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Familie Sandholzner
ОглавлениеDas erste was den beiden Kommissaren auffiel, als sie im Freisinger Stadtteil Neustift in die Straße einbogen, in denen sich das Einfamilienhaus der Familie Sandholzner befinden musste, war ein rechteckiges Holzschild, das vor dem Eingang eines der Häuser an einem Gestell baumelte. Es war rot, blau und weiß und von einer der ortsansässigen Immobilienfirmen aufgehängt. Quer über dem Schild verliefen in fetter, roter Farbe die Worte: »Zu Verkaufen«.
Alois hielt seinen Dienst-BMW an und starrte auf die Eingangstür des Objektes. »Das muss es sein. Das Haus, das hier zu verkaufen sein soll, das ist das Haus der Sandholzners«, sagte er und deutete mit dem rechten Arm auf das Schild an der Straße.
»Das stimmt«, bestätigte Melanie, »die Nummer 7. Das ist es. Und die wollen ihr Haus verkaufen? Warum?«
»Das werden wir nur herausbekommen, wenn wir hineingehen und sie befragen. Komm, besuchen wir sie.«
Er schaltete den Wagen aus, zog den Schlüssel ab, wies seinen Hund Gizmo an, auf der Rückbank auf sie zu warten und kletterte aus dem Wagen. Galant wie ein Gentleman öffnete er Melanie die Beifahrertür. »Mademoiselle, wenn ich bitten darf.«
»Bist du krank?«, kam ein kurzer knuffiger Kommentar, auf den er nicht weiter einging. Er tippte an das Holzschild mit der Telefonnummer des Immobilienbüros. Es fing an leicht zu wippen und quietschte in der Aufhängung. Er sah teilnahmslos zu, wie es sich leicht hin und her bewegte, dann schritt er entschlossen die steinerne Treppe hinauf zur Eingangstür des Hauses und betätigte die Türglocke.
Kurz nachdem er geläutet hatte, machte ihnen eine Dame mittleren Alters und einem gepflegten Äußerem auf, blickte sie interessiert mit ihren dunkelbraunen Augen an und fragte sie nach dem Grund für den Besuch.
Es war Frau Sandholzner. Kreithmeier erkannte sie sofort. Er hatte erst vor kurzem ein Bild von ihr im Internet gesehen: in einer Bildergalerie vom letztjährigen Volksfest. Nur hatte sie sich da in ein dunkles Dirndl gezwängt und ihre schwarzen Haare hochgesteckt.
Diesmal trug sie ein schlichtes, einfarbiges braunes Leinenkleid, das locker ihren Körper bedeckte. Sie hielt ihre Haare offen und schulterlang, war dezent geschminkt und hatte ihre runden Lippen mit einem ockerfarbenen Lippenstift gefärbt. Ihr Teint war leicht gebräunt. Sie sah aus, als ob sie gerade von einer Kreuzfahrt vom Mittelmeer zurückgekommen war. Nichts deutete darauf hin, dass sie ihr Haus verkaufen wollte oder musste.
Melanie Schütz und Alois Kreithmeier stellten sich kurz vor. Die Frau zuckte kein bisschen, als sie den Grund des Besuchs erfuhr. Es schien fast sie, als habe sie damit gerechnet.
»Bitte kommen Sie herein. Mein Mann ist auch da. Wir werden gerne Ihre Fragen beantworten. Bitte, Kommen Sie mit, folgen Sie mir ins Wohnzimmer.«
Alois und Melanie gehorchten. In einem geräumigen Wohnzimmer mit Essecke und offener Küche, dessen Glasfront direkt auf einen kleinen Garten zeigte, nahmen sie in einer gemütlichen Sitzecke platz. Wie auf Kommando erschien Herr Sandholzner im Raum. Ein groß gewachsener Mann, Mitte fünfzig, braune volle Haare, ein markantes sonnengebräuntes Gesicht, schmale Lippen und blaue Augen. Er trug schwarze Jeans, ein weißes Polohemd und seine Füße steckten in spanischen Espadrilles, leichten Sommerschuhen aus Leinen. Ein freundlicher Mund begrüßte die Gäste höflich.
»Kriminalpolizei? Sie kommen sicher wegen dem Mord am Helmut Wirth. Stimmt doch, oder?«
Alois nickte. »Ja! Sie haben Recht, Herr Sandholzner.«
»Wie können wir Ihnen da helfen?«
»Vielleicht schildern Sie uns mal, wie Ihre Beziehung zu dem Toten war oder besser gewesen ist.«
Herr und Frau Sandholzner hatten sich zusammen auf das Sofa gesetzt. Sie hielt seine Hand fest in der ihren als sie dem Kommissar antwortete.
