Читать книгу Wer fürchtet sich vorm Sensenmann? - Astrid Schilcher - Страница 3

Death Inc.

Оглавление

40,000 men and women every day,Like Romeo and Juliet (…)

(Don’t Fear the Reaper – Blue Öyster Cult)

Vierzigtausend täglich? Schön wär’s! Längst vergangen sind die guten alten Zeiten, als ich meine Quote in Handarbeit mit der Sense erfüllen konnte. Derzeit stehen wir bei hundertfünfzigtausend und meine beiden Chefs schrauben die Vorgaben jährlich nach oben. Wachstum, Schmieröl der Wirtschaft und Nasstraum von Shareholdern. Auch Death Inc. hat seine Seele an das quantitative Wachstumsparadigma verhökert und ignoriert stur ökologische und soziale Grenzen. Ich, als operativer Geschäftsführer, bin genötigt, mich diesen Zwängen zu beugen. Glaubt mir, ich liebäugle fast täglich mit der Kündigung, aber außer auf einer Handvoll Almen und Steilflächen sind meine Fähigkeiten nicht mehr gefragt. Miserable Jobaussichten.

In zehn Minuten steht das Planungs-Meeting mit meinen beiden Vorständen an. Mit Grauen harre ich der Ziele für die nächste Periode. Seit Jahren achte ich penibel darauf, meine Quote um keine Seele überzuerfüllen, eine Punktlandung hinzulegen. Genützt hat es mir bis dato ebenso wenig, wie die mittlerweile in Flehen ausgearteten Beteuerungen, dass weiteres Wachstum mit meinen Ressourcen nicht zu schaffen sei. „Lass dir was einfallen“, heißt es dann lapidar, „oder willst du unseren Großen Venture Capitalist vergrämen?“

Als ich den prunktrunkenen Besprechungsraum betrete, ist die Luft wieder einmal so dick, dass man sie in Schachteln packen und hinaustragen könnte. Anstatt der Interessen von Death Inc. verfolgen die Erzengel Luzifer und Michael ihre persönlichen Agenden, buhlen um Geldmittel für ihre Vorstandsressorts und die Gunst des Großen Venture Capitalists. Die Wurzeln ihrer wechselseitigen Aversion wuchern in uralten Geschichten. Michael hat sich das prestigeträchtigere, lichtdurchflutete Büro erschleimt. Luzifer hat zurückgeschlagen und durchgeboxt, dass der Morgenstern im Lateinischen seinen Namen trägt. Meine Wenigkeit wird zwischen ihren Eitelkeiten und Machtkämpfen zerrieben wie Getreide zwischen zwei Mühlsteinen.

Ich nicke den beiden kurz zu und lasse mich in den ledergepolsterten Sessel fallen. Vor mir liegt ein schätzungsweise hundertfünfzig Seiten dickes Konvolut mit dem Titel Mittelfristige Strategie und Ziele. Von einer dunklen Vorahnung erfüllt überfliege ich das Kapitel Quantitative Ziele. Was dort zu lesen ist lässt eine Karriere als Almsenner in goldiger Verheißung erstrahlen:

Weitere, konsequente Verfolgung des eingeschlagenen Wachstumspfades … elf Prozent im kommenden Jahr … sukzessive Anhebung auf fünfzehn Prozent über die kommenden zehn Jahre … Einfrieren der Betriebskosten (damit ist meine Kostenstelle gemeint) auf dem aktuellen Niveau …

„Ich sehe, du hast dich schon in medias res begeben. Bitte, entzücke uns mit deinen Einfällen, wie du die Ziele zu erreichen gedenkst.“ Michael war schon immer der Gnadenlosere von den beiden. Tuberkulose, Viren-Epidemien, ISIS, mexikanische Drogenkartelle, schön langsam gehen mir die Ideen aus. Ich bin kein Mann großer Worte. Meine Stimme klingt heiser und in meiner täglichen Arbeit ist die Geste des abwechselnd aus der Faust heraus gestreckten und wieder gekrümmten Zeigefingers völlig ausreichend. Aber mit einer Handbewegung ist es hier nicht getan. Ich nehme einen Schluck Wasser aus dem schweren Kristallglas und räuspere mich.

