Читать книгу Die Geschichte des Diethelm von Buchenberg. Eine Schwarzwälder Dorfgeschichte - Auerbach Berthold - Страница 9
Sechstes Kapitel.
ОглавлениеDiethelm wollte nun sogleich von dem Kastenverwalter den Wechsel auslösen, aber er überlegte, dass er dann ohne baar Geld sei und noch nie hatte er solche Freude an diesem gehabt wie heute.
Das Marktgewühl verlief sich allmälig: die grossen Leiterwagen, mit lustigen Bauern und Bäuerinnen voll besetzt, konnten schon in ungehemmtem Schritte durch die Strassen heimwärts fahren, in den Krämerbuden wurde bereits eingepackt und gehämmert und die Pferde der Uebernachtenden wurden zur Abendtränke an den Marktbrunnen geführt. Es war Diethelm, der in Gedanken verloren Allem zuschaute, als bliebe er zum Erstenmal in seinem Leben in einem fremden Orte über Nacht und als sei er fern in der weiten Welt und diese Stadt ihm nicht wohlbekannt und heimisch. Er wartete noch bis auch seine Rappen zur Tränke geführt wurden, dann ging er abermals nach dem Kaufhause, um die Beförderung der eingekauften Vorräthe nach seinem Heimathsort anzuordnen. Als begänne das eben am Himmel aufflammende Abendroth zu tönen, so war’s als jetzt die Stadtzinkenisten den feierlichen Abendchoral vom Thurme erschallen liessen. Diethelm achtete nicht lange darauf und die Oedigkeit und Kühle, die jetzt in dem vor Stunden so menschenvollen Kaufhause herrschte, machte ihn eine Weile frösteln; aber er liess es dennoch nicht an Umsicht fehlen und der Reppenberger versab sein Aufseheramt meisterlich. Fünf grosse Wagen fuhren nach Buchenberg, als Diethelm wieder in den Stern zu seiner Fränz zurückkehrte, und zu neuem Aufsehen eine weitere Summe zum Aufbewahren übergab. Das Innere des Hauses hatte in wenigen Stunden ein ganz anderes Ansehen gewonnen und in der Stube lachte ein Mädchen Diethelm aus, weil er es lange anstarrte und nicht erkennen wollte: es war Fränz, die in dem weissen Kleide der Wirthstochter mit veränderter Haartracht in der That ganz unkenntlich war. Diethelm schalt offen über diese Vermummung, denn theils regte sich der Bauernstolz in ihm, theils fühlte er auch wohl, wie ungemäss diese Erscheinungsart für die Fränz war. Der Wirth suchte ihn zu beschwichtigen, aber eine Stimme aus der Ecke rief:
,,Der Herr Diethelm hat ganz Recht: die gewohnte Tracht ziert den Bauersmann am besten, und ist auch die nützlichste, weil sie nicht aus der Mode kommt.“
Zu seinem Schreck erkannte Diethelm den Kastenverwalter und doch that er rasch freundlich zu ihm und rühmte sich beim Glase sehr viel, wie stolz er darauf halte, ein schlichter echter Bauersmann zu sein.
,,Dreieckiger Hut, dreifache Versicherung, hat ehemals bei uns gegolten,“ sagte ein hagerer Stammgast mit langer Pfeife, der neben dem Kastenverwalter sass und sich als Kaufmann Gäbler aus der Stadt zu erkennen gab. Und wo Drei im Vaterlande heutigen Tages beisammen sitzen, sprechen sie über die fortschreitende Noth und Verarmung des mittleren Bürger- und Bauernstandes. So auch hier.
