Читать книгу Völva - Wodans Seherinnen. Von keltischer Götterdämmerung 2 - Astrid Rauner - Страница 8
Die Weiße Frau
Оглавление„Das kann nicht sein Ernst sein!“ Rowilan kämpfte mit dem Drang, von seinem Stuhl aufzuspringen und seinem Gegenüber alle Unfassbarkeit ins Gesicht zu spucken. Es war kaum zu glauben. In seinem Kopf schien ein Gewitter zu toben. Die Höflichkeit und Gefasstheit allein, die seine momentane Position forderte, hielt ihn zurück, seinen Unmut in aller Offenheit kundzutun, auch wenn er sich fragte, ob Zurückhaltung in diesem Moment angebracht war.
Der Bote im Gegenzug saß dem Schamanen seelenruhig gegenüber. Er machte sich gar nicht die Mühe, ihn im Auge zu behalten, während er einen kräftigen Schluck Bier aus seinem Trinkhorn nahm und seinen ungepflegten Bart mit weißem Schaum besudelte. Erst, als er diesen beiseite gewischt und das Horn wieder abgestellt hatte, beantwortete er die rhetorische Frage: „Ganz und gar ernst, mein Freund. Ihr selbst solltet am besten wissen, dass Fewiros bei derlei Dingen nicht zu scherzen beliebt.“
Ja, eigentlich hätte er es wissen können, ganz egal, wie unfassbar es war. Rowilan schüttelte noch immer den Kopf, die Stirn auf die Fäuste gestützt, bevor er sich doch nicht mehr beherrschen konnte, von seinem Stuhl aufsprang und erregt auf und ab zu laufen begann.
„Könnt Ihr mir dann bitte verraten, wie Euer Heerführer es sich vorstellt, bei einbrechendem Winter drei Tagesreisen gen Osten zu unternehmen, durch den Wald, während wir uns noch halb mit den Eichenleuten im Krieg befinden und praktisch keine Krieger zurücklassen könnten, um die Siedlung zu schützen?“
Der Bote hatte bereits den Mund zu einer Antwort geöffnet, Rowilan aber unterbrach ihn wieder, um seinen Worten hinzuzufügen: „Noch dazu gut ein Dutzend Tage in Zelten auf gefrorenem Boden zu schlafen. Wir müssen allen Proviant selbst mit uns nehmen, weil zu dieser Jahreszeit kaum mehr gejagt und praktisch nichts mehr gesammelt werden kann. Wir riskieren bei einem heraufziehenden Unwetter einen guten Teil unserer Vorräte zu verlieren, die dieses Jahr ohnehin schon knapp sind!“
Für einen Herzschlag herrschte Stille im Raum. Rowilan konnte das Atmen der übrigen Anwesenden hören. Die halbe Siedlung hatte sich um ihn in dem großen Haus versammelt, das auf den Trümmern von Behlenos’ Wohnstatt notdürftig neu errichtet worden war und nun als Versammlungshalle diente. Niemand wagte ein Wort zu sagen, Einspruch zu erheben, was den Schamanen nur umso wütender stimmte. War dies nicht ihrer aller Angelegenheit? Was Fewiros plante, war Irrsinn. Noch nie war eine volle Stammesversammlung im Winter abgehalten worden – nicht einmal in den größten Notzeiten. Fewiros hatte nach Rowilan gerufen. Es war eine Aufforderung, der er als vorübergehendes Oberhaupt der Bärenjäger nachkommen musste, wenn er seine Legitimation nicht vollkommen einbüßen wollte. Doch was dieser Mensch im Sinn hatte, war eine Versammlung sämtlicher Stammesmitglieder der Bärenjäger, weit über vierhundert Menschen nach dem letzten Krieg, im Winter, abseits einer geschlossenen Siedlung.
Dabei war es aus Sicht des Heerführers ein ganz und gar sinniger Plan. Fewiros entstammte derselben Sippe wie Behlenos und war als dessen Vetter und fähiger Anführer immer der größte Konkurrent und naheste Anwärter auf den Titel des Fürsten gewesen. So nah, wie Fewiros’ Siedlung sich an dem erwählten Versammlungsort befand, brauchte er weder die Gefahren der Reise zu fürchten noch, dass sich ein Teil der bei der Fürstenwahl Stimmberechtigten von eben solchen abgeschreckt fühlen würde und somit als seine Fürsprecher in ihrer Siedlung blieb.
Fewiros’ Bote nahm sich Zeit, um seine Entgegnung zu formulieren. In der gelassenen Kühle seiner Augen konnte Rowilan zu gut erkennen, wie sicher sich Fewiros seiner Sache war, und ganz unbegründet war es nicht. Der Schamane hatte es lange hinaus gezögert, sich der Wahl des neuen Fürsten zu stellen. Warum, konnte er gar nicht mit Bestimmtheit sagen. Doch was immer der Grund gewesen sein mochte, für Ausflüchte war es nun zu spät.
Am liebsten hätte Rowilan dem Boten das selbstgefällige Lächeln aus dem kantigen Gesicht geprügelt, als dieser fragte: „Und? Was darf ich meinem Siedlungsvorsprecher ausrichten?“
Für drei Atemzüge nur wandte der Schamane sich hilfesuchend an die Umstehenden. Nawos stand unweit hinter ihm, eine Augenbraue fragend in die Höhe gezogen. Es lag alles an ihm.
