Читать книгу Tödlicher Aufguss - Axel Birkmann - Страница 6

Die schwarze Lilie

Оглавление

Kreithmeier war froh als er wieder in seine Straßenkleidung geschlüpft war und neben Melanie im Auto saß. Für seinen Geschmack war die Therme eher nicht. Nicht, dass er etwas gegen eine Runde Saunieren, Entspannen und Relaxen hätte, nein, überhaupt nicht, was ihn an der Therme störte, war diese enorme Ansammlung nackter Körper. Und es waren vor allem so viele hässliche darunter. Ein junger Mädchenkörper könnte ihn schon begeistern, doch die meisten Gäste waren seiner Meinung nach scheintot, oder sie hatten es noch gar nicht gemerkt, dass sie schon gestorben sind. Und der Name Paradies war auch treffend. Obwohl einige von den Gästen sicher in die Hölle gehörten.

Und so ging es die ganze Zeit auf ihrem Weg von Erding nach Freising. Nichts als Lästereien und Genörgel, bis Melanie abrupt auf die Bremse trat und den Audi rechts ran fuhr.

»Bist du jetzt bald fertig. Du müsstest dich mal selbst hören. Hast selbst bis vor ein paar Wochen noch einen durchs fette und einseitige Essen verformten Körper gehabt und jetzt meinst du, du kannst so ohne Weiteres über die Leute in der Therme mosern? Du bist auch kein Adonis. Und wenn du jetzt nicht aufhörst, dann schmeiße ich dich hier raus. Wir haben einen Mord aufzuklären und keinen Erfahrungsbericht über die Erding Therme zu schreiben.«

»Entschuldige, Melanie. Ich war noch nie unter so viel nackten Leuten.«

»Was ist denn daran schlimm? Wir haben in der DDR eine richtige Freikörperkultur gehabt. Es war die einzige Möglichkeit uns frei zu bewegen. Einem nackten Mann kann man kein Mikrofon in die Tasche stecken. Der Ausdruck unseres unbändigen Freiheitsdranges in einer eingeschlossenen Gesellschaft.«

»Sorry, ich ....«

Melanie war sauer und in Fahrt und sie ließ ihn nicht zu Wort kommen: »Unsere Freikörperkultur in der ehemaligen DDR hat über alle spießbürgerlich-kapitalistischen und religiösen Vorurteile gesiegt. Nur im kapitalistischen Amerika musste man dem kranken Gemüt mit Reizmitteln nachhelfen und den Körper in verwegene Bademoden stecken, die einerseits als erotische Stimulans dienten, andererseits den Textilkonzernen beträchtliche Summen einbrächten. Das alles hatte einmal eine Schauspielerin an unseren Ministerpräsidenten geschrieben. Die FKK Jünger wurden teilweise sogar von der Stasi verfolgt. Und Nacktbaden war verboten. Und jetzt regst du dich auf. Alter Spießer.«

»Ich bin schon ruhig. Fahr bitte weiter.«

Melanie blickte ein letztes Mal grimmig auf ihren Beifahrer, dann steuerte sie den Audi mit durchdrehenden Reifen zurück auf die Straße. Zurück in der Dienststelle in der Haydstrasse in Freising begann Melanie sofort mit unbeirrbarem Aktionismus ihre Planungstafel ins Büro zu rollen und sie mit den neuesten Informationen zu bekleben: Bilder von der Therme, von Markus Backhaus, daneben schrieb sie seinen Künstlernamen Black Beth und darunter den Namen des Saunabediensteten Martin Wildgruber. In eine Ecke schrieb sie Black Lady mit schwarzer Lilie und darunter Freundin mit weißer Lilie. Dann fügte sie mit einem roten Filzstift Pfeile zwischen den einzelnen Namen und Bilder hinzu, überprüfte noch einmal alles, rollte ihren Schreibtischstuhl vor die Wand, setzte sich, atmete tief ein und aus und rief: »Fertig!« Alois hatte ihr ohne einen Kommentar hinzuzufügen zugesehen.

»Und jetzt?«, fragte er kleinlaut. Sie war immer noch böse auf ihn. Hatte er doch mit seinem Gemosere gegen ihre politische Ideologie von »Nackt und Frei« gemeckert. Und das hatte sie ihm wirklich krumm genommen.

»Jetzt lassen wir die Spurensicherung antraben. Der Wagen von Backhaus ist übrigens auch schon gefunden worden. Er steht noch auf dem Parkdeck in der Therme. Du hast die Schlüssel. Wenn du am Donnerstag in die Therme fährst kannst du den Wagen ja mitbringen.«

»Wie bitte?«

»Am Donnerstag ist dieses Extremisten Treffen. Da bringst du den Wagen ganz einfach mit.«

»Ich soll schon wieder ....«

»Wer denn sonst? Ich vielleicht?«

»Ich hatte gedacht ....«

»Ach, du hast gedacht, dass ich als Anhänger des Freikörperkultes quasi prädestiniert bin für verdeckte Ermittlungen in einem Nacktbereich. Und das am besten noch mit dir zusammen, damit du mir die ganze Zeit auf meinen Arsch und auf meinen Busen starren kannst. Das kannst du dir abschminken. Den Job machst du alleine. Oder.....« Melanie machte ein kurze Denkpause. »Oder du nimmst den Zeidler mit, dem macht das sicher Spaß, knackigen tätowierten Mädels auf den Hintern zu schauen, oder treibt der es lieber mit Jungens? Auch gut. Nimm den Zeidler mit und ihr beiden werdet einen Riesenspaß haben. Und wahrscheinlich werdet ihr an diesem Tag noch die beiden Ältesten sein, so wie mir der Wildgruber die Szene erklärt hat.«

»Das kannst du nicht von mir verlangen«, flehte Kreithmeier sie an.

