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Die Villa in Attenkirchen

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Alois Kreithmeier und Melanie Schütz orderten einen Wagen der Fahrbereitschaft aus der Haydstraße, weil ihr Alkoholkonsum im Festzelt ein eigenes Fahren nicht rechtfertigen konnte und ihre beiden Fahrzeuge vor Kreithmeiers Wohnhaus parkten. Eine kurze Verabschiedung bei der Spurensicherung, mit dem ausdrücklichem Hinweis, die Untersuchungen bis zum Morgengrauen abgeschlossen zu haben, damit der Festzeltbetrieb ungestört am nächsten Tag weiter gehen konnte, und schon ging es los. Der augenscheinliche Wunsch des Oberbürgermeisters sollte auf jeden Fall berücksichtigt werden.

Die kleine Gemeinde Attenkirchen liegt an der Bundesstraße B 301 im Hallertauer Hügelland ungefähr dreizehn Kilometer nördlich der Kreisstadt Freising und einige Kilometer nördlich des Ampertals: das südliche Tor zur Hallertau, Deutschlands größtem Hopfenanbaugebiet. Obwohl der Hopfen schon geerntet war, und nur noch die hohen Holz-Draht-Gerüste der Hopfengärten die Landschaft zu prägten, war von den imposanten Gestellen nichts zu sehen. Es war Nacht und dicke Wolken am Himmel ließen das Mondlicht nicht durchscheinen. Nur der Scheinwerferkegel des Polizeiwagens beleuchtete die Straße und gab freie Sicht nach vorn.

Nach knapp einer Viertelstunde hielt der Wagen vor einem Tor in einer Seitenstraße in einem Neubaugebiet in Attenkirchen.

»So wir sind da, das ist die Villa der Familie Wirth. Ein imposantes Anwesen. Soll ich mit reinkommen?«, fragte der Uniformierte die beiden Kommissare dienstbeflissen.

»Nein danke, bitte warten Sie hier draußen auf uns. Wir wollen die Familie nicht gleich in der Nacht mit einer Polizeiuniform schockieren«, antwortete Kreithmeier höflich.

»Und mit Ihrem Aufzug sollte das wohl nicht passieren?« Der Polizist lächelte.

Alois sah Melanie erstaunt an und sie ihn. Sie hatten immer noch ihre Kleidung vom Volksfest an. Er steckte noch in der kurzen Lederhose und mit einem Janker darüber und sie in ihrem hellblauen Dirndl. Sie hatten beide noch keine Zeit gehabt sich umzuziehen.

»Mist!«, rief Kreithmeier. »Ich weiß auch nicht, was jetzt besser ankommt, zwei in Tracht mit Bierfahne oder ein uniformierter Beamter. Egal. Was soll’s. Sie bleiben hier. Wir kriegen das schon hin. Komm Melanie. Es wird nicht einfach, dem Sohn und der jungen Frau das Ableben vom Helmut Wirth zu berichten. Ein Scheißjob. Verdammt noch mal!«

Der Kommissar zwängte sich aus dem Streifenwagen und öffnete Melanie galant die Autotür.

»Sie schlafen schon. Das Haus ist dunkel«, sagte sie und zeigte mit der rechten Hand in Richtung Wohngebäude.

Das Wohnhaus war wirklich unbeleuchtet und verbarg sich hinter einer hohen Steinmauer mit einem schmiedeeisernen Tor. Alles war dunkel. Nicht einmal eine Notbeleuchtung erhellte den Fußweg zum Haupteingang.

Kreithmeier schritt auf das Tor zu und drückte auf die Klingel. Im Haus erklang eine tiefe Glocke. Es dauerte eine Weile, dann kam Leben in die Bude. Licht wurde eingeschaltet und eine Männerstimme hallte blechern aus der Sprechanlage.

»Was ist denn los? Wissen Sie denn wie spät es ist?«

»Herr Wirth, Herr Lukas Wirth?«, fragte Kreithmeier in die Sprechmuschel.

