Читать книгу Der Makel der Freiheit - Axel-Johannes Korb - Страница 8

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II

Mit seiner Ankunft wurde gerechnet. Sie war brieflich angekündigt worden, sodass alles bereitet werden konnte. Die Schlafstatt war eingerichtet, neue Kleidung geschneidert. Man hatte den Hausstand herausgeputzt und wollte mit einem festlichen Mahl den Absolventen willkommen heißen. Die überglückliche Mutter vertraute Kilian nach herzlicher Begrüßung zuerst der Obhut der Magd an. Das zarte junge Mädchen, Barbara mit Namen, geleitete ihn zum Bade, wo er sich seiner Kleider entledigte und unter ihrer Aufsicht in den mit heißem Wasser gefüllten, eisernen Zuber stieg. Das Mädchen schaute verlegen drein und bemühte sich redlich, ihm bei der Handreichung verschiedenster Utensilien behilflich zu sein, wobei sie den Blick auf den Boden geheftet hielt, aber nicht, ohne von Zeit zu Zeit aus den Augenwinkeln auf ihren jungen Herrn zu schielen.

Kilian kratzte all den Dreck von sich ab. Er rasierte sich gründlich und gab seinem leicht gelockten Haar den rötlich-blonden Glanz zurück, auf den er so viel hielt. Auf das Gesicht der Magd zauberte sich im Laufe der Verwandlung ein Lächeln, das er, sobald er es bemerkte, eindringlich erwiderte. Er war sich bewusst, dass er ein einnehmendes Wesen besaß. Er hatte seine Wirkung auf das Weibliche in Leipzig von Beginn an in Wort und Tat exerziert. Das Mädchen, das noch keine achtzehn sein mochte und in den Haushalt bei seiner Abreise noch nicht eingetreten war, errötete, als er dem Bade entstieg, um seinen sauberen Körper im Spiegel zu betrachten und seine Glieder zu trocknen. Die neue Kleidung, die er anlegte, konnte die schöne Erscheinung allenfalls unterstreichen, doch keineswegs schmücken. Er streifte sie über, die Kniebundhose, das Leinenhemd, die Weste und den bestickten, samtenen Rock, fühlte sich zufrieden und erfrischt. Er freute sich, seine strapaziöse Reise endgültig hinter sich gebracht zu haben, und vergaß ihre Mühsal. Die Lumpen, die er getragen hatte, ließ er auf dem Boden liegen, strich sich, während er sein Gesicht noch einmal im Spiegel betrachtete, über die glatt rasierten Wangen und schritt hinaus, während die verwirrte Magd geschäftig begann, die Spuren des Bades zu beseitigen.

Noch bevor sich Kilian an seine Familie wenden konnte, wurde er von der Mutter wieder weggeschickt. Der Vater musste der Erste sein, dem er sich mitteilte. Schultheiß Kramer befinde sich jedoch, trotz der fortgeschrittenen Stunde, noch immer in der Amtsstube. Kilian gehorchte, verließ das Haus ohne Zögern und überquerte den Marktplatz, der schon ganz in eine verlassene Nachtstimmung getaucht war. Er ging ins Fachwerkrathaus hinein und eilte die breite hölzerne Treppe hinauf. Die Diele des Oberstocks war schlecht beleuchtet. Nur wenige Öllämpchen brannten.

Ihm war angst und bange vor dem Zusammentreffen mit dem Vater. Die Strenge dieses Mannes hatte er täglich ertragen müssen, hatte sich als Kind ständig examinieren lassen, hatte sich in das Studium der Rechte treiben lassen, obgleich er es vorzugsweise mit der Philosophie hielt. Vor der Tür wartete er einen Moment, atmete tief ein und nahm seinen Mut zusammen. Ohne anzuklopfen trat er schnellen Schrittes in die Amtsstube ein.

Der Vater thronte an einem unaufgeräumten Tisch. Er las, indem er, aufgrund starker Kurzsichtigkeit, mit der Nase beinahe die Papiere berührte. An den Wänden prangten eng beieinander die Porträts seiner Amtsvorgänger. Gerade noch ein schmales Plätzchen blieb für ein einziges Bildnis übrig. Dem Eintretenden war, als habe für die Vertäfelung des Raumes ein ganzer Zirbenhain abgeholzt werden müssen.

