Читать книгу Blutiges Freibier - Axel Birkmann - Страница 7
Olga Bogdanow
ОглавлениеSie fläzten sich beide wieder auf das Sofa und Melanie schob die DVD mit der Befragung der hübschen Ukrainerin in das Wiedergabegerät.
Nach den Anfangsfragen, Namen, Geburtsdatum und –ort stürzte sich Melanie direkt auf das Thema, wann denn die Dame den Helmut Wirth kennen gelernt hatte und wie ihr Verhältnis zu ihm gewesen sei.
»Es war vor knapp sieben Jahren in Kiew«, antwortete sie. »Die deutsche Bundesregierung unterstützte damals eine Messe in Kiew, die AGRO, die Internationale Fachmesse für Landwirtschaft, Landtechnik und Viehzucht. Helmut Wirth sorgte auf dem Stand des Freistaates Bayern für bayrische Schmankerl und Getränke. Es gab Spezialitäten aus der Region, dazu frisch gezapftes Löwenbräu. Helmut zauberte ein kleines Oktoberfest aus dem Ärmel. Die Messebesucher waren begeistert. Der Bayernstand war immer voll. Und ich arbeitete zu diesem Zeitpunkt als Messehostess und als Dolmetscherin für das ukrainische Landwirtschaftsministerium. So haben wir uns kennengelernt. Bei Hefeweizen und Weißwürsten. Und dann hat sich halt alles entwickelt. Wir haben uns verliebt.«
»Hat Ihnen der Altersunterschied denn nichts ausgemacht?«
»Wissen Sie, Frau Schütz, das war doch Ihr Name ....?«
»Ja!«
»Wissen Sie, das ist in Osteuropa gang und gäbe, vor allem in der ehemaligen Sowjetunion, dass sich gut aussehende Frauen ...«, sie fuhr sich mit ihrer Hand durch ihren blonden Pferdeschwanz, »dass sich gut aussehende Frauen einen gut situierten Mann suchen, der Geld und Ansehen hat. Das findet man leider bei den Jüngeren nicht. Zuerst kommt die Sicherheit, dann die Liebe und zur Not nimmt man sich halt einen jungen Geliebten.«
Kreithmeier sah, wie Melanie die Augenbrauen hoch hob.
»Natürlich, und die Literatur lebt es einem vor, wenn ich da an Anna Karenina denke. Sie hatte einen wohlhabenden älteren hässlichen Ehemann und verliebte sich in einen jungen Offizier. Doch ihr Mann verstieß sie. Kein Happyend. Am Schluss brachte sie sich um. Sie warf sich vor einen Zug. Im vorliegenden Fall ist es etwas anders. Der Ehemann wird erschlagen. Und die hübsche Konkubine lebt weiter.«
Diesmal warf die Bogdanow der Kommissarin einen bitterbösen Blick zu. Melanie ließ sich nicht beirren und fuhr fort: »Helmut Wirth war allem Anschein eine gute Partie für Sie, oder.«
»Gönnen Sie es mir nicht, aus der armen und korrupten Ukraine, in das saubere und gerechte Deutschland gekommen zu sein?«
»Verstehen Sie mich bitte nicht falsch, natürlich gönne ich Ihnen das, wir ermitteln in einem Mordfall, und da müssen wir jeder nur erdenklichen Spur nachgehen.«
»Sie verdächtigen mich? Sie denken, ich hätte mit dem Ableben meines Partners etwas zu tun?«
»Im Moment befragen wir Sie nur, und das machen Sie freiwillig. Sie können jederzeit gehen. Würde ich Sie verdächtigen, hätte ich Ihnen längst Ihre Rechte vorgelesen und Ihnen geraten sich einen rechtlichen Beistand zu holen. Doch soweit sind wir noch nicht. Einige Fragen habe ich aber doch noch. Wie war Ihr Verhältnis zu Helmut Wirth. Hatten Sie einen Liebhaber?«
»Nein, natürlich nicht.«
»Haben Sie eine Ahnung, warum er ermordet worden ist?«
»Auch nicht.«
»Wie ist Ihr Verhältnis zu seinem Sohn?«
»Freundschaftlich. Ich kann und wollte seine Mutter nie ersetzen.«
»Warum waren Sie nicht mit Helmut Wirth verheiratet?«, fragte Melanie.