»Ja natürlich, wer denn sonst. Wer will das wissen?«

»Hier ist die Polizei, bitte öffnen Sie.«

»Bin ich zu schnell gefahren? Hat das nicht bis Morgen Zeit?«, lachte die Stimme hysterisch und der Mann tat keine Anstalten die Türe zu öffnen.

»Bitte öffnen Sie.« Kreithmeier hielt seinen Ausweis vor die runde Linse der Kamera über der Klingel. Sie müssten ihn im Hause sehen und erkennen können, dachte er.

»Bitte öffnen Sie, wir möchten mit Ihnen persönlich sprechen«, sagte er.

»Kommen Sie morgen wieder. Sie werden ja wohl keinen Hausdurchsuchungsbeschluss in der Tasche haben, oder?«, hallte es aus dem Lautsprecher.

»Wer ist denn da am Tor?«, war jetzt im Hintergrund plötzlich eine weibliche Stimme zu hören, die mit leicht osteuropäischem Akzent sprach. »Sag mir bitte Lukas, wer klingelt da bei uns in der Nacht?«

»Die Polizei, ich bin anscheinend zu schnell gefahren.«

»Blödsinn, die kommen nicht zu dir, die schicken dir einen Anhörungsbogen. Geh weg, lass mich mal.« Und zu den beiden Kommissaren über die Fernsprechanlage gerichtet: «Was wollen Sie von uns? Mitten in der Nacht. Ist etwas passiert?«

Melanie schritt vor und antwortete der Frau über die Anlage: »Wir müssen Sie sprechen und das bitte nicht hier auf der Straße. Es ist etwas passiert. Bitte öffnen Sie!«

Es dauerte ein paar Sekunden, dann brummte es in der Tür und Kreithmeier konnte die schwere Metalltür aufstoßen. Zur gleichen Zeit öffnete sich die Haustür. Ein Lichtschein fiel von drinnen auf die Eingangstreppe. Und rechts und links des gepflasterten Weges quer durch das Anwesen auf die Haustür zu, flammten kleine Bodenfluter auf und beleuchteten wie die Landebahn auf einem Flugplatz den Weg zum Haus.

Nach den beiden Kriminalkommissaren fiel das Tor wieder sanft von einem Motor angetrieben ins Schloss.

»Vornehm, vornehm«, murmelte Kreithmeier sichtlich erstaunt. Jetzt wo die vielen kleinen Lichter die Nacht fast zum Tage machten, konnten sie das erste Mal einen Blick auf die Wirth Villa werfen.

Ein exklusives Anwesen ganz im Stil eines italienischen Palazzos gehalten. Ein rechteckiger Kasten mit langen Fenstern, einem nur leicht angewinkelten Dach und einem auf römischen Säulen stehenden Vordach über der Eingangstür. In dieser standen nun zwei Personen, die sie, jeweils mit einem Morgenmantel bekleidet, neugierig erwarteten. Lukas Wirth war soweit man unter dem Bademantel sehen konnte, ein muskulöser junger Mann mit schwarzem, störrischem Haar, dunklen buschigen Augenbrauen, einem vollen Mund und einem kantige Kinn. Die Frau neben ihm war eine attraktive Blondine, in rosa Hausschuhen, einem dunkelroten Lippenstift auf ihren vollen Lippen und einem hellblauen Seidenschal um den Hals.

Ihr beider Gesichtsausdruck verstärkte sich noch, als die beiden erkannten, wer oder was, da, auf sie zu kam. Ein kräftiger Mann in einer kurzen Lederhose mit Trachtenhemd und Janker und an den Wadeln graugrüne Wadenschoner. Und die Dame an seiner Seite mit blonden hochgesteckten Haaren und in einem hellblauen Dirndl mit weißer Schürze. Die beiden an der Haustüre machten einen Schritt zurück und die Dame im Seidenmantel fragte zaghaft: »Und Sie sind sicher, dass Sie beide von der Polizei sind?«

»Natürlich!«, antwortete Kreithmeier grimmig, »lassen Sie sich bitte nicht von unserer Kluft täuschen. Wir kommen direkt aus Ihrem Bierzelt.«

Und, als ob er dieses noch irgendwie unterstreichen musste, wehte bei jedem einzelnen Wort, das er aussprach, ein unangenehm nach abgestandenem Bier riechender Hauch in die Richtung der Angesprochenen. Er hielt ihnen seinen Dienstausweis direkt vor die Nase.

