Читать книгу Die Kristallelemente (Band 2): Die türkise Seele der Wüste - B. E. Pfeiffer - Страница 13
Kapitel 5
ОглавлениеKezlin blieb, bis wir aufschlossen und andere Gäste einließen. Er scherzte bis dahin mit mir und erzählte mir allerlei unglaubliche Geschichten über Mathis und einige Händler. Aber über sich sprach er kaum und als er sich verabschiedete, wusste ich nicht viel mehr über ihn als vor diesem Gespräch.
Bevor wir das Lokal öffneten, schickte mich die Madame in meine Unterkunft, um mir den feinen Sari anzuziehen, da sie wollte, dass die Gäste mich darin sahen und erkannten, dass ich ab jetzt in dem Laden arbeitete. Wirklich wohl war mir dabei nicht und meine Hände zitterten so sehr, dass ich es fast nicht schaffte, mir die Kleidung anzulegen, und mich auf die Stoffbahn zu konzentrieren.
Ich hörte deswegen auch nicht, wie die Tür zu meinem Zimmer aufging und jemand hereinkam. Erst als sich eine Hand über meinen Mund legte, bemerkte ich den Eindringling. Ich wollte schreien, aber es kam kein Laut aus meiner Kehle.
»Schhh, ich tue dir nichts«, flüsterte eine tiefe, raue Stimme. »Ich suche nach etwas. Wenn ich dich loslasse, wirst du dann artig sein und nicht schreien?«
Ich konnte mich nicht bewegen, starrte auf die unter Leder verborgenen Finger, die vor meinem Mund lagen.
»Du musst atmen«, sagte der Mann, der mich festhielt.
Er lockerte seine Hand und ich sog gierig Luft ein.
»So ist es gut. Ich suche nach dem Medaillon. Wo hast du es versteckt?«
»Medaillon?«, keuchte ich und wollte mich umdrehen, um ihn anzusehen, da packte er mich und zog mich mit dem Rücken an seine Brust.
»Nicht, meine Schöne. Sonst muss ich dir die Augen ausstechen. Ich hatte keine Zeit, mich ganz zu verhüllen.«
Ich gab ein Quietschen von mir. Wo war Maron, wenn man ihn brauchte?
»Also. Du besitzt ein Medaillon. Ich benötige es, um einen Auftrag zu erfüllen. Sag mir, wo es ist, und ich lasse dich in Ruhe.«
»Ich habe nichts von Wert«, erwiderte ich mit bebender Stimme. »Bitte, ich habe in meinem Leben noch nie etwas besessen. Schon gar nicht Schmuck. Ich schwöre es.«
Mein Herz schlug so schnell, dass ich befürchtete, es würde zerspringen. Ob der Fremde mich jetzt töten würde?
Ich fühlte seinen Atem an meiner Wange, als er sein Gesicht näher an meines brachte. »Ich glaube dir«, verkündete er. »Aber du wirst schon bald ein Medaillon bekommen und ich werde es mir holen. Bis dahin wird sich unser Weg hoffentlich nicht wieder kreuzen.«
Er ließ mich los und ich hörte, wie sich seine Schritte entfernten. Als wäre jegliche Kraft aus meinen Beinen gewichen, sank ich zu Boden und begann, zu schluchzen. Ich kauerte mich zusammen und weinte, zitterte und konnte mein Frühstück nur mit Mühe in meinem Magen behalten.
»Was ist geschehen?«, fragte Viola, die plötzlich neben mir saß.
»Da war ein … er hat mich …«, schluchzte ich und war unfähig zu sagen, was geschehen war.
Warum hatte sie nicht einige Augenblicke zuvor hier auftauchen können?
»Ich hole die Madame!«, sagte die Eule entschlossen und flog fort.
Ich ließ den Kopf wieder auf den Boden sinken und schluchzte weiter. Es dauerte nicht lange, da näherten sich Schritte, aber sie klangen anders als jene von meinem Angreifer.
»Oriana, was ist passiert?«, fragte die Madame und sank neben mir auf die Knie.
Behutsam zog sie mich in ihre Arme und ließ mich an ihrer Schulter weinen, bis ich keine Tränen mehr hatte.
»Erzähl mir, was vorgefallen ist«, bat sie und ich berichtete von dem Mann, der nach dem Medaillon gefragt hatte. »Welches Medaillon meint er?«, wollte sie am Ende wissen.