Leicht aber nehmen solche Gespräche eine selbstische Wendung, die mehr oder minder ausdrücklich darauf hinausläuft, sich am eigenen Wohlgefühl zu erquicken. Diethelm verstand es dabei meisterlich, eine bescheidene Grossthuerei an den Tag zu legen; und als der Kastenverwalter die sichern Hypotheken lobte, gab Diethelm zu verstehen, dass er deren auch manche habe, dass er sie aber für den Handel nicht angreife. „Das wäre ja,“ sagte er, „wie wenn man einen Balken aus dem Hause nähme, um damit Feuer auf dem Herd zu machen.“ Der Kastenverwalter fand das klug und lobte das Haus Diethelm, und dieser fand ein eigenes Wohlgefühl darin, mit Prahlereien, um sich zu werfen und sie dünkten ihn bald nichts als reine Wahrheit; denn es ist ja gleich was man besitzen mag, wenn nur die Menschen daran glauben: der Glaube macht selig und der Glaube macht reich. Endlich rückte der Kaufmann Gäbler mit seinem eigentlichen Vorsatze heraus, er war Agent einer Brandversicherungs-Gesellschaft und Diethelm sollte die eingekaufte Waare und all seinen Hausrath versichern. Mit überlautem Widerspruch verneinte Diethelm diese Zumuthung und hatte dafür allerlei unhaltbare Gründe vorzubringen, die der Kastenverwalter mit Siegesstolz widerlegte, wobei er mit besonderem Nachdruck wiederholte: dass nicht der Bauer Diethelm, sondern das Handlungshaus Diethelm versichern müsse. Als endlich auch der Sternenwirth beistimmte, gab Diethelm nach, aber unweigerlich beharrte er gegen den neuen Vorschlag: auch sein Leben zu versichern; ja es wäre vielleicht darob zu einem heftigen Streite mit dem Kastenverwalter gekommen, wenn nicht plötzlich ein Zwischenfall eingetreten wäre, der Diethelm im hellsten Glanze strahlen machte. Ein junger Mann trat ein und fragte nach Diethelm; dieser ging auf ihn zu und begrüsste ihn mit hoher Freude und zwang ihn mit an den Herrentisch zu sitzen. Nach vielem Widerstreben willfahrte der junge Mann, der ein Zeugweber aus der Stadt war, und so viel auch Diethelm abmehrte, bald sprach Alles am Tisch nur Lob und Preis über ihn, denn der junge Handwerker, Kübler mit Namen, war Bräutigam mit der Bruderstochter Diethelms aus Letzweiler, und Diethelm allein war es, der das Mädchen ausstattete, so dass zu Neujahr die Hochzeit sein sollte. Diethelm nickte bejahend, als der Kaufmann Gäbler sagte: „Wenn Der Vetter Diethelm für. Euch gut sagt, Kübler, könnt Ihr bei mir holen, was Ihr wollt.“ Immer aufs Neue erhob sich das Lob Diethelms, der mit fürstlicher Freigebigkeit seinen Verwandten aufhelfe und der Sternenwirth nannte ihn sogar einen Napoleon. Anfangs war Diethelm dieser Ruhm im Beisein seines Gläubigers peinlich gewesen; als aber auch der Kastenverwalter einstimmte, war es ihm, als wachse er immer. Und als endlich der Beginn des Honoratioren-Balls in der Post angekündigt war, trat Diethelm so breit in den Saal, dass die beiden Flügelthüren nicht vergebens aufgemacht waren.
Diethelm fühlte sich bei all seinem Stolz doch bald nicht recht wohl bei dieser Lustbarkeit. So genehm es ihm auch war, mit Beamten an Einem Tisch zu sitzen, er machte sich doch bald zu dem alten Sternenwirth, der daheim in der untern Stube geblieben war, und hier ging ihm eine neue Hoffnung auf. Der Sternenwirth sagte offen, dass er und Diethelm keine Unterhändler brauchten und erklärte geradezu, dass sein Wilhelm und die Fränz wohl für einander passten; er verbreitete sich sehr über die wirthliche Tüchtigkeit eines klugen Bauernmädchens und wie wohl angelegt hier eine reiche Mitgift sei. Diethelm gab nur abgebrochene Antworten und hielt dabei immer der Art inne, dass der Sternenwirth etwas einschieben musste. Immer wohlgemuther und zutraulicher wurden die beiden Genossen, denn der Sternenwirth bewährte heute an sich seine alte wirthliche Ermahnung: „Der Wein hängt an einander.“ Mit diesem Worte brachte er immer wieder volle Flaschen auf den Tisch.