Einen kurzen Moment lang glaubte Rowilan, seine Wut nicht halten zu können, dann aber besann er sich und holte tief Luft. „Ich billige Fewiros’ Vorhaben nicht“, entgegnete er mit erzwungener Ruhe. Der Bote aber schien eine solche Antwort bereits erwartet zu haben. Sein Lächeln wurde breiter, als er betonte: „Fewiros wird die Versammlung auch ohne Euch abhalten, mein Herr. Im Gegensatz zu Euch legt er nämlich Wert auf einen legitimierten Fürsten, erst recht wenn uns ein harter Winter bevorsteht.“
Als ob ihr groß zu leiden haben werdet! Der Schamane verkniff sich diesen Ausspruch, denn er allein hätte wie eine Anklage gewertet werden können, was noch größere Unannehmlichkeiten mit sich gebracht hätte. Fewiros musste wissen, dass auch die anderen Siedlungen seine Zurückhaltung im Krieg mit den Eichenleuten nicht gutgeheißen hatten. Es würde sich zeigen, was diese Versammlung mit sich bringen würde.
Rowilan hatte kein gutes Gefühl dabei, als er sich zusammenriss, doch er spürte, dass ihm keine andere Wahl blieb. „Wir werden kommen“, antwortete er. Sein Blick fixierte den Boten scharf. Dem Schamanen behagte es nicht, dass er ihm in diesem Moment vermutlich die Reaktion lieferte, die er und Fewiros sich erhofft hatten. Doch ändern konnte und wollte er daran nichts. Einzig erleichtert war er über den Umstand, dass der Bote nach dieser Nachricht zufrieden sein Horn austrank, sich den Mund abwischte und unmittelbar verkündete: „Sehr schön. Wenn Ihr erlaubt, Rowilan, werde ich Fewiros diese Nachricht sogleich überbringen und Eure Gastfreundschaft nicht weiter in Anspruch nehmen. Er erwartet Euch und Eure Leute in fünf Tagen am Hohen Göttersitz. Solltet Ihr auf der Hinreise wirklich zu große Verluste an Vorräten verbüßen, braucht Ihr Euch keine Sorgen zu machen. Wir haben mehr als genug.“
Das hättest du wohl gerne! In Rowilans Fäusten spannten sich gefährlich die Sehnen. Ein Feuer schien im Inneren des Schamanen zu entflammen, als der Bote sich von seinem Stuhl erhob und diesen ordentlich zurück an den Tisch schob. Schneller aber, als Rowilan begreifen konnte, welche Wirkung diese wenigen Worte erzielen würden, entkam seinen Lippen die Warnung: „Fewiros sollte auf der Hut sein! Zu große Selbstsicherheit verleitet einen Machthaber leicht dazu, die realen Begebenheiten zu unterschätzen!“
Der Bote zog scharf eine Augenbraue in die Höhe. „Ist das eine Drohung?“
„Seht es als Ratschlag Eures höchsten Schamanen. Die Götter mögen Eure Heimreise segnen!“
Ohne ein weiteres Wort verließ der Bote damit die Halle. Rowilan musste hart schlucken, als die Tür in den Rahmen fiel. Er war zu weit gegangen, das spürte jeder im Raum. Auf einmal graute ihm davor, was er soeben mit einem Satz geschaffen haben konnte. Bei all den Machtspielereien, die Fewiros seit jeher geliebt hatte, konnte er dies als offene Herausforderung verstehen. Der Gedanke, seinem Gegner soeben in die Hände gespielt zu haben, lag dem Schamanen wie ein Stein im Magen, sodass ihm übel wurde. Gegner … ist es schon so weit mit uns gekommen?
Die nächsten Augenblicke schienen die anwesenden Bärenjäger vom eben Gehörten wie erstarrt. Fast reglos lauschten sie nach außen, wie der Bote des Fewiros sein Pferd aus den Stallungen holen ließ, aufsaß und das Klappern von Hufen endlich seine Abreise verkündete. Als hätte man ihnen wieder Leben eingehaucht, regten sich nun die Krieger, Alten und Frauen. Stimmen wurden laut. Nawos ließ sich zu Rowilans Rechten auf einen Schemel sinken, atmete angestrengt aus und kommentierte das eben Gehörte: „Fewiros ist mutig. Ausgesprochen mutig. Aber ich muss gestehen, Rowilan, in mancherlei Hinsicht stehst du ihm in nichts nach!“
„Ich bin zu weit gegangen“, gestand der Schamane kleinlaut, jedoch so undeutlich, dass es nur die Leute seiner unmittelbaren Nähe verstanden.
„Vielleicht.“ Nawos zog das Trinkhorn des Boten mit spitzen Fingern aus seinem Ständer, als wäre es durch den Speichel mit Gift beschmiert, ließ es auf die Tischplatte fallen und brachte stattdessen sein eigenes in Position. Der alte Krieger sah Rowilan nicht an, während er sich selbst Bier aus einer Tonflasche einschenkte, seine Stimme aber sagte genug: „Vielleicht hast du auch nur das Unvermeidliche beschleunigt.“
„Willst du etwa behaupten, Fewiros gedenkt uns den Krieg zu erklären?“ Eine Frau fortgeschrittenen Alters hatte sich Nawos gegenüber auf dem breiten Tisch abgestützt und beobachtete die beiden Männer mit entsetztem Blick. Ihr Name war Maelina. In ihrem Leben hatte sie bereits elf Kinder zur Welt gebracht, jedoch hatten bis heute gerade einmal sechs Krieg und harte Winter lebend überstanden. Damit stand sie ihrer Schwester in nichts nach, deren zweitältester Sohn Bral die Sprechenden wie ein Raubtier belauerte, jedoch wusste, dass ihn dieses Gespräch nichts anging.