Bonifaz Kramer schreckte auf, erhob sich und ging gemessenen Schrittes auf seinen Sohn zu. Er begrüßte ihn, indem er stumm und fest Kilians Oberarme drückte. Der Sohn überragte den Vater um einen Kopf, dafür konnte er es in der Breite mit jenem nicht aufnehmen. Kilian sagte nur: „Vater!“, und seine Stimme vibrierte vor Rührung und Angst zugleich. Bonifaz antwortete: „Sei gegrüßt, mein Lieber.“ Sogleich verfiel er in ein schweres Husten und krümmte sich, während er mit der flachen Hand auf seine Brust schlug. Kilian rührte sich nicht. Bonifazens Lungenflügel befanden sich seit geraumer Zeit in unbefriedigendem Zustand. Besonders in erregenden Augenblicken versagten sie ihren Dienst, und der daraus folgende Husten ließ den dicken Rumpf in unregelmäßigen Stößen beben. Das erste Wiedersehen mit dem Sohn nach vier Jahren war ein solcher Moment. Der Vater fand nur mühsam in seinen Schultheißensessel hinein. Erst hier kehrten seine Atmungsorgane zu regelmäßiger Arbeit zurück: „Wie ist es dir ergangen in Leipzig? Deine Briefe habe ich gelesen, aber sage es mir noch einmal: Wie ist es dir ergangen?“ – „Soweit gut. Was möchtest du hören?“ – „Nun ja, wie ist das mit dem Studium? Studiert es sich gut in Leipzig?“ – „Allerdings, ich wüsste nichts Besseres.“

Das Gespräch stockte. Bonifaz tat sich mit dem Menschlichen schwer. Er wirkte in Fällen persönlicher Betroffenheit unbeholfen, eine Unbeholfenheit, deren Kehrseite eine vollkommene Beherrschung des Geschäftlichen war. Nur das Lungenrasseln verriet hinter der mechanischen Pflichterfüllung den im Gefühl Getroffenen.

Dass es so bedenklich im Hals seines Vaters schepperte, erfüllte Kilian mit Genugtuung. Nicht ohne Eitelkeit nahm er den Dreispitz unter den Arm und holte die Lizenziatsurkunde aus seinem bestickten Rock hervor, legte sie auf den Amtstisch und trat wieder einen respektvollen Schritt zurück. Der Vater hielt sie dicht vor die Augen, studierte den lateinischen Text und krümmte sich erneut, als ihn der Husten überkam. Kilian regte sich nicht. Er stand steif da, nahm seine Urkunde wieder an sich und steckte sie zurück in die Tasche. Nachdem der Husten des Vaters abgeklungen war, sprach er: „Sehr gut. Du hast Deine Aufgabe erfüllt. Nun können die großen Dinge kommen. Der Kurfürst wird erstaunt sein und dich bald unter seinen Dienstleuten wissen wollen.“

Diese Worte hatte Kilian erwartet. Nun ging es darum, sich menschlich stramm zu halten: „Vater, muss ich denn des Kurfürsten Diener werden?“ – „Selbstverständlich. Das war von Anfang an der Sinn des Unterfangens. Rechtsgelehrte braucht der vernünftige Staat heute mehr denn je. Herrlich, ich male mir aus, was aus dir werden wird, wenn du ein wenig dein Scherflein beisteuerst … Mein Sohn eines Tages als Reichskammergerichtsrat …“ Ein kindliches Lächeln legte sich auf Bonifazens Gesicht.

Kilian ließ sich auf die Bank niedersinken und sah seinem Vater in die Augen. Bonifaz verlor sein glückliches Kindergesicht und ordnete verlegen die Akten auf dem Tisch. „Dem Kurfürsten kann ich nicht dienen.“ – „Oh doch, du kannst es! Was sollte dich daran hindern? Du bist ein Landeskind, entspringst dem Patriziat der Stadt und bist dem hohen Herrn schon dem Namen nach ein Begriff, dafür habe ich gesorgt. Was also sollte dich hindern, ihm zu dienen?“ Kilian begann, seinen Dreispitz in den Händen zu kneten: „Vater, wenn ich eines nicht möchte, dann ist es ein Leben als Amtmann im Dienst des Kurfürsten. Es sind nicht meine Fähigkeiten, die mich hindern, sondern …“, hier stockte er. Der Vater fragte ernst: „Was ,sondern‘?“ Kilian holte Luft und stammelte: „… sondern mein Wille hindert mich daran, mich in die Fänge eines Pfaffen zu begeben.“