»Das ist die leichteste Übung. Ein kleiner Anruf bei der Lehner und sie spendet euch beiden den Eintritt.«

»Hexe, alte Hexe!«, rief Kreithmeier und rannte aus dem Büro.

»Ich werde anfangen zu schreiben«, fluchte er, »und in meinem ersten Roman wird eine Hexe aus Thüringen mit langen blonden Haaren bei lebendigem Leib auf dem Scheiterhaufen natürlich barbusig und nackt verbrannt.«

Er schritt runter auf den Hof, setzte sich in sein Auto und fuhr nach Hause. Gleich nach dem er die Klinke herunter gedrückt hatte, wurde er von Gizmo überfallen, seinem treuen Hund, den er heute zu Hause lassen musste, der sich aber jetzt unbändig freute, dass sein Herrchen ihn abholte.

Bevor er zurück ins Büro zu seiner Thüringer Hexe fuhr, lief er mit Gizmo in den Isarauen entlang. Gizmo freute sich und tanzte um sein Herrchen, markierte zwischendurch den einen oder anderen Baum und erschnüffelte an den Spuren anderer Hunde, was hier so alles losgewesen war in den letzten Stunden.

Alois war sauer, auf sich, auf seine Kollegin, auf den Fall, auf den Backhaus, einfach auf alles und auf jeden. Er fragte sich, wie konnte man mit solchen Trivialromanen so viel Geld verdienen, dass man sich so ein modernes Haus und das auch noch in einer der besseren Wohngegenden von Freising leisten konnte. Und da ließ sich der Mann auch noch im Nacktbereich einer Wellness Oase wegrichten.

Wie blöd musste man denn sein? Und wie ausgefuchst und berechnend musste erst der Mörder sein, dass er überhaupt auf so eine Idee kam? Ein einfacher Schuss ins Herz oder zwischen die Augen hätte es doch auch getan. Das wäre sauber gewesen. Aber so dachten die Mörder nicht mehr, wenigsten die, mit denen er es zu tun hatte. Das waren nicht viele, aber komischerweise fanden die letzten Morde immer an einem Montag statt.

Der Tote Hund, der Tote auf der Startbahn und jetzt der Tote im Salzstollen. Und immer wurde er gestört, wenn er mit seiner Kollegin abends unterwegs war und ihr für ein paar Augenblicke näher kam. Dann kam ein Anruf, ein Leichenfund und alle Romantik war verschwunden. Der öde Alltag hatte sie wieder. Und dann begann alles von vorn: Streiten, Hänseln, ihre Witze wegen seiner Kleidung, ihre Anspielungen auf seine Körperfülle, insbesondere seinen Bauch, seine Einsamkeit in seiner Bude und sein ungesundes Essen. Und so weiter. Das Leben ist schon komisch.

»Komm Gizmo, wir müssen wieder. Du kommst mit ins Revier. Und du hörst heute nur auf mich. Und die Melanie ist böse. Du wirst sie mit Verachtung strafen. Hörst du?«

Gizmo wedelte mit dem Schwanz als er den Namen Melanie gehört hatte.

Es war egal, was sein Herrchen ihm alles gesagt hatte, als sie zurück auf dem Revier waren, sprang er sofort an Melanie hoch und holte sich von ihr seine Streicheleinheiten ab. Kreithmeier murmelte nur noch verbittert »Verräter«.

Gizmo überhörte es und kuschelte sich dann auf seine Schmusedecke.

»Schön, dass der Herr wieder da ist. Rainer Zeidler von der Spurensicherung kennst du ja und was soll ich dir sagen, er ist begeistert von der Idee, dich am Donnerstag auf Kosten der Dienststelle ins Sauna-Paradies zu begleiten. Na, was sagst du jetzt?«

Kreithmeier hatte den Zeidler zunächst gar nicht entdeckt. Jetzt sah er ihn am Fenster stehen mit seinen zu einem Pferdeschwanz zusammen geknoteten langen Haaren und seiner dicken Nase, wie er ihn verschmitzt anlächelte.

»Da reden wir noch darüber. Und lach nicht so schelmisch, Rainer. Wieso willst du überhaupt mit mir zusammen nach Feierabend in die Sauna gehen. Bist du schwul?«

»Überhaupt nicht. Was denkst du denn von mir?«, fragte der Angesprochene feindselig.

»Gar nichts. Erzähl mir lieber, was ihr im Haus von Backhaus gefunden habt.«

»Nichts!«

»Wie nichts?«

»Wie ich schon sagte, nichts!«

»Kannst du dich bitte mal etwas genauer ausdrücken. Fingerabdrücke, Unterlagen, DNA Spuren, einfach alles?«

»Ich habe es gerade gesagt: Nichts!«

»Du willst mir doch nicht sagen, dass ihr in diesem riesigen Haus keinen einzigen Fingerabdruck gefunden habt?«

»Ja und Nein.«

Kreithmeier atmete tief ein: »Ja, was jetzt? Nerv mich nicht.«

»Wir haben einen gefunden.«

»Und?«

»Der Fingerabdruck gehört einem Mann, so um die 40 bis 50, eher etwas älter, grantig, schlecht gelaunt, versteht selten Spaß, wohnt alleine und hat einen Hund.«

Kreithmeier starrte Rainer Zeidler verblüfft an.

»Und das habt ihr alles aus den Fingerabdrücken ablesen können?«, fragte er ungläubig.

