzen noch Bäumchen, rein gar nichts. Anhand Aleandros strahlendem Gesicht, kam ich zu dem Entschluss, dass er das Übel der Grünlosigkeit Ägyptens war. Bestimmt hatte er alles Grün der Welt aufgesogen. Warum sonst war er heute Morgen in der Lage, die Verkörperung der puren Zufriedenheit auszustrahlen? Spitzbübisch zwinkerte er mir zu. Zu spät bemerkte ich das Lächeln, welches über meine Lippen huschte.
„Immer noch argwöhnisch wegen gestern Abend?“
„Könnte man so sagen.“
„Du kannst dir beruhigt einen Kaffee bestellen, allerdings solltest du ausdrücklich italienischen Kaffee verlangen, ansonsten bekommst du ihn mit Satz.“
Stöhnend sank ich in den Korbsessel neben ihm. Die Sonne brannte auf uns herab, so dass nicht einmal der Schatten des Sonnenschirms uns vor ihrer sengenden Hitze zu schützen vermochte. Wieder entschlüpfte mir ein qualvolles Stöhnen, was sofort von einem leisen Lachen kommentiert wurde. „Das ist nicht komisch!“, zischte ich. „Die ganze Nacht über hatte ich Blähungen. Es hätte nicht viel gefehlt und ich wäre aus allen Nähten geplatzt. Ich sehe immer noch aus, als wäre ich im siebten Monat schwanger.“ Missmutig sank ich tiefer in meinen Sessel hinein. Aleandros übermütiges Lachen entlockte mir ein kaum erkennbares Lächeln.
Seit über einem Jahr hatte ich nicht öfter als einmal die Woche gelächelt. Gelacht hatte ich einige Monate nicht mehr. Erst als Professor Bachmann bei mir aufgetaucht war, hatte ich die Kunst des Lachens neu entdeckt. Ich hatte sogar überrascht festgestellt, wie leicht es ging.
„Morgen!“ Eine brummende Stimme gesellte sich zu uns. Mit einem übertrieben lauten Plumpsen nahm der Professor mit einem herzhaften Gähnen an unserem Tisch Platz. Alles in allem wirkte er, als hätte er die Nacht durchgezecht. So klang auch seine Stimme, als er unumwunden seine Pläne für den heutigen Tag bekannt gab. „Ich schlage vor, dass wir über die Feiran-Oase nach El-Milga fahren. Dann könnten wir bereits heute Nachmittag an der Ausgrabungsstätte sein.“
„Eigentlich wollte ich Franziska noch Naama Bay und Dahab zeigen.“
„Wir sollten die Medikamente so schnell wie möglich ins Lager bringen.“ Nachdenklich zog ich meine Brauen zusammen. Der Professor hatte Naama Bay schon einmal erwähnt. „Der ursprüngliche Plan war, dass wir von Kairo mit dem Flugzeug weiter nach Naama Bay fliegen würden. Jemand vom Team hätte uns dort abgeholt und uns über Dahab nach El-Milga gebracht. Aber da Aleandro ja schon in Kairo war, hat sich das erübrigt.“ Überrascht starrte ich den Professor an. Mich beschlich das unheimliche Gefühl, dass er Gedanken lesen konnte.
Der Kellner tauchte lautlos an unserem Tisch auf und stellte Brot sowie Butter und Marmelade ab. Professor Bachmann bestellte für uns beide italienischen Kaffee. Der Garçon verschwand auf leisen Sohlen, nur um beinahe im selben Augenblick wieder aufzutauchen. Behutsam stellte er den Kaffee vor mir ab. Als ich mich bedanken wollte, war er schon fort. Überrascht blickte ich zum Professor. Ihn schien das nicht weiter zu beeindrucken.
Misstrauisch beäugte ich unser vorgesetztes Frühstück. Ich kam zu dem Entschluss, vorsichtshalber Butter und Marmelade zu ignorieren. Zwar fürchtete ich keine explosionsartigen Gewürze, aber weitere Blähungen, indem ich schwer verdauliche Nahrung zu mir nahm. Das Brot war noch immer warm und sandte einen köstlichen Duft aus. Augenblicklich begann mein Magen zu knurren. Als ich jedoch ein Stückchen probierte, schmeckte ich trotz aller Vorfreude, nach wie vor rein gar nichts. Ich seufzte leise und wand mich erneut an den Professor.
„Wie lange werden wir bis El-Milga brauchen?“
Überlegend legte er seinen Kopf in den Nacken und schloss dabei seine Augen, während er vorsichtig eine Prognose abgab. „Schlecht zu sagen. Kommt ganz auf die Straße an. Von hier aus sind es rund sechzig Kilometer. Bis Abu Ruddeis dürften wir zügig vorankommen, aber dann verlassen wir die Hauptstrecke. Dünenstraßen! Keine Ahnung! Zwei Stunden, drei Stunden? Wer kann das schon sagen? “
„Tja, nach meinen nächtlichen Strapazen dürften mir drei Stunden Schlaf im Auto kaum etwas ausmachen.“
Der Professor versuchte sein amüsiertes Lachen mit Brot zu ersticken, während Aleandro in lautes Gelächter ausbrach. Ich kam zu dem Entschluss, dass er einfach gerne lachte. Kopfschüttelnd trank ich meinen Kaffee, welcher unter der Sonne Ägyptens nicht abkühlte. Trotz Hitze, verkohltem Magen und Übermüdung, begann ich allmählich die Fremde zu genießen. Meine neuen Freunde, die höflichen fremdländischen Gesichter, die Sonne und das ofenwarme Fladenbrot übten eine mysteriöse Anziehungskraft auf mich aus, so dass ich gemächlich in Urlaubsstimmung verfiel. Daran änderte sich auch nichts, als wir unsere Reise fortsetzten.
