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4 Der Staat und die privaten Haushalte: Wer wirtschaftet einnahmen-, wer ausgabenbestimmt?
ОглавлениеSeit geraumer Zeit folgt die deutsche Wirtschafts- und Finanzpolitik dem Vorbild der Schwäbischen Hausfrau: »Auskommen mit dem, was wir zur Verfügung haben«, lautet das kanzleramtliche, austeritäre, sprich sparsame Motto. Der grundlegende Fehler dieser Haushalts-, Wirtschafts- und Finanzpolitik besteht darin, dass der Staat kein Privathaushalt ist und deshalb auch nicht so wirtschaften sollte, als wäre er einer.
Im Privathaushalt sollen die Einnahmen die Ausgaben bestimmen; hier bilden die Einnahmen den Ausgangs- und Orientierungspunkt:
Einnahmen → Aus gaben
Den Grund kennt jeder: Der Privathaushalt beziehungsweise die Schwäbische Hausfrau müssten sich sonst verschulden. Das ist oft unmöglich und regelmäßig teuer; außerdem beschränkt es die künftigen Ausgaben.33
Im Staatshaushalt sollte es jedoch genau umgekehrt sein. Die Ausgaben bestimmen die Einnahmen; hier bilden die Auf- bzw. Ausgaben den Ausgangs- und Orientierungspunkt:
Einnahmen ← Ausgaben
Der Grund ist ebenfalls leicht einzusehen: Der Staat muss seine, d. h. die öffentlichen Aufgaben auf jeden Fall erfüllen, also grade auch in schlechten Zeiten – Infrastruktur, Bildung, Sicherheit und vieles mehr je nach Kassenlage geht nicht, das wäre kontraproduktiv.
Wenn es schon wirtschaftlich bergab geht, darf man nicht auch noch die Infrastruktur, Bildung, Sicherheit hinterherschicken sowie dem Wirtschaftskreislauf weitere Mittel entziehen: »Dämpft der Staat die Nachfrage, sinkt die Wirtschaftsleistung – es sei denn, die Lücke wird durch etwas anderes geschlossen. So einfach ist das.« (JOSEPH STIGLITZ34)
Wenn es schon bergab geht, gibt es, vom Staat abgesehen, nichts und niemanden, der bereit und in der Lage ist, Nachfragelücken zu schließen, erst recht nicht die zusätzliche Lücke, die sein eigener Rückzug aufreißt. Deshalb gilt es genau umgekehrt, durch verstärkte staatliche Ausgaben in Infrastruktur, Bildung, Sicherheit und manches mehr dem Niedergang finanziell und materiell Einhalt zu gebieten und das Steuer herumzureißen.
»Wer zu hohe Ausgaben hat, soll einfach weniger ausgeben«: Dieser gern zitierte Lehrsatz der privaten Hauswirtschaft führt folglich nicht aus einer ökonomischen Krise heraus, sondern tiefer in die Krise hinein. Er weitet die ökonomische zu einer politisch-ökonomischen Krise aus, macht aus der Wirtschafts- eine Staats- und Gesellschaftskrise. Das sollte seit BRÜNINGs Wirtschaftspolitik und KEYNES’ Wirtschaftstheorie allgemein bekannt sein. Stattdessen muss der Staat gegebenenfalls seine Einnahmen an die Ausgaben anpassen, und zwar vorzugsweise indem er die, die es zu tragen vermögen, die Vermögenden also, stärker besteuert. Aushilfsweise sind Kreditaufnahmen geboten. Auf die Rangfolge (erst Steuern, dann Kredite) wird noch ausführlich einzugehen sein. Hier geht es zunächst lediglich darum, eine grundlegende Eigenart staatlicher Haushaltsführung festzustellen: Beim Staat bestimmen die Aufgaben die Ausgaben, und die Ausgaben bestimmen seine Einnahmen. So sollte es jedenfalls sein.
An dieser Stelle drängt sich ein kritischer Einwand auf: Aber es gibt doch auch unsinnige, verschwenderische Staatsausgaben. Die dürfen doch nicht die Einnahmen mitbestimmen!
Ja, es gibt sie, die unsinnigen Staatsausgaben, z. B. in Gestalt widersinniger Subventionen für den Agrarsektor, darunter etwa für den Export von Schweinefleisch nach China und in die USA, von Hähnchenteilen nach Westafrika; es gibt sie in Gestalt von Subventionen für Flugbenzin, Förderung von Waffenexporten, einer unwirtschaftlichen Verwendung öffentlicher Gelder und dergleichen mehr. In der Tat dürfen derartige Ausgaben (bzw. Einnahmeverzichte) die Staatsaufgaben und folglich auch die Staatseinnahmen nicht mitbestimmen. Der Einwand ist berechtigt.
Aber der Einwand geht an der hier behandelten Frage vorbei. Bei unsinnigen bzw. unwirtschaftlichen Staatsausgaben geht es im Grunde um eine Aufgabenkritik; die kritischen Ausgaben sind Folgeerscheinungen falscher Aufgabenbestimmungen (oder sachwidriger Abweichungen von gesellschaftlich korrekt erfolgten Aufgabenbestimmungen). Unwirtschaftliche Ausführungen dagegen müssen mit laufenden Überprüfungen der Mittelverwendung, mit internen und externen Untersuchungen, Länderund interkommunalen Vergleichen verfolgt werden.
Dieses Einsparpotential besteht unabhängig von der Haushaltslage, muss deshalb immer und überall, also auch im Falle hoher und höchster Haushaltsüberschüsse, zu heben versucht werden. Die Einsparerfolge werden allerdings niemals vollständig sein. Das erzwingt sowohl die Dynamik der Organisationen als auch die Natur des Menschen. Außerdem beträgt die Misswirtschaft des Staates, soll man dem Bundesrechnungshof glauben, etwa ein Prozent aller öffentlichen Ausgaben.35
Staatliche Misswirtschaft wird also von der Misswirtschaft im Bereich der privaten Unternehmen und Banken mit Sicherheit locker übertroffen. Man erfährt es allerdings nicht, weil privatwirtschaftliche Misswirtschaft als »Betriebsgeheimnis« auf das Strengste geschützt ist. Demgemäß wird diese Form der Misswirtschaft von keinem Rechnungshof untersucht und von niemandem öffentlich zur Sprache gebracht:36 Sie steht unter dem absoluten Schutz des Tabus.
33Die Möglichkeiten zur Steigerung der Einnahmen sind im Privathaushalt eng begrenzt und werden größtenteils nicht vom Haushalt selber bestimmt, sondern von äußeren Umständen wie offenen Stellen, beruflichen Fähigkeiten, familiärer Situation, Gesundheit, Alter etc.
34JOSEPH STIGLITZ, Europa spart sich kaputt…, S. 262.
35»Laut Bundesrechnungshof beschränkt sich ›die Misswirtschaft‹ [des Staates] aber auf ein Prozent aller öffentlichen Ausgaben.« (DIERK HERSCHEL, Die Reichen sollen zahlen, in: Süddeutsche Zeitung vom 27.5.2015.)
36Betriebsräte benennen allenfalls ein »Missmanagement« der Geschäftsleitung als verantwortlich für bevorstehende Entlassungen; Details in die Öffentlichkeit zu tragen ist ihnen versagt. Von den Geldvernichtungen durch Banken wie der Münchner Hypo Real Estate im Rahmen der letzten Wirtschafts- und Finanzkrise soll hier deshalb erst gar nicht die Rede sein.