»Wir sind ganz einfach die Besten. Die Abdrücke waren auf einem Buch im Wohnzimmer. Sonst war alles klinisch rein. Keine Krümel, keine Hautschuppen, keine Haare. Wirklich nichts.«

Kreithmeier brauchte eine Zeit um Zeidlers Worte zu verstehen, doch dann lachte er hysterisch auf.

»Und die Fingerabdrücke stammen nicht zufällig von mir?«

»Doch mein lieber Alois, es sind deine. Melanie zieht ja immer sofort Handschuhe an, was man von dir nicht behaupten kann.«

»So, so, grantig, schlecht gelaunt und versteht keinen Spaß. Mit der Therme, das überlege ich mir noch, ob ich dich da mitnehme. Vielleicht sollte ich den Schaurig mal fragen.«

»Der Schurig geht höchstens mit einem Neopren-Anzug in die Sauna, der verklemmte Hund.«

»Wie redest du denn über deinen Kollegen? Aber Spaß beiseite, ihr habt wirklich nichts gefunden.«

»Wenn ich es dir doch sage. Alois, ich mache den Job jetzt schon einige Zeit, aber ich habe in meinem ganzen Leben noch nie eine so klinisch saubere Wohnung gesehen. Das ist fast unheimlich.«

»Wahrscheinlich sind die Geister aus seinen Büchern mit einem großen Gespenster-Wischmob durch sein Haus gefegt.«

»Hahaha! Du glaubst mir nicht.«

»Sehr schwer. Wie sieht es mit Verwandten aus, Eltern, Geschwister, gibt es eine Freundin, was sagen die Nachbarn?«

Melanie zog eine Akte von ihrem Schreibtisch.

»Hier sind die Aussagen der Nachbarn. Der Backhaus muss sehr zurück gezogen gelebt haben. Keiner erwähnte Damen- oder Herrenbesuch. Einmal die Woche kam eine Putzfrau. Der Backhaus soll auch viel unterwegs gewesen sein. Was er beruflich machte, wusste keiner, es konnte sich auch keiner etwas Konkretes vorstellen. Der eine glaubte, er sei Software Entwickler, einer meinte, er wäre irgendein hohes Tier bei Texas Instruments. Sein wahres Ich hatte er immer gut versteckt.«

»Habt ihr irgendwelche Unterlagen gefunden, an was er gerade gearbeitet hat, ein angefangenes Manuskript, Recherchen, Unterlagen über seine Vermögensverhältnisse?«

»Er hat ein Konto bei der Freisinger Bank, ein paar Tausend Euro im Plus und einige Aktien in einem Depot. Knapp Dreihunderttausend. Das Haus gehörte ihm und ist bezahlt. Mehr wissen wir nicht.«

»Was ist mit einem Telefon?«

»Nichts. Kein Festnetz, kein Mobilfunk. Nicht bei seinen Sachen aus der Therme, und nichts im Haus.«

»Dann liegt es in seinem Wagen?«

»Vielleicht?«

»Wo ging er hin, wenn er einkaufen musste, wohin, wenn er abends etwas trinken wollte, was machte er am letzten Wochenende? Und wer machte seine Bude so sauber? Die Putzfrau?«

»Sie ist eine Türkin und war das letzte Mal vor einer Woche da«, antwortete Zeidler.

»Also hat jemand anderes sein Haus gereinigt, aber warum?«

Keine Antwort. Kreithmeier sah seine Kollegen fragend an.

»Habt ihr einen Rechner entdeckt? Melanie und ich haben einen Monitor auf seinem Schreibtisch gesehen, aber keinen Rechner.«

»Da muss ich dich leider enttäuschen. Nichts.«

»Was ist mit seinem Wagen. Wo steht der jetzt.«

»Immer noch auf dem Parkdeck in Erding. Du hast den Schlüssel noch.«

Kreithmeier blickte auf das Chaos auf seinem Schreibtisch, er schob ein paar Papiere auf die Seite und fand einen Schlüsselbund.

»Hier, das muss er sein. Schnapp dir den Schaurig und bringt den Wagen hierher. Was fährt er überhaupt für einen Wagen?«

»Laut KFZ Zulassungsstelle einen Audi A 5«, antwortete Melanie.

»Nur vom Feinsten. Bringt den Audi nach Freising. Vielleicht finden wir dort etwas?«

»Hat das nicht bis Donnerstag Zeit? Wenn wir sowieso in die Therme müssen«

»Nein, mein lieber Rainer, ihr holt den Wagen noch heute. Ich will wissen, was im Fahrzeug ist. Und warum man diesen Mann ermordet hat. Um Geld kann es nicht gegangen sein. Denn bis jetzt ist kein Testament gefunden worden und kein Erbberechtigter hat irgendwelche Ansprüche gestellt. Was ist eigentlich mit seinem Verleger? Steigen jetzt die Auflagen durch den Tod des Schriftstellers?«

»Das weiß ich nicht, aber ich werde mal im Verlag anrufen und mich erkundigen«, sagte Melanie.

»Wo werden die Bücher denn verlegt?«

»In Wernigerode, im Walpurgis Verlag.«

»Wo ist denn Wernigerode?«, wollte Kreithmeier wissen.