»Bierzelt? Sie kommen geradewegs aus unserem Bierzelt?«, wiederholte der junge Mann die Worte des Kommissars wie in Trance. »Ist etwas mit unserem Zelt? Etwas mit meinem Vater?«

»Können wir vielleicht ins Haus gehen?«, fragte Melanie höflich aber bestimmt.

»Ja natürlich, bitte kommen Sie.« Die Frau lief voraus und geleitete die beiden Beamten ins Wohnzimmer.

»Nehmen Sie bitte Platz.« Sie zeigte auf eine gemütliche Sitzgruppe, die um einen offenen Kamin angeordnet war. Der junge Mann folgte ihnen.

Nachdem alle Platz genommen hatten, fasste sich der junge Mann als erster und fragte die beiden: »Also was wollen Sie von uns? Warum kommen Sie mitten in der Nacht in diesem Aufzug zu uns?«

»Sie sind also Lukas Wirth?«, fragte Kreithmeier und sah den jungen Mann eindringlich an.

»Ja, das habe ich Ihnen schon an der Sprechanlage gesagt.«

»Entschuldigen Sie bitte, ich wollte nur sicher sein und Sie sind Frau ...?«, er wandte sich an die Blondine.

»Mein Name ist Olga Bogdanow, ich bin die Lebenspartnerin von Herrn Helmut Wirth. Also was wollen Sie?«

Melanie holte tief Luft und sagte dann mit ruhiger Stimme: »Nun wir haben Ihnen beiden eine traurige Mitteilung zu machen. Ihr Vater, Lukas, und ihr treuer Lebenspartner, Frau Bogdanow, der ehrenwerte Helmut Wirth, ist heute Nacht verstorben.«

Obwohl sie die Worte bedächtig ausgesprochen hatte, schlugen sie bei den beiden wie eine Faust mitten ins Gesicht getroffen ein. Sie starrten die beiden Beamten mit weit aufgerissenen Augen an. Ihre Ohren hatten diese Worte akustisch vernommen, aber ihr Gehirn wollte dem Gehörten nicht glauben. Beide reagierten unterschiedlich. Der junge Wirth sprang auf und schrie, dass das ein blöder Scherz sei, wer sie denn geschickt hätte, und dass man mit so etwas keinen Unfug treiben solle. Er griff nach einem Telefon und wählte. Olga Bogdanow ließ sich zurück in den Sessel fallen und hielt sich die Hände vors Gesicht und murmelte etwas in einer osteuropäischen Sprache.

»Bitte setzen Sie sich wieder«, bat Kreithmeier den jungen Wirth. Melanie kümmerte sich in der Zwischenzeit um die Bogdanow.

»Er geht nicht an sein Handy«, rief Lukas Wirth zornig, »verdammt Papa, geh endlich dran. Er ist sicher noch auf dem Festplatz, macht wahrscheinlich noch die Abrechnung. Das muss alles ein Missverständnis sein.«

»Nein, das ist es nicht. Leider ist es wahr. Ihr Vater ist heute Nacht gestorben. Und sein Mobiltelefon hat mittlerweile die Spurensicherung.«

Olga Bogdanow nahm die Hände vom Gesicht und sah Kreithmeier verständnislos an.

»Die Spurensicherung? Was ist denn passiert?«

»Ihr Mann ist heute Nacht bei einem Gewaltverbrechen ums Leben gekommen.«

»Wie bitte?«, hakte sie nach. Sie traute ihren Ohren nicht.

»Helmut Wirth ist heute Nacht erschlagen aufgefunden worden. Er ist tot. Glauben Sie mir bitte.«

»Das ist ja schrecklich«, kreischte die Frau plötzlich hysterisch auf. »Wer hat das getan?«

»Das wissen wir noch nicht. Sollen wir Ihnen einen Arzt rufen, der könnte sich um Sie beide kümmern«, fragte Melanie einfühlsam die Frau.