»Von einer direkten Beziehung können wir wohl nicht sprechen. Wir waren Konkurrenten oder Mitbewerber, wie das jetzt auf Neudeutsch heißen soll.«
Melanie sah die Frau eindringlich an: »Wie kann ich das verstehen?«
Herr Sandholzner antwortete: »Wir betreiben das gleiche Geschäft: Catering und Festzeltbetrieb. Auf den meisten Volksfesten lagen wir im Mitstreit um die Vergabe der Genehmigung des Festzeltbetriebs. Wir beide hatten mit dem Wirth so eine Art ungeschriebene Vereinbarung. Freising und alles links von der Autobahn A 9 war unser Revier, bis hin nach Dachau, Pfaffenhofen und Ingolstadt. Alles rechts von der Bundesstraße B 301 war dem Helmut sein Revier. Von Moosburg bis nach Deggendorf. So kamen wir uns im Großen und Ganzen niemals in die Quere. Nur der feine Herr konnte den Hals nicht voll kriegen und so machte er uns Freising streitig.«
»Er brach Ihre Vereinbarung?«, wollte Alois wissen.
»Ja, das tat er.«
»Und so bekamen Sie für 2012 keinen Zuschlag fürs Freisinger Volksfest, obwohl Sie über zehn Jahre diesen Platz mit ihrem Zelt innehatten. Zehn Jahre ganz ohne Konkurrenz? Klingt fast wie ein Kartell«, fasste er zusammen.
»Richtig, über zehn Jahre«, gab Sandholzner kleinlaut zu.
»Was aber nicht heißen will, dass sie den Zuschlag jedes Jahr automatisch bekamen?«, fragte Melanie.
Herr Sandholzner räusperte sich. »Nein, wir mussten jedes Mal durch die Ausschreibungsparagraphen des Ordnungsamtes und die Genehmigung des Stadtrates. Aber das war nie ein Problem für uns.«
»Und warum dann diesmal nicht?«, hakte Melanie nach.
»Das müssen Sie die Herrschaften im Rathaus fragen«, fügte Frau Sandholzner hinzu. »Im Ordnungsamt sitzt ein neuer Leiter. Seit einem Jahr. Und der hat uns diesmal abgelehnt.«
»Diese Ablehnung ist ähnlich einer Präjudiz«, sagte ihr Ehemann, »das geht dann unverblümt an den Stadtrat und der nickt nur noch. So auch dieses Jahr.«
»Und so haben Sie also dieses Jahr keinen Zuschlag bekommen. Der Neue, wie Sie ihn nennen, war Ihnen beiden nicht gesonnen. Kein Amigo?«
Die beiden Sandholzners sahen sich an, sagten aber kein Wort. Nur mit einem kurzen Kopfnicken bestätigten sie Melanies Vermutungen.
Melanie sah es, reagierte aber nicht darauf und schaute aus dem Fenster. Sie blickte auf die Straße auf die Holztafel des Immobilienunternehmens. Sie drehte sich wieder ihren Gastgebern zu und fragte sie plötzlich: »Warum wollen Sie eigentlich Ihr Haus verkaufen?«
Die beiden Sandholzner stutzten. Es dauerte etwas, bis einer von ihnen die Sprache wieder gefunden hatte. Herr Sandholzner antwortete: »Erstens, weil man uns unseren Umsatz durch diese Entscheidung gewaltig gekürzt hat und zweitens, weil wir der Stadt Freising den Rücken zu drehen wollen. Wir wollen ganz einfach weg von hier.«
»Und das alles wegen dem Freisinger Volksfest?« Melanie sah ihn dabei eindringlich an.
Herr Sandholzner schaute sie finster an.
»Ja! Wir haben uns nichts zu Schulden kommen lassen, haben all die Jahre die Forderungen der Freisinger Brauereien ohne uns zu wehren hingenommen, haben einen guten Service geboten und Produkte aus der Region vertrieben, was man seit diesem Jahr ja wohl nicht mehr sagen kann.«
Alois schüttelte seinen Kopf.
»Wie darf ich das verstehen? Forderungen der Brauereien? Produkte aus der Region?«, fragte er ahnungslos.
