Читать книгу Die Kristallelemente (Band 2): Die türkise Seele der Wüste - B. E. Pfeiffer - Страница 11
Kapitel 3
ОглавлениеEin junges Mädchen, nicht älter als zehn, mit sauberer Kleidung und müden Augen, brachte das in weißes Papier verpackte Bündel mit meiner neuen Kleidung. Obwohl im Laden viel los zu sein schien, bestand die Madame darauf, bei mir in der Küche zu bleiben, während ich es anprobierte.
Zuerst schlüpfte ich in die schlichte sandweiße Arbeitskleidung. Es handelte sich um eine recht weite Hose, ein Oberteil, das gerade einmal bis unter die Brust reichte und Choli genannt wurde, und eine Schärpe, die um meine Hüften gebunden und dann über meine rechte Schulter geworfen wurde. Erstaunlicherweise konnte ich mich trotzdem sehr gut damit bewegen.
Anders sah es mit dem edlen Gewand in Türkis aus. Das Mädchen zeigte mir, wo ich welche Stoffbahn festhalten musste und wie ich mir den kunstvoll verzierten Sari, wie das lange Tuch hieß, umwickelte. Als ich fertig war und mich in einem kleinen Spiegel betrachtete, stockte mir der Atem.
»Du siehst bezaubernd aus.« Die Madame klatschte in die Hände. »Fast wie eine Prinzessin. Das Türkis hat exakt die Farbe deiner Haare, und das Gold verleiht dir etwas Mystisches.«
Ich fuhr über den weichen Stoff. Noch nie hatte ich so etwas Edles berührt und wagte kaum, meine aufgerissenen Finger darüber streichen zu lassen. »Ich weiß nicht, ob ich das je wieder so werde binden können«, murmelte ich.
»Anfangs wird es ungewohnt sein, Shirin«, meinte das Mädchen mit einem Lächeln.
Shirin war die Anrede für Frauen, die im Rang über einem standen. Das hatte mir die Madame erklärt. Für Männer lautete die Anrede Shar.
»Aber Sie gewöhnen sich daran.«
»Und ich werde dir auch helfen«, verkündete die Madame und legte mir eine Hand auf die Schulter. »Komm, du kannst gleich in den Verkaufsraum gehen und mir einmal zusehen. Morgen zeige ich dir, wie man mit den Grundzutaten umgeht und was es zu beachten gilt. Du hast viel zu lernen.«
Bei den Worten wurde mir mulmig zumute. Ich hatte noch nie Magie gewirkt und Menschen hatten mich bisher wie Abschaum behandelt, weshalb ich mich von ihnen fernhielt. Deswegen befürchtete ich, dass ich mich ungeschickt anstellen und völlig falsch benehmen würde. Allein der Gedanke ließ mich frösteln.
Das Mädchen verneigte sich und wollte rückwärts aus der Küche gehen. Ich fragte mich, wieso … Aber vermutlich war das eine Art der Höflichkeit, die ich nicht verstand. Hoffentlich machte ich nicht zu viele Fehler und brachte die Madame in Schwierigkeiten.
»Warte«, rief Madame Cremant sie zurück, holte ein Schälchen aus einem Schrank und hielt es dem Mädchen hin.
Ein Lächeln breitete sich auf dem Gesicht des Kindes aus. »Vielen Dank«, hauchte es und nahm die Bruchschokolade wie einen Schatz an sich. Dann drehte es sich um und lief kichernd hinaus.
»Es ist manchmal so einfach, ein wenig Glück und Hoffnung zu schenken«, erklärte die Madame und seufzte. »Und manchmal ist es unsagbar schwierig.« Sie sah mich an und rang sich ein Lächeln ab. »Aber das soll heute nicht deine Sorge sein. Heute siehst du zu und bist aufmerksam.«
Ich rieb meine schwitzenden Hände an einem Küchentuch trocken, dann folgte ich Madame Cremant hinaus. Der Verkaufsraum war voller Leute in edlen Gewändern. Schokolade schien also auch in Sarabor ein Luxusgut zu sein.
