Читать книгу Die Kristallelemente (Band 2): Die türkise Seele der Wüste - B. E. Pfeiffer - Страница 10
Kapitel 2
Оглавление»Oh, Verzeihung«, sagte eine seidig weiche Stimme, die zu einem jungen Mann gehörte. Dem Mann, den ich auf dem Markt mit der Frau beobachtet hatte. »Ich hatte nicht damit gerechnet, dass jemand vor der Tür steht.« Er umfasste meine Schultern und hielt mich fest, während er mich mit hochgezogenen Augenbrauen musterte. »Alles in Ordnung?«
Ich richtete mich auf und blickte in schokoladebraune Augen, in denen ich eine seltsame Regung wahrzunehmen glaubte. Dieser Mann war ein paar Jahre älter als ich. Seine Haut war genauso dunkel wie die der anderen Sarabeser, aber sein Haar sah nicht so schwarz aus. Fast so, als hätte sich eine andere Farbe hineinmischen wollen. Lila vielleicht oder Purpur, ich war mir nicht sicher.
»Habe ich etwas im Gesicht?«, fragte er mit einem Lächeln auf den Lippen.
Ich räusperte mich, konnte jedoch nicht aufhören, ihn anzustarren. Er sah einfach gut aus. Das Gesicht war kantig, aber nicht hart, obwohl seine Wangenknochen deutlich hervortraten. Ihm stand das. Er trug eine sandsteinfarbene Tunika, die ihm bis zu den Oberschenkeln reichte, nicht bis zu den Knien wie jene der meisten Männer, denen ich begegnet war. Goldene Stickereien verzierten den Kragen und seine langen Ärmel. In der Taille war das Hemd mit einem Gürtel zusammengebunden, der die gleiche Farbe hatte wie seine geplusterte Hose: ein dunkles Orange.
»Kannst du nicht sprechen?«, wollte er wissen und das Lächeln wich einem besorgten Gesichtsausdruck.
»Ich … Verzeihung, ich war nur in Gedanken«, stammelte ich und fragte mich, ob der verführerische Geruch aus dem Laden oder von ihm stammte.
»Dir ist nichts passiert?«, hakte er nach.
Ich schüttelte den Kopf. »Nein, du hast mich schließlich vor Schlimmerem bewahrt.«
Ein Lächeln umspielte erneut seine Lippen, aber wieder wirkte es so glatt wie eine Maske, die er einfach aufsetzte. Trotzdem begann mein Körper zu kribbeln. Ich schluckte und wandte mich ab, bevor ich ihn wieder anstarren konnte. Er machte mich nervös. Kein Wunder, dass die Frau ihn so angehimmelt hatte. Wenn er lächelte, selbst wenn es nur gespielt war, wurden meine Beine weich. Und ich hatte keinerlei romantisches Interesse an ihm.
»Du willst bestimmt in den Laden«, sagte er nach einer gefühlten Ewigkeit. »Und ich sollte die Tür hinter mir schließen, sonst macht mich Madame Cremant einen Kopf kürzer.« Er lachte und meine Hände begannen zu schwitzen. Es klang wunderschön. »Ich kann dich loslassen?«
Erst da wurde mir klar, dass er mich immer noch festhielt. »Ja, entschuldige, ich … Du hast sicher noch etwas zu erledigen.«
Er nickte und löste seine Hände von meinen Schultern. »Lass dir von der Madame nicht zu viel berechnen«, meinte er mit einem Zwinkern.
»Ja, äh … eigentlich hoffe ich, dass sie mich als Schülerin annimmt«, stammelte ich, als ich sichergestellt hatte, dass sich niemand in dem Raum befand. Warum erzählte ich ihm das?
»Oh, dann sehen wir uns vielleicht öfter«, verkündete er und hielt mir die Hand hin, die ich verwirrt anstarrte. »Ich bin übrigens Kezlin.«
»Oriana«, flüsterte ich und ergriff seine Hand zögerlich.
»Schöner Name. Passt zu dir.« Er zwinkerte erneut und hielt meine Hand einen Moment länger fest, bevor er seine zurückzog. »Dann bis demnächst.«
Kezlin trat beiseite und ließ mich vorbei, winkte mir noch einmal zu und schloss dann die Tür von außen.
»Du musst an deinem Auftritt arbeiten«, brummte Maron aus der Tasche. »Das war höchst bedenklich. Der junge Mann muss glauben, dass du nicht alle Tassen im Schrank hast.«
»Ja, und damit hätte er wohl recht«, murmelte ich.