»Das hatte sich bisher noch nicht ergeben. Wir wollten es, aber es war nie die Zeit dafür.«
»Und warum lügen Sie mich jetzt an?«
»Frau Schütz, ich lüge Sie nicht an.«
»Doch das tun Sie. Ich habe heute früh mit der Einwohnerregistratur in Kiew telefoniert und bitte glauben Sie mir, mein Russisch ist immer noch recht gut. Und was denken Sie, habe ich da erfahren können?«
Olga Bogdanow rutschte unruhig auf dem Stuhl hin und her. Alois Kreithmeier starrte erwartungsvoll auf den Bildschirm und murmelte leise: »Na was wohl?«
Er sah wie seine Kollegin sich langsam mit dem Oberköper auf die Frau zu bewegte.
»Ich habe erfahren, dass Sie den Helmut Wirth vor drei Jahren in Kiew geheiratet haben, sogar kirchlich in der Alexander Kirche, der einzigen römisch-katholischen Gemeinde der Hauptstadt. Was sagen Sie dazu?«
Alois sprang überrascht auf und drückte auf den Pauseschalter.
»Die beiden sind verheiratet? Wieso sagst du mir das nicht? Das ändert ja alles. Dann ist ja sie die Alleinerbin.«
»Also mein lieber Kreiti. Während du noch den Schlaf des Gerechten getätigt hast, habe ich schon gearbeitet. Und dann kommst du zu spät zum Dienst und wann hätte ich es dir sagen sollen? Die beiden standen ja schon vor dem Büro. Und ob sie die Alleinerbin ist, das wird das Testament zeigen. Auf jeden Fall bekommt sie einen recht großen Pflichtteil, wenn die beiden nicht zuvor einen Ehevertrag abgeschlossen haben. Aber vielleicht können wir ja mal weiter laufen lassen, es wird noch viel besser.«
Mürrisch drückte Kreithmeier auf Wiedergabe.
Olga Bogdanow saß da, wie ein ertappter Lausejunge bei einem Streich. Sie sagte kein Wort und sah an Melanie vorbei an die Wand.
»Und stimmt das? Waren Sie Helmut Wirths rechtmäßige Ehefrau?«
»Ja!«, sagte sie mit zittriger Stimme. Ihre kühle Selbstbeherrschung war verflogen. »Ja, das stimmt, es war unser kleines Geheimnis.«
»Unser kleines Geheimnis? Warum verschwiegen Sie diesen Tatbestand gegenüber den deutschen Behörden. Ihre Ehe war gültig auch vor Deutschem Recht. Warum diese Zurückhaltung? Und hat Lukas davon gewusst?«
»Nein, das hat er nicht.« Olgas Stimme hatte sich wieder gefangen. »Wegen ihm haben wir es heimlich gemacht.«
»Um das Andenken an seine Mutter nicht zu gefährden?«, fragte Melanie.
»Ja in etwa. Helmut dachte, es würde ihn verletzen, wenn wir heirateten und Lukas würde aus einer Trotzreaktion aus dem Unternehmen aussteigen.«
»Wenn Sie die rechtmäßige Ehefrau sind, dann sind Sie doch die Alleinerbin, ist das richtig? Oder gibt es einen Ehevertrag?«
»Nein, es gibt keinen Vertrag, wir haben aus Liebe zueinander geheiratet, nichts anderes. Alleinerbin? Ich weiß nicht. Darüber habe ich mir noch keine Gedanken gemacht.«
»Aber Sie haben doch aktiv im Unternehmen mitgearbeitet.«
»Ja, das habe ich. Ich habe mich ums Personal gekümmert und um unsere osteuropäischen Geschäftspartner.«
»Dann wissen Sie ja auch, wie es um die Unternehmen steht.«
Olga überlegte kurz, dann antwortete sie knapp: »Im Großen und Ganzen: ja.«
»Und wie laufen die Geschäfte?«, wollte Melanie wissen.