Während ich überzeugt gewesen war, dass die Autofahrt eine einschläfernde Wirkung auf mich haben würde, machte ich auf der gesamten Fahrt kein Auge zu. Die Wüstenlandschaft zog an mir in märchenhafter Manier vorbei. In glutroter Hitze sammelte ich die ersten Eindrücke von Ägypten und stöberte zusätzlich in meinem Gedächtnis nach sämtlichen Büchern, die ich je zu diesem sagenumwobenem Land gelesen hatte. Alles, was ich mir bisher über das Abendland einverleibt hatte, tauchte vor meinem inneren Auge auf und verschmolz mit der herrlichen Wüstenlandschaft vor mir. Ich sah Kamelkarawanen, wo keine waren, roch Gerüche, die hier nicht vorhanden sein konnten, hörte die zarten Klänge der arabischen Musik, zu welcher ägyptische Bauchtänzerinnen ihre Hüften anmutig kreisen ließen.
Ein Mann, mit einem fremdem, katzenartigem Gesicht, dessen bronzener athletischer Körper in einfache Lendentücher gewandet war, schlich sich in meinen Tagtraum ein und eroberte einen Platz in meinem Herzen. Seine unergründlichen tiefschwarzen Augen zogen mich magisch an. Auch wenn ich es niemals vor irgendjemandem zugeben würde, so war diese Erscheinung mein persönlicher ägyptischer Prinz. Sein geheimnisvolles Lächeln ließ die Sonne in meinem Herzen erstrahlen und seine rauen fremdländischen Akzente brachten meine Sinne zum Schwingen. Der Prinz trat aus dem Hintergrund heraus und nahm mich in seine Arme. Seine warmen Hände berührten behutsam mein Gesicht und seine samtigen Lippen strichen mir übers Haar. Ich schloss die Augen und sog den Duft der Pharaonen ein. Mein Prinz lächelte und flüsterte mir ins Ohr, während seine Stimme immer dunkler und sinnlicher wurde. Doch plötzlich rülpste er mich an. Verdattert blickte ich in sein wunderschön lächelndes Antlitz. Unsicher versuchte ich, ihn zu ergründen, als er wieder markerschütternd aufstieß. Sein katzenhaftes Gesicht verzerrte sich zu einem kantigem wuscheligem Kopf, mit affenähnlichen Ohren und verschlagenen Augen.
Mit einem erstickten Schrei fuhr ich endgültig aus meinem Schlaf hoch. Ein Kamel beschnüffelte mich mit gelangweilter Neugierde. Mit wild klopfendem Herzen verharrte ich stocksteif auf dem Beifahrersitz und ließ das Wüstenschiff gewähren. Dessen warmen samtigen Lippen stupsten an meinen Hals, ehe es an meinem Haar zu zupfen begann. Als mir ein flehendes Keuchen entschlüpfte, sah mich das Kamel scheinbar verblüfft an. Entgeistert starrte ich zurück. Das Wüstenschiff begann zu lachen. Sprachlos riss ich meine Augen weit auf. Ich hatte noch nie ein Kamel seine Laute äußern hören, doch eine gewisse Vorstellung hatte ich davon gehabt. Leider bewahrheitete sich meine Ansicht als grundlegend falsch. Das Lachen des Kamels hörte sich wie das Gelächter eines Kleinkindes an und versetzte mich in eine Art Schockzustand. Regungslos ließ ich zu, dass das gackernde Kamel seine Schnüffeltour fortsetzte. Ein verärgertes Grunzen brachte dessen Meinung über meine Bluse zum Ausdruck. Es verzieh mir jedoch den schlechten Modegeschmack, als es die Hosentasche fand. Augenblicklich begann es daran zu zerren. Nachdem ich meine Verblüffung überwunden hatte, erinnerte ich mich an das Fladenbrot, welches ich mir bei unserem Aufbruch hastig in die Tasche gesteckt hatte. Behutsam holte ich es hervor und bot es dem Kamel an. Laut schnüffelnd beäugte es die Gabe. Nach wenigen Sekunden befand es mein Brot als würdig und verschlang es hingebungsvoll schmatzend. Mit einem flüchtigen Lächeln schob ich mich zur Fahrertüre und kletterte aus dem Jeep. Das Kamel trottete um das Auto herum und schwang seinen Kopf erwartungsvoll hin und her. Verlegen versuchte ich mich vorbeizuschieben, aber das Tier räumte mir keinen Zoll Boden ein. Hilfesuchend blickte ich mich um.