»Im Harz, in der ehemaligen DDR, in Sachsen-Anhalt. Unterhalb vom Brocken.«

»Harz, Brocken, DDR, Walpurgis? Gibt es denn nicht so etwas wie eine Walpurgisnacht?«

»Klar. Am 30. April. Sie kommt also noch. Traditionell gilt die Nacht vom 30. April auf den 1. Mai als die Walpurgisnacht. In dieser Nacht tanzen die Hexen wild auf dem Blocksberg, dem eigentlichen Brocken, herum. Es soll Sitte gewesen sein, dass in dieser Nacht die jungen Mädchen mit entblößten Genitalien über Steine rutschten, um sich dabei ihren Liebhaber zu wünschen.«

»Ich wusste es.«

»Was wusstest du?«

»Das du dazu gehörst, eine durchgeknallte Hexe aus DDR Beständen, nach West Deutschland geschickt, um den braven gottesfürchtigen Männern in Bayern den Kopf zu verdrehen.«

»Du chauvinistisches kleines Arschloch«, fauchte Melanie und formte ihre Finger zu scharfen Krallen, um Kreithmeier die Augen auszukratzen.

»Ich gehe dann mal lieber«, versuchte Zeidler sich aus dem Büro zu stehlen. Fast gleichzeitig drehten sich Melanie und Alois zu ihm um und riefen wie aus einem Mund: »Du bleibst da!«

Zutiefst erschrocken blieb Zeidler in seiner Bewegung verharren und drehte sich wie in Zeitlupe zu ihnen um.

»Du bleibst da!«, riefen sie erneut.

»Also Spaß beiseite. Rainer du holst jetzt mit dem Schurig den Wagen«, kommandierte Kreithmeier seine Kollegen, »Melanie, du kümmerst dich um den Hexenverlag, das passt zu dir, ich werde mich bei einigen Tattoo-Shops umhören, und mich nach der schwarzen Lilie erkunden. In zwei Stunden treffen wir uns wieder hier zum Rapport. Verstanden?«

Melanie und Rainer Zeidler nahmen Haltung an und salutierten mit einem lauten »Jawoll mein Führer.«

Kreithmeier winkte nur ab und tippte sich mit dem Zeigefinger an die Stirn »Ihr spinnt beide. Stopp Rainer! Was ich immer noch nicht von dir beantwortet bekommen habe, warum willst du so gerne mit mir zum Tattoo Treff in die Therme?«

»Weil ich auch tätowiert bin.«

Kreithmeier fiel der Kinnladen herunter: »Du?«

»Ja, ich!«

»Eine Rose am Hintern?«

»Natürlich nicht.«

»Was dann?«

»Du wirst es sehen.«

»Jetzt mach es nicht so spannend, nun sag schon, Melanie will es sicher auch wissen, gell Melanie?«

»Am Donnerstag. Und wenn sie es sehen will, sollte sie uns vielleicht begleiten.« Und schon war der Zeidler aus der Tür raus und im Flur verschwunden.

»Das wird ja immer schöner. Eine Hexe als Partnerin, ein tätowierter Spurensicherer, was kommt noch alles.«

»Ein chauvinistischer Kriminalkommissar.«

»Ich bin kein Chauvi.«

»Was noch zu beweisen wäre.«

»Komm Gizmo, lassen wir die Bocksberg Hexe allein, gehen wir Gassi.«

Gizmo sprang sofort von seiner Decke, als er das Wort Gassi hörte, er wirbelte durchs Büro, versuchte mit seinem Maul seinen eigenen Schwanz zu schnappen und folgte seinem Herrchen nach draußen. Melanie setzte sich an ihren Schreibtisch und griff zum Telefon.

Alois Kreithmeier wusste ganz genau wohin er wollte: In die Altstadt, in eine der kleinen Gassen in der Nähe des Marienplatzes, in ein Tätowier Studio, in den Laden mit dem fantastischen Namen »Dragonlady«, Drachenfrau. Seit die Thriller von Stieg Larsson in die Kinos, auf DVD und letztendlich auch ins Fernsehen kamen, begann ein richtiger Hype auf Tattoos, Piercings und Punk Kleidung. Eine der Schlüsselfiguren in seinen Romanen war Lisbeth Salander, eine junge Frau mit geheimnisvoller Vergangenheit, von Kopf bis Fuß gepierct und tätowiert. Und der Höhepunkt ihrer künstlerischen Bemalung ist ein Drachen auf ihrem Rücken. Der Name des Tattoo-Shops war nach dem Erscheinen des letzten Teiles der Saga geändert worden. Im Eingangsbereich überdeckte ein riesiges Poster der Lady mit dem Dragon Tattoo eine alte Tapete und im hinteren Bereich schmückte ein Poster der tätowierten verstorbenen Pornoqueen Sexy Cora die Wand.

Ein Mann stand gelangweilt hinter einem Tresen, blätterte in einer Zeitschrift und blickte kurz auf, als Alois Kreithmeier mit Gizmo an der Seite den Laden betrat.

»Grüß Gott!«, sagte der Kommissar höflich. Nur ein kurzer Blick, dann las der Mann weiter: »Mach ich, wenn ich ihn sehe.«

»Sie sind der Chef hier?«

»Wer soll ich sonst sein?«

Der Mann hatte einen kurzärmeligen Pullover an. Seine beiden Arme waren fast an jeder Stelle mit bunten Tattoos überzogen. Auf dem rechten Arm: Farbige Bilder von jungen Elfen, Drachen und anderen mythologischen Wesen. Auf dem Linken, so weit Kreithmeier erkennen konnte: Männer und Frauen in alten Gewändern mit blutunterlaufenen Augen und spitzen Zähnen – Vampire.

Kreithmeier wollte fast schon wieder gehen, denn er merkte sehr schnell, dass er hier nichts herausbekommen würde, das war halt nicht seine Welt. Sollte der Zeidler lieber hierher gehen und nach der schwarzen Lilie fragen. Das wäre sicher besser. Als er die Türklinke in der Hand hielt, kam der Mann hinter dem Tresen hervor und schritt auf ihn zu.