Nawos begegnete ihrer Aufregung mit kühler Sachlichkeit. „Ich behaupte gar nichts, sondern versuche die Zeichen zu lesen, die mir gegeben werden. Wir alle wissen, dass Fewiros seit Behlenos’ Ernennung zum Fürsten eifersüchtig auf dieses Privileg gewesen ist. Hältst du mich für blind?“
„Fewiros ist nicht wahnsinnig“, unterbrach Rowilan die Auseinandersetzung. „Seine ihm unterstellten Krieger würden einen Verrat niemals billigen.“ Auch wenn der Zeitpunkt denkbar gut ist.
„Wie es scheint“, meinte Nawos darauf, „werden wir bald erfahren, was Behlenos’ verehrter Vetter plant. Du solltest zu packen anfangen, Rowilan.“
Der Schamane grinste witzlos. „Ja, vermutlich. Glaubst du, uns gelingt die Reise zum Hohen Göttersitz in drei Tagen bei diesem Wetter? Eine solche Wahl braucht Vorbereitung! Ich muss dir nicht sagen, dass die meisten Sympathien gewonnen werden, bevor die eigentlichen Versammlungen abgehalten werden.“
„Solange die Sturmgeister mit uns Erbarmen haben.“
Erbarmen hatten die Sturmgeister, wenn auch nur vorläufig. Rowilan hatte sich bis zum Ende des Tages in sein Haus zurückgezogen, allein auf seine Bettstatt, in der halbherzigen Hoffnung, mit Ruhe und einem starken Kräutertee seinen Geist klären zu können. Der Winter hatte begonnen. Als höchster Mann seines Standes hätte Rowilan im Grunde längst mit Vorbereitungen für die Mittwinterrituale beginnen müssen, die Wiedergeburt des Sonnenjahres. Das alte Jahr strebte unerbittlich seinem Ende entgegen und versprach eine unruhige Zeit, in welcher die Geister und verstorbenen Seelen so gegenwärtig waren wie die Lebenden. Dies war seine Pflicht, Geister und Götter zu besänftigen, um seinem Volk das größte Wohlergehen zu ermöglichen, das eine Welt wie die ihre zuließ. Als Schamane, nicht als Heerführer oder als Fürst. Rowilan war dafür geboren worden, die Stimmen des Übernatürlichen zu erhören und nicht, um als Diplomat mit Menschen zu verhandeln.
Doch wie es schien, war er auf dem besten Weg, jenen Pfad zu verlassen. Fewiros würde die Wahl eines neuen Fürsten fordern, die Übergabe der Macht an sich selbst. Rowilan zweifelte nicht an der Überzeugungskraft und dem Führungsgeschick von Behlenos’ Vetter, auf eine gewisse Weise aber war er nun von einem Gefühl erfüllt, das er selbst kaum beschreiben, geschweige denn deuten konnte.
Als wäre es Behlenos’ geheimer Wunsch, der ihn durch den dünnen Schleier der Welten ereilte, fühlte Rowilan sich beinahe verpflichtet, das Erbe seines alten Freundes zu bewahren. Und er war sich sicher, dass Fewiros dazu nicht in der Lage war. Ob es dem Schamanen nun gefallen mochte oder nicht. Er wusste, das Schicksal hatte längst entschieden.
Während der Schnee draußen lautlos das Land und seine Hügel mit seinem weißen Kleid überzog, beschloss Rowilan, sich zu fügen. Sollte nicht gerade ein Schamane wie er darauf vertrauen können, dass die Götter immer den richtigen Weg wählten, ganz egal ob dieser sich den Menschen erschloss?
Noch am selben Tag hatte die ganze Siedlung zu packen begonnen. Die Geschäftigkeit, die allein der Vorbereitung ihrer anstehenden Reise diente, hatte beinahe Ähnlichkeit mit den Markttagen im Sommer, zumindest so, wie Rowilan sie noch aus besseren Zeiten in Erinnerung hatte. Der Schamane selbst beobachtete den Trubel wie in Trance. Er war sich noch immer nicht sicher, ob er Fewiros einen Boten schicken und die seinem Schutz unterstellten Menschen hier in der Siedlung belassen sollte. Wo sie zu dieser Jahreszeit eigentlich hingehörten.
Rowilan glaubte, aus einem Traum zu erwachen, als Bral außer Atem hinter ihm erschien und schon von weitem seinen Namen rief. Der Schamane wandte sich lustlos um. Der Tatendrang, der Bral seit der Nachricht des Boten beflügelt hatte, erschien ihm fast zynisch, wenn er die Risiken bedachte, die sie alle mit dieser Reise eingingen. Eigentlich hatte er geglaubt, der Krieg hätte den jungen Krieger mehr gelehrt, als einen solchen Ausflug zu Winterbeginn zum großen Abenteuer zu machen.