»Ich besitze keines«, entgegnete ich schniefend. »Ich weiß nicht, was er von mir will.«
Die Madame strich mir über den Rücken. »Viola, flieg zum Eingang und verkünde, dass es heute kein Frühstück gibt.«
»Aber das geht nicht«, meinte die Eule.
»Doch. Wir können Oriana jetzt nicht einer solchen Belastung aussetzen. Sag ihnen, sie können die Hörnchen kostenlos mitnehmen, als Entschädigung. Ich muss mich um Oriana kümmern.« Die Eule gab ein Krächzen von sich und wollte losfliegen, aber die Madame hielt sie zurück. »Hol ihr Seelentier. Ich verstehe nicht, warum es nicht zu ihr gekommen ist, als sie in Gefahr war.«
»Vermutlich liegt die Ratte im Kühlraum, weil ihre Beine den Boden nicht mehr berühren können«, zischte Viola und flog fort.
»Es ist alles gut, Oriana«, redete die Madame behutsam auf mich ein. »Wer auch immer das war, er wollte dir nicht wehtun. Und ich werde die Magie, die uns hier schützt, erhöhen. Das wird nicht noch einmal geschehen, ich verspreche es dir.«
Ein seltsamer Duft drang in meine Nase, während die Madame weitersprach. Ich fühlte, wie meine Lider schwer wurden, und plötzlich war alles schwarz.
Stimmen drängten sich in mein Bewusstsein, als ich langsam aus der Dunkelheit zurückkehrte. Blinzelnd öffnete ich die Augen und entdeckte Viola, die gerade mit Maron vor meinem Bett saß und ihn zurechtwies.
»Du solltest rücksichtsvoller sein, sie muss sich ausruhen«, schimpfte die Eule mit meinem Freund.
»Sie hat lange genug geschlafen«, widersprach Maron. »Die Madame meinte, sie sollte auf den Markt gehen. Es wird zu spät, wenn sie nicht bald aufbricht.«
»Hast du kein Taktgefühl? Sie ist überfallen worden. Ich verstehe ohnehin nicht, warum sie auf den Markt soll.«
»Da war irgendwas mit einer Piratenprinzessin«, überlegte Maron laut und schob sich etwas in den Mund. Er konnte wohl wirklich immer essen.
Ich räusperte mich und die Tiere fuhren zu mir herum.
»Haben wir dich geweckt?«, fragte Viola entschuldigend.
»Nein«, krächzte ich und setzte mich auf.
»Auf dem Tisch steht Wasser«, verkündete Maron und hüpfte zu mir herauf. Oder er versuchte es, denn offenbar hatte er sich bereits etwas Speck angefressen. Es sah lustig aus, wie er mit seinen Vorderpfoten an der Kante hing und mit den Hinterpfoten wild in der Luft trat.
»Peinlicher geht es nicht«, seufzte Viola und half Maron, das Bett zu erklimmen, bevor sie sich an mich wandte. »Wie fühlst du dich?«
Ich stand auf und schenkte mir Wasser ein, das ich gierig in einem Zug trank. »Erschöpft, aber …« Überrascht tastete ich meinen Körper ab. Ich erinnerte mich, dass mich jemand bedroht hatte, die Angst hingegen war wie fortgewischt. »Wieso habe ich keine Angst mehr?«
»Magie.« Maron grinste und machte sich über kleine Gebäckstücke her, die auf einem Teller lagen.
»Das ist für Oriana!«, fuhr Viola ihn an. »Beherrsch dich doch wenigstens ein Mal! Sie braucht das, um gesund zu werden.«
»Gesund?«, wollte ich wissen.
»Nun ja, es hilft dir, das, was heute gewesen ist, besser zu überstehen.«
Ich nickte, nahm mir eines der kleinen, viereckigen Gebäckstücke und biss davon ab. Herrliche Süße und eine fruchtige Note breiteten sich in meinem Mund aus. Ich fühlte mich augenblicklich besser.
»Wenn du aufgegessen hast, bittet dich die Madame, auf dem Markt etwas zu besorgen. Sie benötigt Zimt und möchte, dass du ihn auswählst.«
»Wieso?«, fragte ich und aß das nächste Gebäckstück. Es hatte einen vollkommen anderen Geschmack, fast scharf und herb, dennoch köstlich.
Trotzdem verstand ich nicht, warum ich zum Markt sollte. Ich wusste noch nicht einmal, wie Zimt aussah, und eigentlich wollte ich dieses Haus nicht verlassen. Andererseits war ich hier, in meiner eigentlichen Sicherheit, überfallen worden. Und trotzdem hatte ich keine Angst. Als wären alle Gefühle durch dieses Essen betäubt.
