Читать книгу Das verschwundene Gold. Der Frankfurter Fettmilch-Aufstand 1612-1616 - Astrid Keim - Страница 7
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ОглавлениеZögernd macht sich Martin auf den kurzen Heimweg. Sein Schritt ist langsam, die Miene angespannt. Er schaut kaum auf den Weg, zu vieles muss er verarbeiten. Erst die Hinrichtung, die zum Mahnmal geworden ist, dann die geheime Versammlung, jetzt das Gespräch mit Frau Straub. Schlag auf Schlag wurden ihm die Augen geöffnet. Nichts ist mehr so wie gestern noch. Was bis jetzt so wichtig war, hat seine Bedeutsamkeit verloren. Auch Lene? Nein, Lene nicht. Das ist etwas anderes. Aber sie wird ab heute keinen Jungen mehr in ihm sehen, sondern einen Mann, der sich seiner Verantwortung bewusst ist.
Martin ist so mit seinen Gedanken beschäftigt, dass er die Bewaffneten erst bemerkt, als sie schon fast an ihm vorbei sind. Es sind Büttel des Rats mit dem Adler der Stadt auf dem ledernen Wams und derben Stiefeln, deren genagelte Sohlen jeden Schritt betonen. Am Gürtel sind Knüppel befestigt, um die Schultern des Anführers hängt eine Muskete.
Sehr eilig haben sie es offenbar nicht. Ihre Gesichter sind mürrisch, einer spuckt auf den Boden. Diese Kontrolle nach Dienstschluss hätte gerade noch gefehlt, fängt Martin auf, eine Zumutung, als wären sie nicht schon seit dem frühen Morgen auf den Beinen. Ihm stockt der Atem. Sie gehen in die Richtung, aus der er kommt. Sie wollen zum Christophel!
Er nimmt einen schmalen Durchgang und hetzt durch die Hinterhöfe zurück. Völlig außer Atem stürzt er in die Gaststube. »Schnell, schnell. Sie sind auf dem Weg!«
»Nun mal langsam.« Frau Straub legt ihm beruhigend den Arm auf die Schulter. »Wer ist auf dem Weg?«
»Wir dürfen keine Zeit verlieren, wenn mich nicht alles täuscht, soll das Haus durchsucht werden. Büttel sind unterwegs. Es kann nicht mehr lange dauern, bis sie hier sind. Die Versammlung muss fliehen!«
Jetzt ist Frau Straub alarmiert, ruft Lene zu, sie solle ihrem Mann im Keller Bescheid sagen, und dann sofort auf ihr Zimmer verschwinden. Sie eilt in den Nebenraum und kehrt wenig später mit den Männern im Gefolge zurück. Martin und sein Vater tauschen einen Blick. Vincenz nickt. »Das hast du gut gemacht. Geh jetzt.« Und mit Nachdruck: »Sofort! Nimm den Hinterausgang, man darf dich hier nicht sehen.«
»Steigt hinunter.« Die Wirtin deutet auf das Loch im Boden. »Dort unten ist eine versteckte Tür, die zum Braubach führt. Theobald wird sie euch zeigen. Schlüpft hindurch und folgt dem Lauf. Wir werden die Tür verschließen und Fässer davorstellen.« Und mit einem Blick auf die Gäste: »Kein Wort, hört ihr?«
»Da kann ich für alle sprechen.« Ein knorriger, hagerer Mensch mit grimmigem Gesichtsausdruck ist aufgestanden. »Von uns erfährt niemand etwas. Zum Teufel«, er schlägt mit der Hand auf den Tisch, dass das Talglicht flackert, »es wird doch höchste Zeit, etwas zu unternehmen. Wir sind auf eurer Seite.«
Die Falltür ist geschlossen, die Becher im Nebenraum weggeräumt. Es herrscht tiefster Friede, als die Wachtmannschaft eintrifft. Keine Sekunde zu früh. Die füllige Wirtin hatte gerade noch Zeit, ihre Haube zu richten und sich die Schweißperlen von der Stirn zu tupfen. Ihr beleibter Gatte wischt die Hände an der langen, speckig glänzenden Lederschürze ab und begrüßt die Männer jovial mit biederster Miene. »Welch Überraschung, welch besondere Gäste. Was möchtet ihr trinken? Die Runde geht auf mich.«
Die vier Männer tauschen Blicke. Das Angebot ist verlockend. Pflicht oder Vergnügen? Erst die Pflicht, entscheidet der Anführer und stellt sich breitbeinig in Positur. Allzu groß ist er nicht, aber stämmig und muskulös. »Im Namen der Stadt«, fordert er barsch, »gebt die Aufrührer heraus, wir wissen, dass sie hier sind.«
»Aber, meine Herren.« Straub hebt beschwichtigend die Hände. »Welche Aufrührer? Seht ihr hier jemand? Hier sind keine und waren auch keine. Solchem Gesindel bleibt mein Haus verschlossen. Das können meine Gäste bezeugen.«
Von denen hat sich bis jetzt keiner gerührt, aber jetzt kommt lautstarke Unterstützung.
»Das werden wir ja sehen.« Er schiebt den Wirt zur Seite und öffnet die Tür zum Nebenraum. In seinem Gesicht widerstreiten Enttäuschung und Erleichterung, als er ihn leer vorfindet. Die Erleichterung siegt. Zwar handelt er im Auftrag des Magistrats, große Loyalität empfindet er ihm gegenüber jedoch nicht. Dafür ist der Lohn zu karg, von dem nach Steuern kaum das Notwendigste zum Leben bleibt, und die hochmütige Behandlung ärgert ihn schon lange. Kommandos werden hingeworfen, Erklärungen nicht gegeben. Wenn jemand nachfragt, bezichtigt man ihn der Befehlsverweigerung, droht mit Strafe. Jetzt sind sogar Söldner in der Stadt, warum, weiß keiner. Sie nehmen sich heraus, was sie wollen, stolzieren umher wie die Pfauen, zahlen keinen Deut Abgaben und führen sich auf, als seien sie die Herren. Nein, er kennt keinen, der gut auf die Obrigkeit zu sprechen ist, auch nicht unter den Kameraden. Gäbe es Belohnungen für das Ergreifen von Verbrechern, sähe die Sache vielleicht anders aus, dann würde man vielleicht das Haus durchsuchen. Aber unter diesen Umständen … Er spuckt auf den Boden, was ihm sofort einen missbilligenden Blick der Wirtsfrau einbringt, lässt sich auf die Sitzbank fallen und bedeutet seinen Männern, es ihm gleich zu tun. Der Auftrag ist erledigt. Jetzt können sie doch noch den Feierabend genießen. Da kommt die Einladung zu einem Schoppen grade recht.