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Kapitel 5

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Andreas setzte sich auf seinen winzigen Balkon, der gerade mal Platz bot für zwei Stühle und einen Miniaturtisch. Er beobachtete die Vögel in den hochgewachsenen Bäumen. Tiere gab es in dem Kölner Vorort Lindenthal durch die Nähe des Stadtwaldes noch jede Menge. Morgens freute er sich immer, wenn die Eichhörnchen auf der Suche nach Fressen durch die Nadelbäume huschten, er liebte diese possierlichen Baumartisten. Er öffnete eine Flasche Bier aus seinem spärlichen Vorrat, verzichtete auf ein Glas und sinnierte mal wieder über den bemerkenswerten Brief seiner Freundin. Er versuchte erneut, sie telefonisch zu erreichen, wieder ohne Erfolg. Er grübelte noch ein paar Minuten und gelangte dann zu der Überzeugung, dass sie zu intelligent war, um sich leichtfertig in Gefahr zu begeben. Für ihre Intelligenz sprach schon alleine die Tatsache, dass sie ihm als Rückendeckung Kopien der angeblichen Beweise zugespielt hatte. Das war in jedem Fall eine gute Lebensversicherung, zwar keine Überlebensgarantie, aber besser als keine Sicherung. Bei einer Erpressung, falls es sich um eine solche handeln sollte, würden die Beweisstücke als erstes gesucht werden und wenn der Erpresste sie nicht fand, würde er versuchen den Erpresser dazu zu bringen, ihm diese auszuhändigen. Solange er die Beweise nicht in Händen hielt, würde er dem Erpresser nicht nach dem Leben trachten. Zumindest nach der üblichen Theorie und nach seiner Hoffnung.

Halbwegs beruhigt, wählte er die Handynummer Chantals. Sie war eine enge Freundin Yvonnes, auch sie war tschechischer Herkunft und hieß bürgerlich Zusana Tomalová. Sie hatte anders als Yvonne noch diesen unverkennbar slawischen Akzent und ihr Vokabular war nicht halb so reich, wie das ihrer Freundin, obwohl sie als kleines Kind im Schlepptau ihrer Eltern nach Deutschland übergesiedelt war und sie somit etliche Jahre länger Zeit hatte, gutes Deutsch zu erlernen. Andreas hatte sie ein paarmal anlässlich seiner Besuche bei Yvonne getroffen, beide wohnten im gleichen Haus. Sie entsprach überhaupt nicht seinem Frauentyp, schon alleine die extrem gebleichten Haare waren nicht sein Fall, außerdem war sie figürlich üppiger ausgestattet und das in jeder Beziehung. Er liebte nun mal schlanke Frauen und sie war eben etwas fülliger mit einem enormen Busen, allerdings nicht dick. Aber trotzdem war sie ihm nicht unsympathisch, denn was er besonders mochte, sie lachte gerne und oft, darüber hinaus war sie sehr charmant.

Chantal meldete sich so prompt am Handy, als habe sie seinen Anruf erwartet. Sie erinnerte sich auch gleich an seinen Namen, wahrscheinlich hatte sie seine Nummer gespeichert, obwohl er sich nicht erinnern konnte, wann und ob sie bereits jemals miteinander telefoniert hatten. Nach seiner Überzeugung, steckte hinter dieser Indiskretion Yvonne. Nun ja, seine Adresse mit Telefonnummer war kein Geheimnis, es hat Zeiten gegeben, da hatte er seine Visitenkarten wie Konfetti unter den Leuten verteilt.

Nach wenigen belanglosen Begrüßungsfloskeln berichtete ihr Andreas, dass er einen mysteriösen Brief von Yvonne erhalten hatte und dass er sie in Lebensgefahr vermute. Er habe seit Erhalt des Briefes mehrmals versucht, sie telefonisch zu erreichen, jedoch nur immer die Sprachbox erreicht.