Kaum da Bral zum Stehen gekommen war, verkündete er bereits seinen Bericht: „Es werden drei Krieger vor und drei nach uns aufbrechen, um die Gegend auszuspähen. Nawos hat gemeint, er wolle sich ihnen anschließen.“
„Nawos möchte Wölfe jagen gehen?“, staunte Rowilan. „Bis vor Kurzem dachte ich, er hielte sich dafür bereits zu alt.“ Bei diesen Worten schmunzelte der Schamane, erst recht, weil Bral so gut wie alle anderen Bewohner der Siedlung Nawos’ fast legendären Ruf kannte, noch jedes Tier erjagt zu haben, auf das er es abgesehen hatte. Eben deshalb schmunzelte auch Bral. Nur wusste er nichts davon, was Rowilan im Geheimen mit seinem nunmehr fast engsten Freund besprochen hatte.
Rowilan traute Fewiros nicht. Vielleicht war er paranoid geworden, dass er hinter jedem Baum, jeder Hütte Verrat witterte. Doch allein die Verantwortung für die Siedlung, die dieser Tage wie ein Kettenhemd auf seinen Schultern lastete, verlangte von ihm, mit dem Schlimmsten zu rechnen. Und eben dies war ein Überfall. Der Winter, der die Bäume entlaubt und den Boden mit einer immer dichter werdenden Schneedecke überzogen hatte, würde ihnen das Vorankommen schwer und ihren Tross weithin sichtbar machen. Womöglich reagierte er über. Ja, wahrscheinlich hatte der Krieg einen verängstigten Narren aus ihm gemacht, aber die Tatsache, dass nun Nawos besagte Späher anführen wollte – die ganz offiziell nur hungrige Wolfsrudel fern halten würden – schürte und bestätigte gleichermaßen seine Befürchtungen. Denn Nawos nahm sie ebenso ernst wie er selbst.
Um den jungen Krieger an seiner Seite nicht zu beunruhigen, wechselte er das Thema: „Wie weit sind deine Eltern mit dem Packen?“
„Fertig, soweit ich sehen konnte. Wird Tante Maelina mit euch vorreiten?“
„Ja. Man kennt sie in den anderen Siedlungen. Ihrer Erfahrung gebührt diese Würdigung. Sag ihr bitte Bescheid, dass wir aufbrechen.“
„Gerne!“ Womit Bral bereits hinter dem nächsten Haus verschwunden war. Es war soweit. Rowilan löste den Strick seines Pferdes und schwang sich mit vorsichtig dosiertem Schwung auf den voll beladenen Rücken. Sein ganzes Gepäck, die rituellen Kräuter und Gefäße, Schlaffelle, Umhänge, Messer und Dolche waren alle wohl verpackt an den leichten Reitersattel geschnallt. Im Grunde war das Gepäck nicht schwer, aber so sperrig, dass Rowilan sich sorgte, wie er eine mögliche Flucht abseits der gut begehbaren Handelsstraßen bewältigen sollte. Doch über derartige Szenarien wollte er gar nicht länger nachdenken.
Mit leichtem Schenkeldruck gab er seinem Hengst das Signal für den Schritt und ritt zu Nawos, der unweit des Siedlungstors seine Späher bereits um sich versammelt hatte. Als der alte Krieger Rowilan erkannte, löste er sich aus der Gruppe, ritt dem Schamanen entgegen und eröffnete ihm: „Wir sind bereit. Wenn es dir beliebt, werden Oran, Nelban und ich aufbrechen. Die anderen folgen euch mit einiger Verzögerung nach.“
„Gut. Sind genügend Krieger zurückgeblieben, um die Siedlung zu sichern?“
Nawos presste nachdenklich die Lippen aufeinander, während er rund um sich die Wachen auf den Wehrgängen beobachtete, die dort bereits ihren Posten eingenommen hatten. „Sichern können sie sie. Vor Banditen oder Wölfen. Wenn ein gezielter Angriff erfolgt, wird innerhalb eines halben Tages alles niedergebrannt sein. Diese Siedlung lässt sich vor Ort einfach zu schlecht verteidigen, erst recht mit so wenigen Männern. Ich habe sie angewiesen, weite Spähritte zu unternehmen. Sollte wirklich eine Bedrohung bestehen, sollen sie die Siedlung aufgeben und … zur Wallburg flüchten.“
„Zur Wallburg?“ Im ersten Moment erschloss sich Rowilan der Sinn dieses Plans nicht. Verwundert sah er zu dem Skelett der Siedlung oben auf der Hügelkuppe hinauf, die wie eine schleierhafte Zukunftsvision seinen Blick zu erwidern schien. „Da oben ist doch gar nichts, keine Vorräte, keine Waffen.“
„Ein fertiger Wall ist sehr viel mehr als nichts“, gab Nawos zu bedenken. Vorräte werden schnell genug hochgeschafft sein. Die Hütten, die die Männer zum Schutz des Baumaterials errichtet haben, werden als notdürftige Kornlager ihrer Aufgabe Genüge tun. Du darfst nicht vergessen, dass der Hang sie sehr viel leichter zu verteidigen macht als unsere Siedlung hier. Und dass Mauern nicht annähernd so schnell brennen wie Palisaden.“
Rowilan äußerte sich zu dieser Idee nur noch mit einem Nicken. Ihm fehlte es noch an Vorstellungskraft, die Grundzüge dieses Plans so nachzuvollziehen, dass sie ihm ebenso schlüssig erschienen wie Nawos, doch auf eine gewisse Weise klang es sinnig. Erstaunlich sinnig.