„Rashid! Verschwinde!“
Das schmollende Lachen des Kamels fegte über mich hinweg, ehe es sich schwankend trollte. Aleandro tauchte neben mir auf und blickte dem Kamel belustigt nach. „Ein gefräßiger Kerl. Ich hoffe, du hast ihm nichts zu fressen gegeben.“
„Doch, meinen letzten Vorrat an Fladenbrot.“ Wie ein kleines Schulmädchen scharrte ich mit dem Fuß ertappt im festgefahrenen Sand.
„Junge Dame!“ Aleandro erhob belehrend einen Finger, was äußerst amüsant aussah. „Ich darf Sie nun darüber aufklären, dass Sie von jetzt an einen glühenden Verehrer am Hals haben. Ich hoffe jedoch, dass Sie weiterhin mir Ihre Gunst erweisen werden.“ Ein schelmisches Grinsen huschte über seine Lippen.
„An Selbstbewusstsein mangelt es dir nicht.“ Hastig schielte ich von unten hoch.
Zur Antwort schürzte er die Lippen und spielte den Beleidigten. „Wenn er Ihnen zu lästig wird, dann schreien Sie einfach nach der Polizei. In der Regel hilft das.“
Auf einmal war der Professor da. Er schlug dem Brasilianer freundschaftlich auf die Schulter. „Wir haben noch ein paar Vorräte aufgeladen. Wir können also zum Endspurt übergehen.“
„Endspurt?“ Verwundert blickte ich mich um. „Wo sind wir eigentlich? Ich dachte, wir wären in Naama Bay?“ Ich kam nicht mehr mit. Diese ganzen fremdländisch klingenden Orte, die geänderten Pläne verwirrten mich zunehmend.
Aleandro lächelte, während er mit seinen Armen weit ausholte. „Das, Mylady, ist die letzte Oase vor unserer Ausgrabungsstätte. Wenn wir hier rausfahren, dann verlassen wir endgültig die menschliche Zivilisation.“ Ganz so als wolle er mir Angst einjagen verdunkelte er seine Stimme, kam mit unheilverkündender Miene auf mich zu, um unheilschwanger meinen Blick zu suchen. „Wenn du dich jetzt in den Jeep setzt, dann gibt es nur noch Sand, Hitze und den alltäglichen Überlebenswahn der Ausgrabungsstätte fernab jeder Zivilisation.“
Lachend schlug ich ihm auf den Arm. „Du Spinner.“
„Aleandro, lassen Sie den Unsinn. Sie vergraulen mir meine Stararchäologin.“ Professor Bachmann versetzte dem Brasilianer einen kameradschaftlichen Klaps auf den Hinterkopf. Dieser lächelte gespielt reuevoll. Dabei sah er mich wie ein gescholtener Hund mit großen dunkelbraunen Augen an. Lachend schüttelte ich meinen Kopf, ehe ich etwas ungelenk in den Jeep kraxelte. Aleandro überließ dieses Mal dem Professor das Steuer. Nach zehn Minuten kamen wir am Kloster St. Katharina vorbei, eine Viertelstunde später erreichten wir die Ausgrabungsstätte.
Eine riesige Zeltüberdachung ragte über mehrere kleine Igluzelte und zahlreiche Überdachungen, Holztische und Kisten hinweg. Allein das Hauptzelt hätte für ein beeindruckendes Lager gesorgt, doch der Dschabal Katrina, der höchste Berg Ägyptens, überragte das Feldlager mit all seiner aristokratischen Macht, so dass das Lager etwas zusammenschrumpfte. Jedoch verlor für mich diese Stätte nichts an seinem sagenumwobenem Zauber. Im Gegenteil. Orientalische Gerüche, fremde Musik und das leise Summen melodischer Worte verliehen der Reise endlich die fantastische Mystik, die ich so schmerzlich ersehnt hatte. Mein Herz vollführte einen kleinen Hopser und das Glück breitete sich in rasender Geschwindigkeit in mir aus. Ich schloss die Augen, lächelte und hob mein Gesicht Richtung Berg, ganz so, als könne ich mir dessen Allmächtigkeit zu Eigen machen. Ich atmete tief ein, ehe ich meine Augen wieder öffnete. Die mächtigen Felsformationen schwangen sich in unendliche Höhen. Verglichen mit einem europäischem Berg, wirkte er unbezwingbar und unberührt. Der Mosesberg erstrahlte in einem tiefem Rot und es schien, als würde diese imposante Erhebung alles Leben von sich bannen. Er wirkte kahl und leer. Kein Baum, kein Busch, welcher hätte bezeugen können, dass auf diesem Berg Leben gestattet sei – nichts.
„Ein magischer Ort, nicht wahr?“
Ich musste den Professor nicht ansehen, um das warme Lächeln in seinem Gesicht zu sehen. „Wunderschön.“ Die Ehrfurcht ließ mich flüstern.
