Читать книгу Animus - Astrid Schwikardi - Страница 9
Kapitel 2
ОглавлениеKriminalhauptkommissar Mark Birkholz fuhr sich gähnend durch seine blonden zerzausten Haare, verschränkte seine durchtrainierten Unterarme und ließ den Blick über die feiernde Hochzeitsgesellschaft schweifen. Er saß im hinteren Bereich des Festsaals an einem Tisch, der mit Efeu, cremefarbenen Rosen und Sisal geschmückt war. Gelangweilt zog er sein Smartphone aus der Hosentasche und checkte die News des 1. FC Köln. Mit dem dunkelgrauen Anzug und dem weißen Hemd hätte Mark ohne Bedenken als Bräutigam durchgehen können. Doch der kauerte am Nachbartisch und ließ das Abfüllritual seiner Freunde widerstandslos über sich ergehen. Tim Albrecht, der Bräutigam, war ein alter Studienkollege. Sie hatten sich während ihres Studiums an der Hochschule der Landespolizei kennengelernt. Nach erfolgreichem Abschluss hatte es Tim nach Frankfurt verschlagen, während Mark in Köln geblieben war.
Tim wurde erneut ein Ouzo vorgesetzt, den er mit einem Schluck die Kehle hinunterschüttete.
Mark richtete seine Aufmerksamkeit auf die Tanzfläche. Wenige Minuten zuvor hatte sich Tims frisch angetraute Gattin Elaia unter die tanzenden Gäste gemischt und legte gerade mit ihren Brüdern und Cousins einen schweißtreibenden Sirtaki aufs Parkett. Mark verstaute sein Handy in seinem Jackett, lehnte sich zurück und starrte in sein volles Weinglas. Sein Magen war durch das viele Essen kurz vorm Platzen. Gebackenes Lammkarree. Dazu unzählige mit einem Speckmantel umwickelte Prinzessbohnen. Keine Viertelstunde danach hatte sich ein quälender Druck in seinem Magen ausgebreitet, der im Minutentakt stärker wurde. Er sah auf die Armbanduhr und stellte zu seiner Verwunderung fest, dass es erst kurz nach neun war.
Neugierig drehte er sich um, als es am Nachbartisch lauter wurde. Der Bräutigam war aufgestanden und hielt sich schwankend am Tisch fest, dabei drifteten seine Augäpfel unkontrolliert in alle Himmelsrichtungen. Gleichzeitig verzog er den Mund, als wenn er Essig pur getrunken hätte.
Der übergibt sich gleich, und ich mich auch, dachte Mark und sah Tim hinterher, der mit der Hand vor dem Mund zur Terrassentür torkelte. Von den Magenschmerzen konnte Mark das allerdings nicht ablenken, denn die zentnerschweren Steine in seinem Bauch wurden langsam unerträglich. Kurzerhand erhob er sich vom Stuhl und näherte sich Elaia, die gerade mit tosendem Beifall vom Parkett komplimentiert wurde. Die bildhübsche Griechin strahlte übers ganze Gesicht, als Mark neben sie trat und ihr auf die Schulter tippte.
„Nehmt es mir nicht übel, aber ich hau ab.“
Ihre Mundwinkel sackten hinunter. „Das ist nicht dein Ernst. Ausgerechnet jetzt? Oder liegt es daran, dass du niemanden kennst?“
„Nein. Ich habe mich nur vollkommen überfressen. Das Lamm war aber auch eine Wucht.“
Sie lächelte und küsste ihn auf die Wange. „Dann sieh zu, dass du schnell wieder fit wirst und bestell Stefan liebe Grüße von mir. Schade, dass er nicht kommen konnte.“
Mark nickte. „Und richte deinem Göttergatten aus, dass ich mich bei ihm melde.“
„Wieso sagst du es ihm nicht selbst?“
Er deutete zur Terrassentür. „Weil ich glaube, dass ihm im Moment ganz andere Dinge durch den Kopf gehen.“
Elaias Augen weiteten sich. Ohne ein weiteres Wort eilte sie fort und ließ ihn stehen. Er nutze die Gunst der Stunde und stahl sich davon. Erleichtert atmete er auf, als er den menschenleeren Korridor des Burghotels erreichte und kurz darauf an die frische Luft trat. Seine Schmerzen hatten nachgelassen, und für den Bruchteil einer Sekunde spielte er mit dem Gedanken zurückzukehren.
Andererseits kannte er niemanden. Vom Brautpaar einmal abgesehen, wobei von Tim nicht mehr viel zu erwarten war. Er grinste, als er sich die bevorstehende Hochzeitsnacht der beiden ausmalte.
Ein gepflasterter Weg führte zum hoteleigenen Parkplatz, auf dem er seinen schwarzen BMW abgestellt hatte. Nach der kirchlichen Trauung waren sie Kolonne gefahren, hinauf bis zum Burghotel. Er schlenderte zu seinem Wagen und kramte den Autoschlüssel hervor, als er das Vibrieren seines Handys bemerkte. Im Display leuchtete die Nummer seines Kollegen Stefan Rauhaus auf. Erstaunt nahm er das Telefonat an.