„So kurzfristig ist das nicht machbar. Wir haben uns doch im vergangenen Jahr auf eine nachhaltige, zukunftsorientierte Strategie geeinigt.“

„Das war letztes Jahr. Shareholder Value maximieren lautet das Gebot der Stunde. Und natürlich unsere Boni.“ Michaels süffisantes Grinsen lässt in mir eine siedende Wut emporsteigen, deren Dampf in einem Zischen durch meine gefletschten Zähne entweicht. Das ist ihm Warnung genug, einen Gang zurückzuschalten.

„Hör mal, Sensenmann, wir sind uns bewusst, was du in der Vergangenheit geleistet hast. Aber die Zahl der Menschen klettert beständig nach oben, da ist es nur legitim, dass von uns mehr erwartet wird. Wir können nicht riskieren, dass der Große Venture Capitalist Geldmittel abzieht und in andere Unternehmungen investiert. Das wirst du doch verstehen.“

„Alleine schaffe ich das nicht mehr.“

Luzifer zieht die rechte Augenbraue nach oben während sich sein linkes Auge verengt. Noch hält er sich mit Kommentaren zurück. Seine Doppelzüngigkeit fürchte ich mehr als Michaels kalte Arroganz. Verzweifelt versuche ich den beiden klarzumachen, dass der Großteil unserer strategischen Maßnahmen auf mittelfristiges Wachstum abzielt.

„Die letzten Jahre habe ich mir mit Lobbyarbeit den Arsch aufgerissen. ExxonMobil, Dow Chemical, Monsanto, Trump, McDonald’s, die Zuckerindustrie, sie alle konnte ich für unseren Zweck einspannen. Aber Klimawandel, Mikroplastik oder Adipositas töten nicht von heute auf morgen. Ich brauche einfach mehr Zeit.“

„Deine vorausschauende Strategie in Ehren. Zucker und Fast Food haben am Rande bemerkt ihre Tücken. Die Gewerkschaft beschwert sich schon über die zunehmenden Lasten, die meine Engel zu schleppen haben, fordert eine Erschwerniszulage. Du musst eben selbst wieder verstärkt mit der Sense ran.“

„Wenn ich jemanden persönlich abhole, ist das ein respektvolles Übergangsritual, kein Massenschlachthof! Solides Handwerk hat eine Kapazitätsgrenze, der Plafond ist erreicht. Und deiner verzogenen Engelsschar gebührt mal ein Tritt in den Hintern.“

Jetzt mischt sich Luzifer ein: „Hast du schon was vom Pareto-Prinzip gehört? Achtzig Prozent des Gesamtergebnisses werden mit zwanzig Prozent des Gesamtaufwandes erreicht. Verabschiede dich einfach von deinem Perfektionismus, dann kriegst du das schon hin.“

„Der Tod ist nun mal eine hundertprozentige Angelegenheit“, zische ich zurück, „also schieb‘ dir dein Pareto-Prinzip sonst wo hin. Oder willst du eine Zombie-Epidemie?“

„Schon gut, schon gut“, Luzifer hebt abwehrend die Hände.

„Ich denke, wir können das Ganze abkürzen“, Michaels Stimmtemperatur oszilliert um den absoluten Nullpunkt.

„Die Ziele stehen. Lass dir gefälligst was einfallen.“

Ich versuche einen dramatischen Abgang, knalle die Tür zu, aber da das blöde Stück ledergepolstert ist, bleibt mir selbst diese kindische Genugtuung versagt.

Wer fürchtet sich vorm Sensenmann?

Подняться наверх