»Nein, nein, das geht schon. Wenn Sie mir bitte ein Glas Wasser holen würden. In der Küche. Gläser finden Sie rechts im Schrank. Bitte.«

Melanie verschwand im Koch- und Essbereich des großen Wohnraumes und kam recht schnell mit einem Glas Wasser für die Dame des Hauses zurück.

»Für Sie auch ein Glas Wasser?«, fragte sie den Sohn.

»Nein Danke, es geht schon. Sie sagten erschlagen. Mit was ist mein Vater erschlagen worden?«, fragte Lukas mit zittriger Stimme.

»Mit einem Holzhammer. Eine seiner Mitarbeiterinnen hat ihn gefunden. Im Bierlager. Eine gewisse Frau Kasbauer. Kennen Sie die?«, antwortete Kreithmeier leise.

»Ja, ja! Sie ist die gute Seele unserer Firma. Sie arbeitet schon seit Jahren für uns. Aber wie geht es jetzt weiter. Wird das Volksfest vorzeitig beendet?«

»Nein, das wird es nicht. Der Oberbürgermeister Tobias Eschenbacher hat uns persönlich gebeten, alles Nötige dazu beizutragen, dass der Volksfestbetrieb Morgen ....«, Alois stockte kurz, sah auf seine Uhr, dann fuhr er fort, »dass der Volksfestbetrieb heute ohne Störungen und Verzögerungen weiter gehen soll. Ich hoffe auch, das ist in Ihrem Sinne. Oder würden sie gerne aus Pietät den Festzeltbetrieb einstellen?«

Lukas Wirth hatte sich wieder hingesetzt und schaute den Kommissar mit durchdringendem Blick an. »Nein, das wäre auch nicht im Sinne meines Vaters gewesen. Er betonte öfter, Allgemeinwohl kommt immer vor Einzelwohl. Und so soll es sein. Wir werden trotzdem alle Stunde eine Schweigeminute für meinen Vater einlegen. Ich werde das mit der Band absprechen.« Und zu seiner ehemaligen potentiellen Stiefmutter gewandt: »Wer sollte meinen Vater versuchen zu töten. Er hatte doch keine Feinde, oder.«

Olga Bogdanow drehte sich ihm zu, und sah ihn mit verweinten Augen an.

»Nein, er hatte keine Feinde. Wer sollte ihm so etwas antun. Ich weiß es nicht. Ich weiß es wirklich nicht.« Und zum Kommissar gewandt fragte sie: »Wissen Sie schon, wer es getan hat und vor allem warum?«

»Wir werden Sie jetzt verlassen«, sagte Melanie ohne auf die Frage einzugehen, »wir bräuchten sie aber morgen, verdammt, ich meine natürlich auch heute, es ist ja schon halb zwei, für eine Identifizierung des Toten und für eine weitere Befragung im Polizeirevier in der Haydstraße in Freising. Ist das möglich für Sie?«

Lukas und Olga sahen sich fragend an und nickten.

»Gut, dann kommen Sie bitte heute um 11 Uhr zu uns. Wer kümmert sich dann um das Festzelt?«

»Das regele ich schon. Keine Angst. Wir werden pünktlich sein. Kommen Sie, ich bringe Sie zur Tür.« Lukas Wirth erhob sich und begleitete die beiden Kriminalkommissare hinaus. Als er die Haustür hinter ihnen schloss, holte Alois erst einmal tief Luft.

»Ich hasse es solche Nachrichten zu übermitteln. Du weißt nie, wie sie reagieren. Eigentlich hätten wir von vornherein einen Arzt mitnehmen sollen.«

»Lass gut sein, Alois, die packen das schon. Hältst du einen von ihnen für verdächtig?«, fragte Melanie.

»So wie die reagiert haben, haben sie von dem Mord nichts gewusst, oder aber sehr gut geschauspielert.«

»Ich fand, es sah echt aus. Ich denke die wussten wirklich nichts. Obwohl es sicher um viel Geld geht. Aber warum trug die Bogdanow Lippenstift?«

»Vielleicht wollte sie ihren treuen Liebhaber so empfangen.«

»Tragt ihr Frauen denn Lippenstift im Bett«, wollte Kreithmeier wissen.