»Wieder gut«, sagte Olga knapp.
»Wieso wieder?«
»Na, ja, wir hatten eine schwierige Zeit hinter uns«, sagte die Ukrainerin leise.
»Erklären Sie mir das bitte!«
Olga Bogdanow räusperte sich, dann fing sie an zu erzählen.
»Die Waren wurden immer teurer, der Wareneinstand zu hoch, die Mitarbeiter wollten immer mehr Geld. Der Getränkemarkt warf keine Gewinne mehr ab. Die Brauereien langen immer kräftiger hin und an die Konsumenten können wir es nicht weiter geben. Der Zuschlag für das Volksfest hat uns gerettet. Die Umsätze im Festzelt sind enorm und unsere Kosten sind unter Kontrolle. Es bleibt einiges übrig um die restlichen Geschäfte zu kompensieren.«
Melanie hatte Blut geleckt. »Wer wird nun die Geschäfte weiter führen?«
»Lukas in der Hauptverantwortung, sicher mit meiner Unterstützung.«
»Hatte Helmut Wirth Feinde«, fragte Melanie direkt.
»Nicht dass ich wüsste. Helmut war ein Geschäftsmann, der manchmal einen richtig vor den Kopf stoßen konnte. Er war ein Steinbock, er hatte Hörner auf dem Kopf. Und seine direkte Art hat sicher nicht jedem gefallen. Aber deswegen bringt man niemanden um. In der Geschäftswelt von Freising hatte er gute Beziehungen und ein gutes Netzwerk.«
»Was schließlich dazu geführt hat, dass er den Zuschlag fürs Volksfest bekommen hat«, fügte Melanie hinzu.
Olga Bogdanow holte tief Luft und sagte dann selbstbewusst von ihren eigenen Worten überzeugt: »Unsere erwiesene Qualität und unser erprobter Service waren Ausschlag gebend.«
Melanie winkt ab. »Lassen wir das. Sie erwähnten osteuropäische Geschäftspartner. Was kann ein zünftiges bayerisches Gastro-Unternehmen aus Osteuropa herankarren?«
»Mehr als Sie denken. Ein anderes Mal vielleicht mehr darüber. Es ist spät und ich muss mit Lukas zurück auf den Festplatz, es gibt noch so viel zu tun. Auch wenn Helmut so plötzlich von uns gegangen ist, der Betrieb muss weiter laufen. Haben wir es dann?«
Melanie stoppte die Wiedergabe. Sie stand auf und stellte sich vor ihre Planungstafel. Alois folgte ihr. »Und, was meinst du?«, fragte er nachdenklich.
»Ich glaube«, gab Melanie ihm zur Antwort, »diese Frau hat es faustdick hinter den Ohren. Die weiß mehr als sie zugibt. Und das mit der Heirat, das war so eine Intuition von mir. Freiwillig hätte sie das nicht erwähnt, höchstens bei der Testamentseröffnung.«
»Und der Lukas weiß von nichts?«
»Das sagt sie. Das muss nicht stimmen. Ich traue ihr nicht, ich habe den Sowjets noch nie getraut. Damals zu DDR Zeiten und heute schon gar nicht. Nach der Wende sind einige zu verdammt viel Geld gekommen, ein Menschenleben zählt wenig. Und von denen, die jetzt das Sagen haben, waren viele früher beim KGB oder in der Armee. Sie verstehen es einen Menschen zu töten und vor allem Intrigen zu sähen und Korruption aufzubauen.«
»Höre ich da einen tief in dir sitzenden Hass gegen euren damaligen Bruderstaat? Außerdem dachte ich, die hübsche Blondine ist aus der Ukraine?«
»Zur Zeit der Sowjetunion war die Ukraine das Land mit den meisten Atomwaffen. Viel Militär und KGB. Und jetzt Korruption und organisiertes Verbrechen, Menschenhandel, Prostitution. Warum treibt ein gestandener bajuwarischer Unternehmer Handel mit Elementen in diesem Land? Schon mal nachgedacht?«
»Dann sollten wir doch noch einmal die Kasbauer befragen. Sie kennt den Toten seit zwanzig Jahren und ich glaube, auch sie verschweigt uns, meiner Meinung nach, eine ganze Menge Dinge.«
»Die Kasbauer, die Bedienung aus dem Bierzelt? Meinst du wirklich?«
»Wir sollten es versuchen.«
»Was steht sonst noch auf unserer Liste?« Melanie setzte sich an ihren Schreibtisch und stöberte in den Akten darauf.