»Sven, mein Name ist Sven. Der Laden gehört mir. Was willst du? Hast du dich verlaufen, nach einem neuen Tattoo siehst du mir gerade nicht aus.«

»Das stimmt, ich wollte mich nicht stechen lassen. Aber ich bräuchte eine Auskunft.«

»Bist du ein Bulle?«

Kreithmeier zögerte: »Ja. Ich bin von der Kriminalpolizei.«

»Da schau her. Ich habe es mir fast gedacht, als du in den Laden hereingekommen bist. Ein Bulle. Und was kann ich für Sie tun, Herr Kommissar?«

Kreithmeier drehte sich um und kehrte zurück an den Tresen.

»Ich suche ein ganz spezielles Tattoo.«

»Für deine Freundin?«

»Nein.«

»Für deinen Freund?«

»Nein! Es ist eine Lilie. Es handelt sich um eine schwarze Lilie.«

»Eine schwarze Lilie. So etwas habe ich noch nie tätowiert, auch noch nicht gesehen. Die schwarze Lilie ist etwas aus der Mode gekommen. Sie war einmal sehr verbreitet. Nicht hier bei uns, aber in Frankreich. Und das vor langer Zeit.«

»Wieso denn das?«

»Komm, ich zeige es dir. Ein Bier, Herr Kommissar?«

»Nein Danke.«

»Ich verstehe schon, im Dienst. Setz dich, ich komme gleich wieder.«

Kreithmeier setzte sich auf einen der beiden Ledersessel und blätterte durch die Fotoalben mit den realisierten Tattoo-Mustern des Studios. Der Mann war plötzlich erstaunlich freundlich. Und das zu einem Polizisten.

»Da habe ich was. Die Lilie ist ein altes Göttinnensymbol und bedeutet Reinheit und Keuschheit, Unbeflecktheit und Jungfräulichkeit – auch im spirituellen Sinn. Hierbei ist aber auch die Farbe der Lilie zu beachten. Besonders die weiße Lilie steht für die vorgenannten Attribute. Eine schwarze Lilie bedeutet hingegen: Ehebruch und Unkeuschheit und wurde Ehebrecherinnen auf den Oberarm oder die Schultern als Brandmal eingebrannt. Die Jungfrau Johanna benutzte ebenfalls eine Lilie als ihr Symbol, so wie es auch das französische Königshaus seit Jahren tut. Grundsätzlich steht die Lilie für die Reinheit des Lebens und für dessen Lebenskraft.«

»Ich habe darüber gelesen. Die Nutten in Frankreich sind mit einer Lilie gebrandmarkt worden. Das war kein Tattoo sondern ein Brandeisen.«

»Wieso interessiert dich das, mein Kommissar?«

»Das kann ich leider nicht sagen. Ich ermittle noch. Aber es ist nett von Ihnen, dass Sie sich Zeit für mich nehmen.«

»Das bin ich dir doch schuldig. Einige meiner besten Kunden sind Polizisten.«

»Auch einer mit langen Haaren, die er seit ich denken kann in einem Pferdeschwanz trägt?«

»Mit einer etwas größeren Nase?«

»Ja!«

»Der Rainer. Natürlich, der ist schon oft bei mir gewesen. Immer sehr ausgefallene Sachen.«

»Und was?«

»Bei aller Liebe, Herr Kommissar. Diskretion. Du verstehst. Auch wir haben eine gewisse Schweigepflicht und Verantwortung unseren Kunden gegenüber. Du weißt gar nicht, wer sich hier schon alles stechen hat lassen, gerade auch von den gehoberen Herrschaften, und an was für Stellen. No Fucking Way. Do geht nix. Das musst du halt so hinnehmen. Zurück zu deinem Anliegen. Ich habe hier einen Schmöker über Symbolik. Das kann vielleicht interessant sein.«

Der Tätowierer ließ sich neben Kreithmeier fallen und schlug den Bildband auf.

»Hier steht einiges über die Lilie. Ich lese mal vor: Die Form dieser stilisierten Blume selbst geht zurück bis ins frühe Mesopotamien. Als Herrschersymbol wurde es in Österreich und in anderen Nachbarländern, auch in Deutschland, übernommen und findet sich in der Heraldik auf Schilden, Wappen und Flaggen wieder. Es wurde sogar zum Wahrzeichen von Florenz, der Stadt der Lilie.

Erst später wurde es zum Brandmal von Ehebrecherinnen, Verrätern und Sträflingen, die damit als „Unberührbare“ gekennzeichnet und teilweise deportiert wurden. Somit findet sich dieses Zeichen in den damaligen französischen Kolonien wieder und eroberte den amerikanischen Kontinent, wie zum Beispiel in New Orleans.

Auch in der Neuzeit fordert das Zeichen der Schwertlilie Hochachtung ein und steht für Edles und Adeliges. Es symbolisiert Perfektion, Reinheit und Leben. Die römisch-katholische Kirche adaptierte dieses Symbol daher für die Jungfrau Maria und aufgrund ihrer dreiblättrigen Basis für die Dreieinigkeit. In zahlreichen Kirchen findet sich daher dieses Symbol wieder.

Das Militär der Vereinigten Staaten verwendete es schließlich, um Macht und Stärke zu demonstrieren, denn es erinnert in seiner Form an eine Speerspitze.