Wehmütig betrachtete ich den fast leeren Teller. Vielleicht hätte ich das Gebäck nicht essen sollen … Dann griff ich nach dem nächsten Stück und biss hinein. Zumindest fühlte ich mich jetzt besser.
»Weil sie sehen will, ob du den Richtigen auswählst, ohne dich auszukennen. Sie testet damit deine angeborene Intuition«, erklärte Viola. »Du sollst die Ratte mitnehmen. Er ist eigentlich dein Beschützer und außerdem muss ich etwas für die Madame erledigen, weswegen ich nicht auf ihn aufpassen kann.«
»Wieso aufpassen?«, brummte Maron.
»Weil du sonst das Lager leer frisst«, zischte Viola, bevor sie mich ansah. »Fühlst du dich dazu bereit?«
Ich aß das letzte Gebäckstück, das nach Schokolade schmeckte. »Ja, ich denke schon.«
»Gut. Falls du sie siehst, kannst du dich mit Amara unterhalten.«
»Wer ist Amara?«, hakte ich nach.
»Die Piratenprinzessin. Die Madame ist der Meinung, ihr solltet euch kennenlernen.«
Ich nickte und Viola deutete auf einen Beutel, der auf dem Tisch lag.
»Darin ist das Geld für den Zimt. Viel Spaß, wir sehen uns am Abend.«
Sie breitete die Flügel aus und erhob sich, um aus dem offenen Fenster zu fliegen.
»Endlich ist sie weg.« Maron seufzte erleichtert und kletterte auf meine Schulter. »Also, lass uns zum Markt gehen.«
Ganz wohl war mir nicht, als ich nur mit Maron auf meiner Schulter auf die Straße trat und die Ladentür mit dem goldenen Schlüssel verschloss. Die Münzen hatte ich in einem Beutel verstaut, der an meiner Hüfte befestigt war und unter meinem Sari verschwand. Dort landete auch der Schlüssel, nachdem ich abgeschlossen hatte.
Obwohl es sengend heiß war und die Luft stand, war der Markt gut besucht. Den Menschen hier schien die Hitze weniger auszumachen, als ich gedacht hatte. Ich hingegen fühlte mich nach den ersten Schritten bereits vollkommen ausgelaugt.
Von der Hitze abgesehen lag eine seltsame Stimmung über der Stadt. Ich konnte sie nicht richtig einordnen, aber sie wirkte dunkel, gefährlich und feindselig. Ob es doch stimmte, dass ein Fluch über Sarabor lag? Ich nahm mir vor, die Madame danach zu fragen, sobald sich die Gelegenheit bot.
Da ich Zimt besorgen wollte, hielt ich die Augen offen und entdeckte bald die Gewürzstände. Ich hatte noch nie so unterschiedliche Farben gesehen. Ein Sack mit hellgelbem Pulver lag neben einem in leuchtendem Rot, daneben befand sich ein bräunliches Rot. Sogar grüne und blaue Pulver entdeckte ich auf dem Tisch, und der Stand daneben bot die Gewürze ungemahlen an.
So vertieft, wie ich in diese Eindrücke war, bemerkte ich den Tumult nicht, der um mich ausbrach. Erst als ich angerempelt und fast umgestoßen wurde, stellte ich fest, dass ich wohl irgendwie in das Zentrum einer Schlägerei geraten war. Maron versteckte sich an meinem Rücken, fluchte aber ungehalten.
Ein großer Mann mit blondem Haar hielt einen Sarabeser am Kragen gepackt und funkelte ihn an. Mein Blick wanderte zu seinem Begleiter und ich hielt den Atem an, als ich Kezlin erkannte.
»Lass mich los«, knurrte der Sarabeser den blonden Mann an. Ich starrte dem Jungen ins Gesicht. Er war schmutzig und seine Augen wirkten seltsam leer.
»Erst gibst du dem Mädchen seine Geldbörse wieder«, forderte der Hüne.
»Den Teufel werd ich tun!«
»Wenn du weißt, was gut für dich ist, hörst du auf das, was der Captain sagt«, mischte sich Kezlin ein und streckte die Hand aus. »Denn falls du dich weigerst und er etwas von dir übrig lässt, werde ich mich darum kümmern. Also, her mit der Börse!«
Bei diesen Worten griff ich an meine Hüfte und stieß eine leise Verwünschung aus. Mein Beutel war verschwunden.