„Kommen Sie, wir stellen Sie am besten gleich dem Team vor.“
Ich schüttelte leicht den Kopf, um mich vom Anblick des Mosesberges loszureißen. „Ich dachte, die Grabanlage wäre irgendwo auf dem Berg.“ Blinzelnd sah ich mich um. Jetzt wurde mir bewusst, dass ich vielleicht hätte mehr Fragen stellen sollen, bevor ich mich Hals über Kopf in das Abenteuer stürzte.
„Ein Grab am Fuße des höchsten Berges des Landes, in den Himmel hinein.“ In der Stimme des Professors lag sehr viel Ehrerbietung, so dass ich die tiefe Bewunderung heraushören konnte, welche er für jenen Menschen empfand, der sich hier sein Grab hatte erbauen lassen.
„Aber warum braucht Ihr das zweite Lager in El-Milga? Für die Lieferanten wäre es bestimmt kein Problem die Lebensmittel hierher zu schaffen.“
Aleandro zuckte ein wenig schroff mit seinen Schultern. Er klang verärgert. „Einige Mönche aus dem Kloster sind nicht allzu erfreut über diese Ausgrabung. Die Knochen ihrer heiligen Katharina wurden auf diesem Berg gefunden. In ihren Augen grenzt es an Ketzerei, dass die Heilige ihr Grab mit einer heidnischen Gottheit geteilt haben soll. Es ist wie ein kleiner Stachel in ihrer Haut. Zwar denken nicht alle von denen so, aber wir werden nicht von ihnen unterstützt.“
Der Professor schnaubte abfällig. „Die Tatsache, dass die Heilige ihre Ruhestätte mit jemandem geteilt hat, lässt sich nicht leugnen.“
„Ich dachte, es wurde noch keine Mumie gefunden.“
Aleandro reagierte ungewöhnlich gereizt auf meinen Einwand. „Es ist eine Grabanlage, oder? Irgendwo muss eine Mumie sein, ansonsten wäre dies kein Grab.“
„Es wurden schon Ruhestätten ohne Tote gefunden, das wäre also nichts ungewöhnliches.“
„Ein Grab ohne Tote? Angefüllt mit Artefakten? In der Regel werden Grabstätten erst nach dem Tod des Grabinhabers bestückt. Oder irre ich mich jetzt?“
„Aleandro hat recht! Ein Grab mit Beigaben ohne einen Toten ergäbe keinen Sinn.“ Der Professor stieg aus dem Wagen aus. „Kommen Sie! Ich werde Sie dem Team vorstellen.“
Schlagartig fühlte ich mich in die fünfte Klasse rückversetzt. Meine Mutter hatte aus irgendeinem Grund heraus unseren Wohnsitz gewechselt und sie hatte es mir selbst überlassen mich in der neuen Schule zurechtzufinden. An meinem ersten Schultag hatte ich mich wie ein hilfloses Baby im Mahlstrom der Routine gefühlt. Die Schmetterlinge in meinem Bauch hatten ängstliche Saltos geschlagen, so dass mir den ganzen Tag speiübel gewesen war. So ähnlich fühlte ich mich in diesem Moment. Zwar war mir nicht grottenschlecht, aber dafür fuhren die Falter in meinem Bauch aufgeregt Achterbahn.
„Keine Angst! Die Jungs beißen nicht!“ Der Professor lächelte mir aufmunternd zu. Galant bot er mir seine Hand, um beim Aussteigen behilflich zu sein. Blinzelnd blickte ich auf in den glasklaren Himmel der Wüste. Aleandro schaffte es, mich aus meiner starren Mulmigkeit zu reißen, indem er auffordernd klatschte. Er sprach das Hopp Hopp nicht aus, aber ich konnte es in seinen übermütigen Augen lesen.
Ich versuchte, unbekümmert zu lächeln. Doch ich spürte, dass es kläglich versagte. Es fühlte sich aufgesetzt an. Verstohlen schob ich meinen verkrampften Unterkiefer hin und her, während ich den beiden Männern folgte. Doch ich vergas schlagartig alles um mich herum, als ich vor dem Eingang des weißen Hauptzeltes innehielt. Ich sah zu, wie Aleandro und der Professor zwischen den sanft wehenden Stoffbahnen verschwanden. Mein Herz klopfte laut bis in die Ohren hoch. Ich war so aufgeregt, dass die Kehle sich zuschnürte. Ich befand mich hier am Anfang meiner neuen Reise und es würde aufregend, wunderbar und spannend werden. Beherzt schob ich die Stoffbahnen auseinander und tauchte ein in das helle stickige Zelt, welches mein Herz regelrecht aufblühen ließ. Mit dem Betreten wurde mein Traum endgültig wahr. Ich gehörte einem echten Archäologenteam an. Glücklich trat ich neben den Brasilianer und den Professor. Ein Mann, dessen Alter ich nicht einschätzen konnte, taxierte mich neugierig. Als ich ihn musterte, kam ich nicht umhin mich zu fragen, ob Bachmanns Team nur gutaussehende Menschen angehörten. Sein Dreitagebart war sorgfältig in Form gestutzt, so dass dieser seine markanten Gesichtszüge und seine sinnlichen Lippen voll zur Geltung brachte. Er hatte ein Käppi auf, welches ihm wirklich gut stand, aus dessen Schatten seine dunklen Augen hervorblitzten. Wenn ich etwas an ihm gesucht hätte, damit er nicht ganz so attraktiv wirkte, dann hätte ich auf seinen leicht abstehenden Ohren herumhacken können. Doch sie passten zu ihm.