»Jedes Jahr müssen wir Bier aus den beiden Freisinger Brauereien ausschenken. Jeder will der Beste sein. Einen lokalen Bierkampf könnte man das auch nennen. Die ersten fünf Tage vom Hofbrauhaus. Die letzten fünf Tage von der Staatsbrauerei Weihenstephan. Und die Maß soll nicht teuer sein, nicht so wie in München auf der Wiesn. Dieses Jahr liegt der Bierpreis in Freising bei 6,30 Euro die Maß. In Dachau sogar noch darunter. Und die Brauereien erhöhen trotzdem jedes Jahr ihre Preise. Da bleibt beim Bier nicht viel hängen.«
»Dann aber beim Essen?«
»Wenn man nicht regional einkauft, ganz sicher.«
»Wie bitte?«
»Na, wenn die Fleisch- und Wurstwaren jetzt aus Polen und der Ukraine kommen, kann man das ja wohl nicht mehr regional nennen.«
»Woher wissen Sie das?«, fragte Melanie sichtlich erstaunt. Sie hatte sich genauso wie ihr Kollege verhalten, es dem Paar nicht anmerken lassen, dass sie diese Information schon längst hatten.
»Wir wissen es einfach. Der Wirth kauft, seit er mit dieser Russin liiert ist, seine Rohstoffe in Osteuropa, zu einem wesentlich günstigeren Preis.«
»Sie meinen die Olga Bogdanow?«
»Ja, diese blonde Russin. Sie hat dem Helmut den Geist verwirrt.«
»Ukraine. Sie stammt aus Kiew. Und das liegt in der Ukraine, nicht in Russland«, korrigierte sie Alois Kreithmeier. Melanie lächelte, als sie das hörte. »Herr Oberlehrer Kreithmeier«, dachte sie.
»Egal«, schimpfte Sandholzner. »Die Kundschaft wird betrogen. Bayerische Schmankerl vom Schwarzen Meer. Das ist doch krank.«
»Aber nicht illegal. Wenn er die Lebensmittelvorschriften einhält, insbesondere die korrekte Bezeichnung und in der Speisekarte die Konservierungsstoffe angibt, ist alles rechtens. Apropos, wo waren Sie beide denn am Dienstagabend, so zwischen 23 Uhr und Mitternacht?«
Frau Sandholzner lachte hysterisch auf. »Sie wollen wissen, wo wir waren. Sie wollen uns doch nicht etwa verdächtigen, den alten Wirth erschlagen zu haben.«
»Frau Sandholzner, es tut mit leid, aber wir müssen jeder Spur nachgehen .....«
» .... und da denken Sie, wir tun so etwas, aus Rache, weil er uns das Zelt weg genommen hat.«
»Warum nicht? Es ist doch eine Möglichkeit. Eine Familie wird finanziell zu Grunde gerichtet. Das ist doch ein einleuchtendes Motiv. Also bitte, wo waren Sie am Dienstagabend, so zwischen 23.00 und 24.00 Uhr?«
Herr Sandholzner lachte: »Sie werden es nicht glauben, wir waren auf dem Volksfest, im Bierzelt, bei Dolce Vita. Letztendlich ist die Band die letzten 10 Jahre bei uns aufgetreten. Und wir wollten mal sehen, wie so alles funktioniert.«
»Und hat es funktioniert?« Alois starrte ihn an.
»Wie man will. Wir haben unserer vietnamesischen Bedienung mit Händen und Füssen erklären müssen, was wir wollen, aber es hat geklappt. Wir haben ein bisschen warten müssen. Die Maß war nicht voll eingeschenkt und das Hendl mittlerweile kalt. Aber bei den Massen an Leuten. Wir waren zufrieden. Wir waren ja nur Gäste. Kein Stress. Nur Unterhaltung. Und Dolce Vita war wie immer erste Sahne. Echte Profis, die Jungs.«
»Und danach haben sie dem neuen Gastwirt ganz zufällig mal kurz den Schädel gespalten«, fügte Kreithmeier schmunzelnd hinzu.
Herr Sandholzner sprang auf: »Jetzt vergreifen Sie sich aber im Ton, Herr Kommissar. Es ist wohl besser, Sie beide gehen jetzt. Wenn Sie noch weitere Fragen haben, wenden Sie sich bitte an unseren Rechtsanwalt. Herrn Netzer. In der Weizengasse.«
»Tut mir leid, wenn Sie sich auf den Schlips getreten fühlen«, wollte Alois beschwichtigen, »doch es gibt auch ein altes Sprichwort: getroffene Hunde bellen. Und Sie bellen gerade. Und zwar richtig laut. Wir gehen jetzt, aber es ist durchaus möglich, wir kommen wieder. Und Sie überlegen sich, wer Sie beide in der besagten Zeit alles zusammen gesehen hat. Zeugen könnten Ihr Alibi bestätigen. Im Moment haben Sie sich für mich nur wenige Meter vom Tatort entfernt aufgehalten. Und das ist ein Grund, Sie weiter zu verdächtigen. Komm Melanie, gehen wir. Auf Wiedersehen.«
»Hoffentlich nicht«, feixte Frau Sandholzner hinter ihnen her.