Die lauten Stimmen der Menschen, die sich mit Karren, Pferden und Zugochsen vor dem Tor der Siedlung eingefunden hatten, erinnerten den Schamanen daran, dass die Abreise kurz bevorstand. Ein Stein lag ihm im Magen, als er Nawos eine Hand auf die Schulter legte. „Pass auf dich auf, Freund!“
„Du solltest dir nicht zu viele Sorgen machen, Rowilan.“ Der alte Krieger lächelte väterlich. „Ich habe schon mehr Schlachten in meinem Leben geschlagen, als du vielleicht jemals erleben wirst. Zumindest wünsche ich es dir.“ Damit fasste er die Hand des Schamanen, drückte sie kurz und zuversichtlich, bevor er zu seinen Spähern ritt und sie mit einem kurzen Gruß vorausritten, in den verschneiten Mittag hinein.
Rowilan blieb mit einem mulmigen Gefühl im Magen zurück. Einen Herzschlag lang starrte er den Männern nach, bevor er sich einiger letzter Anweisungen an die Zurückbleibenden besann und dann die Aufmerksamkeit der Reisefertigen auf sich zog. Mehr als Dreiviertel der ganzen Siedlung hatte sich versammelt. Nur die Ältesten und Kranken waren mit einigen Leibeigenen zurückgeblieben, die kein Recht zur Wahl auf der anstehenden Versammlung hatten. Der Rest war bereit, sodass es Zeit wurde, den Weg zu beginnen, der sie alle auf seine Weise in eine neue Zukunft führte.
Bis zum Abend dieses Tages reisten die Bärenjäger ohne unerfreuliche Zwischenfälle. Der Hohe Göttersitz lag tief in dem hügeligen Land, an dessen Rand Behlenos’ Vorfahren ihre Siedlung erbaut hatten; im Sommer zwei Tagesreisen entfernt, im Winter rechnete Rowilan mit einer längeren Strecke. Der Wind heulte weiter und sandte den Reisenden unzählige Schneeflocken als stumme Begleiter, die sich auf Felle und Umhänge setzten, in Haaren und Stofffalten schmolzen und bis zum Sonnenuntergang zu einer Schicht lockeren Eises gefroren waren. Der alte Handelsweg, der seit der Zeit ihrer Ahnen das Land durchzog, führte sie fort von der Rur dem Fluss Timel entgegen, bis die fruchtbaren Täler ihrer Heimat uralten, dichten Wäldern wichen.
Rowilan wählte eine geschützte Viehweide unweit der Handelsstraße als Lagerplatz für die Nacht. Im Sommer hatten sie es üblicherweise gepflegt, noch ein Stück weiter nördlich auf einer bestimmten Lichtung zu rasten, doch Dunkelheit und stärker aufkommende Kälte hatten den Zug jäh zum Anhalten gebracht. Feuchte Moosteppiche und der lichter werdende Baumbestand waren Anzeichen eines Niedermoores, das unweit ihres Lagerplatzes beginnen musste. Gerne wäre der Schamane ein Stück weiter zwischen Sauergras, Kiefern und Erlen in die Wildnis hinaus gelaufen, doch die aufkommende Dunkelheit und erste Wolfstimmen brachten diesen Entschluss ins Wanken.
„Entzündet genügend Feuer!“, rief er über die Menge hinweg. „Und steckt Fackeln rund um das Lager in die Erde. Wir wollen den Wölfen keine Einladung bieten.“
Rowilan stapfte zwischen den Reihen der Bärenjäger durch die handhohe Schneeschicht. Ihm war nicht vollkommen wohl dabei, so nah an einem Moor zu lagern, wo die Grenzen zur Anderen Welt zu dieser Jahreszeit dünn waren wie nie. Als die Familien ihre Nachtlager in Zelten und großen Karren aufgeschlagen hatten, ließ Rowilan sich deshalb von einem der Bauern einen Krug frischen Bieres abfüllen und entnahm mit spitzen Fingern eine der rituellen Bronzekannen seinem Gepäck.
Die Sonne war nur noch ein gelblicher Lichtschimmer über dem Horizont, als er im ersten Mondlicht über die Feuchtwiese lief. Die Kiefern und dichten Sträucher machten es ihm im Zwielicht der Dämmerung schwer, seine nahe Umgebung zu erkennen, sodass er außerhalb des Lagers nur noch vorsichtig mit den Füßen über den Boden tastete, aus Angst, vom gierigen Schlick eines Moores überrascht zu werden. Im Schatten der Bäume erkannte der Schamane bald nur noch dunkle Silhouetten vor grauem Nachthimmel. Er war überrascht, als sich das leise Murmeln eines Baches in die Geräusche des Waldes mischte. Der zunehmende Mond tauchte wieder hinter einer Wolke auf. Rowilan wollte sich gerade nach den Fackellichtern des Lagers umsehen, da nahm er aus dem Augenwinkel plötzlich eine Bewegung in der Dunkelheit wahr.
Augenblicklich fuhr er herum. Vorsichtig tastete er sich einen Schritt vor, versuchte im blassen Mondlicht wenigstens einen Teil seiner Umgebung zu erfassen.
Dann auf einmal drang eine Melodie durch die Finsternis. Das leise Summen einer Frau vermischte sich mit dem Raunen der Bäume. Unwillkürlich jagte dem Schamanen ein Schauer über den Rücken, ohne dass er mit Bestimmtheit sagen konnte, aus welchem Grund. Vielleicht war es der Archaismus, der dem Klang auf besondere Weise inne lag. Er schien Teil dieses Waldes zu sein, untrennbar mit der Natur verbunden, bar jeder Menschlichkeit.