»Außerdem gefällt es mir nicht, wie du auf ihn reagierst. Bei den Göttern, du kennst ihn nicht und ich höre deinen Herzschlag selbst in diesem Gefängnis.«
»Du übertreibst«, erwiderte ich leise und stieß den Atem aus. »Und jetzt still, ich muss mich vorstellen.«
Maron zischte etwas, dann wurde er ruhig und ich hatte Zeit, mich in dem Laden umzusehen.
Eine angenehme Kühle umfing mich, obwohl sich die Hitze draußen beinahe unerträglich anfühlte. Gemütliche Polstermöbel, die teilweise bunt waren und nach Sarabor passten, standen wild zusammengewürfelt neben den grünen Samtsesseln, die für Dundra typisch waren, im Raum. Es sah mehr wie eine Teestube aus als nach einem Geschäft.
Nur ein großer Tresen, der vorne mit Glas verkleidet war und in dem einige Kuchen und Kekse ausgestellt wurden, erinnerte mich an eine Verkaufsstube. Eine schöne Kasse aus versilbertem Metall stand darauf. Sie wirkte recht altmodisch, aber ich hätte mir keine schönere vorstellen können.
»Madame Cremant?«, rief ich, da ich den Raum abgelaufen war und kein Geräusch gehört hatte.
Hinter dem Tresen gab es einen Vorhang. Ich nahm an, dass er in ein Lager führte, wollte aber nicht dahinter treten, ohne dazu aufgefordert zu werden.
»Madame Cremant? Ich bin es. Oriana aus Dundra. Sie haben mir einen Brief geschickt, und ich …«
»Du bist zwei Tage zu früh«, erklang eine Frauenstimme hinter mir und ich fuhr mit einem Kreischen herum.
Eine ältere Dame mit strengem Blick und fast grauen Haaren stand in der farbenfrohen landestypischen Kleidung der Frauen vor mir. Ihre Augen waren meergrün wie meine und in dem düsteren Licht des Raums erahnte ich, dass ihre Haare einmal türkis gewesen sein mussten. Sie war etwa einen halben Kopf kleiner als ich und musste jenseits der fünfzig sein. Vielleicht noch älter.
»Wie haben Sie … Aber Sie waren …«, stammelte ich.
Wie hatte sie sich so an mich anschleichen können? Ich war ganz sicher gewesen, niemanden in dem Laden entdeckt zu haben. Und jetzt stand sie hinter mir, obwohl ich sie im Lager vermutet hatte … Ob sie mich die ganze Zeit über beobachtet hatte?
Mein Gestammel musste ihr Herz erweichen, denn mit einem Mal huschte ein Lächeln über ihr Gesicht, als sie mich musterte.
»Entschuldigung«, versuchte ich es noch einmal. »Der Wind war günstig und das Schiff deswegen schneller«, erklärte ich. Ich hatte nicht erwartet, für das zu frühe Erscheinen getadelt zu werden. »Ich … ich kann auch wieder gehen und übermorgen zurückkommen.«
Sie schüttelte den Kopf. »So habe ich das nicht gemeint, Kind«, sagte sie und ihr Lächeln vertiefte sich. »Ich hatte nur nicht erwartet, dich heute schon zu begrüßen. Aber umso besser, dann können wir gleich anfangen.« Sie musterte mich eingehend. »Am besten beginnen wir damit, dir anständige Kleidung zu besorgen. So kannst du weder in meiner Küche noch im Verkaufsraum aushelfen.«
Ich verschränkte die Finger ineinander. »Es tut mir leid, ich kann mir keine Kleidung leisten. Aber ich kann sie abarbeiten, falls Sie mich wirklich einstellen.«
Sie lachte. »Liebes Kind, ich habe dich nicht zufällig gewählt. Ich habe lange nach dir gesucht und bin mir ziemlich sicher, dass du zu mir passt. Die Kleidung stelle ich dir natürlich.«
»Aber, Madame …«, wollte ich widersprechen, doch sie winkte ab.
»Wir werden am besten gleich in ein Geschäft gehen. Um diese Uhrzeit verirren sich wenige Kunden in unseren Laden. Also können wir die Zeit sinnvoller nutzen.« Sie zog einen Schlüsselbund unter ihrer Kleidung hervor. »Dein Seelentier solltest du aber hierlassen.«
Blut rauschte in meinen Ohren und ich klappte den Mund auf. »Mein … was?«
»Das Eichhörnchen. Oder ist es ein Hamster?«
»Also wirklich!«, brummte Maron und kämpfte sich aus der Tasche heraus. »Ich bin ein Eichhörnchen! Ist doch wohl eindeutig.«
Madame Cremant schmunzelte ihn an. »Entschuldige, ich nehme dich nur an deinem Geruch wahr. Eichhörnchen und Hamster riechen sehr ähnlich.«
»Sie … Sie haben ihn gerochen?«, fragte ich mit weit aufgerissenen Augen.