Die Lilie soll sogar das Symbol einer Geheimorganisation gewesen sein, der berühmte Persönlichkeiten wie Da Vinci, Isaac Newton und Victor Hugo angehörten. So muss sie ihren Weg in die heutige Esoterik gefunden haben.

Mittlerweile ist die so genannte Ritter– oder Bourbonenlilie auch in der Gothic-Szene nicht mehr weg zu denken. Gerade bei den Vampiranhängern symbolisiert sie immer noch Herrschaft und Macht, Eigenschaften, die ohne Zweifel diesen Kreaturen zugeschrieben werden. Sie sind genauso unsterblich wie diese Lilie, tragen wie sie gute und schlechte Eigenschaften in sich und überdauern die Jahrhunderte wie sie – unbeschadet.«

»Vampire, so ein Schmarrn. Steht auch etwas über eine weiße Lilie darin?«

»Ja, hier. Die weiße Lilie steht nicht nur für Schönheit und Reinheit, sondern auch für den Tod. Sie gilt als Blume der Lilith. Das war die erste Frau Adams. Viele Mythen und Legenden ranken sich nicht nur im christlichen Glauben um diese faszinierende Blume. So heißt es, sie blüht besonders auf den Gräbern unglücklich Liebender oder unschuldig Hingerichteter, hier symbolisiert sie die Entsagung. Und sie soll als „Blume der Maria“ auch gegen Hexerei und schwarze Magie wirken, wenn man sie vor dem Haus pflanzt.«

»Danke für diese vielen Informationen. Warum lässt sich nun eine junge Frau eine schwarze Lilie auf den Hintern stechen und eine andere eine weiße?«

»Aha, Herr Kommissar, jetzt kommen wir der Sache schon näher. Sie suchen nach zwei Frauen mit diesen Blumen als Tattoo?«

»Ja. Und ich frage mich erstens, wer hat diese Arbeit getan und zweitens warum gerade diese Symbolik. Was bedeutet sie?«

»Muss sie denn etwas bedeuten?«

»Ich habe bei der Polizei auch erst lernen müssen, dass nichts dem Zufall überlassen ist und das alles einen Sinn hat und ergibt. Also warum zwei solche eigenartige Blumen auf dem Gesäß zweier hübscher junger Frauen?«

»Hübsch sind sie auch noch. Wir kommen der Sache näher.«

»Wie sind denn Ihre Kontakte zu anderen Tattoo Studios?«

»Sehr gut. Wir sehen uns immer wieder mal auf einer Erotikmesse oder auf der Tattoo Convention in München.«

»Könnten Sie für mich ein wenig rumhorchen, ob einer ihrer Kollegen diese Tattoos kennt oder sie sogar eigenhändig gestochen hat.«

»Herr Kommissar, ich soll für dich den Spitzel spielen?«

»Nur etwas rumhorchen, das können Sie besser als ich.«

»Sie sind mir einer, Herr Kommissar. Ich mache es, ich finde das für dich raus, unter einer Bedingung ...«

»Und die wäre?«

»Du lässt dich von mir stechen, ein kleines Tattoo, ganz nach deinem Wunsch, einen Kriminalkommissar hatte ich noch nie unter der Nadel.«

»Niemals. Das tut ja weh. Und ich bin kein Knacki oder Asozialer.«

»Jetzt mal halb lang. Tattoos sind längst gesellschaftsfähig. Selbst die First Lady, Frau Wulff hat eins. Ein Schlüsselloch, aus dem Flammen auflodern, ziert ihren rechten Oberarm.«

»Sie war die First Lady.«

»Wie bitte?«

»Bundespräsident Christian Wulff ist zurück getreten.«

»Auch egal. Dann die Ex First Lady. Also abgemacht. Du darfst den Platz und das Symbol aussuchen. Das Tätowieren mache ich.«

Sven schaute ihn herausfordernd an und hielt ihm die offene Hand hin. Kreithmeier zierte sich noch etwas, doch dann schlug er ein und wiederholte den Deal noch einmal: »Platz und Symbol suche ich aus. Und Sie erkundigen sich nach der Lilie. Und sagen Sie bitte nicht, dass Sie für die Polizei Fragen stellen.«

»Sehe ich aus wie ein Volltrottel? Natürlich nicht. Ich nehme dich beim Wort, Herr Kommissar. Wo treffen wir uns?«

»Ich komme. Keine Angst, ich komme schon.«

»Wer soll denn Angst haben, ich vielleicht?«

Kreithmeier kehrte mit seinen vorläufigen Informationen zurück ins Revier. Auf dem Parkplatz vor dem Gebäude stand ein Audi A 5. Das musste der Wagen des toten Markus Backhaus sein. Und ganz in schwarz. Passend, dachte Kreithmeier. Eine andere Farbe wie schwarz gab es nicht mehr. Schwarze Lilie. Schwarze Haare. Schwarzer Wagen. Schwarzes Ledersofa. Schwarzer Bucheinband. Schwarze Lippen. Schwarze Augen. In der Welt von Black Beth, der schwarzen Elisabeth, regierte die Farbe SCHWARZ. Dabei war Weiß gerade eben erst zur neuen Trendfarbe kreiert geworden.