Spät in der Nacht, als die Gäste sich bereits entfernt hatten, sassen Diethelm und Fränz noch bei den Wirthsleuten und es war ihnen Allen so vertraut zu Muthe, dass man sich gar nicht trennen mochte; und doch sprach man nichts von der neuen Familieneinigung, aber diese schien Allen in der Seele zu leben.
Um dieselbe Zeit sass in Buchenberg noch die Frau Diethelms harrend bei der einsamen Lampe. Es war eine Frau von grosser hagerer Gestalt und feinem fast vogelartigem Gesichte, sie war ersichtlich älter als Diethelm; und wie sie jetzt tief Athem holend. vom Spinnen aufschaute und in die Lampe hinein starrte, sah man, dass ein schwerer Kummer sich in diesem Antlitze heimisch angesiedelt hatte. Sie hatte heute alle heimkehrenden Marktgänger nach ihrem Mann ausgefragt: die Einen gaben nur halben Bescheid, die Anderen verkündeten Dinge die unglaublich waren. Freilich hielt Diethelm streng darauf, dass sie keine volle Einsicht in seine Handelschaft hatte, so viel aber wusste sie doch, dass er jetzt baar Geld brauchte, er konnte also unmöglich eingekauft haben. Mit den heimkehrenden Marktgängern, ihren mitgebrachten Lederspangen, Gewandstoffen, Kinderpfeifen und Kindertrompeten, mit der Musterung der eingekauften Pferde und Kühe, vor Allem aber mit der lärmenden Laune der Angetrunkenen war etwas von dem geräuschvollen Marktgewühl in das stille Dorf gedrungen und die Heimgebliebenen sahen dem verwunderlich zu; vor Allen aber betrachtete die Grobbäuerin — wie Martha Diethelm noch immer nach ihrem ersten Manne genannt wurde — das Alles als wäre es etwas Unerhörtes. Da zeigten die Einen — die neuen Schuhe und Stiefel, die sie in der Hand trugen und liessen um den Preis rathen, oder sie übergaben den Kindern die für sie eingekauften, die damit davon rannten; Andere liessen ihre neuen Hüte mustern, die sie auf dem Kopfe trugen, während sie die alten in der Hand hielten, und mancher Spassvogel stülpte den neuen Hut über den alten auf den Kopf. Der Schmied hatte seinen Weissdornstock quer über den Rücken gelegt und die Arme als Haken darüber geschlungen, Martha wusste nicht, war es die Weinlaune oder Ernst als er ihr berichtete: der Diethelm käme zehnmal so reich wieder heim. Als es wieder still im Dorfe! wurde, in den Häusern die Lichter erflammten und ein Jedes im Kreise der Seinen erzählte, was ihm am heutigen wichtigen Tage begegnet war, sass Martha noch immer im Dunkeln in ihrer Stube; ihr war so bang, sie war wie festgezaubert, dass sie der Magd nicht nach Licht rufen konnte; und als diese endlich von selbst damit kam, heiterte sie sich wieder auf: es war ja nichts geschehen, worüber sie zu, bangen ein Recht hatte, und sie liess sich gern von der Magd berichten, welche neue Kleider u. dgl. in das Dorf gekommen waren. Als endlich Schlafenszeit und noch immer kein Diethelm und keine ausdrückliche Nachricht von ihm kommen wollte, schickte sie die Magd zu Bett und setzte sich an ihren Spinnrocken, um sich wach zu halten. Die Wanduhr schlug neun, die an Ketten hängenden Gewichte rasselten nieder und pochten an den Uhrenkasten. Martha erhob sich und zog die Uhr auf, sie erinnerte sich, wie in der ersten Zeit ihrer Ehe, als Diethelm noch ,,hauslich“ war, er jeden Abend selbst zur bestimmten Stunde die Uhr aufgezogen; sie betrachtete das Zifferblatt: da stand mit grosser Schrift ihr Name und der Diethelms, so wie die Jahreszahl ihrer Hochzeit in einem Blumenkranze. Damals als die Uhr zum Erstenmal hier hing, war grosse Freude, und wie viel schwere Stunden hat sie seitdem geschlagen und wie ist sie selbst ein Erinnerungszeichen des Zerfalls geworden, denn diese einfache Uhr kostete dreitausend Gulden; Diethelm halte für seinen Schwager, der sich mit dem Uhrenhandel beschäftigte, um diese Summe Bürgschaft geleistet, der Schwager war in der Fremde geblieben, und man konnte noch von Glück sagen, dass er seine Familie nachkommen liess, nachdem man sie mehrere Jahre ernähren musste.