»Normalerweise nicht. Wenn es aber ums Geld gehen sollte. Das Haus ist ein Vermögen wert.«

»Was nützt dir das tollste Haus, wenn es am Arsch der Welt gebaut wird? Und wenn es noch der Bank gehört.«

»Hallo Alois, so weit ist Attenkirchen doch nicht von Freising, und dass das Haus der Bank, das weißt du doch nicht«, konterte Melanie.

»Die Holledau ist reich. Hopfen ist ein gutes Geschäft. Trotzdem möchte ich hier draußen nicht tot überm Zaun hängen. Freising ist ganz sicher nicht der Nabel der Welt, aber hier draußen sagen sich doch Fuchs und Hase Gute Nacht. Und ein Toskana Haus in so einem Bauernnest. Ich weiß nicht. Sieht für mich neureich und geschmacklos aus. Mir san in Bayern und nicht in Italien. Und die meisten neuen Häuser hier sind auf Pump.«

»Jetzt kommt der sture Oberpfälzer bei dir durch. Toleranz und Akzeptanz sind nicht unbedingt deine zweiten Vornamen.«

»Melanie!«

»Ja, Alois!«

»Melanie, es geht auch in diesem Fall sicher ums Geld. Folgen wir der Spur des Geldes und wir finden den Mörder. Über eine Million Umsatz während der Freisinger Wiesn, ein gut laufendes Ausflugslokal, dann die anderen Volksfeste im Land. Da kommt einiges zusammen. Auf jeden Fall konnte er sich eine heiße Russin leisten.«

»Eine Ukrainerin.«

»Eine was?«

»Eine Ukrainerin. Die Olga Bogdanow kommt aus der Ukraine, aus Kiew. Sie ist keine Russin.«

»Aber sie sieht aus wie eine. Ist ja auch egal. Russland oder Ukraine. Vor zwanzig Jahren war das alles gleich, alles Sowjetunion.«

»Will der Herr einer jungen Dame aus der ehemaligen DDR einen Geschichtsunterricht in russischer oder sowjetischer Politik geben?«

»Ach vergiss es. Ich meinte ja nur, dass sich der alte Wirth eine heiße Frau leisten konnte.«

»Heiß? Hat denn die Olga Bogdanow dem Herrn Kreithmeier gefallen?«

»Warum nicht. Sie hat ein hübsches Gesicht und einen wohlgeformten Körper.«

»Das ist also dem Herrn Kommissar aufgefallen, ihr Körper. Sogar durch den Morgenmantel hindurch. Männer!«

Alois Kreithmeier entgegnete nichts. Er öffnete Melanie die Wagentür und sagte brummig: »Steig ein, ich bin müde, ich mag nichts mehr reden. Auf!«

»Und wie ist es gelaufen?«, fragte interessiert ihr Kollege hinterm Steuer.

»Gut!«, sagte Alois knapp. »Alles gut. Fahr ma. Kollege. Fahr ma.«

Eine halbe Stunde später entledigte sich Alois seiner Kluft. Dann zog er sich einen Bademantel an und setzte sich zu seinem Hund aufs Sofa und kraulte ihm den Nacken. Während seine Finger das Fell seines treuen Gizmo durchwühlten, versuchte sein Gehirn Ordnung in die letzten Stunden zu bringen.

Wer brachte einen so angesehenen Mann wie den Helmut Wirth um? Und dann auf so eine grausame Art und Weise, ihm den Schädel einzuschlagen, und ihn dann in seinem Blut liegen zu lassen. Wahrscheinlich war er sogar nicht sofort tot. Eine geplante eiskalt ausgeführte Tat, oder eine Tat im Affekt, aus Wut oder aus einem Streit heraus. Und das Fest würde weiter gehen, als ob nichts geschehen war. Er war müde und seine Gedanken machten ihn schläfrig. Mit letzter Kraft wuchtete er sich ins Schlafzimmer, ließ sich so wie er war, mit Bademantel und Hausschuhen aufs Bett fallen und schlief sofort ein.