Melanie und Rainer erwarteten ihn bereits. Auf ihrem Schreibtisch lag eine Spiegelreflex Digitalkamera mit Objektiv, ein Fernglas und rechts daneben ein Notizbuch. Es mussten die Sachen aus dem Wagen sein, dachte Kreithmeier, der sie beim Reinkommen auf dem Tisch liegend entdeckt hatte

»Schön, dass du pünktlich bist«, begrüßte ihn Melanie überfreundlich. »Wir wollten gerade anfangen. Die Ausbeute aus dem Wagen von Backhaus ist eher mager: ein Fotoapparat mit Objektiv, ein Feldstecher und ein Notizbuch. Aber berichte lieber du, Rainer. Schließlich habt ihr die Sachen ja gefunden.«

»Das gibt es nicht viel zu erzählen. Die Fingerabdrücke sind nur vom Opfer. Der Wagen wurde nicht gewaltsam geöffnet. Es kann höchstens jemand mit dem Schlüssel des Toten gemacht haben und den Schlüssel wieder zu seinen Sachen gelegt haben.«

»Wo wurden die Autoschlüssel gefunden?«, fragte Kreithmeier.

»In seinem Spind.«

»Und der Schlüssel zum Spind?«

»Lag unter dem Handtuch auf der Liege.«

»Er hatte ihn also nicht am Handgelenk?«

»Nein! Auf der Liege.«

»Danke, Erzähl bitte weiter!«

»Im Fahrzeug fanden wir diese Nikon Digitalkamera mit einem sehr lichtstarken Objektiv. Das kostet ein paar Tausend Euro.«

»Ein paar Tausend?«, fragte Kreithmeier ungläubig.

»Ja. Ich schätze so 6 bis 7000 Euro. Das hat eine extrem hohe Lichtstärke von 1:2. Damit kannst du nachts Aufnahmen ohne Blitzlicht machen. Das ist erste Sahne. Ein 200 mm Objektiv mit Festbrennweite. Der Traum eines jeden Hobbyfotografen ...«

»Mit großem Geldbeutel.«

»Klar! So etwas hat seinen Preis. Dann ein Nachtfernglas, was normalerweise nur von Jägern benutzt wird. Auch nicht ganz billig. Marke Steiner. Und ein Notizbuch 2012. Keine Eintragungen. Es wurden Seiten herausgerissen.«

»Und sein Mobiltelefon, wo ist das?«

»Nichts!«

»Nichts, nichts, nichts! Ich kann das Wort bald nicht mehr hören«, fauchte Alois.

»Was ist auf den Bildern in der Kamera?«, fragte er.

Rainer Zeidler nahm die Nikon in die Hand. »Ni..«, er stockte, überlegte und fuhr fort, »Leider keine Speicherkarte.«

»Du wolltest schon wieder nichts sagen. Scheiße. Das heißt wirklich, wir wissen nichts. Wir wissen nicht, was der gute Mann fotografiert hat, was er mit seinem Feldstecher beobachtet hat und welche Termine er in der letzten Zeit hatte?«

Zeidler schaute betroffen auf den Boden und sagte nichts. In den Händen hielt er immer noch die schwere Kamera, die er verlegen hin und her schwenkte.

»Richtig? Wir haben nichts?«, wiederholte Kreithmeier seine Frage.

»Da bin ich doch nicht dran schuld.«

»Das sagt ja auch keiner, ich habe nur einmal zusammengefasst. Es wäre auch ein Wunder, wenn wir einen Tag nach einem Mord schon mehr wie NICHTS hätten. Ich habe es hier noch nicht erlebt. Eines ist mir auf jeden Fall klar: der Backhaus war hinter etwas her. Und zwar etwas, was sich am Abend oder in der Nacht abspielt. Was sagt sein Verleger, Melanie?«

Melanie räusperte sich und schritt an die Plantafel.

»Backhaus wollte eine neue Romanserie beginnen. Über Vampire.«

»Und warum?«

»Weil seine Bücher rückläufig waren. Er hatte zwar immer gut verkauft, laut dem Verlag erschienen immer wieder Neuauflagen von Black Beth und ihren Untoten Romanen, aber die Umsätze stagnierten. Seine eingeschworene Fangemeinde wurde ihm schließlich untreu. Seine Leser wechselten zu Stephenie Meyers oder zu Vampire Diaries, zu Chicagoland Vampires oder zum Haus der Vampire. Daraufhin hat der Verlag ihm vorgeschlagen auch auf dieses Genre zu springen, um seine Fans wieder zurück zu gewinnen.«

»Und hat er das getan?«

»Anfangs muss er sehr verletzt gewesen sein und sich strikt geweigert haben, von seiner Zombiewelt abzuschwenken, aber dann muss es einen Ruck bei ihm gegeben haben und er hat dem Verlag einen neuen Roman versprochen, der alles, was bis jetzt über die Blutsauger geschrieben worden sei, in den Schatten stellen würde.«

»Große Worte leicht gesprochen.«

»Der Verleger, ein gewisser Herr Mommsen, wusste noch gar nicht, dass Backhaus alias Black Beth tot ist. Und es liegt noch kein Manuskript vor, auch kein Exposé oder eine annähernd grobe Darstellung über das, was Backhaus veröffentlichen wollte. Sein neuer Roman sollte nicht fiktiv sein, es sollte eine Tatsachenerzählung werden. Und im Herbst auf der Buchmesse in Frankfurt vorgestellt werden.«

»Eine Tatsachenerzählung? Was soll denn das sein? Wollte er damit ausdrücken, dass es echte Vampire gibt, und er darüber schreiben wollte?«

Melanie schüttelte den Kopf. »Mommsen war selbst überrascht über diese Aussage seines Autors, ließ ihm aber jedweden Handlungsspielraum, inklusive Vorschuss.«

»Was hat denn der junge Mann mit seinen Schmökern so verdient?«

»200.000 bis 300.000 Euro.«

»Für alle 17 Romane?«

»Nein, mein Lieber, pro Jahr.«

»Huiii! Das gibt es doch nicht. Rainer, was sagst du dazu? Ist das Leben nicht ungerecht? Wie kann mit so einem literarischen Müll so viel Geld verdienen?«