»Familie Sandholzner habe ich hier noch liegen«, beantwortete sie ihre Frage selbst. »Sie sollten wir auf jeden Fall interviewen. Man hat ihnen die Einnahmen und Gewinne vom Volksfest weggenommen und das nach 10 Jahren.«
»Ein Grund jemanden umzubringen?«, fragte Alois.
»Wenn dir für die nächsten Jahre ein jährlicher Umsatz von ein bis zwei Millionen Euro, so mir nichts dir nichts weg genommen wird, dann könnte das ein ausreichender Grund sein. Du weißt doch die wichtigsten Gründe für Mord?«
Alois schwieg.
Melanie antwortete für ihn. »Der häufigste Grund für Mord und Totschlag ist die Eifersucht, dann kommt gleich das Geld, und dann das Motiv der Demütigung und der Rache. Im Falle Wirth würden dann schon zwei von drei Motiven der Tatsache entsprechen: Geld und Rache. Geliebt werden sie den alten Wirth ja wohl nicht haben.«
»Störe ich!«, hörten sie plötzlich eine Stimme aus Richtung der Tür. Rainer Zeidler, der Mann von der Spurensicherung stand im Türrahmen winkte mit einem Blatt Papier.
»Guten Morgen Rainer. Schon wach. War doch sicher eine kurze Nacht für euch, oder?«, ulkte Alois.
»Es geht. Und vor allem, es gibt da einen Kommissar hier auf dem Revier, der hielt mir mal eine Moralpredigt über Überstunden und Teamwork. Wenn die Arbeit es erfordert, dann muss man halt ranklotzen. Und wer trinken kann, der kann auch arbeiten und so. Kennst du den?«
Alois grinste verlegen, sagte aber nichts.
»Ich bin seit 8 Uhr da, was man nicht von jedem der hier Anwesenden behaupten kann.«
»Ist ja schon gut. Hat sich wohl schon im Haus herumgesprochen, dass ich heute früh nicht ganz pünktlich war. Jetzt komme ich einmal im Jahr zu spät und schon macht die ganze Belegschaft ein Drama daraus. Was willst du von uns, Rainer?«
»Ich brauche eine Unterschrift für eine richterliche Verfügung. Der Rechtsanwalt rückt das Testament vor der Verkündung nicht freiwillig raus. Und die Verkündung wird erst dann sein, wenn der tote Wirth zur Beerdigung frei gegeben und unter der Erde ist. Hier ist der Wisch, wenn ihn bitte jemand von euch signiert, dann gebe ich das gleich an Staatsanwältin Lehner weiter, soll sie sich darum kümmern.«
»Was gibt es sonst noch Neues aus den Katakomben?«
»Nichts, was ihr schon wisst«, antwortete Rainer und legte das Formular vor Melanie auf den Tisch. Sie unterzeichnete und gab es ihm sofort wieder zurück. Rainer sagte Servus und wollte sich wieder vom Acker machen, doch Alois hielt ihn mit einem Pfiff zurück.
»Ja, Alois, was denn noch?«
»Die Stadt Freising wägt jedes Jahr erneut ab, welche Verkaufsbuden und Fahrgeschäfte aufs Volksfest dürfen. Das Gleiche gilt anscheinend auch für das Festzelt. Kannst du dich bitte mal erkunden, wie dieses Bewerbungsverfahren funktioniert. Was für Auflagen erfüllt werden müssen, wer das Sagen hat und wer letztendlich maßgeblich für die Vergabe verantwortlich ist. Ich habe gehört es läuft über das Ordnungsamt, aber der Stadtrat gibt noch seinen letzten Segen. Und warum die Familie Sandholzner dieses Jahr nicht den Zuschlag bekommen hat.«
»Ay, ay Sir, wird gemacht. Bis morgen früh bekommst du alles. Okay?«
»Das wird reichen. Danke.«
»Hast du denn da einen bestimmten Verdacht?«, hakte Rainer nach.