»Natürlich. Er ist ein Seelentier. Es erschreckt mich eher, dass du meines nicht riechst.«
Noch während sie sprach, hörte ich etwas durch die Luft segeln und duckte mich, als eine große braune Eule über mich hinwegflog. Mit ihren hellgelben Augen musterte sie mich und anschließend Maron. Dann plusterte sie sich auf und wandte sich ab.
»Jetzt sei mal höflich, Viola.«
»Ich rede nicht mit Nagetieren und ungepflegten Mädchen«, knurrte die Eule. »Sie darf mich ansprechen, wenn sie etwas Anständiges angezogen hat.«
»Du bist schon ziemlich verwöhnt«, meinte Madame Cremant und schnalzte mit der Zunge. »Erinnerst du dich nicht, wie wir aussahen, als wir hier ankamen?«
»Ich verdränge diese Episode meines Lebens ziemlich erfolgreich, danke der Nachfrage«, erwiderte die Eule. »Ich passe auf die Ratte und den Laden auf. Lasst euch trotzdem nicht zu viel Zeit.«
Bevor ich widersprechen konnte, nahm mir Madame Cremant die Tasche ab, öffnete sie, damit Maron hinausklettern konnte, und führte mich aus dem Laden. Ich hörte noch, wie mein Eichhörnchen der Eule etwas zuzischte, und hoffte, dass es noch lebte, wenn ich zurückkam. Die Madame schien keine Bedenken zu haben, verschloss die Tür hinter sich und führte mich über den Marktplatz bis zu einem Haus, dessen Tür blau gestrichen war.
Im Inneren stand die Luft, die von einem seltsamen Geruch erfüllt war. Ich schnupperte und ein Lächeln breitete sich auf meinem Gesicht aus. »Wonach riecht es hier?«, wollte ich wissen.
»Eine Mischung aus Vanille und Lavendel«, erwiderte die Madame. »Ich werde dir viel beibringen müssen, aber zumindest scheinen deine Sinne recht ausgeprägt zu sein. Du kannst sie nur noch nicht nutzen.«
Sie winkte einer der Frauen, die hinter einem seltsamen Gerät saßen, das sie mit einer Art Trittbrett bedienten. Traten sie mehrmals schnell auf dieses Brett, ratterte die Maschine los und setzte Nähstiche. Fasziniert beobachtete ich ein Mädchen, das in meinem Alter war und mir am nächsten saß. Sie wirkte unheimlich geschickt.
»Madame Cremant, wie kann ich Ihnen helfen?«, fragte die Frau, die sich erhoben hatte und zu uns gekommen war.
Das traditionelle Kleid, das sie trug, war weinrot und mit silbernen Fäden durchwirkt. Ein Tuch, das durchsichtig, aber in derselben Farbe wie das Kleid war, lag über ihrem Mund. Die Madame trug kein solches Tuch und ich hoffte, dass ich auch keines würde anlegen müssen.
»Das ist Oriana, meine Schülerin. Ich möchte für sie ein Kleid für den Verkauf und eines für die Arbeit in meiner Küche anfertigen lassen.«
»Sehr gerne, Madame. Das Küchenkleid werden wir in den üblichen Stoffen nähen. Welche Farbe soll jenes für den Verkauf haben?«
Die Madame musterte mich, dann lächelte sie. »Ich dachte an das Türkis ihrer Haare und Gold.« Sie deutete auf einen Stoff, der direkt vor uns lag.
Mir verschlug es den Atem. Feine Muster, die mich an die Federn von Pfauen erinnerten, zogen sich über das Gewebe. Goldene Fäden durchwirkten es an verschiedenen Stellen, ließen das Muster fast aus ihm herausspringen.
»Das … das ist doch viel zu …«
»Keine Widerrede, Kind. Du musst die Chocolaterie repräsentieren. Dazu solltest du entsprechend gekleidet sein«, tadelte mich die Madame und wandte sich der Frau zu. »Wir nehmen diesen Stoff.«
Die Näherin nickte und führte mich in die Mitte des Raumes, wo sie mich mit einem Band vermaß und seltsame Zeichen auf eine Tafel mit Kreide malte. »Heute Abend wird es fertig sein. Wir bringen es zu Ihnen hinüber«, verkündete sie und Madame Cremant reichte ihr ein paar Münzen, bevor sie mich hinausführte.