Der Professor schlug dem mir noch Unbekannten grüßend auf die Schulter. „Schauen Sie mal, wen ich Ihnen endlich mitgebracht habe. Das ist Franziska, die skandalöse Archäologin aus Deutschland von der ich Ihnen erzählt habe.“ Augenzwinkernd grinste er mir zu. „Franziska, das ist unser polnischer Freund Adam. Ihr beide werdet sicherlich in endlosen Debatten eure Freude miteinander haben.“
Adam steckte einen Stift, mit dem er eben geschrieben hatte, in den Mund und kaute misstrauisch darauf herum, während er mich unumwunden anstarrte. Da er sich auf das Starren beschränkte, beschloss ich, den Anfang zu machen.
Herzlich streckte ich ihm die Hand zum Gruß entgegen. Seine dunklen Augen musterten diese, als müsse er es sich zweimal überlegen, meine Hand zu ergreifen. Nachdem er es dann schließlich tat, war sein Händedruck überraschend kräftig. „Gute Reise gehabt?“ Sein starker Akzent erinnerte mich schlagartig an zahlreiche Gangsterfilme, wo Russen eine zentrale Rolle gespielt hatten. Der Seine klang zwar nicht ganz so hart da er Pole war, aber trotzdem konnte ich nicht verhindern, dass Bilder von bösen attraktiven Männern vor meinem inneren Auge vorbeihuschten.
Verlegen gestattete ich mir ein scheues Lächeln. „Ja, ich hatte zwei nette Reisebegleiter.“
Adam nahm den Stift aus seinem Mund. Mit einem breiten Grinsen blickte er zu Professor Bachmann, ehe er meine Hand endlich los lies. „Justin wird gar nicht erfreut sein, wenn er seine Schulden begleichen muss.“
„Wie darf ich das denn verstehen?“ Ich blinzelte verwirrt.
Adams Grinsen wurde breiter, als er nun erklärend an seinen Arbeitstisch zurückkehrte, um dort eine kleine Schatulle prüfend in Augenschein zu nehmen. „Justin meinte, du würdest nicht dem Bild einer typischen Archäologin entsprechen, daher würdest du nicht kommen. Das gesamte Team setzte dagegen. Aber nimm ihm seine Ansicht nicht übel, du solltest es eher als Kompliment auffassen. Justin hält nicht viel von Archäologen.“
Ich konnte nicht verhindern, dass meine Stimme einen sarkastischen Unterton annahm. „Nun denn, dann freue ich mich, dich zu einem reichen Mann gemacht zu haben.“
Das Lachen des Polen dröhnte durch das Zelt. Er legte die Schatulle zurück und drehte sich amüsiert zu mir um. „Oh, nein. Wir wetten nicht um Geld. Das macht hier kaum Sinn. Unser Wetteinsatz ist der Küchendienst. Justin muss nun für jeden einmal den Kochdienst übernehmen.“
Entsetzt rechnete ich nach. „Soll das vielleicht bedeuten, dass es die kommenden sechs Wochen ausschließlich ein Gericht zu essen geben wird?“
„Sieben, wenn man den Professor mitrechnet. Die Wetten wurden abgeschlossen, ehe der Professor nach Deutschland geflogen ist.“
Aleandro gluckste amüsiert dazwischen. „Eigentlich sind es acht Wochen. Justin ist ab Montag so oder so mit dem Küchendienst dran.“
Die Vorstellung, sechsundfünfzig Tage das Gleiche essen zu müssen, verlieh meiner Stimmung einen erheblichen Dämpfer. Mein Sarkasmus kannte keine Grenzen mehr. „Jetzt frage ich mich allerdings, ob das Team in dieser Sache tatsächlich gewonnen hat.“
Adam zwinkerte belustigt, dann steckte er sich den Stift wieder zwischen seine Zähne. „Die Ausgrabungen entschädigen uns für so manches.“
„Aber für acht Wochen immer dasselbe Gericht? Na, ich weiß nicht so recht.“
„Du solltest abwechselnd mit Justin den Küchendienst übernehmen, dann besteht vielleicht eine winzige Chance, dass wir alle die nächsten acht Wochen überleben werden.“ Diese düstere Prophezeiung kam von einer fremden dunklen Stimme. Ein typischer Italiener, wie frisch aus der Pizzawerbung entsprungen, trat zu uns heran. Er streckte mir seine braungebrannte Hand entgegen. „Ich bin Marco, Journalist und dein Leidensgefährte. Die Kochkünste unseres Teams sind alles andere als kulinarisch. Ich hoffe, wenigstens du kannst kochen!“
Ich ergriff seine Hand und schüttelte sie zweifelnd. „Gib mir die Telefonnummer vom nächstgelegenen McDonalds und ihr bekommt jeden Tag etwas essbares auf den Tisch.“
„Das hört sich gar nicht gut an!“ Der Italiener wirkte ehrlich verzweifelt, aber seine blitzenden Augen straften ihn der Lüge.