Achtsam machte Rowilan noch einen Schritt vor, zwängte sich an einem dichten Strauch vorbei, bis er endlich den Bach im Mondschein erkennen konnte. Unbewusst wich der Schamane einen Schritt zurück. Obgleich ihre Gestalt einer sterblichen Frau ähnlich war, hatte das Wesen, das am Ufer des Gewässers kniete, nichts Menschliches an sich. Die Frau, jene Person, war alt, vielleicht so alt wie die Zeit. Rowilan war nicht in der Lage dazu, ein solches Urteil zu fällen. Jedes Jahr ihres Lebens hatte sich in ihren eingefallenen Zügen verewigt, ohne dass sie den Ausdruck jugendlicher Schönheit verloren hatte. Der Eindruck war ebenso grotesk wie real und dieser Umstand allein gemahnte Rowilan zu äußerster Vorsicht.
Die Frau selbst summte ihr Lied, ohne zu erkennen zu geben, ob sie den Schamanen bemerkt hatte. Graues, stumpfes Haar umschlang ihren Körper wie ein Gewand und verdeckte beinahe die Spindel, die sie mit einer Hand hielt. Ein weißer Wollfaden schien wie aus dem Nichts zwischen ihren Fingern zu entstehen. Rowilan musste lange hinsehen, um das gleichfarbige Etwas zu erkennen, das auf ihrem Schoß ruhte. Auf den ersten Blick erschien es wie gebündeltes Licht, das sich einem Kind gleich bewegte, ein Säugling, fein, hilflos, doch auf seine Weise geborgen.
Ihm blieb keine Zeit sich in derlei Gedanken zu vertiefen. Gerade, als eine unterschwellige Ahnung ausgedacht werden wollte, hallte eine leise Stimme zwischen den Bäumen wider. Für einen Herzschlag überlegte der Schamane, ob es nicht besser war, auf der Stelle kehrt zu machen und zurück zum Lager zu eilen. Da aber sah er schon, wie die Frau den Kopf hob, ihn der Blick zweier uralter Augen wie eine Lanze in die Brust zu stechen schien und wusste, dass es für diese Entscheidung längst zu spät gewesen war.
Es klang nicht wie eine echte Frage, als sie sagte: „Du kommst, um mir zu opfern?“
Lautlos drehten ihre Finger das Garn, während die Spindel gleichmäßig um die eigene Achsen schwang, so lange, dass das Wesen sie kaum anstoßen musste.
„Wenn Ihr die Herrin dieses Waldes seid?“
„Die Herrin nicht.“ Sie musterte ihn geheimnisvoll. „Ich wache über ihn, die Tiere, die Geister, die Bäume.“
„Dann nimm trotzdem dieses Opfer von mir und meinen Leuten. Wir sind Reisende, die nur den Weg zwischen den Bäumen beschreiten wollen, ohne die Ruhe zu stören oder dem Wald selbst zu schaden.“
Für einen kurzen Moment hielt die Frau inne. Die Spindel begann an dem gestrafften Faden zu baumeln, während ihr Blick über die beiden Gefäße, den Krug voller Bier und die kunstvoll verzierte Bronzekanne glitt. Rowilan konnte nicht sagen, was sie dachte, ob sie nicht nur aus Berechnung zögerte. Zu seiner Verwunderung jedoch machte sich beinahe Belustigung auf ihrem Gesicht breit, mit der sie den Schamanen aufforderte: „Gib das Opfer den Geistern draußen im Moor. Ich kann sehen, dass du mich fürchtest, aber Grund hast du dazu nicht, weil ich nicht gedenke, eure Reise zum Hohen Göttersitz zu behindern.“
Die Frage erschien dem Schamanen sinnlos, dennoch sprach er sie aus: „Ihr interessiert Euch für unsere Reisepläne?“
„Nein.“ Die Frau lächelte auf eine so vieldeutige Weise, dass Rowilan ungewollt ein Schauer über den Rücken jagte. Das weiße Etwas auf ihrem Schoß schien für kurze Zeit zu zucken, bevor es sich wie schwereloses Wasser zu einem Faden verschloss. Der Schamane konnte nicht sagen, was genau es war, das ihn beunruhigte. Vielleicht das sonderbare Gefühl, mit etwas an dieser Situation sehr vertraut zu sein. Obgleich er wusste, dass dieser Eindruck seinen überreizten Sinnen entspringen musste, schien in der weißen Substanz ein Pulsschlag zu pochen, synchron mit seinem eigenen.
„Du weißt, wer ich bin, Rowilan. Genauso wie ich weiß, wer du bist. Wir haben dich auf unsere Weise erschaffen.“
Ich weiß, dachte der Schamane wider Willen, denn er wusste genau, sie hörte jeden seiner Gedanken. Nun war er sich sicher, zu wissen, wen er an diesem Bach an der Schwelle zur Nacht getroffen hatte. Und im Grunde hatte er es von Anfang an geahnt.