„Nun, Yvonne hat mir schon davon erzählt. Sie hat mir genau wie Dir einen Umschlag anvertraut, den ich erst öffnen soll, wenn ihr etwas zustoßen sollte. Und in diesem Fall hat sie mir geraten, mich mit Dir in Verbindung zu setzen und über die nächsten Schritte zu beraten. Sie hat mir noch verraten, dass sie Dir die gleichen Unterlagen geschickt hat. Sie meinte dazu nur, sicher sei sicher, also mache ich mir keine Sorgen, sie weiß immer, was sie tut. Sie hat mir aber mündlich noch anvertraut, sie sei hinter eine geheimnisvolle Sache in Teplice gekommen. Das liegt im Erzgebirge, nördlich von Prag. Ich kenne keine Einzelheiten, aber sie hat gesagt, dort sei ein ominöser Familienklan ansässig, der etwas zu verbergen habe und sie wolle sich eine kleine Scheibe von deren Reichtum reservieren lassen. Ich glaube allerdings nicht, dass das wirklich nur eine kleine Scheibe ist, sie neigte schon immer zu Untertreibungen. Was die Telefonate betrifft, würde ich mir an Deiner Stelle keine Sorgen machen. Ich bin ziemlich sicher, dass sie sehr beschäftigt ist, wie wir alle zu Messezeiten.“

„Wie ist sie denn überhaupt an diese Informationen gekommen? Solche vertraulichen Dinge stehen doch weder in der Zeitung noch an Litfaßsäulen oder im Internet. Ich hatte vermutet, sie hätte irgendwelche Sex-Fotos gemacht oder machen lassen, mit der sie dann einen Politiker oder Wirtschaftsboss erpressen wollte. Aber Deine Information lässt eher vermuten, dass sie eine kriminelle Bande erpressen will. Hoffentlich verbrennt sie sich dabei nicht die Finger.“

„Ja, das kann man nur hoffen. Sie hat mir vertraulich mitgeteilt, ein Tscheche aus Teplice käme in regelmäßigen Abständen zu ihr, er sei sehr großzügig und habe ihr einige Details über den Ursprung des Familienvermögens verraten. Er hätte ihr sogar eine Heirat in Aussicht gestellt und sie mit den Vertraulichkeiten ködern wollen. Der Kerl hatte mal wieder zu viel getrunken und war deshalb auch unvorsichtig gewesen. Sie hat mir dann noch erzählt, dass er sehr betrunken war und deshalb auch nicht mehr in der Lage gewesen war, eine Erektion zu bekommen, obwohl er noch gar nicht so alt war, vielleicht um die vierzig Jahre oder ein bisschen älter.“

Andreas pfiff durch die Zähne. „Daher weht also der Wind. Ich war also mit meiner Vermutung völlig auf dem Holzweg. Wieso erzählt so ein Kerl solche Vertraulichkeiten? Solche internen Informationen sind doch hoch brisant.“

„Ich weiß auch nicht, was manche Männer so antreibt. Aber wir wissen ja alle, was passiert, wenn die Jungs mit uns zusammen sind, dann wollen sie protzen und lügen das Blaue vom Himmel herunter. Die benehmen sich dann wie balzende Vögel. Du hörst in unserem Job die unwahrscheinlichsten Dinge, manche versprechen Dir dann sogar, dass sie sich scheiden lassen wollen, weil ihre Ehe sie so einengt und auch nichts mehr im Bett läuft, sie wären dann bereit Dich zu heiraten, Geld wäre kein Problem. So oder ähnlich stelle ich mir Yvonnes Liebhaber vor. Jedenfalls soll die Familie aus Teplice so unvorstellbar reich sein, vergleichbar vielleicht mit einer Mafia-Familie oder einem Camorra-Klan in Italien. Angeblich sollen die über Geld überhaupt nicht nachdenken müssen. Deshalb hat sich wohl Yvonne ein Herz gefasst und den Namen der Familie ausfindig gemacht. Das soll sehr leicht gewesen sein, sie hat einen Ausweis und verschiedene Unterlagen in seiner Jacke gefunden, als er schlief. Dann hat sie am nächsten Tag einfach mal in Teplice angerufen und das Familienoberhaupt höflich gebeten, ihr ein bescheidenes Schweigegeld zu zahlen. Sie hat darin wohl kein Risiko gesehen, weil sie glaubte, ein paar Hunderttausend Euro wären für die Leute Kleingeld.“