Die Kakaobohnen, so hatte die Madame erzählt, wuchsen in einem weit entfernten Tal, dafür gab es sie in Hülle und Fülle, wenn man sie erntete. Das genügte allerdings nicht, um die herrliche Schokolade zu genießen. Man musste wissen, wie man sie zubereitete. Und genau das wollte meine Lehrmeisterin mir beibringen. Ich konnte mein Glück kaum fassen.
Konzentriert achtete ich darauf, wie sie mit den Kunden umging. Jeder sprach sie respektvoll an, obwohl es eindeutig war, dass sie nicht aus Sarabor stammte. Selbst die in edle Stoffe gehüllten Frauen, die ich nicht einmal anzusehen gewagt hätte, wirkten ihr gegenüber sehr höflich.
Einige der Damen baten um Schokolade, um ihnen in Träumen die Zukunft zu offenbaren. Andere wollten Schokolade, um einen Wunsch zu erfüllen. Wieder andere brauchten etwas, das ihnen Trost schenkte.
Ich hörte aufmerksam zu. Entweder lag wirklich ein Zauber auf den Süßigkeiten, oder die Madame nutzte die Vorstellung der Menschen, um ihr Geschäft anzukurbeln. Aber jeder, der hier herausging, wirkte zufrieden und irgendwie hoffnungsvoll, obwohl die Schokoladen, Pralinen und Kuchen nicht gerade günstig waren.
Es war bereits späte Nacht, als der letzte Kunde ging. Neben dem Verkauf von Schokolade boten wir im Laden auch Getränke zum Verzehr an. Cremige heiße Schokolade, süße Vanillemilch und mit Karamell versetzter Kaffee schienen die Menschen von Mathis besonders zu mögen.
Ich beobachtete die Madame, wie sie die Getränke zubereitete, und fragte mich, ob ich das jemals schaffen würde. Jedes besaß besondere Zutaten, man musste vorsichtig damit umgehen, und sie wirkte tatsächlich einen Zauber, bevor sie etwas servierte.
Nachdem wir die Tür verschlossen hatten, setzten die Madame und ich uns mit einer Tasse Schokolade in die bunten Sessel des Ladens. »Diese Schokolade wird dir einen Wunsch erfüllen.« Die Madame zwinkerte mir zu. »Also überlege dir, was du dir wünschst, und trink die Schokolade erst dann.«
»Ich … ich habe keinen Wunsch, Madame. Hier zu sein, ist wie ein Traum. Alles, was ich mir wünschen könnte, ist, nie wieder aufzuwachen.«
Madame Cremant lächelte, aber es wirkte bedrückt. »Es ist kein Traum, Oriana, und ich hoffe von Herzen, dass du hier glücklich wirst. Denn die Aufgaben, die sich dir stellen, werden vermutlich jene, die ich bewältigen musste, übertreffen.«
Ich starrte sie verwirrt an. »Madame?«
»Vergib mir, ich eile meiner Zeit oft voraus. Was ich dir sagen wollte, ist, dass du den Wunsch nicht verschwenden solltest. Es ist kein starker Zauber, der in dieses Getränk gewoben wurde, aber er wird dir dennoch einen Wunsch gewähren. Vielleicht kann die Magie dich nur unterstützen, deinen Wunsch zu erreichen, wenn er sehr groß ist. Das wird die Zeit weisen.«
»Also liegt tatsächlich Magie in jeder Schokolade hier?«, wollte ich wissen.
Die Madame nickte. »Natürlich nur gute und eher schwache. Wir sind keine Hexen, Oriana. Wir erfüllen Wünsche und ermöglichen Hoffnung. Während wir die Wunschmagie an zahlende Kunden vergeben, ist die Hoffnung etwas, das wir verschenken.«
»Also sind wir Feen?«, überlegte ich laut.