„Stefan was gibt‘s?“
„Ich sterbe.“
„Übertreibst du nicht ein bisschen?“
„Werde du erst mal so krank wie ich“, erwiderte Stefan am anderen Ende der Leitung und setzte hinterher: „Eigentlich wollte ich nur wissen, ob du dich auf dieser stinklangweiligen Hochzeit auch prächtig amüsierst.“
Ungläubig schüttelte er den Kopf. „Auf eine Stunde hättest du ruhig mal vorbeikommen können.“
„Du weißt doch: Hochzeiten sind nichts für mich. Da werde ich immer so sentimental“, sagte er lachend und hustete danach lautstark. Seit vier Tagen lag sein Kollege und gleichzeitig ältester Freund Stefan Rauhaus mit einem grippalen Infekt im Bett. Doch nachdem Stefan den Abend zuvor von einem gemeinsamen Bekannten mit einer blonden Frau im Cinedom gesichtet worden war, zweifelte Mark mittlerweile daran, dass es ihm immer noch schlecht ging.
Er erzählte Stefan von der kirchlichen Trauung und dem anschließenden Fotoshooting, doch er wurde das Gefühl nicht los, dass ihn etwas beschäftigte.
„Sag mal, hörst du mir überhaupt zu?“
„Klar.“
„Los, raus mit der Sprache. Weshalb hast du angerufen? Bestimmt nicht wegen der Hochzeit.“
Er vernahm Stefans Seufzen. „Du hast recht. Mich interessiert deine Meinung zu einer Sache.“
„Inwiefern?“
„Vielleicht hältst du mich für bescheuert, aber mit unserem Chef stimmt etwas nicht.“
„Mit Dahlmann? Wieso?“
„Ich glaube, er verheimlicht uns etwas.“
Mark schnaubte belustigt. „Wie kommst du darauf? Und selbst wenn: Das ist sein gutes Recht.“
„Nicht wenn es um berufliche Belange geht. Oder findest du es nicht merkwürdig, dass er sich in letzter Zeit kaum blicken lässt und uns den ganzen Mist allein machen lässt?“
„Schon, wobei das auch seine Vorteile hat. Immerhin geht er uns dann nicht auf die Nerven.“
„Ich glaube er ist an irgendetwas dran und will nicht, dass wir davon Wind bekommen.“
Mark kratzte sich am Kopf und überlegte. „Das musst du mir genauer erklären.“
„Ich habe ihn zweimal erwischt, wie er etwas vor mir versteckt hat. Das erste Mal habe ich mir noch nichts dabei gedacht, aber als ich wenige Tage später in sein Büro kam, und er erneut eine Akte rasch in einer Schublade verschwinden ließ, kam mir das schon spanisch vor. Und dann noch das Telefonat …“
„Was für ein Telefonat?“, fragte Mark irritiert.
„Ich habe gestern ein Gespräch mitbekommen. Zwar habe ich keine Ahnung, mit wem er telefoniert hat, und alles verstanden habe ich auch nicht, aber das, was ich gehört habe, finde ich mehr als beunruhigend.“
„Was hat er gesagt?“
„Dass er glaubt, dass ihn jemand beobachtet und dass die Person seine Kollegen informieren sollte, falls ihm etwas zustoßen würde.“
Mark holte tief Luft. „Das ist starker Tobak. Das muss ich erst mal sacken lassen. Pass auf, ich fahr jetzt los und melde mich, sobald ich auf der Bahn bin.“
„In Ordnung. Bis gleich.“
Mark drückte das Gespräch weg, stieg in seinen Dienstwagen und sah nachdenklich auf die Uhr. Wenn er sich beeilte und gut durchkäme, wäre er gegen kurz nach dreiundzwanzig Uhr in Köln. Sofort meldete sich sein schlechtes Gewissen, als ihm einfiel, dass er Tim und Elaia versprochen hatte, sich an den Aufräumarbeiten zu beteiligen. Er fuhr sich durch die ungekämmten Haare, kratzte sich über den Drei-Tage-Bart und überlegte sich eine Ausrede, mit der er sie am wenigsten verärgern würde. Angesichts seiner Magenprobleme wäre ein Magendarminfekt durchaus denkbar. Er wägte seine Überlegung ab, und je länger er das tat, desto mehr war er davon überzeugt, dass ihn in absehbarer Zeit ein heimtückischer Norovirus außer Gefecht setzen würde.
Zehn Minuten später fuhr er auf die A3 in Richtung Köln. Noch lange dachte er über das Telefonat mit seinem Kollegen Stefan Rauhaus nach, bis er ihn schließlich zurückrief. Erst kurz vor Köln kamen sie zu einem Ergebnis und einigten sich darauf, Dahlmann in den nächsten Tagen verstärkt zu beobachten und ihn erst anzusprechen, sofern sich eine passende Gelegenheit ergab.