Stunden später wurde er durch ein unangenehmes feuchtes Gefühl auf seiner Nase wach. Gizmo stand neben seinem Bett und leckte ihm mit der Zunge sein Gesicht ab.

Er fuhr hoch um aus der Reichweite der liebevoll leckenden Zunge zu kommen.

»Ach herrje, es ist schon kurz vor halb zehn. Und du musst ja mal raus. Braver Gizmo. Warte, ich ziehe mir nur kurz was an, dann können wir.«

Wenig später spazierte er mit Gizmo durch die Isarauen, genoss eine Zigarette, eine der wenigen, die er noch rauchte und bemerkte gar nicht, wie er dabei unweigerlich die Richtung zum Festplatz in der Luitpoldanlage eingeschlagen hatte.

Die Buden waren noch verschlossen. Die Schaugeschäfte noch zu. Der Asphalt der einzelnen Wege war noch nass vom Regen in der letzten Nacht und einige emsige Heinzelmännchen entleerten Müllkörbe und fegten Dreck von der Straße. Der Zelteingang war schon offen und im Inneren waren die ersten Mitarbeiter damit beschäftigt, das Zelt, nach der letzten Feier mit Dolce Vita, wieder adrett herzurichten und auf den heutigen Tag der Landwirte vorzubereiten.

Kreithmeier nahm seinen Hund an die Leine und betrat das Zelt. Er war erstaunt, dass so viele Menschen schon zugegen waren. Während das Servicepersonal auf den Biertischen Getränke- und Speisekarten verteilte, bereitete sich an der Bühne ein Geistlicher auf einen Gottesdienst vor. Eine beachtliche Gruppe von Menschen hatte sich dort vor ihm versammelt und wartete geduldig.

Direkt vorne an der Bühne war ein provisorischer Altar aufgebaut. Farbige Stoffplanen in Rot, Gelb, Grau und Champagner hingen dahinter an der Zeltwand herunter. Darüber hatte man ein großes hölzernes Kreuz gehängt.

Kreithmeier blickte auf seine Uhr, es war eine Minute vor Zehn. Pünktlich um 10 Uhr ertönte aus der Musikanlage sakrale Orgelmusik. Der Gottesdienst für die Schausteller hatte begonnen. Alois wusste gar nicht einmal, dass es so etwas auf dem Volksfest gab. Aber er konnte sich erinnern, im Programmheft einmal gelesen zu haben, dass immer am Mittwochmorgen für die Beschäftigten der Schaubetriebe und für die Freisinger Bevölkerung während der Volksfestwoche im Festzelt ein solcher Gottesdienst abgehalten wird.

Langsam und bedächtig schlich er sich an die Gäste heran und spähte auf den Gottesdiener, der sich nun betend mit dem Rücken zu den Besuchern vor den Altar stellte. Man hatte eine paar Tische zu einem Altar zusammengestellt und sie mit weißen Laken abgedeckt, ein paar Kerzen daraufgestellt und das Ganze mit Blumensträußen feierlich geschmückt. Vor diesem Altar stand ein Mikrofon, in das der Pfarrer nun seine Begrüßung und einleitenden Worte sprach. Er trug einen weißen Talar mit goldbestickten Ornamenten.

Erst nachdem Kreithmeier sich weiter nach vorne gedrängt hatte, konnte er es erkennen, ein großes Bild mit einem schwarzen Trauerflor an der Seite. Eine Fotografie des toten Festzeltwirtes, ein Bild von Helmut Wirth, das neben dem Altar auf einer Stellage stand und mit weißen Rosen geschmückt war.