Das entlockte der Madame ein leises Lachen. »So etwas gibt es nicht«, erwiderte sie. »Außer in Märchenbüchern. Aber wenn du es so willst, dann sind wir Feen.« Sie sah mich plötzlich ernst an. »Alles, was ich dir beibringe, ist geheimes Wissen. Es gibt keine Aufzeichnungen dazu, du musst dir also alles merken. Die Zauber, nicht die Rezepturen für die Schokolade, wohlgemerkt. Das wäre zu viel. Aber die Zutaten, die du für die Magie benötigst, musst du aus dem Gedächtnis wissen und darfst sie nur deiner Schülerin verraten. Verstehst du das?«
»Ja, Madame«, flüsterte ich und ein Schaudern erfasste mich erneut. Ob ich wirklich dafür geeignet war? »Dann sollte ich mir vielleicht wünschen, dass ich mir alles merke?«
»Es ist dein Wunsch. Aber ich würde mir eher wünschen, dass ich hier Freunde finde. Sarabor ist nicht unbedingt das Land, in dem Fremde gerne aufgenommen werden.«
»Aber zu Ihnen sind alle höflich …«
»Weil sie meine Dienste in Anspruch nehmen möchten und fürchten, dass meine Zauber nicht wirken, wenn sie mich schlecht behandeln. Ich bin für sie dennoch eine Außenseiterin.« Ein Lächeln umspielte plötzlich ihr Gesicht. »Es gibt natürlich Ausnahmen. Aber es sind wenige.«
Ich nickte. Freunde wären vermutlich gut. Ich hatte nie welche gehabt. Von Maron abgesehen. Da fiel mir erst auf, dass ich das wahnsinnige Eichhörnchen den ganzen Abend nicht gesehen hatte.
»Wissen Sie zufällig, wo Maron ist?«, fragte ich deswegen kleinlaut. Auch Viola hatte ich nicht gesehen.
»Ich fürchte, die beiden machen sich über die Reste der letzten Produktion her«, seufzte die Madame. »Alle Seelentiere lieben Schokolade. Sie ist nur nicht sehr gesund für sie.«
Kaum hatte sie die Worte ausgesprochen, taumelte ein sichtlich vollgefressenes Eichhörnchen hinter dem Vorhang hervor. Viola schien auch träger zu fliegen und landete etwas unsicher auf dem Tresen.
»Die Ratte kann meinetwegen bleiben«, verkündete die Eule. »Wir haben uns ausgesprochen.«
»Wohl eher sämtliche Lagerbestände aufgegessen.« Die Madame lachte.
Die Eule räusperte sich und schwieg.
Maron rülpste, als er versuchte, auf meinen Schoß zu klettern. »Oriana, das musst du probieren! Du wirst nie wieder etwas anderes als Schokolade essen wollen! Wir sind im Himmel.« Ich schmunzelte, als das Eichhörnchen in meinem Schoß umkippte und selig grinste. »Im Paradies, Oriana. Im Paradies. Und jetzt muss ich schlafen, sonst wird mir vermutlich schlecht.«
Ich strich über Marons haselnussbraunen Kopf, als er zu schnarchen begann.
»Wir werden die beiden im Auge behalten müssen«, meinte die Madame mit einem Zwinkern. »Wäre möglich, dass sie sonst bald nur noch rollend vorankommen.« Sie deutete auf meine heiße Schokolade. »Vergiss deinen Wunsch nicht.«
Ich nickte und betrachtete das cremige Getränk. Es roch verführerisch, nicht nur nach Schokolade, sondern auch nach Gewürzen, die ich noch nicht kannte. Der junge Mann, dem ich in die Arme gelaufen war … Kezlin … er hatte ebenfalls so gerochen.
Ein Lächeln umspielte meine Lippen, als ich die Augen schloss, an ihn dachte und mir wünschte, Freunde in meiner neuen Heimat zu finden, bevor ich die Schokolade trank.