Sein Widerspruch war lange geplant. Kilian hatte ihn so manche Nacht in seiner Leipziger Stube probiert. Aber das heldenhafte Gebaren dieser Übungsstunden brachte er im Angesicht des Vaters nicht auf. Bonifaz Kramer wurde ernst bis auf den Grund seiner Lunge: „‘Wille‘ sagst du? Was zählt das schon. Wir sind nicht frei, zu tun und zu lassen, was uns gerade in den Sinn kommt. Frei sind wir allenfalls darin, dem Befehl unserer Fürsten zu folgen oder nicht, frei sind wir darin, uns für ein Leben im Wohlstand oder für eines in der Gosse zu entscheiden. Also lass die Träumerei und beherzige meinen Rat. Geh zum Kurfürsten, bewirb dich um eine Stelle und diene ihm!“

Hier erhob sich Kilian, begann, in der Amtsstube umherzulaufen, verschränkte die Arme hinter dem Rücken, setzte auch mehrmals an, um etwas zu erwidern, brachte aber nichts heraus. Die Blicke des Vaters folgten seinen Schritten: „Denke daran, mein Sohn, wie alt und herrlich unsere Ordnung ist, denke daran, wie gut die Bürger dieser Stadt allezeit mit dem Kurfürsten gefahren sind. Ich werde es wohl nicht mehr erleben, meine Lungen sind dafür zu schwach, aber du wirst dabei sein, wenn sich der Gründungstag der Abtei zum tausendsten Male jährt.“ Kilian ging weiter sprachlos im Zimmer herum. Er bemerkte das knarrende Parkett, auf dem er wandelte, bemerkte den schiefen Boden, über den er schritt. Alles war morsch. Ihm schien es wie ein Zeichen dessen, was hier verwaltet wurde. Es war ein kleiner Staat, in dem alles auf abschüssigem Gelände einer tiefen Schlucht entgegenrollte, erst langsam, dann schneller, um schließlich mit rasender Geschwindigkeit in den Höllenschlund zu stürzen. Allein der Gedanke daran, dass sich der Gründungstag der Abtei zum tausendsten Male jähren könnte, verursachte ihm ein Drücken in der Magengegend.

Es klopfte an der Tür. Der Vater gewährte Einlass. Ein junger Mann trat ein, dessen gekrümmte Nase und leicht abstehende Ohren, dessen fliehendes Kinn und hohe Wangenknochen die Aufmerksamkeit des Betrachters auf sich zogen. „Aha, der Sekretarius“, sprach der Vater, „ich denke, ihr kennt euch?“ Es war Rudolf Kuhn, mit dem Kilian gemeinsam die Lateinschule am Freiplatz besucht hatte. Der Sekretarius trug einen Stoß Akten unter dem Arm, legte sie auf die Wartebank und begrüßte seinen alten Kameraden, indem er dessen Rechte mit seinen beiden Händen umfasste. Kilian befürchtete eine Umarmung und hielt seine linke Faust vor sich, um den Abstand nicht zu klein werden zu lassen. Dass Rudolf inzwischen zum städtischen Sekretarius aufgestiegen war, hatte er schon durch Briefe erfahren. Jetzt aber sah er ihn in Amt und Würden vor sich, wie er wichtig schien und Miene machte, alles und jeden zu begreifen.

Rudolf war nach Ende der Schulzeit am Ort geblieben. Er hatte anstelle des Studiums die Laufbahn des Beamten eingeschlagen, war Schreiberlehrling geworden, um in den kurfürstlichen Dienst treten zu können. Er war ähnlich hochgewachsen wie Kilian. Bestechen konnte er aber allenfalls mit seiner sanften Stimme, seiner gepflegten Erscheinung und seinen tadellosen Manieren. Schon in der Lateinschule hatte er damit das milde Urteil der Lehrer herausgefordert, das so manchen Mangel an Bildung ausgleichen musste. Früh hatte er gelernt, sich das Gegenüber gewogen zu machen, ohne hierfür Großes leisten zu müssen. Kilian traute ihm kaum über den Weg. Die sanfte, ins Falsett hinüberspielende Stimme lag ihm wie ein Pfeifen in den Ohren.