»Alle Achtung«, sagte er leise zu sich, »das geht aber schnell. Der Mann ist keine 12 Stunden tot, und schon hat man den heutigen Gottesdienst dem ermordeten Festzeltbesitzer gewidmet. Alle Achtung.«

Kreithmeier hörte nicht mehr auf den monotonen Klang der Stimme des Seelsorgers, er war mehr damit beschäftigt die Gottesdienstgäste näher zu betrachten. Ziemlich weit vorne in der ersten Reihe erkannte er Lukas Wirth in Begleitung von Olga Bogdanow, der Lebensgefährtin des Erschlagenen. Lukas trug einen dunklen Lodenanzug und hatte seine wilden Haare mit einem Gel unter Kontrolle gebracht. Die Bogdanow hatte ein knielanges schwarzes Kleid am Körper, ihre blonden Haare brav zu einem Pferdschwanz gebunden und hielt sich an Lukas fest. Doch wie Trauergäste wirkten die beiden nicht auf ihn. Sie sahen für Kreithmeier eher gelangweilt aus, wie bestellt und nicht abgeholt. Außer der schwarzen Farbe ihrer Kleidung deutete nichts auf, wirklich gar nichts, auf einen Todesfall in der Familie hin.

Neben den beiden standen die Kasbauer und ein paar Mitarbeiter aus der Küche. Ein farbiger großer Mann überragte die meisten Anwesenden. Abdul Shamal. Der Hendlbrater.

Der Geistliche sprach jetzt ein paar wohlwollende Worte über den Verblichenen, der so unsanft aus der Blüte seines Lebens gerissen worden und angeblich Jedermanns Freund gewesen war.

»Jedermanns wohl nicht«, murmelte Kreithmeier leicht gehässig, »denn einer hat ihn ganz sicher nicht gemocht, sonst hätte er ihm nicht den Schädel eingeschlagen. Und die Kasbauer hatte gesagt, er wäre ein unbequemer Zeitgenosse gewesen. Er hätte seine Mitarbeiter nicht fair behandelt.«

Seine grausigen Gedanken wurden durch das Klingeln seines Mobiltelefons unterbrochen. Er zog es aus der Tasche, beeilte sich abseits der Gäste zu kommen und drückte auf den grünen Hörer.

»Kreithmeier«, knurrte er ins Telefon. Er hatte nicht sehen können, wer ihn anrief. Es war Melanie.

»Wo steckst du, es ist fast halb Elf und der ehrenwerte Herr Kriminalhauptkommissar ist noch nicht zum Dienst erschienen. Und in wenigen Minuten werden Herr und Frau Wirth hier bei uns auftauchen.«

»Sie heißt nicht Wirth. Er hat sie nicht mehr heiraten können.«

»Da habe ich aber mittlerweile eine andere Information, junger Mann. Aber alles zu seiner Zeit, wenn du im Büro bist. Wo steckst du?«

»Ich bin auf dem Volksfest im Festzelt.«

Melanie lachte. »Du fängst aber früh an.«

»Nicht so wie du das denkst«, knurrte er zurück.

»Wie denke ich das denn?«, säuselte Melanie am Telefon.

Alois ging nicht weiter darauf ein. »Ich bin unterwegs«, waren seine letzten Worte, dann legte er auf.

»Komm Gizmo, wir müssen los, Frauchen ist sauer, Frauchen erwartet uns.«

Er zog seinen Hund aus dem Zelt und lief mit ihm quer durch die Altstadt zur Polizeidienststelle. Melanie erwartete ihn. Und wie sie es immer bei einem verzwickten Fall machte, hatte sie die rollende Magnetoplantafel ins Büro geschoben und die ersten Informationen daran befestigt. Ein Bild des Toten, ein Bild der Tatwaffe und ein Organigramm der Geschäfte des Gastwirtes.

Gizmo stürzte sich freudig auf die hübsche Kommissarin, die wieder in engen Röhrenjeans und hellgrünem Pullover steckte. Ihre Haare trug sie jetzt offen und die gestrige Nacht hatte offenbar keine ersichtlichen Spuren an ihr zurück gelassen. Sie bückte sich und kraulte den Hund, dabei lächelte sie ihren Kollegen mit einem so optimistischen und zuversichtlichen Lachen an, dass es Alois ganz warm um die Lenden wurde. Er spürte nur, dass er alt werde und das Leben ungerecht zu ihm sei. Sie hatte sicher weit weniger Schlaf als er gehabt aber sie sah dabei so frisch und jung aus. Ganz einfach ungerecht.