»Fein!«, fauchte der Sarabeser und händigte Kezlin einen Beutel aus, der mit ziemlicher Sicherheit mir gehörte. »Und jetzt lass mich los.«
Der blonde Mann zog eine Augenbraue hoch und wartete auf Kezlins Reaktion.
»Lass ihn gehen«, entschied dieser und zuckte mit den Schultern. »Sieh es als zweite Chance, Junge.«
Die Finger des blonden Manns lockerten sich und der Sarabeser lief lauthals fluchend davon.
»Danke, Captain«, meinte Kezlin und klopfte dem Blonden auf die Schulter. Dann drehte er sich zu mir um und umfasste meinen Oberarm. »Komm mit«, raunte er mir zu und obwohl er keine Kraft einsetzte oder böse aussah, fühlte ich mich unwohl, als er mich ein Stück abseits führte.
Maron rührte sich nicht. Ich nahm an, dass er sich in einer Art Schockstarre befand. So etwas kam vor, wenn er sich zu sehr aufregte.
Kezlin blieb in einer Seitenstraße stehen, drückte mir den Beutel in die Hand und musterte mich. »Das hätte auch übel ausgehen können. War großes Glück, dass der Captain gesehen hat, wie der Dieb nach deinem Geld geschnappt hat.«
»Ich habe nichts gespürt«, murmelte ich und verkrampfte meine Finger um den Stoff meines Geldbeutels. Die Schnur, an der ich ihn getragen hatte, war mit einem sauberen Schnitt durchtrennt worden.
»Ja, der Junge hat ein Talent für Taschendiebstahl. Es gibt leider viele Menschen in Mathis, die sich nicht einmal das Nötigste leisten können. Dann bleibt oft nur Stehlen und du warst für ihn ein leichtes Opfer.«
»Danke, dass du mir geholfen hast«, flüsterte ich beschämt und hielt dennoch seinem Blick stand.
Etwas veränderte sich in seinen Augen und er räusperte sich. »Eigentlich solltest du dich beim Captain bedanken. Für einen Piraten hat er ein viel zu gutes Herz.«
Ich riss die Augen auf. »Das war ein Pirat? Etwa von der Crimson Conch?«
Kezlin stieß den Atem aus. »Ich sehe, du hast von ihm gehört. Aber rechne dir keine Chancen bei ihm aus. Sein Herz gehört seiner Piratenprinzessin.«
»Ich … ich denke, du verstehst mein Interesse an ihm falsch! Ich habe von der Prinzessin gehört und wollte sie sehen. Eine Frau, die als Piratenprinzessin bezeichnet wird, muss ziemlich mutig sein.«
»Das ist sie«, meinte Kezlin mit wehmütigem Blick. »Falls es sich ergibt, stelle ich euch vor. Vielleicht bleibe ich heute an deiner Seite, wenn du Einkäufe erledigst. Die meisten Diebe fürchten mich, also wäre es nicht schlecht, wenn du mit mir gesehen wirst. Dann wissen alle, dass sie sich lieber von dir fernhalten sollten.«
Ich ließ mir seine Worte durch den Kopf gehen. Er war ein Händler, wieso fürchteten Diebe ihn? Vielleicht lag es daran, dass er einen Ruf hatte, wie auch immer der aussah. Dann musste ich an das, was in meinem Zimmer geschehen war, denken. Ob sich der Mann, der bei mir eingedrungen war, von mir ferngehalten hätte, wenn er mich mit Kezlin gesehen hätte?
»Woran denkst du?«, fragte Kezlin plötzlich und musterte mich.
»Ich … nichts. Wieso willst du das für mich tun?«
Er beugte sich ein Stück zu mir herunter. »Weil ich mehr über dich erfahren will. Außerdem zeige ich dir die Stände, wo du die beste Ware bekommst. Was meinst du?«
Er wollte mehr von mir erfahren? Wozu? Weil er dann leichteres Spiel mit mir hatte? Aber welches Interesse könnte er schon an mir haben?
»Ich möchte dir nicht zur Last fallen …«
»Das machst du nicht«, sagte er schnell und lächelte mich wieder auf diese merkwürdige Art an. »Ich finde es schön, mal mit jemandem gemeinsam über den Markt zu laufen. Normalerweise verbringe ich den Tag damit, im Auftrag von meinen Kunden Waren zu besorgen oder zu tauschen. So habe ich übrigens auch den Captain kennengelernt. Er und seine Frau handeln mit wirklich sehr seltenen Gütern.«
»Ach, du triffst dich sonst nicht mit Frauen?«, hakte ich nach und hätte mir am liebsten auf die Zunge gebissen.