»Nein«, sagte Alois etwas grantig. »Besorge mir nur ganz einfach die Informationen, alles andere später.«
Rainer drehte sich zu Melanie um: »Und die gnädige Frau, hat die auch noch einen besonderen Wunsch?«
Melanie lachte: »Ja, wenn du mich so fragst, zwei Leberkässemmeln mit süßem Senf und Gurke.«
Rainer lachte und winkte ihr kurz zu. Ohne einen weiteren Kommentar abzugeben war er im Treppenhaus verschwunden.
»Der nimmt mich nicht Ernst«, schimpfte Melanie.
»Wie sollte er auch. Leberkässemmel.«
»Hast du denn schon gefrühstückt, Alois?«
»Nein, ich bin nicht mal geduscht. Zuerst Gizmo, dann Festplatz und jetzt bin ich hier. Auf dem Revier.«
Melanie stand auf und rief nach Gizmo, der sofort von seiner Schmusedecke neben dem Schreibtisch seines Herrchens aufsprang und ihr zwischen die Beine wedelte.
»Wir fahren in die Luitpoldanlage, ich habe Hunger, und eine Leberkässemmel wird es doch dort um die Zeit schon geben?«
»Es ist fast ein Uhr, die Buden haben mittlerweile offen. Du hast Recht. Komm Gizmo, gehen wir.«
Kurze Zeit später standen sie an einer Brotzeithütte und verspeisten jeder eine Leberkässemmel mit süßem Senf und Gurke. Gizmo verdrückte ein Wienerle.
»Jetzt geht es mir schon wesentlich besser«, gab Melanie zum Besten. »Mein Bauch hatte schon angefangen zu rebellieren. Wenn du fertig hast, setzen wir uns mal mit der Kasbauer zusammen.«
Mit vollem Mund gab Alois seiner Kollegin zu verstehen, sie könnten ins Zelt. Er würde die Semmel im Gehen zu sich nehmen.
Das Festzelt war für die Mittagszeit schon wieder gut besucht. Dass vor wenigen Stunden hier ein brutaler Mord geschehen und das Zelt bis in die Morgenstunden von der Polizei, der Gerichtsmedizin und der Spurensicherung belegt gewesen war, davon war nichts mehr zu sehen. Die Festzeltgäste saßen friedlich zusammen, tranken Bier und aßen bayrische Schmankerl. Der größte Anteil der Besucher waren Landwirte, in ländlicher Tracht, mit Gamsbart auf dem Hut. Nur wenige Frauen konnte man zwischen ihnen entdecken. Die Stimmung war fröhlich und diszipliniert, so ganz anders wie am Abend zuvor bei Dolce Vita. Im Hintergrund spielte eine Trachtenkapelle Blasmusik.
»Da vorne läuft sie«, rief Alois und deutete mit dem Arm auf eine ältere Frau in Dirndl, die mit acht Maßkrügen auf dem Arm zwischen den Biertischen herum wuselte.
»Sie bedient ja heute selbst. Dann werden wir sie wohl nicht sprechen können. Sie kann ja ihren Bereich schlecht allein lassen«, entgegnete Melanie.
»Wir werden es versuchen.«
Sie schritten langsam durchs Zelt auf die Bedienung zu. Als diese die Bierkrüge abgestellt und abkassiert hatte, sprach Alois sie an: »Frau Kasbauer, Sie erinnern sich an mich?«
»Ja, ja. Der Herr Kommissar und seine hübsche Kollegin. Klar erkenne ich Sie wieder.« Sie putzte sich ihre bierfeuchten Hände an der Schürze ab und sagte zu ihnen: »Kommen Sie, setzen wir uns wieder in eine Box. Die werden erst heute Nachmittag voll.«
Melanie fragte höflich: »Kommen wir Ihnen denn auch wirklich gelegen, ich habe gesehen, Sie müssen heute bedienen?«
Frau Kasbauer lachte und ihre weißen Zähne blitzten auf.