„Hat jemand etwas von Essen gesagt?“ Ein dünner, schlaksiger, älterer Mann mit Schnauzer, schob sich an Marco vorbei und wandte sich mir zu. „Du kannst Joseph zu mir sagen. Meinen richtigen Namen kann hier sowieso niemand aussprechen. Lieber lass ich mich Joseph nennen, als dass irgendjemand meine kolumbianischen Ahnen erzürnt. Ich hoffe, du kannst kochen!“
„Warum fragt mich das hier jeder?“ Lachend schüttelte ich dem dunkelhäutigen Mann die Hand.
„Weiß jemand was Neues von Nagib?“ Der Professor blickte fragend in die Runde. Schlagartig wurden alle ernst.
Joseph trat von einem Bein auf das andere. „Ich habe vormittags mit dem Krankenhaus telefoniert. Er ist immer noch nicht aufgewacht. Die Ärzte gehen davon aus, dass er nicht mehr aufwachen wird, zumal sie glauben, dass zwei von den vier Schlangenbissen von einer Hornviper und einer Königsnatter stammen.“
„An für sich eine tödliche Mischung. Wo ist Justin?“
Joseph blickte betreten zu Boden, während Marco verlegen grüßte, um aus dem Zelt zu verschwinden. Der Brasilianer erwischte den Journalisten gerade noch am Schlafittchen. Unwohl zog Marco sich in eine Ecke des Zeltes zurück und versank in Schweigen.
Die Stimme des Professors wurde kalt. „Was ist los, Adam!“
„Justin ist zum Kloster.“
„Was um alles in der Welt ...?“
„... es ist wieder etwas abhandengekommen.“
„Was!“ Der fassungslose Schrei des Professors ließ uns alle erschrocken zusammenzucken.
Nun war es an Adam nervös zu werden. Fahrig zupfte er an seinem T-Shirt herum. „Es fehlen zwei Messer und vier Ušebti.“
„Das darf doch nicht wahr sein!“ Stöhnend rieb sich der Professor über die Augen. „Das ist bereits das dritte Mal, dass bei uns unbemerkt eingebrochen wurde. Verdammt! Und warum ist Justin ins Kloster?“
Adams Zupfen wurde heftiger. „Er bildet sich wieder einmal ein, einen Hubschrauber gehört zu haben. Er ist sicher, dass es von dort kam.“
Aleandro rieb sich stöhnend über sein Gesicht. Seine Worte drangen beinahe verzweifelt zwischen seinen Händen hervor, welche auf seinen Lippen liegen geblieben waren. „Oh, Mist! Was hat er sich bloß dabei gedacht? Die Mönche werden uns steinigen.“
Verwundert blickte ich die Männer der Reihe nach an. „Seit wann chartern Grabräuber Hubschrauber? Ich meine, für die Polizei wäre es doch ein Leichtes nachzuforschen.“
Der Pole wischte mit seiner Hand durch die Luft, als wollte er ein Moskito verjagen. „Deshalb teilt auch niemand Justins Verdacht. Er behauptet die Mönche würden die Grabräuber unterstützen, damit wir die Grabungen nicht weiterführen können.“
Aleandro schüttelte verärgert seinen Kopf. „Wenn ihr mich fragt, dann hat Justin etwas damit zu tun. Jedes Mal, wenn ein Fundstück gestohlen wird, behauptet er einen Hubschrauber gehört zu haben. Des Weiteren verschwindet er von der Bildoberfläche und taucht erst Tage danach wieder auf. Der Kerl weiß etwas, wenn er nicht sogar mit drinhängt.“
Der Professor wurde rot im Gesicht. „Ich glaube weder Justins Theorie noch diese. Wenn schon solche Anschuldigungen erhoben werden, dann sollten auch stichhaltige Beweise vorliegen.“
„Ich brauche keine! Justin hört Hubschrauber, die nur er hören kann, dann verschwindet er auch noch tagelang. Außerdem versucht er uns einzureden, dass die Ordensbrüder die Grabräuber unterstützen würden. Völliger Unsinn! Das sind Mönche! Auch wenn sie nicht gerade sehr erfreut über unsere Ausgrabungen sind, so glaube ich doch nicht, dass sie zu solchen Mitteln greifen würden. Die vertrauen auf Gott und nicht auf Grabplünderer.“
Angriffslustig ballte der Professor seine Hände. „Wer glaubt sonst noch diesen Unsinn?“
Joseph versetzte Aleandro einen hastigen Tritt gegen das Schienbein. Mahnend sah er den Brasilianer an, während er den Akademiker zu beschwichtigen versuchte. „Niemand, Professor. Soweit ich weiß, hat noch keiner aus dem Hauptteam solche Vermutungen geäußert.“
„Mit wem haben Sie diese Theorie sonst noch besprochen, Aleandro?“
„Außer mit Joseph und Adam, mit niemandem! Die ersten beiden Male hatte ich auch keinen Grund so zu denken. Zweimal kann noch angehen, aber ein drittes Mal kommt mir doch äußerst merkwürdig vor.“ Fast schon bockig verschränkte Aleandro die Arme vor der Brust.