»Madame, sind Sie sicher …«
»Oriana, ich sagte doch, du musst dich entsprechend kleiden. Wir werden dir im Laufe der Zeit noch mehr Kleider für andere Anlässe anfertigen lassen, etwa wenn du Kundschaft besuchst. Nicht alle kommen in den Laden, manche müssen wir beliefern.« Sie seufzte. »Ich werde dir so vieles erklären müssen, damit du es verstehst. Aber das wirst du mit der Zeit alles lernen und erfahren. Jetzt sorgen wir erst einmal dafür, dass du mit der Ausbildung beginnst. Wenn du so weit bist, dich zu entscheiden, ob du bei mir bleibst, weihe ich dich in alles ein.«
Ich wollte nachfragen, was sie meinte, aber etwas sagte mir, dass die Madame nicht mehr darüber reden würde. Ob sie von ihrer Magie sprach? Würde sie mir erst zeigen, wie ich Zauber anwandte, wenn ich fest eingestellt war? Oder wollte sie warten, bis sich meine Kräfte zeigten? Bestimmt war ihr aufgefallen, dass ich noch nicht wirklich Fähigkeiten besaß.
Wir schritten schweigend über den Markt, und diesmal wichen die Menschen mir aus. Oder vielmehr Madame Cremant. Offenbar hatten sie alle Achtung vor ihr und grüßten sie höflich, obwohl sie ebenso wenig aus Sarabor stammen konnte wie ich.
Mein Blick glitt über die Stände und ich war fast enttäuscht, Kezlin nicht zu entdecken.
»Du wirst ihn bald wiedersehen«, verkündete die Madame und ich zuckte bei den Worten zusammen.
»Wen meinen Sie?«
Sie schüttelte den Kopf. »Kezlin, mit dem du vorhin zusammengestoßen bist, als du den Laden betreten wolltest. Du hältst nach ihm Ausschau.«
Also hatte sie mich wirklich die ganze Zeit über beobachtet, während ich in dem Verkaufsraum umhergeirrt war.
Madame Cremant beugte sich ein Stück zu mir. »Wenn ich dir einen Ratschlag geben darf: Lass ihn immer nach dir suchen. Je schwieriger du für ihn zu erreichen bist, umso eher will er dich finden.«
»Ich verstehe nicht …«
»Das wirst du, Oriana. Das wirst du.« Sie zog ihren Schlüssel unter der Kleidung hervor und öffnete die Tür. Etwas zerbrach gerade geräuschvoll, als wir eintraten. Die Madame rümpfte die Nase. »Viola!«
»Es war die Ratte! Sie hat mich herausgefordert!«
»Eichhörnchen! Und du Raubtier wolltest mich fressen!«
»Warum sollte ich etwas so Abgemagertes, Heruntergekommenes …«
»Viola!«, brummte Madame Cremant, und die Eule schwieg. »Räum das zusammen. Ich muss mich um Oriana kümmern. Und wenn du Maron ein Haar krümmst, wirst du ab jetzt tatsächlich selbst auf die Jagd gehen müssen.«
»Ja, Madame«, murmelte die Eule und ließ den Kopf sinken.
»So, Oriana«, meinte die Madame mit warmer Stimme an mich gewandt, führte mich hinter den Tresen und schob den Vorhang beiseite. »Dann lass mich dir dein neues Zuhause zeigen.«
Sie klatschte in die Hände und das, was ich für ein Lager gehalten hatte, erstrahlte in hellem Licht. Ich hielt den Atem an, als ich in dem riesigen Raum aus weißen Fliesen stand.
Überall befanden sich Apparate, die ich noch nie gesehen hatte. Formen und Werkzeuge, die bestimmt für die Herstellung von Schokolade nötig waren, lagen säuberlich aufgereiht auf einem lang gezogenen Tisch.
Ich fühlte die Hand der Madame an meinem Arm und richtete den Blick auf sie. »Das ist die Werkstatt. Unsere Wohnräume liegen dahinter.«
»Ich darf hier wohnen?«
»Natürlich. Wo denn sonst?«
Sie führte mich durch den blütenweißen Raum hindurch zu einer türkisen Tür. Dahinter lag ein großzügiger Garten mit allerlei duftenden Pflanzen in wunderschön arrangierten Beeten. Ich kannte die meisten Blumen und Beeren nicht, aber die leuchtenden Farben der Blumen, unter denen ich nur Rosen und Lavendel benennen konnte, und die hellroten Beeren an dunkelgrünen Sträuchern wirkten so harmonisch, dass mir ein Seufzen entschlüpfte.