„Ich störe wohl?“, fragte Rudolf vornehm, „ich wollte nur noch einen Aktenfall mit dem Herrn Schultheiß besprechen. Wenn ich nun aber störe, so gehe ich besser.“ – „Er stört nicht“, raunte der Vater, „lasse Er jedoch nur die Akten liegen, wo sie sind, und komme Er in einer halben Stunde noch einmal. Ich befinde mich in wichtiger Besprechung mit meinem Sohn, einem Lizenziaten der Universität zu Leipzig.“ Rudolf verbeugte sich leicht, machte anerkennende Miene, nickte Kilian zu und verließ die Amtsstube.

Wer es nicht besser wusste, der musste den Sekretarius ob seiner Manieren für einen Spross der städtischen Aristokratie halten. Allerdings handelte seine Familie mit Vieh aller Art, ein Gewerbe, das zur Vornehmheit kaum taugte. Dennoch hatte er es in dieser Eigenschaft zu einem erklecklichen Wohlstand gebracht, besaß bald ein Haus im Innersten der Stadt, nicht weit von der Heimstatt Kilians, und ging seinem Gewerbe von Jahr zu Jahr erfolgreicher nach. Die finanziellen Reserven reichten bald zum Kauf zweier angrenzender Anwesen. Schon mutmaßte man, der Viehhändler Kuhn sei der reichste Mann am Platze und horte in seinen Truhen den größten Schatz des Ortes, der jenen der Abtei bei Weitem übertreffe.

Der Sohn des Viehhändlers spürte früh die Unterscheidung zwischen bloßem Reichtum und wohlerworbenem Ansehen, empfand das bäuerlich-polternde Gebaren des Vaters für unschicklich, entwickelte aus dieser Einsicht seine Manieren, versagte sich die zu Hause gebräuchlichen rauen Worte und übte sich nachts im Falsett.

Nachdem Vater Kuhn das Vermögen stetig vergrößert hatte, gingen seine Kinder daran, es in Einfluss umzusetzen. Rudolfs Eintritt in die städtische Verwaltung, sein Heranreifen zum kurfürstlichen Beamten, war die Einforderung jenes Teils, das dem gewerblich Erfolgreichen im Hinblick auf politischen Einfluss bislang noch versagt gewesen war. Nun aber saß der Ohrenbläser als Sekretarius im Rathaus und lenkte den Willen des Schultheißen. Dabei entwickelte er einen kaum zu bremsenden Eifer, war aber auch ganz der treue Fürstendiener, der die Stadt und ihr Umland noch niemals verlassen hatte und sich nicht vorstellen konnte, dass sich eines Tages in der Ordnung der Ämter und Ränge auch nur das Geringste ändern könne. So versuchte er, sich in das Gefüge einzugliedern, um in ihm aufzusteigen und seiner aufstrebenden Familie einen Platz in der Rangfolge zu verschaffen, der ihrem Reichtum ebenbürtig war.

Die Luft in der Amtsstube war staubig. Kilian trat ans Fenster und riss es auf. Der alte Vater fror sogleich im winterlichen Luftzug. Er stand auf, wollte das Fenster schließen, was sein Sohn allerdings nicht zuließ. Stattdessen sprach Bonifaz Kramer: „Nimm dir ein Beispiel an deinem Kameraden aus der Lateinschule! Willst du wie ein Taugenichts mit deiner Fiedel über die Berge ziehen? Sei vernünftig und folge meinem Rat!“ – „Meinem Willen will ich folgen, Vater, nicht der Vernunft des Kurfürsten, die keine ist. Lass mich doch mit den Pfaffen in Ruhe! Überall lauert das Ende, alles ist im Sterben begriffen. Den Toten will ich nicht dienen. Das können andere übernehmen. Rudolf ist der Richtige dafür. Soll er sein Lebtag lang die Akten tragen und sich von ihrem Staub ernähren. Einem Pfaffen wie dem Kurfürsten folge ich nicht.“ – „Sprich nicht so vom Kurfürsten! Sprich nicht in solch einem rauen Ton von deinem Landesherren und Ernährer!“ – „Ich pfeife auf einen solchen Ernährer! Was habe ich mit ihm zu schaffen? Besser wär’s, er träte ab und ließe dem Volk, was vom Volk kommt.“