»Es ist Mainstream, Alois«, antwortete Zeidler. »Die Masse will es. Und mit der Masse verdienst du Geld. Viel Geld. Den Nobelpreis für Literatur bekommst du zwar nicht, aber ein tolles Haus in Freising, einen riesigen Flachbildschirm, einen geilen Wagen und eine geile Kamera. Was willst du mehr?«

»Toll. Live fast, love hard, die young. Lebe schnell, liebe heftig und stirb jung. Das war es dann. Sein Wagen steht bei uns auf dem Hof, mit der geilen Kamera spielst du gerade in der Hand rum und der gute Mann liegt tot in einem Kühlschrank in der Pathologie in Erding. Und sein Haus bekommt wer?«

»Wenn es keine Erben gibt und kein Testament, der Staat.«

»Super. Darauf kann ich verzichten. Aber weiter. Wer hat etwas davon, wenn Backhaus tot ist. Folge dem Geld, mein alter Spruch. Mommsen? Der Verleger.«

»Die Auflagen werden sicher wieder steigen. Denk mal an Stieg Larsson. Seine Bücher sind Millionen Mal auf der ganzen Welt verkauft worden. Einmal in Schweden verfilmt und jetzt ein Zweites Mal in Hollywood.«

»Und was hat er davon. Tot. Herzinfarkt. Überarbeitet. Vielleicht auch Curare? Richten sich die Autoren jetzt untereinander weg. Henning Mankell ist der Nächste. Und dann kommt die Joy Fielding. Und was ist mit Stephen King. Der wird von seinen selbst erschaffenen Monstern getötet und verspeist. Der Autorenkiller. Er ist mitten unter uns. Zuletzt hat er in Erding zugeschlagen.«

»Könnt ihr beiden Knallköpfe bitte wieder zurück auf unseren Fall kommen und das Spinnen lassen«, fauchte Melanie.

»Jawoll, My Lady, das machen wir. Wo ist das Manuskript von Markus Backhaus?«

»Nirgends aufgetaucht«, antwortete Melanie zaghaft.

»Das würde uns sicher helfen. Ich denke, der Bursche war jemandem oder etwas auf der Spur. Und seine Entdeckungen haben ihm, gelinde gesagt, schlichtweg das Leben gekostet.«

»So kann es gewesen sein.«

»Gab es schon einen Titel für sein Buch?«, fragte Alois seine Kollegin.

»Nur einen Arbeitstitel.«

»Und?«

»Jetzt lach mich bitte nicht aus.« Melanie zögerte.

»Komm schon, erzähl!«

»Die schwarzen Schwestern, Vampire auf der Jagd in Oberbayern«, sagte sie ohne die Miene dabei zu verziehen.

Kreithmeier und Zeidler blickten sich gegenseitig an. Dann prusteten sie beide los. Sie lachten so laut los, dass Melanie nichts anderes einfiel als mitzumachen. Nach ein paar Minuten hatten sich alle Drei wieder beruhigt.

»Ich kenne nur Jagdszenen in Niederbayern, aber Vampire auf der Jagd in Oberbayern. Das ist zu dämlich.«

»Es ist ja nur ein Arbeitstitel«, verteidigte Melanie den toten Schriftsteller.

»Auch, wenn es nur ein Arbeitstitel ist, da ist beiß mich bis zum Abendbrot wesentlich ansprechender«, schmunzelte Kreithmeier.

»Das heißt Biss zum Abendrot«, verbesserte Melanie ihn.

»Oder wie auch immer.«

»Du warst gestern mit mir in dem Film.«

»Lasst mich nur mit diesem ganzen Scheiß in Ruhe«, knurrte er. »Wir folgen der Spur aus der Therme. Der jungen Frau. Donnerstag ist Tattooing. Rainer, wir gehen dort hin. Ach übrigens, du bist in der Szene gut bekannt.«

»Was?«

»Der Sven von der Dragon Lady kennt dich ganz gut.«

»Was hast du denn dort gemacht?«, fragte Rainer erstaunt.

»Mich ein bisschen nach schwarzen Lilien umgehört.«

»Na dann erzähl mal.« Melanie sah ihren Kollegen neugierig und gespannt an. »Erzähl mal, was hast du beim Sven herausgefunden.«

»Sag bloß, du kennst ihn auch?« Alois sah man die Überraschung förmlich an.

»Ja, aber keine Angst, ich habe noch kein Tattoo. Aber ich war dort mal zu einem Informationsgespräch. Wirklich rein informativ. Ich habe mich nur beraten lassen.«

»Und zu welchem Entschluss bist du nach deiner Beratung gekommen?«

»Das mir ein Tattoo an einer sehr exponierten Stelle gut stehen würde. Doch das spielt jetzt alles keine Rolle. Aber jetzt erzähl endlich! Was hast du herausgefunden. Du bist dran, Kreiti.«

Alois Kreithmeier ließ sich auf seinen Stuhl fallen, rollte die Augen und gab einen knappen Bericht über die Bedeutung und Symbolik von Lilien. Von dem Deal zwischen ihm und Sven erwähnte er nichts. Das war eine Sache nur zwischen ihnen beiden, es würde reichen, wenn es dann passiert war. Aber vorher? Reden ist Silber und Schweigen ist Gold. Und so erzählte er nur das Nötigste, das Wichtigste verschwieg er. Das behielt er für sich.

Tödlicher Aufguss

Подняться наверх