Alois und Melanie setzten sich in den BMW. Sie blieben schweigend sitzen, denn Alois machte keine Anstalten den Wagen zu starten und wegzufahren. Plötzlich öffnete sich die Haustür und das Ehepaar Sandholzner erschien. Sie sprangen hastig in einen Audi A6 Avant, der vor dem Haus parkte und fuhren davon.
»Willst du denn denen nicht hinterher fahren, Alois«, fragte Melanie und deutete mit dem Arm auf den sich entfernenden Kombi.
»Nein, das will ich nicht. Außerdem weiß ich sowieso, wo sie hinwollen.«
»Du weißt es?«, fragte sie ungläubig.
»Ja! Ich glaube, sie fahren zum Rechtsanwalt. Der Netzer ist ihr Anwalt und zugleich der vom toten Wirth. Du weißt schon, das Testament liegt bei ihm. Schon recht eigenartig. Kann es da nicht einen Interessenkonflikt geben?«
»Ich weiß nicht. Bis jetzt wohl nicht. Nur die Reaktion der beiden war etwas verwunderlich. Sie haben meiner Meinung nach überreagiert«, sagte Melanie.
Alois startete den Motor und fragte: »Und was schließt du daraus, Melanie?«
»Sie hätten allen Grund sich am Wirth zu rächen. Er hat ihnen ihre Existenz geraubt. Ich denke, sie sind pleite. Sie haben den Zuschlag nicht bekommen. Und der Wirth macht mit seinem niedrigen Wareneinstand und den Billigkräften den großen Reibach. Und niemanden stört das weiter. Vor allen Dingen nicht die Stadt Freising.«
Alois fuhr los. »Ja, das ist die freie Marktwirtschaft, das Gegenteil zur Planwirtschaft zu DDR Zeiten. Das ist halt so. Kostenoptimierung, Einkaufssensibilisierung und modernes Personalmanagement.«
»Hahaha! Hast du mal einen Kurs über Betriebswirtschaft gemacht, oder woher hast du diese schlauen Sprüche«, fragte Melanie ihren Kollegen bissig.
»Ich weiß, das sind alles Themen, über die ihr euch in der DDR keine Sorgen gemacht habt. Jeder hatte einen Job, ein Einkommen und ein Dach über dem Kopf.«
»Und nicht zu vergessen einen Kindergartenplatz. Du hast doch keine Ahnung, was da drüben abgegangen ist. Und es war nicht alles schlecht, Alois, überhaupt nicht.« Sie machte eine kurze Pause, sah ihren Kollegen eindringlich von der Seite an. »Wo fährst du eigentlich hin?«
»Durch die Weizengasse, wollte nur mal kurz sehen, ob ich Recht hatte mit meiner Vorahnung. Da vorne ist die Kanzlei. Wenn die Sandholzners hier her sind, müssten sie ihren Wagen im Parkhaus der Sparkasse abgestellt haben. Ich warte hier, schau mal schnell.«
»Ich kann auch langsam schauen. Hast du dir wenigstens die Nummer gemerkt?«
»Ja, Freising, SH 47. Ein dunkler A6 Kombi. Ich warte solange auf dich.«
Missmutig sprang Melanie aus dem Wagen, warf ihrem Kollegen noch einen bösen Blick zu, dann verschwand sie im Dunkel der Parkgarage. Es dauerte nicht lange, da tauchte sie wieder auf und hielt ihren Daumen nach oben. Was so viel heißen sollte, wie Okay.
»Du hattest Recht, der Wagen steht hier. Ein dunkelblauer Audi A6 Avant mit dem amtlichen Kennzeichen FS-SH 47. Und jetzt?«, fragte sie, als sie sich auf den Beifahrersitz neben Kreithmeier in den Wagen fallen ließ.
»Wir werden dem Herrn Rechtsanwalt ein anderes Mal einen Besuch abstatten. Am Besten bei der Testamentsverkündung. Jetzt werden wir aber einen anderen feinen Herrn besuchen gehen, vorher muss ich aber noch kurz telefonieren.« Er wählte eine Nummer auf seinem Smartphone.
