Читать книгу Die unerträgliche Leichtigkeit der Schulden - Axel Stommel - Страница 7
II
ОглавлениеAuf den kommenden Seiten erscheinen Fragen der wirtschaftlichen Entwicklung und des sozialen Zusammenhalts im Mittelpunkt der Betrachtung. Vom Klima und von Corona wird dagegen vergleichsweise selten ausdrücklich die Rede sein.
Dennoch stehen Klima und Corona ständig unausgesprochen über bzw. hinter den Ausführungen – das Klima als Extremfall einer allmählich, aber ziemlich beständig wachsenden krisenhaften, ökonomisch getriebenen Entwicklung, Corona als Extremfall eines urplötzlich ausbrechenden Krisenereignisses, als einmaliger, weitestgehend externer (»exogener«) Schock; Juristen nennen es »höhere Gewalt«.
Nebenbei fegen Corona und das Klima gemeinsam die interessierte Vorstellung vom Staat als ärgerlichem Hindernis der Entwicklung, als dem gesellschaftlichen Akteur, der nur möglichst »schlank« zu ertragen sei, vom Platz. Ist es doch ganz offensichtlich der Staat und sonst niemand, der sich um die Eindämmung des Virus kümmert, die Gesundheitsversorgung organisiert, diverse gesundheits- und klimapolitische Grenzwerte setzt, die Lebensgrundlage von Menschen und Unternehmen auch in Zeiten der Not aufrecht erhält sowie Wirtschaft und Gesellschaft durch die Krise steuert. Das Erscheinungsbild des Staates wandelt sich in den Augen vieler bislang skeptischer Zeitgenossen über Nacht von einem verschlafenen, gefräßigen Taugenichts zum rettenden Ritter. Erstaunt wird registriert, dass der Staat durchaus fähig ist, Interessen des gemeinen Wohls durchzusetzen, wenn er denn will; Schuldenbremsen und Schwarze Nullen sowie die EU-Regeln zur maximalen Staatsverschuldung jedenfalls kann er von einem Tag auf den nächsten geradezu mühelos außer Kraft setzen.
Dass Fragen der wirtschaftlichen Entwicklung mitsamt der Rolle des Staates auf den kommenden Seiten also durchweg ausdrücklich besprochen werden, während Corona und das Klima unausgesprochen über bzw. hinter den Ausführungen stehen, ist dem Umstand geschuldet, dass wir in einer wirtschaftlich und sozial instabilen Gesellschaft von sozioökonomischen Fragen und Auseinandersetzungen fast vollständig in Atem gehalten werden. In heftig umkämpfte bzw. gefährdete, instabile sozioökonomische Verhältnisse verstrickt, werden wir außer Stande sein, jene Aufmerksamkeit und jene Ausdauer, jene Verhandlungsbereitschaft und jene Einigungskraft aufzubringen, welche jede effektive Umwelt- und Klimapolitik zwingend erfordern. Eine nicht auflösbare Beziehung zwischen dem sozialen und dem meteorologischen Klima hat sich deshalb herausgebildet: Sozioökonomische und Klimapolitik sind untrennbar miteinander verbunden.
Für die Menschen im globalen Süden besitzt dieser Sachverhalt eine noch größere Bedeutung als für uns Europäer. Trotzdem sind die vielen Armen im globalen Süden zu aktivem Klimaschutz kaum imstande, ja nicht einmal die Klimaflüchtlinge selber kümmern sich um das Klima, weil sich ihre gesamten Anstrengungen notgedrungenerweise auf ihr tägliches Ein- bzw. Auskommen richten.
Aber auch bei uns in Europa skandierten Frankreichs Gelbwesten in ihrem »wilden«, spontanen Protest gegen eine von der Regierung mit klimapolitischen Argumenten begründete Benzinpreiserhöhung: »Die Reichen reden über das Ende der Welt; wir haben Angst vor dem Ende des Monats.« Ein erträgliches, ausgewogenes Sozialklima ist mithin unerlässliche, grundlegende Voraussetzung für Erfolge im Kampf um ein erträgliches, meteorologisches Klima, und zwar sowohl innerhalb jeweiliger als auch zwischen den verschiedenen Nationen. Im Übrigen führt uns die Corona-Krise brandaktuell vor Augen, wie der bloße Gedanke an Investitionen in Klimaschutz unter dem Druck aktueller Probleme allerorts ganz nach hinten auf der Agenda rutscht – unter den Tagesordnungspunkt »Verschiedenes«, wenn überhaupt.