Kezlin hob eine Augenbraue und zwinkerte dann. »Doch, wenn es sich ergibt. Aber die sind nicht so reizvoll wie du.«
Ich schluckte und straffte die Schultern. Diesen Kommentar wollte ich an mir abperlen lassen. Es gelang mir nicht wirklich. In meinem Inneren tobte ein Sturm, doch äußerlich versuchte ich ruhig zu bleiben. »Du bist sicher, dass es dir nichts ausmacht, mich herumzuführen?«
»Ganz sicher. Ich finde es nett, mit dir zu reden. Die meisten Frauen von Mathis sprechen nur mit mir wegen dem, was ich bin.« Er biss sich auf die Unterlippe, als würde er seine Worte bereuen.
»Wieso? Du bist ein Händler, oder nicht?« Händler musste es einige geben. Obwohl Kezlin wirklich gut aussah. Zumindest fand ich das. Ich hielt den Atem an und hoffte, er würde meine Gedanken nicht erraten.
»Richtig, ein Händler. Aber eben einer, der jede Ware beschaffen kann«, erklärte er und mied meinen Blick. Was hatte er zu verbergen? »Wollen wir also? Was musst du besorgen?«
»Die Madame hat mich um Zimt gebeten.«
»Dann zeige ich dir, wo du den besten bekommst.«
»Vielleicht zeigst du mir auch, wie er aussieht. Ich habe keine Ahnung, wonach er riecht oder schmeckt.«
Diesmal betrachtete er mich und ich konnte seinem Blick nicht standhalten. Es war mir wirklich unangenehm, dass ich nicht einmal das wusste. Ich verkrampfte mich, als Kezlin behutsam eine Hand an meine Wange legte und meinen Kopf drehte, sodass ich ihn ansehen musste.
»Das muss dir nicht unangenehm sein, Oriana. Gewürze sind selbst hier teuer und nicht jeder kennt deren Geschmack oder das Aussehen.« Er schmunzelte und diesmal hatte ich das Gefühl, dass sein Lächeln nicht gespielt war, weil seine Augen mitzulachen schienen. »Ich finde es schön, dass ich dir etwas beibringen kann.«
Er zog seine Hand zurück und ich musste mich davon abhalten zu seufzen. »Danke. Das ist sehr nett von dir.«
»Für schöne Frauen wie dich immer.«
Ich verzog den Mund. »Mich musst du nicht mit solchen Sprüchen beeindrucken. Die wirken bei mir nicht.«
Er lachte, aber es klang verlegen. »Du denkst, das wäre nur ein Spruch?« Ich schwieg und sah ihn mit hochgezogenen Augenbrauen an. »Schweigen ist auch eine Antwort, das weißt du, oder?«, murmelte er. »Dann werde ich dir beweisen, dass es bei dir nicht nur ein Spruch ist.«
»Aber bei den anderen schon?«, fragte ich und hoffte, es klang neckisch.
Er hob einen Mundwinkel. »Mag sein. Und bevor du fragst, warum bei dir nicht: aus verschiedenen Gründen.« Er neigte sich wieder ein Stück zu mir. »Wenn ich sie dir jetzt darlegen würde, hätten wir keine Zeit mehr für den Markt.«
Ich versank in seinen schokoladebraunen Augen, bis mir Maron auf die Schulter kletterte und mich davon abhielt, Kezlin wieder ewig anzustarren.
»Was ist denn passiert? Wie kommen wir hierher?«, murmelte er und hielt sich den Kopf.
»Sieht so aus, als bekäme der Ratte die Schokolade nicht«, stellte Kezlin grinsend fest.
»Ich bin keine Ratte!«, stöhnte Maron. »Würdest du mich tragen? Mir ist schwindelig.«
»Aber ich trage dich doch«, erwiderte ich.
»Auf der Schulter wird mir übel. Trag mich bitte auf dem Arm.«
Ich seufzte und pflückte ihn mir von der Schulter.
Kezlin schüttelte immer noch grinsend den Kopf. Mir war Marons Benehmen einfach nur unangenehm. »Also Zimt«, nahm Kezlin den Faden wieder auf.