»Ich helfe nur aus, das ist schon in Ordnung, es ist halt wieder jemand krank. Die Arbeitsmoral ist nicht mehr so wie früher. Übrigens in Ihrem Dirndl haben Sie mir schon besser gefallen als wie in der Jeans.«
Melanie lächelte verlegen.
»Sie san doch die hübsche Kommissarin von heut Nacht?«
Melanie antwortete nicht und folgte der Frau und ihrem Kollegen die Treppe hoch auf den Balkon.
»Hier sind wir für uns«, sagte die Kasbauer und bat die beiden Kommissare Platz zu nehmen. »Sie wollten meine Aussage von heute Nacht mir zur Unterschrift vorlegen. Weil ich doch den toten Helmut gefunden habe.«
»Das hat im Moment noch Zeit. Wir haben noch ein paar Fragen, und da denken wir, dass sie die uns sicher beantworten können, nachdem sie über zwanzig Jahre für die Familie Wirth arbeiten, ja quasi selbst fast zur Familie gehören.«
»Schön wäre es«, sagte Frau Kasbauer traurig. »Was wollen Sie noch wissen?«
»Uns interessiert zunächst einmal das Verhältnis Helmut Wirth zu seiner jungen Frau, zu Olga Bogdanow.«
»Was soll ich dazu sagen, sie war halt nicht die Katharina. Das würde sie auch niemals werden.«
»Katharina?«, fragte Kommissar Kreithmeier.
»Helmuts verstorbene Frau hieß Katharina. Sie starb vor acht Jahren an Krebs. Das war eine Frau. Sie war eine echte Lady, hatte immer ein nettes Wort zu den Angestellten. Machte gerechte Einsatzpläne und stand ganz hoch im Ansehen der Lieferanten. Da waren es ja auch noch Lieferanten aus der Region.«
»Und ihr Mann, wie war sein Verhältnis zu seinen Mitarbeitern?«, hakte Melanie nach.
»Von einem Verhältnis kann man wohl eher nicht sprechen, auf jeden Fall von keinem guten. Man soll ja über Tote ja nichts Schlechtes sagen, aber gut behandelt hat er uns nicht. Dem alten Wirth sein Vater, der Sebastian, Gott sei seiner armen Seele gnädig, war ein wohlhabender Hopfenbauer. Der hat seine Knechte und Feldarbeiter damals schon aus Polen und Tschechien geholt. Saisonarbeiter. Wenig Lohn, harte Arbeit, nur so kam er zu etwas. Er hat dann den Landgasthof gekauft, sein Sohn, der Helmut, hat ihn übernommen und zu einem Juwel der Gastronomie in der Holledau ausgebaut. Mit dem Geld vom Alten natürlich. Und dann hat er mit Catering angefangen, mit Zeltverleih und schließlich den Schritt zum Festzeltwirt unternommen.«
»Das ist ja nichts Unanständiges.«
»Nicht dass Sie mich falsch verstehen, ich will mich nicht beklagen. Ich habe immer gut verdient und mir macht die Arbeit großen Spaß. Als Geschäftsmann muss man schon sehen, wo man bleibt, da hat man nicht immer nur Freunde. Nur ich will damit ausdrücken, seit die Olga das Sagen hat, stimmt vieles nicht mehr. Und der Helmut wollte nichts davon hören. Seine Olga ging ihm über alles, selbst als die ersten Beschwerden vom Catering kamen, die Qualität wäre nicht mehr so gut wie früher. Selbst da nicht.«
Alois Kreithmeier schüttelte den Kopf. »Frau Kasbauer, was hat die Bogdanow mit der Qualität der Produkte zu tun?«
»Das ist recht einfach, sie war schließlich für den Einkauf zuständig. Und Münchner Weißwürste gehören nun mal aus München.«
Melanie sah die Frau nachdenklich an. »Wo sollen sie denn sonst herkommen? Wenn nicht aus München?«
»Na aus einer Wurstfabrik in Kupyansk.«
»Kupyansk?« Melanie und Alois runzelten ihre Stirn.