Ach! An Alles knüpften sich traurige Erinnerungen.
Es war still ringsum, denn das Haus Diethelms lag weitab vom Dorf auf einer Anhöhe. Martha öffnete das Fenster, horchte hinab und schaute hinein in die sternglitzernde Nacht, dann setzte sie sich wieder zur wachhaltenden Arbeit und ihr ganzes Leben zog an ihrem Sinnen vorüber. Jung verheirathet an einen grämlichen, bis zum Hungerleiden geizigen Mann, der nicht umsonst der Grobbauer hiess, hatte sie ein schweres Loos; sie gebar drei Kinder, von denen sie zwei begrub und nur das älteste, eine Tochter, war ihr geblieben als auch ihr Mann starb. Sie verfeindete sich mit ihrer ganzen Familie, besonders aber mit ihrem Bruder, dem Schäuflerdavid, als sie ihren überaus schmucken Knecht, den Diethelm heirathete. Die Leute sagten, der Diethelm habe um die Tochter Martha’s gefreit, die Mutter aber habe ihn für sich behalten. Bald nachdem die Tochter auf den Kohlenhof, zwei Stunden von Buchenberg, verheirathet war, feierte Martha ihre Hochzeit mit Diethelm. Dieser, obgleich zwölf Jahr jünger, schien überaus glücklich mit seiner rüstigen wohlhäbigen Frau, er ehrte und erfreute sie, wo er es nur immer vermochte und schien sich noch immer fast als Knecht zu betrachten, denn er verfügte über Nichts in Haus und Feld, ohne vorher die Frau darum zu befragen.
Buchenberg gehört noch zu jenen Dörfern, wo Alles mit einander verwandt ist, weil die grossen Bauern nur unter sich heirathen. Um so glücklicher durfte sich Diethelm schätzen, vom fremden Knechte zum reich angesessenen Hofbauern erhoben zu sein. Er schien das auch zu erkennen. Bald aber erhielt Martha die Kunde, wie er hinter ihrem Rücken über Grosses verfügte und namhafte Summen seinen Verwandten schenkte. In seltsamer und doch so häufig vorkommender Verkehrtheit ging sie Tage ja Wochen lang mit tiefem, immer sich steigerndem Zorn in der Seele umher, und unversehens, bei den geringsten Anlässen, brach sie in Verwünschungen, in Schelten und Weinen aus, dass Alles zu Grunde gerichtet werde. Die Erwartung, dass Diethelm endlich selber seine geheime Schuld bekennen würde, konnte immer schwerer in Erfüllung geben, denn Diethelm sah nun auf Einmal in seiner Frau ein verändertes zänkisches Wesen, sah sich für sein ganzes Leben ans Unglück geschmiedet und freute sich im Stillen doppelt, dass er in der Aufhülfe seiner Familie doch noch eine Freude habe, während ihm sonst nur Leid bevorstand. Er wusste doch jetzt, wofür er das zu erdulden habe. Dem allzeit keifenden Wesen seiner Frau setzte er unverbrüchliches Stillschweigen gegenüber; und als er dies endlich brach, da die Frau ihn im Beisein des Metzgers über den eigenmächtigen Verkauf eines Kälbchens hart anliess, erfuhr er endlich die lange verhaltene Ursache vom Zorn seiner Frau. Jetzt aber war der gerechte Grund ihres Unwillens längst in ihm vernichtet und abgebüsst, und mit schneidendem Spott erklärte er seiner Frau, dass er nicht, wie sie, kein Herz für die ihm angehörige Familie habe.