»Zeidler, Spurensicherung«, meldete sich eine Stimme.
»Rainer, ich bin es, der Alois. Ich habe eine Bitte an dich.«
»Das hört sich nach Arbeit an«, sagte der Zeidler und schnaufte laut.
»Sage mal, habt ihr in dem Kühlcontainer zufällig das Handy des Toten gefunden? Ich habe nämlich nichts entdeckt.«
»Nein, da war nichts. Er hatte keines in seiner Jacke oder Hose und am Tatort habe wir auch keines gefunden.«
»Das ist ja interessant. Dann hat der Mörder das Telefon mitgenommen, um vielleicht einige Anrufe zu decken, die der Tote mit ihm gemacht haben könnte.«
»Das kann sein, Alois. Wir haben von seinem Sohn Angaben zu seinem Provider. Ich lasse das Handy orten und seine Anruferliste ausdrucken. Das ist im Moment alles, was ich für dich machen kann.«
»Okay dann tue das bitte. Außerdem brauche ich Informationen über die Vermögensverhältnisse einer gewissen Familie Sandholzner. Die ehemaligen Wirtsleute auf dem Freisinger Volksfest. Und du solltest doch alles herausfinden über die Vergabe der Volksfestgenehmigungen, insbesondere des Bierzeltes. Hast du das?«
»Ja, Alois, das habe ich. Der Zuständige auf dem Ordnungsamt heißt Stöckl, Peter Stöckl. Ist seit eineinhalb Jahren dafür zuständig. Hat dieses Jahr die Sandholzner abgelehnt. Das Zelt sollte angeblich zu alt sein. Sie hätten ein Neues kaufen oder das Alte renovieren sollen. Mehr weiß ich darüber nicht.«
»Der lehnt ganz einfach einen Festwirt ab, der schon über zehn Jahre auf dem Volksfest residiert?«
»Ja, die Befugnisse hat er. Ich habe in der örtlichen Presse gelesen, dass er damit ziemlich rigoros umgeht.«
»Was meinst du damit?« Alois schaltete auf Lautsprecher, damit Melanie mithören konnte.
»Ich habe einen Artikel gelesen über einen gewissen Kapfhammer. Der hat einen Süßigkeitenstand, der heißt „Sweet Sugar“ und er wollte auf dem Volksfest präsent sein. „Sweet Sugar“ ist kein Ladengeschäft in der Innenstadt, sowie der Hussel, sondern nur ein Verkaufswagen mit allerlei Süßigkeiten. Aber aus Platzgründen dürfe der Kapfhammer mit seinem Verkaufsstand nicht teilnehmen, so habe Peter Stöckl vom Freisinger Ordnungsamt ihm mitgeteilt, erzählte Kapfhammer in dem Artikel den Journalisten. Und er ist ziemlich sauer auf das Ordnungsamt.«
«Das kann ich verstehen«, kommentierte Alois Rainer Zeidlers Bericht.
»Der Kapfhammer beschwerte sich, denn er zweifelte an dieser Entscheidung. Er fand, so der Artikel, dass beim Freisinger Volksfest einheimische Aussteller bevorzugt werden sollten, aber das wäre nicht der Fall. Viele Auswärtige wären in der Luitpoldanlage präsent - aus Fürstenfeldbruck, München oder Niederbayern. Nur er, der Kapfhammer dürfe nicht, dabei fühlt er sich als Freisinger, wenngleich er in Kirchdorf im Ampertal wohnhaft ist. Er sagte der Zeitung, dass der Herr Stöckl ihm gegenüber die Absage zusätzlich begründete, er müsste in Freising wohnen. Und was ist mit der nähern Umgebung, argumentierte er. Gehört die Umgebung denn nicht dazu? Er zahle seine Steuern auch für die Stadt Freising. Als daraufhin die Zeitung den Chef des Ordnungsamtes ansprach, soll dieser nur knapp geantwortet haben, dass Kapfhammer ein letztes Angebot, einen Stand beim diesjährigen Volksfest zu erhalten, abgelehnt habe. Kurzfristig wäre noch was frei geworden, aber den Platz wollte er dann doch nicht haben.«
»Und was hat das alles mit uns zu tun?«, fragte Melanie ins Telefon.