»Kupyansk ist eine Stadt in der Ukraine«, klärte die Kasbauer sie auf. »Sie stellen dort Schinken, Salami und Pasteten her. Seit ein paar Jahren auch Weißwürste, Wienerle und Nürnberger Bratwürste. Und das alles zu einem wesentlich günstigeren Preis als die hiesigen Großbetriebe.«
»Aber Sie dürfen Weißwürste nur dann Münchner Weißwürste nennen, wenn sie tatsächlich in München hergestellt werden.«
»Das ist richtig. Das hatte der Helmut am Anfang auch noch falsch gemacht und eine Abmahnung kassiert. Nun steht auf der Speisenkarte Weißwürste Münchner Art und Rostbratwürste. Der Begriff Wienerle ist nicht geschützt.«
»Und warum kaufen Sie in der Ukraine ein?« Melanie wollte mehr darüber wissen.
»Der Preis. Ein Kilogramm Saftschinken kostet umgerechnet 3 Euro. In Deutschland das fünffache. Und wir kaufen nicht nur in der Ukraine. Unsere Hühner kommen aus Ungarn, der Schweinebraten und die Haxen aus Polen und das Rindfleisch aus Russland.«
Alois Kreithmeier schnappte sich eine der Speisekarten und überflog die Gerichte. Er fasste es nicht. Fast alle Zutaten für die bayerischen Schmankerl kamen aus dem ehemaligen Ostblock. Die Welt war verkehrt. Globalisierung nannte man so etwas. Er hatte davon in einer Zeitung gelesen. Aber bei Weißwürsten?
»Das sind zwar alles feine bayerische Spezialitäten, doch die Lebensmittel kommen aus dem Ostblock, wenigstens seit die Bogdanow im Einkauf das Sagen hat«, erläuterte Frau Kasbauer den Sachverhalt. »Und kein Mensch merkt es. Die Qualität ist gut, ich esse es ja auch selbst. Aber der Wareneinstand ist damit drastisch gesunken. Und wir verkaufen ja kein Bio. Wir sind nicht zertifiziert.«
»Wer weiß alles davon?« Melanie nahm Alois die Speisekarte aus der Hand blickte auf darauf.
»Der innere Kern, der Wirth Junior, die Olga Bogdanow und ein paar Wenige in der Küche. Am Anfang gab es noch Klagen. Mangelnde Qualität und Fehler in der geschlossenen Kühlkette. Aber jetzt haben Sie es im Griff. Die Osteuropäer lernen schnell dazu. Ich wette mit Ihnen, Sie schmecken jetzt keine Unterschiede mehr. Aber es ist ein gewaltiger Unterschied, wenn sie nur noch einen Bruchteil für die Rohstoffe zahlen müssen, den bemerken sie in der Kasse, nicht auf dem Teller.«
»Warum erzählen Sie uns das alles, Frau Kasbauer, das ist doch Firmeninternes, das geheim sein sollte. Warum also?«
»Weil ich der Bogdanow nicht traue. Seit sie mit dem Helmut liiert war, hat sich vieles verändert. Nicht nur im Einkauf auch am Personal. Nur noch billige Aushilfskräfte, vielleicht sogar Illegale, Schwarze, Gelbe, Braune, fast keine Deutschen mehr.«
»Da ist nichts Verbotenes dran«, klärte Kreithmeier sie auf, »es sei denn die arbeiten ohne Aufenthaltsgenehmigung. Und dafür sind wir nicht zuständig. Wir haben einen Mord aufzuklären. Und wer könnte Ihrer Meinung nach diese Tat begannen haben?«
Die Kasbauer schaute auf ihre Hände. »Der Helmut war nicht immer einfach. Er saß auf seinem Geld, hat seine Mitarbeiter und Kunden immer aufs Geld warten lassen. Vielleicht ein Lieferant, der sauer auf ihn war? Mit den Osteuropäern war nicht gut Kirschen essen.«
»Ach Sie meinen, einer der ungarischen Hendlzüchter schlägt dem Helmut Wirth den Schädel ein, weil er die Giggerl noch nicht bezahlt hat?«, fragte Kreithmeier und lächelte spitzbübisch.