„Justin mag ein seltsamer Kauz sein, aber ich glaube nicht, dass er ein Verräter ist, zumal er die Archäologie belächelt.“
„Frage!“ Mutig hob ich meine Hand und musterte den Professor mit großen Augen. Angriffslustig gab mir dieser mit einem Nicken grünes Licht. „Wenn dieser Justin die Altertumskunde verachtet, warum ist er dann hier?“
Stumme Ratlosigkeit breitete sich in dem Zelt aus. Es war ihnen anzusehen, dass noch niemand so recht über diese Frage nachgedacht hatte.
„Weiß nicht, vielleicht wurde er von seiner Redaktion zwangsversetzt.“ Es war Adam, der vorsichtig eine Mutmaßung zu äußern wagte.
„Nein, nein! Soweit mir bekannt ist, arbeitet Justin als freier Journalist.“ Der zaghafte Einwand von Marco führte dazu, dass seine Deckung aufgehoben wurde. Alle Blicke schweiften überlegend zu ihm. Wenn es jemand wusste, dann war es Marco. Sein professioneller Einwand half allerdings nicht weiter, so dass sich wieder Schweigen ausbreitete. Ungläubig musterte ich die Männer. Während Aleandro von einer inneren Wut angetrieben wurde, waren Joseph und Adam äußerst nervös. Der Professor jedoch übte sich in loyaler Ausdruckslosigkeit. Schließlich durchbrachen ein seltsames Knacken und Rauschen die Stille. Fremde, gedämpfte Laute drangen aus einer Funkanlage, welche hinten in den Tiefen des Zeltes auf einer Art Werkbank vollgepackt mit Papieren, Büchern, Werkzeugen und kleinen Funden aus der Grabanlage, stand. Wahrscheinlich waren diese Fundgegenstände eher unbedeutend, da sie so offen herumlagen. Adam eilte zum Funkgerät, um den Ruf zu beantworten. Nach einem kurzem abgehacktem Gespräch, von dem ich kein einziges Wort hatte verstehen können, hängte er auf. Mit bleichem Gesicht drehte er sich zu uns um. „Das war das Krankenhaus.“
Marco trat einen Schritt nach vorne. „Nagib! Ist er ...?“
„... nein, ist er nicht!“
„Was ist passiert?“ Die Stimme des Professors vibrierte vor tiefer Sorge.
Adam hatte sichtlich Mühe zu sprechen. „Nagib ... sie haben ihn!“
„Verdammt, Adam! Was reden Sie denn da?“
„Nagib ist verschwunden. Sie fanden Blutspuren in seinem Bett. Jemand muss ihn aus dem Krankenhaus rausgeschafft haben. Sie haben gefragt, ob er bei uns wäre. Als ich verneinte, faselten sie irgendetwas davon, dass sie die Polizei benachrichtigen müssten. Dann brach die Verbindung ab.“
„Was?“ Aleandro schien entsetzt.
„Die Ordnungshüter werden heute oder morgen bei uns auftauchen, um die Sache zu untersuchen.“
Hilflos starrte ich den Polen an. „Welche Sache?“
Adam war sichtlich erbleicht. Nervös nestelte er an seiner Weste herum. „Ich habe schon gehört, dass so etwas vorkommen soll.“
„Was?“ Ich platzte beinahe bei dem Versuch Adam weder zu packen noch kräftig zu schütteln. Stattdessen bohrte ich die Fingernägel in meine Handflächen. Verzweifelt schaute ich zwischen dem Polen und dem Professor hin und her. Beiden standen Schock und Sorge ins Gesicht geschrieben. „Adam! Was ist denn los?“
Mit großen Augen stierte er mich an und erstickte beinahe an seinem heißeren Geflüster. „Professionelle Grabräuber.“
„Professionelle Grabräuber? Aber ...“ Halb erstickt fiel ich ins Flüstern mit ein, während ich beklommen seinen Blick erwiderte.
Aleandro befreite sich als Erster von der düsteren Stimmung. Voller Zorn richtete er sich auf, ganz so als gälte es in den Angriff überzugehen. „Verflucht! Ich wusste es, ich wusste es die ganze Zeit! Wo ist der verdammte Mistkerl! Ich bringe ihn um!“
„Aleandro! Justin hat damit nichts zu tun!“ Joseph wollte den Brasilianer beschwichtigen, doch dieser ließ es nicht zu.
„Er weiß etwas! Suchen Sie ihn, Professor!“
Der Professor hatte alle Mühe sich zu beherrschen. Seine Hände ballten sich, während sein Kopf eine bedrohliche Rötung annahm. „Ich habe dieses Team ausgewählt, ich habe es zusammengestellt. Es gibt keinen Verräter unter uns!“
„Was ist mit den Hilfsarbeitern?“ Im Gegensatz zu seiner aufgebrachten Stimme klangen meine Worte dünn und verloren.