So verkehrt es auch war, dass Diethelm seiner Frau ein Verhältniss zum Vorwurf machte, das doch nur um seinetwillen, eingetreten war, so wirkte dies doch so erbitternd auf Martha, dass sie, ohne ein Wort zu sagen, mit hervorgequollenen Augen, mit knirschenden Zähnen und zitternd gekrallten Fingern auf Diethelm eindrang, als wollte sie ihn in Stücke zerreissen. Diethelm stand starr und regungslos bei diesem Anblicke. So hatte er sich nie gedacht, dass seine Frau werden könne. Als sie nun ihm ganz nahe war, verzerrten sich ihre Mienen zur grimmigsten Fratze; aber sie letzte nicht Hand an ihn, sondern stiess nur einen unartikulirten Schrei höchster Verachtung aus und verliess die Stube.
Von jenem Tage an und gerade aus dem Ausbruch von so mächtigen Zorn- und Hassgedanken war eine seltsame und doch wieder so leicht erklärliche Einkehr in den Gemüthern der beiden Ehegatten vorgegangen. Diethelm erkannte und sprach es aus, dass er seiner Frau Unrecht gethan, da sie vollberechtigt sei, in der Verwendung ihres Besitzthumes darein zu reden. Er erklärte ihr nun die Hülflosigkeit seiner Angehörigen, und wie er sich schämen müsste, selber im Ueberflusse zu leben, während seine Nächsten darbten. Auch Martha erkannte dies und dass sie ungerecht gegen ihren Mann gewesen, aber ausdrücklich bekennen konnte sie das nicht, obgleich sie oftmals auf Diethelms Gutherzigkeit zu sprechen kam und dabei das zum Verzweifeln karge Wesen ihres verstorbenen Mannes erwähnte. Sie schickte nun selbst, so oft sie Gelegenheit gab, Allerlei nach Letzweiler, und Diethelm, nun vollkommen gedeckt, wollte allen seinen Angehörigen gründlich aufhelfen. Ein wirklich ungewöhnlich mächtiger Familiensinn, dabei aber auch die Lust, frei und offen über ein grosses Besitzthum zu verfügen und vor Allem die Ehre und der Ruhm, der ihm dadurch ward, liessen ihn fast keine Grenzen mehr kennen.
Das Haus des Grobbauern, das ehedem von den Bettlern gemieden war, zeigte sich seit Diethelms, Zeiten als die reichste Quelle der Wohlthaten, und es wurde viel gerühmt, dass Martha nie einem Armen eine abgerahmte Milch gab.