Jetzt blickte Resi Kasbauer den Kommissar mit großen Augen an. Sie wusste nicht, was sie mit dieser Frage anfangen sollte.
»Vielleicht. Ich weiß es nicht. Ich habe nur manchmal die Typen gesehen, mit denen der Helmut seine Geschäfte gemacht hat. Ich hätte keinem dieser Burschen auch nur eine Mark schulden wollen.«
»Meinen Sie das waren Mafiosi, ukrainische Mafiosi?«, fragte Melanie die Frau.
»Was weiß ich. Der Helmut war ein guter Geschäftsmann, das war er, härter und konsequenter wie sein Sohn. Aber auch schrulliger und kauziger. Angenehm und liebevoll ist etwas anderes. Wobei er um seine Olga immer wie ein verliebter Pennäler herumgesprungen ist. Olgaschatzi hier und Olgaschatzi da. Es war manchmal peinlich wie so ein alter Gockel dieser blonden vollbusigen Frau den Hof gemacht hat.«
»Eifersüchtig?«, feixte Kreithmeier.
»Wo denken’s denn hin Herr Kommissar. Er tat mir nur leid. Ich glaube, diese Frau hat genau gewusst, auf was sie sich einlässt und sie hat ihn ausgenützt ohne dass er es gemerkt hat.«
»Hat sie ihn womöglich umgebracht?«, fragte Melanie Schütz.
»Das Huhn das goldene Eier legt, dem schlägt man nicht den Kopf ab.«
»Ein weiser Spruch, Frau Kasbauer, aber wenn diese Olga nun alles bekommen würde, wenn er tot ist, das Haus, die Gaststätte, die Immobilien, das Vermögen und den Sohn?«, fügte Melanie hinzu.
Resi Kasbauer starrte die Kommissarin ernst an. Man sah ihr an, dass sie nachdachte, doch dann stand sie plötzlich auf und drückte den Kommissaren die Hand. »So, ich muss jetzt wieder. Die Arbeit ruft und wartet nicht. Muss ich jetzt noch etwas unterschreiben?«
»Kommen Sie bitte morgen früh kurz in die Haydstraße. Das sollte bis morgen reichen. Danke auf jeden Fall für Ihre ehrlichen Worte«, Kreithmeier drückte ihre Hand, »dann wünsche ich Ihnen noch viel Spaß heute beim Tag der Landwirte.«
»Es wird auf jeden Fall wesentlich ruhiger als gestern. Saufen können die Burschen auch. Und raufen. Egal wie alt sie sind. Wir werden es überleben. Ein Bier für Sie?«
»Nein danke, wir sind noch im Dienst. Vielleicht kommen wir nach Feierabend darauf zurück. Wir werden uns sicher noch einmal sehen.«
Sie folgten der Frau die Treppe hinunter ins Zelt. Es war voller geworden und die Lautstärke hatte zugenommen.
»Lass uns schnell gehen«, sagte Alois zu seiner Kollegin. »Gizmo muss mal, und das sollte er lieber nicht im Zelt tun.«
Sie liefen in Gedanken an das letzte Gespräch am Isardamm entlang. Gizmo entledigte sich an einem Baum und war froh, dass er sich ein wenig die Beine vertreten durfte. Er rannte von Baum zu Baum und zurück zu seinem Herrchen, wobei er vor Freude Melanie und Alois immer wieder zwischen den Beinen hindurch wuselte.
Alois steckte sich eine Zigarette in den Mund und zündete sie genussvoll an. Die bösen Blicke seiner Kollegin übersah er geflissentlich.
»Das muss jetzt ganz einfach sein«, sagte er und nahm einen kräftigen Zug, bis der Qualm in seiner Lunge brannte.
»Ahhhhh. Tut das gut.«