„Sie hat doch bestimmt mit einer Veröffentlichung von Einzelheiten gedroht. Ansonsten kann ich mir nicht vorstellen, dass der Klanchef auch nur einen kleinen Betrag lockermachen würde. Solche Leute achten normalerweise sehr auf ihr Portemonnaie, schon alleine um Bittsteller abzuwimmeln. Bittsteller oder Erpresser, ich glaube in deren Augen ist es das Gleiche.“

„Sie hat mir gesagt, sie habe ein nettes Gespräch mit dem Patriarchen geführt. Er habe am Telefon sehr seriös und zugänglich geklungen. Ich weiß natürlich nicht, wieviel davon gekonnte Schauspielerei gewesen war und wieso er trotz der Bedrohung auch noch freundlich geklungen haben sollte. Jedenfalls ist Yvonne nach dem Gespräch sehr aufgekratzt gewesen und hat davon geträumt, nun werde sich vieles für sie zum Positiven ändern und sie müsse sich nicht mehr mit jedem dahergelaufenen Idioten abgeben müssen.“

„Soll das bedeuten, sie will ihre bisherige Tätigkeit völlig aufgeben und nur noch von ihrem Schweigegeld leben?“

„Nein, das glaube ich nicht, sie will sich wohl nur einschränken, selektiv arbeiten. Sie will sich nur noch mit den Kunden treffen, die sie sympathisch findet. Das wäre eine beneidenswerte Situation für uns, wer aus unserem Gewerbe möchte das nicht?“

„Ist denn Dein Beruf für Dich so abstoßend? Du hast ihn ja letztlich frei gewählt, oder?“

„Ja, ich habe ihn frei gewählt, stimmt schon, aber meine Ausbildung war nicht gut genug für einen besser bezahlten Job. Ohne eine fundierte Ausbildung kannst Du als gutaussehendes Mädchen höchstens in der Gastronomie oder, wenn Du viel Glück hast, in der Fernsehbranche arbeiten. Ich hatte damals ernsthaft geglaubt, als Begleitdame sei es leicht verdientes Geld. Wenn Du jedoch einen Termin mit jemandem hast, den Du nicht kennst, gehst Du schon ein Risiko ein. Wir lehnen auch etliche Kunden ab, ich erkundige mich immer schon vor dem ersten Treffen durch die Blume, welche Praktiken sie bevorzugen. Wenn mir dann die Antwort nicht gefällt, lasse ich mich erst gar nicht mit ihm ein. Andererseits habe ich ein paar Stammkunden, mit denen die Treffen richtig Spaß machen, das sind geschätzte zehn Prozent und den Rest betrachte ich als reine Einnahmequelle. Wobei die Unterhaltungen beim Essen oder in einer Bar mit einigen recht mühsam und langweilig sein können, mit anderen ist das Liebesspiel äußerst einfallslos. Dann bist Du gefordert und es kann in richtige Arbeit ausarten. Die Jungs wollen in jedem Fall auf ihre Kosten kommen, egal wie, selbst wenn sie total betrunken sind. Obwohl, es gibt auch ein paar Kunden, für die ist das Bett überhaupt nicht im Fokus ihrer Wünsche, die wollen nur reden, ihr Herz ausschütten oder vielleicht tanzen gehen. Es würde Dich wahrscheinlich überraschen, wenn Du wüsstest, wie oft wir den Psychotherapeuten spielen müssen.“

„Ist das für Yvonne genau so oder hat sie andere Erfahrungen gemacht?“

„Nein, nein, das ist in der ganzen Branche so. Da unterscheidet sich die billige Straßendirne kaum von dem teuren Callgirl. Reine sexuelle Befriedigung suchen noch lange nicht alle Freier. Ich glaube, die Mehrheit sucht neben dem Sexuellen auch das Gespräch. Wie gesagt, oft auch ausschließlich.“

„Zurück zu Yvonne, ich verstehe ihre Theorie nicht so ganz. Du hast gesagt, sie mag circa zehn Prozent ihrer Kunden, mit denen sie gerne zusammen ist und die sie in Zukunft als elitäres Klientel behalten will, sofern das mit ihrem Goldschatz klappt. Unterstellen wir mal, dass sie aus der Angelegenheit 500.000 oder sogar 1.000.000 Euro herausschlagen würde, davon kann sie nur ein paar Jahre überbrücken, vielleicht zehn oder höchstens zwanzig Jahre. Aber das auch nur als Zubrot zu dem reduzierten Einkommen. Das Geld ist doch bei eurem Lebenswandel schnell aufgebraucht. Ihr seid es gewohnt, mit dem Geld um Euch zu werfen und sparen ist für Euch ein Fremdwort, wenn ich das immer so richtig verstanden habe, was Yvonne mir einmal anvertraut hat.