Ein Weg aus bunten Pflastersteinen verlief am Rand der Beete entlang zu zwei Treppen, die wiederum zu Türen unter den wunderschön verschnörkelten Bögen führten, welche überall in Sarabor Eingänge verzierten.
»Ich wohne links, deine Unterkunft ist rechts.«
Ich riss die Augen auf. »Ich habe eine eigene Unterkunft?«
Sie nickte und lächelte. »Natürlich. Du sollst meine Nachfolgerin werden und da du früh zu arbeiten beginnst, ist es gut, wenn du direkt bei der Werkstatt lebst.«
Ich schluckte, denn nun brannten mir doch einige Fragen auf der Seele, zu denen ich mir Antworten wünschte. »Madame, Sie haben gesagt, Sie haben nach mir gesucht. Bis ich Ihren Brief erhielt, wusste ich nicht einmal, dass es Sie gibt. Woher kannten Sie mich? Und warum haben Sie mich ausgewählt? Ich bin weder besonders geschickt noch kann ich wirklich mit Menschen umgehen …«
»Nicht ich habe das getan, sondern die Magie«, erwiderte sie mit einem Zwinkern, bevor sie wieder ernst wurde. »Was wir hier tun, ist eine besondere Form von Magie. Eine, die nur in Sarabor wirkt und nötig ist, um den Menschen Hoffnung zu geben. Nicht jeder kann unsere Magie einsetzen, weswegen ich nur eine Schülerin aus Dundra aufnehmen kann.« Sie ergriff meine Hand. »Und auch dort gibt es nicht mehr viele, die in der Lage sind, diese Gabe zu nutzen.« Sie betrachtete mich eindringlich und ein trauriges Lächeln erschien wieder auf ihrem Gesicht. »Aber du trägst diese Magie in dir. Nur mit dir wird die Tradition fortbestehen. Ohne dich wird die Hoffnung erlöschen.«
Sie blickte mir in die Augen und ich war nicht sicher, was ich erwidern sollte. Es kam mir vor, als würde sich eine eisige Hand auf mein Herz legen. Dass Magie hier nicht verboten war, hatte ich nun verstanden. Aber … so, wie die Madame sprach, klang es, als müsste ich mich vielleicht tatsächlich einem Fluch stellen. Einem, von dem ich nichts wusste. Ich hätte Cham nach mehr Details fragen sollen.
»Das ist alles viel auf einmal, ich weiß. Und ich lasse dich trotzdem noch im Ungewissen.« Sie seufzte. »Aber ich werde dich erst in alles einweihen, wenn ich weiß, dass ich dir vertrauen kann. Sosehr ich das möchte, noch muss ich dich prüfen, Oriana.«
Ich schluckte noch einmal und wusste immer noch nicht, was ich entgegnen sollte.
Die Madame rang sich erneut ein Lächeln ab. »Heute hast du noch Schonfrist, aber morgen werde ich dir zeigen, wie du deine Magie einsetzen kannst, um sie für das Gute zu nutzen. Ich werde dich lehren, wie die Schokoladenmagie wirkt. Und wenn du so weit bist, erzähle ich dir von den Geheimnissen Sarabors und welche Rolle wir spielen.«
Ich brachte nur ein Nicken zustande, während die Madame an ihrem Schlüsselbund hantierte und mir schließlich einen kleinen silbernen Schlüssel und einen großen goldenen gab.
»Der Silberne ist für deine Unterkunft, der Goldene für den Laden.« Sie reichte mir noch eine Kette. »Verliere sie nicht, es gibt keinen Ersatz. Jetzt ruh dich aus. Du wirst deine Tasche und Essen in deinem Zimmer finden. Ich rufe dich, wenn deine Kleidung da ist, damit du sie anprobieren kannst. Dein Seelentier schicke ich gleich zu dir.«
»Danke«, hauchte ich und umklammerte die Schlüssel, als gäben sie mir Halt, während ich den Garten betrachtete und anschließend die Treppen hinaufschlich.
Das musste ein Traum sein. Das Schiff, das mich herbringen sollte, musste gesunken sein. Denn ganz gleich, welcher Fluch vielleicht auf Sarabor lag – ich hatte in meinem Leben noch nie so viel Glück erfahren. Ich besaß ein sicheres Dach über dem Kopf und würde einen richtigen Beruf erlernen.
Das hier war ganz bestimmt ein Traum. Ich hoffte nur, dass ich niemals daraus erwachte.