Die Frau war eine Göttin, auf ihre Weise. Er selbst hatte viele Legenden von diesen Wesen gehört, ohne jemals zuvor einem solchen begegnet zu sein. Auch jetzt schien die Weiße Frau mehr Mythos als Realität und der Ausdruck ihres Gesichtes verriet, dass sie diesen Umstand mehr als willkommen hieß. Sie stand über den Dingen. Ein Wesen, das älter war als die Menschheit und noch viele Generationen überdauern würde. Mit einem Lächeln auf ihren Lippen verfolgte sie Rowilans Gedanken, bevor ihre Finger zärtlich über das weiße Licht in ihrem Schoß strichen und der Schamane erschauerte, als spürte er die Berührung an seinem eigenen Körper.
„Ihr Menschen habt so große Angst vor der Zukunft und ich gestehe, für euch mag es berechtigt sein. Was glaubst du, wird geschehen, wenn du das Ziel dieser Reise erreicht hast?“
„Fewiros wird uns am Hohen Göttersitz erwarten.“ Rowilan war verunsichert, noch mehr, als er die Frau auf seine Antwort hin milde lächeln sah. „Ich spreche nicht von diesem winzigen Weg, der nur der Anfang eines viel folgenreicheren sein wird.“
„Ich kann nicht in die Zukunft sehen. Der einzige mir bekannte Mensch, dem die Götter diese Gabe geschenkt haben, ist vor drei Monaten vor mir nach Norden geflohen.“
„Und du wirst ihn wiedersehen, diesen bemerkenswerten jungen Mann, der seit seiner Geburt nach dem Tod sucht, ohne es zu wissen oder zu wollen. Wäre ich ein Mensch, würde ich seine Rückkehr fürchten. Denn er wird noch sehr viel mehr Tod in seine Heimat zurückbringen, als er mit sich davon getragen hat.“
Rowilan wusste nicht, was er antworten sollte. Mit einem Mal schwoll ein fast übermächtiger Drang in seiner Brust an, diesen Wald und das Moor mit seinen Bewohnern hinter sich zu lassen und in die Welt der Menschen zurückzukehren. Die Zukunft war fern. Ihn quälten genügend Sorgen, als dass er seinem Geist solche beunruhigenden Vorstellungen aufbürden wollte. Dem Schamanen war bewusst, dass er vielleicht soeben eine wertvolle Warnung erhalten hatte. Doch für diesen Tag allein war es zu viel. Er wollte fort, in sein altes Leben zurück, weg von diesem Ort scheinbar abseits jeglicher Zeit. Und die Weiße Frau schien von diesem Entschluss beinahe ein wenig enttäuscht.
„Geh!“, sagte sie. „Opfere den Geistern, auf dass nur sie euch begleiten und froh gesinnt sind. Meine Kinder werden eure Reihen noch früh genug erreichen!“
Mit diesen Worten begannen Rowilans Füße wie von alleine zu laufen. Noch ein letztes Mal sah er zu dem Wesen zurück, jener Frau, jener Weißen Frau. Das Spiegelbild seiner Seele pulsierte auf ihrem Schoß, bevor sie es Stück für Stück in dem mächtigen Gebilde des Lebens verspann und wie von selbst das Schicksal Gestalt annahm, Wirklichkeit wurde.
Nawos brachte sein Pferd neben einem Felsen zum Stehen. Den ganzen Tag waren sie geritten und hatten eigentlich viel zu lange gewartet, um ein Lager aufzuschlagen. Das Licht war bereits hinter dem Hügelkamm verschwunden, den sie mühevoll auf Erdpfaden hatten überwinden müssen. Mit dem fortschreitenden Abend hatte der Wald sich in einen einzigen Schatten verwandelt, seine Konturen an Schärfe verloren, bis es nichts mehr in diesem Land zu geben schien außer der Wildnis von Bäumen und Dickicht.
Die Ermüdung nach dem anstrengenden Ritt stand gerade Oran ins Gesicht geschrieben, während er sehnsuchtsvoll auf Nawos’ Zeichen zur Rast wartete. Der alte Krieger erlöste ihn mit einem Nicken. Hier, auf einem Erdvorsprung an der Kante eines felsigen Hanges, würde der Schein eines Lagerfeuers einen guten Blick über die Umgebung ermöglichen und die ausgehungerten Raubtiere fern halten, deren Spuren der Schnee überall bewahrt hatte. Es war der beste Ort, um die Nacht fernab einer Siedlung zu verbringen. Wenn man denn ausgerechnet bei Wintereinbruch noch einmal auf Reisen gehen musste.
Nawos’ Gelenke knackten beim Abstieg von seinem Pferd. Der Ruck, mit dem er auf dem gefrorenen Boden aufkam, geriet ein wenig zu hart und fuhr ihm wie ein Schlag in die Beine. Der eine Arm jedoch, der ihm seit der Schlacht mit den Eichenleuten geblieben war, bot nicht mehr Halt, um sanfter oder eleganter von einem Reittier zu steigen. Die Felswände zu seiner Rechten echoten kratzenden Husten in das Tal hinab. Nawos brauchte nicht hinsehen, um zu wissen, dass Oran mit einer Krankheit kämpfte, wie sie den wenigsten bei einbrechender Kälte erspart blieb. Der alte Bauer gab sich alle Mühe, sich die Erschöpfung nicht anmerken zu lassen, die ihn jetzt schon zu Boden zwängen wollte. Jede fahrige Bewegung aber, mit der er sein Pferd anband oder reifüberzogenes Holz herbeischleppte, verriet Nawos, was er bereits befürchtet hatte. Oran hätten sie daheim lassen sollen.