Dennoch wandte der Professor sich zu mir um. „Die Arbeiter wurden uns von der Behörde für Altertümer vermittelt. Ich glaube kaum, dass sie uns einen Grabräuber untergejubelt haben.“
„Woher nehmen Sie die Gewissheit?“ Keine Ahnung, woher ich den Mut fand meine Bedenken einzuwerfen. „Die Männer melden sich auf die Ausschreibungen, sie werden ausgesucht und als Hilfsarbeiter zu den Ausgrabungsstätten geschickt. Ich glaube nicht, dass die Behörde es merken würde, wenn einer dieser Männer einen kleinen Nebenjob hätte, schließlich wird er diesen Nebenverdienst kaum in seinen Bewerbungsunterlagen erwähnen.“
Adam eilte mir unerwartet zu Hilfe. Seine dunkle Stimme verlieh meinen Worten mehr Gewicht. „Sie hat recht.“
Aleandro zuckte verärgert mit den Schultern, während der Professor mir bestätigend zunickte.
So hatte ich mir meinen ersten Tag an der Ausgrabungsstätte nicht vorgestellt. Ich wollte keine Streitereien und die Aussicht auf skrupellose Grabräuber stimmte mich nicht hoffnungsvoll. Dennoch klang ich seltsamerweise zuversichtlich „Ich bin mir sicher, dass Justin bald auftauchen wird. Er wird uns bestimmt alles erklären. Und bis es so weit ist, würde ich mir gerne die Grabanlage ansehen.“
„Das übernehme ich.“ Joseph schob sich anbietend neben mich.
„Nein.“ Unerwartet heftig ging der Professor dazwischen. „Ich denke, es wäre besser, wenn Aleandro die Führung durch das Grab übernehmen würde.“
Joseph protestierte nicht, aber anhand Aleandros verärgertem Gesichtsausdruck konnte ich erkennen, dass der Brasilianer sich von seinem Teamchef abgeschoben fühlte. Ich kam zu dem Entschluss, dass der Professor in Ruhe nachdenken wollte und daher darauf abzielte den jungen, hitzigen Mann für eine Weile aus dem Weg zu schaffen. Dieser packte grob meinen Ellbogen und zerrte mich aus dem Zelt.
„Du musst mich nicht führen. Ich kann es mir auch selbst ansehen.“, protestierte ich.
„Der Professor hat gesagt, ich soll dich führen. Also werde ich es auch tun.“
Energisch entriss ich ihm meinen Arm, indem ich einfach stehen blieb. „Ich habe dich als einen netten jungen Mann kennengelernt, Aleandro. Ich wünsche nicht, dass dieses Bild zerstört wird. Wenn du die Anlage nicht zeigen möchtest, dann solltest du gehen.“
Aleandro schloss seine Augen, schüttelte leicht den Kopf und fuhr sich schließlich seufzend durch die Haare. „In Ordnung. Es tut mir leid. Ich wollte nicht den Eindruck erwecken, dass ich keinen Wert auf deine Gesellschaft lege. Es ist nur ...“ Er kam ins Stocken.
„Was?“ Ich ließ meinen Blick etwas forsch werden, als Zeichen, dass ich alles was ich nun sagen würde, wirklich ernst meinte. „Ich habe sehr wohl bemerkt, dass du Justin nicht leiden kannst. Ich möchte gar nicht wissen, warum. Allerdings scheint es dich gekränkt zu haben, dass ich für ihn Partei ergriffen habe. Wenn das so ist, dann tut mir das leid. Aber ich kenne diesen Journalisten doch gar nicht. Ich möchte auch nicht zwischen euch stehen. Alles, was ich mir wünsche, ist ein Teil dieses Teams zu sein, und zwar ohne Angst haben zu müssen, dass die Streitereien überhand nehmen. Heute nicht und auch in Zukunft nicht. Also lass uns jetzt diesen Typen vergessen und etwas Spaß haben, indem du mir dieses Grab zeigst.“
Ein sanftes Lächeln huschte über seine Züge. Ergeben hob er seine Hände. „Du hast gesiegt. Hab Erbarmen mit einem armen Sünder.“
Seine Augen blitzten mich übermütig an und machten sein hilfloses Gebaren zu einer Augenweide. Meine Mutter hätte in ihm ihren Meister gefunden. Aleandro beherrschte die Kunst der Schauspielerei zur Vollendung, nur dass er dabei, im Gegensatz zu meiner Mutter, ertappt werden wollte. Amüsiert schüttelte ich den Kopf.
„Was ist? Du willst mir nicht vergeben? Sei doch nicht so grausam!“ Lachend trat ich an ihm vorbei. „Franziska!“
„Du hast mich nur gerade an jemanden erinnert. Nimm es nicht persönlich.“, rief ich über meine Schulter hinweg und winkte ab.
„Soll das heißen, du vergibst mir?“
„Wenn du mir endlich die Grabanlage zeigst, dann könnte ich vielleicht, eventuell, möglicherweise, unter Umständen, vermutlich, gegebenenfalls, höchst wahrscheinlich ...“
„... hab erbarmen!“ Aleandro schloss zu mir auf, nahm mich lachend an der Hand und zog mich in die entgegengesetzte Richtung zu den ersten Felsformationen des Berges.