»Richtig. Zimt.«
Kezlin hob den Arm, deutete in Richtung Markt und ließ mich vorgehen. Auf dem Platz blieb er neben mir, wich nicht von meiner Seite und verteilte finstere Blicke, wenn mir jemand zu nahe kam. Er erklärte mir die unterschiedlichen Gewürze, ließ mich daran riechen und zahlte dafür, dass ich kosten konnte. Ich wusste nicht, was ich erwartet hatte, aber das, was in meinem Mund geschah, überwältigte mich. Der Zimt war scharf und süß zugleich. Ein leicht bitteres Aroma mischte sich mit einem Feuer, das in meinem Gaumen ein Feuerwerk auslöste. Lächelnd nickte ich und Kezlin handelte den Preis für den Zimt runter.
Als die Sonne sank, wusste ich, wie Kardamom, Kurkuma, Zimt, Safran und Muskat schmeckten, rochen und aussahen. Und ich hatte vermutlich einen viel besseren Preis für den Zimt gezahlt, als ich ihn allein je hätte aushandeln können.
Kezlin brachte mich zum Laden zurück. »Soll ich dich morgen nach deiner Unterrichtsstunde abholen und dir noch ein paar Dinge zeigen? Vielleicht den Captain aufsuchen?«
»Ich muss erst mit der Madame sprechen«, murmelte ich, obwohl ich wirklich gerne Ja gesagt hätte.
Es war schön, mit Kezlin unterwegs zu sein. Er kannte sich aus und die Leute schienen ihn zu respektieren. Dass er während unserer Runde über den Markt ständig von Frauen angesprochen wurde, war allerdings nervig und störte mich mehr, als es sollte. Obwohl er sie abgewimmelt hatte, konnten wir keine fünf Schritte tun, ohne erneut in ein Gespräch verwickelt zu werden. Und jedes Mal verglich ich mich mit diesen Frauen und empfand eine Eifersucht, die unangebracht war. Aber ich schob es darauf, dass ich bisher kaum mit Menschen zu tun gehabt hatte und Kezlins Aufmerksamkeit genoss …
»Ich werde einfach nach Sonnenaufgang hier sein und fragen, ob du frei bist. Ich denke nicht, dass die Madame etwas dagegen hat.«
Ich schob meine Überlegungen beiseite und nickte. »Danke noch mal. Für die Hilfe und all die Erklärungen.«
»Es war mir eine Freude«, meinte er und neigte leicht den Kopf. »Wir sehen uns morgen, Oriana.«
»Ja. Bis morgen.« Ich lächelte und öffnete die Ladentür.
Kühle umfing mich und der fast schon vertraute Geruch nach Schokolade schwebte durch die Luft.
»Oriana?«, erklang die Stimme der Madame und sie trat hinter dem Vorhang hervor. »Wie fühlst du dich?«
Ich seufzte. »Gut. Denke ich.« Ich hob den Blick und sah sie an. »Ich habe keine Angst, obwohl ich sie haben sollte.«
Diesmal seufzte die Madame. »Sie wird wiederkommen, wenn mein Zauber verfliegt. Aber bis dahin bist du hoffentlich stark genug, um dich nicht zu fürchten.«
»Wieso haben Sie einen Zauber über mich gelegt?«
»Weil du sonst nicht in der Lage wärst, zu lernen. Ich habe deine Angst gefühlt, Oriana. Sie hätte dich zerstört.«
Ich nickte. »Dann … danke.«
»Ich habe den Schutz verstärkt«, erklärte die Madame. »Du bist ab jetzt sicher.«
Wieder nickte ich und überreichte ihr den Beutel mit dem Zimt.
»Vielen Dank für deinen Einkauf.«
»Keine Ursache«, murmelte ich und hielt den Blick gesenkt.
»Ich werde den Verkauf heute alleine machen«, verkündete die Madame. »Ruh du dich bitte aus.«
»Aber …«
»Kein Aber, Oriana. Morgen kannst du mir helfen.«
»Danke«, hauchte ich erneut und schlich durch die Küche, vorbei an den herrlichen Düften, in mein Zimmer.
Maron sprang von meiner Schulter auf das Bett. »Ich bin ja auch hier. Ich passe auf.«
»Das weiß ich zu schätzen«, erwiderte ich und setzte mich ans Fenster.
Gestern war ich voller Hoffnung gewesen und jetzt wusste ich nicht, ob ich mich wirklich auf all das, was mich hier erwartete, einlassen konnte. Den Start in mein neues Leben hatte ich mir ein wenig anders vorgestellt.