Nein, sie alle hätten in der Siedlung bleiben sollen, an den Herdfeuern in ihren Häusern. Nawos hoffte inständig, dass zumindest ihr Auftrag unerfüllt bleiben würde. Lieber würde er vier oder fünf Nächte sinnlos in der Wildnis frieren, als einen Trupp auszumachen, der eine Bedrohung für die reisende Gruppe Bärenjäger oder die Siedlung darstellen würde. Eine Schande war es, dass Fewiros Rowilan dazu nötigte, voll von Misstrauen zu einer Versammlung zu reiten, wo ihn keine Stammesbrüder, sondern Gegner empfingen! Das einzig Beruhigende war, dass Nawos’ Vertrauen in Rowilan noch durch keine Herausforderung und keinen Schicksalsschlag getrübt worden war.
Fewiros wird gegen Rowilan nicht bestehen, ganz gleich was dieser Größenwahnsinnige sich in den Kopf gesetzt hat! Dieser Gedanke stimmte Nawos trotz der eisigen Kälte und seiner schmerzenden Knochen zuversichtlich. Er versuchte, nicht daran zu denken, was geschehen konnte, wenn er falsch lag, und suchte nach Ablenkung, indem er einen verschlossenen Lederbeutel nahm und daraus einen Zunderschwamm befreite. Ein Rauchfaden, der daraus hervorstieg, ließ Nawos erleichtert feststellen, dass die Glut in seinem Innersten nicht erloschen war und er sich somit ersparte, ein Feuer mühevoll mit den Feuersteinen entzünden zu müssen.
Das feuchte Holz brannte schlecht, aber Nawos’ Körper entspannte sich dennoch augenblicklich, als ihn die Wärme berührte. Nur dauerte die Gelöstheit nicht an. Der Gedanke an einen unerfüllten Auftrag spukte durch seinen Kopf. Tatsächlich hatten sie schon an diesem Vormittag, kaum da sie sich weiter von ihrer Siedlung in der Rur-Aue entfernt hatten, eine fremde Reiterspur aufgenommen. Die Personen, die hier allein durch die Wälder streiften, waren keine Späher ihres Stammes gewesen, denn Nawos hatte sich in weiser Voraussicht deren Routen der letzten Tage erklären lassen. Und diese Gegend hatten sie seit längerer Zeit nicht abgeritten. Waren doch die Hänge und Wälder viel zu unzugänglich, um möglichen Feinden ein Versteck zu bieten. Zumindest wenn sie in größeren Gruppen aufmarschieren wollten.
Umso verwunderter war Nawos also über die frischen Hufspuren gewesen. Der Verdacht, dass es sich um Wegelagerer handeln konnte, lag viel näher, als dass Rowilans Befürchtungen sich bestätigen und tatsächlich die Eichenleute damit etwas zu tun haben könnten. Jedoch schon ein kleiner Trupp Banditen konnte großes Unheil anrichten, wenn er über den Tross der Bärenjäger herfallen würde. Also hatte die kleine Gruppe Männer nicht gezögert, der Spur zu folgen. Gegen Mittag hatte es einen kurzen Moment so geschienen, als hätten sie die Unbekannten entdeckt, die sich in den Wäldern herum trieben. Doch ganz gleich, ob diese sich ihren Verfolgern bewusst waren oder einfach nur einen vorbestimmten Weg gewählt hatten, bisher hatte Nawos nicht mehr gefunden als neue, frische Spuren. Und eben diese verloren sich an dem Hang, den sie zum Nachtlager gewählt hatten.
Nawos fehlte die Konzentration, dem Gespräch zwischen Nelban und Oran zu folgen. So sehr er es sich auch wünschte, seinem Kopf etwas Ablenkung zu verschaffen, blieb sein Geist wachsam. Immer wieder blickte er über die Schulter, spähte in das Dickicht, dessen Konturen die Dunkelheit bereits verschluckt hatte. Seine überreizten Sinne beschworen immer wieder Trugbilder in den Schatten. Schon auf dem Ritt hatte ihn das Gefühl verfolgt, nicht alleine zu sein, begleitet von einem unsichtbaren Feind, den das wilde Dickicht verborgen hielt.
Der alte Krieger zwang sich dazu, seine Aufmerksamkeit seinen Gefährten zuzuwenden, die keine seiner Sorgen zu teilen schienen. Die Beklemmung, die sich jedoch in Nawos’ Magen festgesetzt hatte, blieb. Der Abend war kaum vorangeschritten, als der alte Mann es nicht mehr aushielt, nur rumzuliegen und nichts zu tun. Oran rief seinem Freund irgendetwas hinterher, als dieser aufstand, doch Nawos hörte es gar nicht mehr. Mit gerunzelter Stirn spähte er in die Dunkelheit hinein. Nawos wollte selbst über sich spotten, je weiter er in den Wald hinab lief. Die leisen Stimmen der Nacht waren überall, hüllten ihn ein wie ein schwereloser Mantel. Scheinbar mit seiner eigenen Überreaktion konfrontiert, wollte Nawos schon wieder umkehren.
Da plötzlich knackte es, direkt vor ihm. Dass Nawos’ Hand an seinen Schwertknauf fuhr, war zwecklos. Nur ein Herzschlag blieb ihm, um zu begreifen, was er sah, eine Gestalt, eine Waffe, irgendetwas. Es war gleichgültig. Der alte Krieger sah einen schwarzen Schatten auf sich niederfahren.
Zu spät.