Der Vater war vollends zornig geworden: „Ich sehe schon, dass man dir dort, von wo du kommst, den Kopf verdreht hat. Warum musste es Leipzig sein, warum konntest du nicht nach Wien gehen? Was für Ideen du mit nach Hause bringst!“ – „Es ist doch völlig gleichgültig, wo ich gewesen bin. Überall pfeifen es die Spatzen von den Dächern, dass die Alten gehen müssen. Nur dieses unselige Nest hat es noch nicht gelernt. Hier ist alles so erstarrt. Aber warte nur, bald wird es mit der ganzen modrigen Herrlichkeit zu Ende sein. Es ist nicht mehr lange hin, dann gibt es auch kein Reichskammergericht mehr …“

Hier setzte es ganz plötzlich eine schallende Ohrfeige, wie sie der Vater so gerne austeilte. Dennoch überraschte sie Kilian im ersten Moment. Er betastete seine Wange, wich Bonifazens Blick aus und setzte sich neben die Akten, die von Rudolf auf die lange Bank geschoben worden waren.

Kilian hatte geahnt, dass es nicht leicht sein würde zu widersprechen. Aber er wusste auch, dass nur auf diesem Wege die Front deutlich, dass nur so allen Schauspielereien ein Ende gemacht werden könnte. Der Vater litt wieder unter seinen unregelmäßigen Lungenstößen. Er sagte leise und mit kaum erholter Stimme: „Der, welcher flucht, ist schon verflucht. Überall dieses Revolutionsgeschwätz. Nicht einmal dem eigenen Sohn ist noch zu trauen. Auf Schritt und Tritt wird man verfolgt. Die Masse mordet langsam ihren König, wie es in Frankreich geschehen ist. Heute hat mich ein Schreiben aus der Hauptstadt erreicht“, Bonifaz Kramer zog ein Schriftstück unter den Akten hervor, „man weiß sich dort nicht mehr zu helfen. Die Stadt verschanzt sich. Die Franzosen sind im Anmarsch und stoßen von Süden vor. Nicht einmal der eigene Sohn …“

Die Weinerlichkeit des dicken Alten in seinem morschen Sessel widerte Kilian an. Die Nachricht überraschte ihn kaum. Es war nur eine Frage der Zeit, bis die Revolution auf das deutsche Nachbarland übergreifen musste, bis die Rheinstädte in Bedrängnis gerieten und in äußerster Gefahr waren.

„Und ich soll dem Kurfürsten dienen? Nein, auf der Seite der Verlierer werde ich nicht stehen. Lass Rudolf das machen, dem steht das Pfaffenwappen ausgezeichnet. Ich wähle mir den besseren Teil.“ – „Ich weiß, dass du Rudolf noch nie recht gut leiden konntest …“ – „‘Noch nie recht gut leiden‘? Das ist wirklich milde.“ Bonifaz Kramer stand auf und suchte den Blick des Sohnes: „Du wirst in Zukunft diese Milde recht gut gebrauchen können.“ Kilian fragte: „Warum soll ich milde sein, wenn es sich über diesen emporgekommenen Schweinehirten doch so trefflich lästern lässt? Sag mir: warum?“ Am Ende des Satzes war er laut geworden. Der Vater zögerte mit der Antwort. Er stammelte: „Dieser ,emporgekommene Schweinehirt‘, wie du ihn nennst … nun … er wird … er wird deine Schwester Katharina heiraten.“

Kilian fuhr von der Bank auf, trat an den Tisch, stampfte mit dem rechten Bein auf den Boden auf, dass die Erschütterung durchs Mark fuhr, und fuchtelte ein wenig mit den Armen, denn er wusste nicht, was er vor Zorn noch sagen sollte. Mit bösem Blick, verkniffenen Lippen und schneller Atmung sah er, wie der Vater scheinbar zufrieden sagte: „Seinesgleichen geschieht.“ Und weiter: „Nun geh, Kilian! Geh hinüber ins Haus! In einer Stunde werde ich kommen. Dann feiern wir deine Rückkehr mit einem festlichen Essen. Geh nur und kein Wort mehr von der Revolution!“ Kilian knetete den Hut in seinen Händen, verließ wie ein Wirbelwind die Stube, eilte die Treppe hinunter und floh hinaus auf den Marktplatz. Am erstbesten Pfahl stützte er sich und rang nach Luft, während er aus dem geöffneten Fenster der väterlichen Amtsstube ein Keuchen und Husten vernahm.

Der Makel der Freiheit

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