»Wie lang bist du denn schon hier?«, fragte er neugierig.

»Seit Acht.«

Kreithmeier zog ungläubig die Augenbrauen hoch. Melanie ließ den Hund los und erhob sich. Sie sah ihm direkt in die Augen.

»Und?«, fragte sie.

»Ich war wirklich im Festzelt.«

»Das sagtest du schon am Telefon. Warum?«

»Ich war mit Gizmo Gassi, du weißt ja, in den Isarauen .....«

»Ja, ich weiß, deine Morgenzigarette, von der du nicht ablassen kannst ....«

».... Und da sind wir beide an der Isar entlang wie von dunkler Magie magnetisch angezogen auf dem Festplatz gelandet. Und im Festzelt haben sie einen Gottesdienst abgehalten ....«

»Das ist immer so am Mittwoch während der Volksfestwoche«, unterbrach sie ihn.

»Kann ja sein, aber das war eine Totenmesse für den erschlagenen Gastwirt.«

Melanie rümpfte die Nase. »Jetzt schon. Ist das nicht ein bisschen früh. Der Mann ist ja noch nicht einmal unter der Erde.«

»Das habe ich mir auch gedacht. Und alle waren da. Lukas Wirth, die Russin, die Kasbauer und ihre gesamte Küchentruppe und einige Schausteller.«

»Honoratioren der Stadt Freising? Der OB und Stadträte?«, hakte Melanie nach.

»Kann ich nicht sagen. Ist mir erst einmal keiner aufgefallen. Ich denke, die werden sicher noch für ihn eine richtige Messe im Gotteshaus in Attenkirchen halten .....«

»Oder im Freisinger Dom. Der Wirth war ja eine Persönlichkeit. Eine Lichtgestalt in der Öffentlichkeit. Das müsste es der Stadt Freising doch wert sein.«

»Obwohl er das Festzelt erstmalig in diesem Jahr unter sich hatte.«

Melanie sah ihren Kollegen eindringlich an. »Warum eigentlich? Warum hat es einen Wechsel gegeben? Wer waren die Wirtsleute zuvor?«

Alois zog sein Notizbuch aus der Tasche und überflog die Eintragungen, die er während der Befragung mit der Resi Kasbauer gemacht hatte.

»Sandholzner. Familie Sandholzner.«

«Sagt mir gar nichts.« Melanie schritt an ihre Tafel und schrieb mit einem roten Filzstift den Namen neben das Bild mit der Tatwaffe.

»Wir sollten sie auf jeden Fall mal besuchen. Wohnen die in Freising?«

»Ja, im Neustift.«

»Gut. Aber später. Jetzt kommen die beiden aus Attenkirchen. Lukas Wirth und diese Olga Bogdanow. Ich denke, die haben uns auch noch einiges zu erzählen. Die Schonfrist für die Angehörigen ist gerade abgelaufen.«

Alois sah wie Melanie die beiden Namen auf die Tafel schrieb. Hinter den Namen Bogdanow schrieb sie in Klammern Wirth und setzte ein Fragezeichen dahinter.

»Was heißt das?«, wollte Kreithmeier wissen.

»Du wirst es erfahren. Machen wir es ein bisschen spannend. Warte bis die Herrschaften da sind. Ich war heute früh schon fleißig. Während du noch im Bett gelegen bist, habe ich mit Kiew telefoniert.«

»Mit Russland?«

»Alois, noch einmal, Kiew liegt in der Ukraine, die Bogdanow ist keine Russin, sondern Ukrainerin. Und sprechen tun sie dort Ukrainisch, aber die meisten können Russisch. Und meine erste Fremdsprache an der Schule war Russisch. Also ein Leichtes für mich, dort in den zuständigen Stellen anzurufen und mich nach einer gewissen Olga Bogdanow zu erkundigen.«

»Und? Was hast du herausgefunden?«

»Später Alois, später. Ich werde dir alles verraten. Doch später. Es ist jetzt 11 Uhr. Lassen wir die Herrschaften nicht warten. Komm. Sie sind da.«

Blutiges Freibier

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