»Das hegt doch den Verdacht, dass Einiges an der Vergabe nicht mit rechten Dingen zugeht. Der Franz Kapfhammer fühlt sich auf jeden Fall unfair behandelt. Seit fünf Jahren bewerbe er sich fürs Freisinger Volksfest, und jedes Jahr würde ihm erneut abgesagt mit der angeblichen Begründung, dass kein Platz frei sei. Der Kapfhammer behauptet in dem Artikel, dass ihn dieser Stöckl aus dem Ordnungsamt schlichtweg abblitzen lässt und ihm immer wieder aufs Neue mitteilen lässt, er solle sich jedes Jahr neu bewerben. Vielleicht klappe es ja diesmal.«
»Also hat es mit dem jetzigen Chef nichts zu tun. Der Kapfhammer wird ja seit fünf Jahren abgelehnt. Weil er kein Freisinger ist, oder?«, fragte Melanie.
»Das kann nicht der Grund sein, weil er kein Freisinger ist«, antwortete Zeidler. »Ich habe die Schaustellerliste auf meinen Schreibtisch. Die Aussage, dass der Kapfhammer direkt in Freising wohnen müsste, ist für mich nicht nachvollziehbar. Es gibt einige Betriebe aus Dachau, Moosburg und auch aus Attenkirchen. Wie zum Beispiel das neue Festzelt. Der Helmut Wirth kommt aus der Holledau. Und die Sandholzners wohnen direkt in Freising. Und dem Kapfhammer sein Wohnort Kirchdorf liegt ja schließlich auch im Landkreis Freising. Reicht das denn dem lieben Herrn Stöckl nicht?« Rainer war aufgebracht. Er atmete schwer.
»Komm zur Ruhe. Reg dich nicht auf. Was steht denn in der Zeitung. Gibt es eine Stellungnahme vom Ordnungsamt?«, wollte Alois wissen
»Unser lieber Volksfest-Manager Peter Stöckl bekam sein kurzfristiges Angebot von Kapfhammer abgelehnt, außerdem argumentiert er, dass sie genügend Süßwarenbetreiber auf dem Volksfest hätten. Und dennoch hätte er Herrn?Kapfhammer noch kurzfristig einen Stand angeboten. Für das nächste Jahr rechnet er mit über 450 Bewerbern. Er trifft lediglich eine Vorauswahl, der Stadtrat entscheidet zu guter Letzt über die Zusagen. Bewerber aus der Stadt und dem Landkreis sieht er natürlich lieber als Auswärtige aus anderen Bezirken.«
»Der Bursche hat ganz schön viel Macht. Da ist es nicht weit weg, dass ein Schausteller ihm eine Summe X für eine Genehmigung anbietet.«
»Bestechung?« Rainer Zeidler pfiff leise.
»Anzunehmen. Rainer, du kennst doch sicher jemanden bei der Sparkasse, so wie ich dich kenne, jemanden, der dir noch etwas schuldet.«
»Mag sein. Was willst du von mir, Alois?«
»Informationen über den Stöckl. Ungereimtheiten auf seinem Bankkonto. Geldeingänge insbesondere. Bareinzahlungen usw.«
Melanie hatte zugehört. »Glaubst du, der Stöckl wurde bestochen? Vom Wirth? Um den Zuschlag fürs Volksfest zu bekommen?«
»Ich schließe es mal nicht aus«, antwortete Alois. »Es ist eine Möglichkeit. Warum nimmt man einer Familie, die damit seit zehn Jahren ihr geregeltes Einkommen hat, das auf einmal weg? Warum? Und das alles ohne Vorankündigung, plötzlich und dazu noch bei einem Mitarbeiterwechsel im Ordnungsamt. Klingt doch verdächtig, oder?«
»Gut, bis wann?«, fragte Rainer Zeidler knapp angebunden.
»So schnell wie möglich. Und du musst dabei sehr vorsichtig sein. Einen Beamten der Stadt der Bestechung und der Korruption zu verdächtigen, das ist kein Kinderschlecken.«
»Ich hab verstanden.«
»Gut, wenn du was hast, ruf mich auf meinem Mobilnetz an. Wir sind jetzt auf dem Weg ins Ordnungsamt. Bis später.« Alois legte auf. Er machte keine Anstalten weiter zu fahren.
»Das ist also der feine Herr, den wir besuchen wollen. Du meinst also, der Tod des Gastwirtes hängt mit der Vergabe der Festzeltgenehmigung zusammen?« Melanie schaute ihren Kollegen fragend an.