Eine Eigenschaft zeigte sich bei Diethelm in Allem: es war eine unersättliche Ehrbegierde; er hätte lieber das tiefste häusliche Elend ertragen, ehe er davon etwas in der Welt verlauten und so seine Ehre blossstellen liess. Als nun nach fünf Jahren kinderloser Ehe die kleine Fränz geboren wurde, war er voll steten Jubels und an dem Kinde schien immerwährend sein ganzes Leben zu hängen. Aus dem Gespräche der beiden Schäfer ist uns noch erinnerlich, welch’ eine seltsame Lebenswendung Diethelm einschlug und wie bald keine Spur mehr davon übrig war, dass er einst das Besitzthum seiner Frau wie ein Dienstbote betrachtet hatte. Er schien fortan keine Ruhe mehr in seinem Hause und in seinem ganzen Leben zu haben; es kam hierüber zu heftigen Erörterungen, und Diethelm behauptete ein für allemal, er habe es versäumt, seine jungen Jahre zu geniessen und müsse das jetzt nachholen. Von jener Zeit an sah Martha, welch’ ein Leben ihr geworden war, sie liess Alles ohne Widerrede geschehen, den Güterverkauf, den Fruchthandel, die Schafhalterei; sie hatte einen Mann, der sie des Reichthums wegen geheirathet, und der nun, dessen gewohnt, ihrer kaum mehr achtete und seine Freude ausser dem Hause suchte. Das war aber nicht immer der Fall, denn Diethelm, hatte Zeiten, da er voll Ehrerbietung gegen seine Frau war und sie scherzweise Meisterin nannte, und die Frau hatte bei all’ ihrem vergrämten Wesen doch oft Mitleiden mit dem Mann, der vielleicht mit einer jungen minder begüterten Frau glücklicher geworden wäre. So lebten diese Leute schon zwei und zwanzig Jahre in der Ehe und hatten noch ihre Einigung nicht gefunden, und doch strebte eigentlich im Innersten ein Jedes dem Andern zu Gefallen zu leben und war auch viel Streit und Zank zwischen ihnen: war das Eine vom Andern entfernt, gedachten sie mit inniger Sehnsucht einander und die Frau besonders war dann bestrebt, gegen Jedermann ihren Diethelm zu preisen. An Fränz, wenn sie zu Haus war und nicht nach ihrer Gewohnheit den Vater überall geleitete, hatte sie keine Stütze; denn das Mädchen hatte das hoffärtige Wesen ihres Vaters geerbt: Grossthun, die Welt in Neid von sich reden machen, war ihr ewiges Dichten und Trachten, und sie schalt wie Diethelm die Grämlichkeit und das Schwarzsehen der Mutter eine Alterskrankheit, die sie höchstens bemitleidete.
Martha sass jetzt allein, rückwärts schauend in die Vergangenheit und vorwärts nach ihrer einzigen Sehnsucht: dem Tod. Da hörte sie einen Wagen die Strasse daherfahren, eine Männerstimme rufen, und mit der Freude eines Mädchens, das den Bräutigam erwartet, rief sie zum Fenster hinaus in die Nacht: willkommen Diethelm! Es antwortete Niemand, sie steckte schnell die Ampel in die Laterne, eilte hinab und als sie die Ankommenden sah, schrie i sie jammernd laut auf.
,,Was habt Ihr, Meisterin?“ fragte der Schäfer, dem sein Bruder voraufgegangen war.
„Was will der Landjäger?“ fragte die Frau.
,,Das ist kein Landjäger, das ist ja mein Munde,“ antwortete der Schäfer, und Munde sasste die Hand der Frau, die zitternd, und kalt war.
Als Medard in der Stube die Vorgänge in der Stadt erzählte, presste die Frau die Lippen und ihre, vogelartige Nase wurde kreideweiss; sie sprach, kein Wort und schüttelte nur mehrmals mit dem Kopf. Als sie endlich in ihrer Kammer allein war, warf sie sich auf die Kissen und weinte hinein und schrie die Worte: „Ausborger! Vergantet! Letzweiler Lump.“ Dann richtete sie sich wieder schnell auf, riss die Kissen vom Bett und schrie wie rasend: „Das Alles wird versteigert, Ales. Auf’s Stroh, auf’s Stroh bringst du mich.“ Sie warf sich auf das Stroh und weinte lange, bis sie endlich einschlief.
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