Außerdem hat sie mir mal gesagt, dass sie den jetzigen Job nicht ewig ausüben kann, sie müsse auch für ihr Alter vorsorgen. Wenn sie fünfzig Jahre alt ist, kommen die Kunden wahrscheinlich nicht mehr in Scharen. Dann braucht sie unbedingt ein gewisses finanzielles Polster. Ich glaube nicht, dass sie in die Rentenkasse einzahlt, also wird sie auch nichts aus dieser Kasse bekommen, maximal das Minimum nach dem Armenrecht oder wie sich das heute nennt. Also, lange Rede, kurzer Sinn: Das Geld wird nicht bis an ihr Lebensende reichen und das würde aus heutiger Sicht bedeuten, dass sie im Alter total verarmt. Es sei denn, sie übt ihren Beruf so lange aus, bis es nicht mehr geht und greift erst dann ihre Ersparnisse an. Oder ist das bei Dir anders?“

Chantal zögerte mit ihrer Antwort. „Eigentlich hast Du recht, an Altersversorgung oder Rücklagen für schlechtere Zeiten, denkt in unserer Branche kein Mensch. Die meisten Mädchen sagen sich, wenn du Geld brauchst, arbeite, manchmal auch ein bisschen mehr, wenn du viel Geld brauchst, arbeite viel. Andererseits ist es dumm, das weiß ich auch. Wir können den gut bezahlten Job bis fünfunddreißig, maximal bis vierzig ausüben, danach gehen die Einkünfte rapide nach unten. Irgendwann müssen wir uns etwas Anderes suchen, eine Boutique eröffnen oder ein Sonnenstudio. Wenn eine der Damen den Absprung verpasst, kann sie nur noch im Dunkeln arbeiten, damit man ihre Falten nicht sieht. Ich kenne sogar ein paar Kolleginnen, die müssen auf Grund ihres Alters für weniger als fünfzig Euro im Auto aktiv werden, weil sie schlichtweg Hunger haben und die Miete fällig wird. Dabei haben sie früher in Saus und Braus gelebt, haben teure Autos gefahren und ihr Geld in den besten Boutiquen verschleudert. Von den üppigen Unterhaltszahlungen an Zuhälter oder sonstige Schutzheilige will ich gar nicht reden.“

Andreas lachte trocken auf. „Das mit der begrenzten Karrierezeit ist wahrscheinlich die einzige Parallele, die ihr mit Fußballspielern und anderen Sportlern habt. Allerdings verdienen die heutzutage unvorstellbare Geldsummen, sogar noch mehr als die Escort Damen. Die bekommen ihr Geld, ob sie Leistung bringen oder nicht. Nun gut, man kann auch bescheidenere Wege gehen. Also, wenn Du Yvonne sprechen solltest, sag ihr bitte, sie möchte mich mal anrufen, ich habe noch ein paar Fragen zu dem Brief.“

„Gut, wird erledigt, versprochen. Mit ihr sind das immer die angenehmsten Pausen. Sie wohnt zwar hier in einer anderen Etage, aber ich werde versuchen einen Kaffee mit ihr zu trinken, der ist übrigens Klasse, den solltest Du mal probieren.“

„Du wirst lachen, ich kenne nicht nur Yvonne sehr gut, sondern auch ihre Espressomaschine und ihren vorzüglichen Kaffee. Ich kann Dir aber auch ein intimes Geheimnis von ihr verraten, das sind nicht ihre einzigen Vorzüge, glaub mir. Nebenbei, ich bin Übermorgen ohnehin bei ihr, wenn Du sie heute nicht sprechen solltest, wäre das kein Problem, dann spreche ich sie direkt auf den geheimnisvollen Brief an.“


Rachegold

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