»Wir haben doch bis jetzt gar nichts, wenn du ehrlich bist, keine einzige konkrete Spur, ein paar Vermutungen, nichts Festes. Die Olga Bogdanow? Motiv Geld? Wage. Der Sohn Lukas? Motiv Rache? Sehr wage. Familie Sandholzner? Motiv Demütigung und finanzieller Untergang? Auch sehr wage.«
»Und was ist mit Mitarbeitern, ehemaligen oder ungerecht behandelten?«, warf Melanie mit ins Kalkül.
»Das Thema haben wir noch gar nicht angefasst.«
»Oder der angebliche Diebstahl der Bierfässer?«
»Wegen einem Bierfass mit einem Wert von hundert Euro, bringt doch niemand jemanden um. Und schon gar nicht so.«
»Wieso nicht?«, fragte Melanie trotzig. »Der Dieb wird überrascht als er wieder ein Fass stehlen will. Der Wirth taucht auf und der Dieb haut ihm den Hammer über den Schädel und rennt davon. Lässt den Wirth in seinem Blut im Kühllager liegen. Dass er stirbt, das wollte er nicht und damit rechnete er auch nicht.«
»Mir zu einfach?«, knurrte Alois.
»Muss es denn immer so kompliziert sein. Können wir nicht auch einmal einen einfachen Mordfall haben? Wenn ich an unsere letzten Fälle denke. Du als Geisel oder unter Drogen in der Klapse. Alles bisschen crazy.«
Alois lachte kurz auf: »Und wer ist denn deiner Meinung nach der Fässerdieb?«
Melanie dachte nach, dann sagte sie langsam und betont: »Einer der Mitarbeiter. Die sitzen einmal an der Quelle, und ich wette mit dir, die haben den Wirth nicht besonders gut leiden können. Dieser Schwarze ist mir sehr suspekt.«
»Dieser Abdul Shamal, der Mann an der Hendlstation?«
»Warum nicht, er hat die nötige Statur, die nötige Kraft und wahrscheinlich auch die nötige Hemmschwelle, es zu tun.«
»Melanie, du spinnst. Nur weil er schwarz, unterbezahlt und ein Asylant in Deutschland ist, bringt er nicht seinen Boss um. Der weiß ganz genau, dass es rauskommt und er entweder hier bei uns in den Knast einfährt oder nach Hause zurück geschickt wird. Und das bedeutet für ihn den sicheren Tod. Wo kommt der eigentlich her?«
»Weiß ich nicht, müsste ich im Gesprächsprotokoll nachlesen. Den hat der Dallinger befragt.«
Sie wurde unterbrochen, Alois’ Telefon klingelte.
»Ja!«, knurrte er unfreundlich hinein. »Der Zeidler!«, flüsterte er in Melanies Richtung. Und wieder ans Telefon gerichtet: »Du bist aber schnell, Rainer. Was hast du denn herausgefunden? Ich schalte dich auf Lautsprecher, Melanie sitzt neben mir. Wir hören.«
»Also beim Stöckl gibt es keine Unregelmäßigkeiten. Wenigstens nicht auf seinem Konto. Er hatte bei der Sparkasse vor einem halben Jahr einen Kredit beantragt, der ist ihm aber abgelehnt worden. Er hat ein Haus in Zolling, das ist aber bis über beide Ohren beliehen.«
»Für was wollte er den Kredit?«
»Seine Frau Ingrid ist anscheinend krank, eine seltene Stoffwechselkrankheit. Und er brauchte das Geld für Medikamente, die seine Krankenkasse nicht übernimmt. Die Rückzahlung war der Sparkasse zu unsicher, auch der Erfolg der Behandlung.«
»Von wie viel Geld reden wir da?«
»Fünfzigtausend Euro.«
Alois pfiff vor Erstaunen: »Eine stolze Summe. Nur für Medikamente? Woher weiß du das alles?«
»Wie immer Alois, halte ich meine Informanten geheim«, sagte Rainer und fügte noch hinzu: »Und ich weiß aus einer sicheren Quelle, dass seine Frau auf dem besten Weg zur Genesung ist. Sie haben diese Präparate bekommen und sie schlagen an. Sie wird anscheinend gesund. Und das alles ohne die Hilfe der Sparkasse Freising.«
»Interessant. Wo hat er dann das Geld her?«
»Angeblich geerbt, von einer Tante. Also sagen wir mal so, sie hat ihm das Geld noch vor ihrem Tod gegeben, als Schenkung oder Vorerbe oder so.«
»Und gibt es diese ominöse Tante wirklich?«, fragte Alois einen Kollegen.
»Keine Ahnung. Nur von der Sparkasse hat er es sicherlich nicht bekommen.«
»Danke Rainer, danke. Und die Finanzen der Sandholzners?«
»Sie sind pleite. Definitiv. Sie müssen das Haus verkaufen. Ihr Cateringunternehmen ist Anfang 2012 in Insolvenz gegangen. Und was ganz erstaunlich ist, der Wirth war auch kurz vor der Pleite. Anfang 2012. Hat sich aber Mitte des Jahres ein neues Bierzelt leisten können.«
»Und was kostet so was?«
»Ohne die Küche, ein Zelt von etwa 30 mal 70 Meter, ich schätze so ab 50.000 Euro gebraucht, ab 100.000 Euro neuwertig. Dann halt noch die Bierbänke, Tische und die Dekoration. Gut, das könnte man auch alles vom alten Zelt mitnehmen. Also ich denke mal 100.000 Euro sind das Minimum. Mit Küche und Sanitäranlagen sind wir da schnell bei 250.000 Euro.«
»Und woher nahm der Tote das Geld, wenn er, wie du sagtest, so kurz vor der Pleite war.«
»Da fragst du mich im Moment noch zu viel«, antwortete der KTU Mann.
»Wieso war der Wirth kurz vor der Pleite, das verstehe ich nicht?«, wandte sich Melanie an den Zeidler.
»Auch sein Cateringunternehmen fuhr Verluste ein. Sein Landgasthof läuft zwar rund und gesund. Aber Catering ist gerade nicht gefragt. Die Unternehmen sparen an allen Fronten. Hauseigene Partys sind demnach nicht angesagt.«
»Aber er hat doch genug Geld.«
»Das hat er. Aber er soll einiges an Geld in den neuen Bundesländern in Immobilien gesteckt haben, renovierter Altbau in Magdeburg, Dresden, Erfurt und Weimar. Die Kreditrückzahlungen überschreiten die laufenden Mieteinnahmen. Die Banken wollten ihm den Hahn zudrehen. Das Volksfest Freising hätte ihn gerettet. Seine Kredite wurden verlängert und sein Businessplan wies einen geplanten Reingewinn vor Steuern von fast 300.000 Euro aus.«
Alois pfiff ein weiteres Mal durch die Zähne. »Nicht schlecht. Und ohne das Volksfest?«
»Hätten die Banken ihn gezwungen einige seiner faulen Immobilien zu verkaufen.«
»Unter Preis?«
»Klar doch!«
»Also ist die Zusage für das Volksfest in Freising für zwei Festwirtsfamilien kriegsentscheidend gewesen. Aufstieg oder Fall hingen in beiden Fällen dicht zusammen. Und der Entscheider im Ordnungsamt verfügte über einen plötzlichen Geldsegen um seine kranke Frau zu heilen. Na wenn das nicht alles stinkt. Das schreit förmlich zum Himmel. Danke Rainer, erst mal gute Arbeit. Melanie und ich fahren ins Ordnungsamt. Es könnte interessant dort werden.«
»Eine letzte Frage, Alois, können wir die Leiche freigeben, die Familie fragt dauernd an, wegen der Beerdigung.«
»Wenn Frau Dr. Nagel ihren Abschlussbericht fertig hat, dann habe ich damit kein Problem. Dann können wir endlich zur Testamentsverkündung. Gebt den Toten frei.«
Alois legte auf. Melanie schaute ihn besorgt an.
»Da tun sich ja Abgründe auf, an die wir noch gar nicht gedacht haben.«
»Kann sein. Muss aber nicht. Aber alles noch kein Motiv dem alten Wirth den Schädel einzuschlagen.«
»Nehmen wir einmal an, der Wirth hat den Stöckl bestochen, um das Zelt aufstellen zu können .....«
»Ja und?«
»Und der Wirth hätte den Stöckl somit in der Hand gehabt .....«
»Ja weiter! Der Hund beißt nicht in die Hand, die ihn füttert. Gell Gizmo.« Alois drehte sich um und kraulte seinem Hund den Nacken. Der hatte die letzten Stunden brav und ohne zu murren auf der Rückbank gesessen und sich ruhig verhalten.
»Fahren wir kurz in die Plantage, Melanie, Gizmo muss mal raus, Und dann ab ins Ordnungsamt.«
Alois startete den Wagen und fuhr raus aus der Stadt in den Freisinger Forst, um seinem Hund den gewünschten Auslauf zu ermöglichen.