Читать книгу Das Römische Reich von Tiberius bis Nero - Babett Edelmann-Singer - Страница 11
II. Quellen
ОглавлениеAnnalistik und Biographie
Unser Wissen entstammt in erster Linie Werken der Geschichtsschreibung und Biographien, die von antiken Autoren verfasst wurden. Alle diese Texte beschreiben das Wirken der Kaiser als politische sowie persönliche Lebensgeschichte und legen den Fokus auf Rom. Die antike Geschichtsschreibung funktioniert dabei stets nach dem gleichen Muster: Alle Ereignisse haben ihren Ursprung in einem persönlichen Erfolg oder einem individuellen Versagen von Menschen. Strukturelle Erklärungen gibt es nicht.
Tacitus, Sueton und Cassius Dio haben das Bild dieser Epoche wohl am stärksten geprägt, von der sie allerdings ein großer zeitlicher Abstand trennt.
Publius (?) Cornelius Tacitus (ca. 55–120 n. Chr.)
Tacitus stammte wohl aus der Provinz Gallia Narbonensis (Südfrankreich) und gehörte zu jener Schicht provinzialer Senatoren, deren Aufstieg im 1. Jahrhundert n. Chr. stattfand. Er gilt als Vertreter der senatorischen Geschichtsschreibung, orientierte sich am Ideal der längst untergegangenen römischen Republik. Im Jahr 97 wurde er Konsul, später Statthalter der Provinz Asia. Seine für unsere Epoche wichtigsten Werke, die er in der Regierungszeit Trajans und Hadrians verfasste, sind die beiden Geschichtswerke, die heute unter dem Titel Annalen (ab excessu divi Augusti) und Historien firmieren. Vor allem die Annalen, die vom Tod des Augustus 14 n. Chr. bis zum Tod Neros 68 n. Chr. reichen (aber nur unvollständig vorliegen), haben das Bild dieser Epoche nachhaltig geprägt. Typisch für Tacitus ist die Technik des Innuendo, der diskreditierenden Andeutungen über eine Person, das Nicht-Aussprechen von angeblichen Wahrheiten, die er aber durch Gerüchte und das Zitieren von Volkes Stimme unterschwellig anlegt. Sein vielzitiertes „sine ira et studio“ (ohne Hass und Parteilichkeit) muss daher äußerst kritisch gesehen werden. Tacitus’ Absicht ging über das bloße Erzählen historischer Abläufe hinaus. Er wollte den Prinzipat als eine Zeit des Niedergangs beschreiben, der sich in zahlreichen Symptomen äußerte: Die Kaiser versagten angesichts der Fülle ihrer Macht, die Eliten versagten, indem sie ihre alten Freiheitsrechte für Sicherheit und Wohlstand verkauften. Dabei spiegelte seine Beschreibung mehr die selbsterlebten Jahre unter Domitian, der den Prinzipat in eine autokratische Monarchie umwandelte und die Senatoren politisch entmachtete. Tacitus aber hatte gerade unter Domitian die Karriereleiter erklommen. Seine Abrechnung mit dem unterwürfigen Senatorenstand des frühen Prinzipats war daher nicht zuletzt auch eine Selbstanklage.
Gaius Suetonius Tranquillus (ca. 70–130 n. Chr.)
Der ebenfalls unter Trajan und Hadrian schreibende Sueton hinterließ eine Sammlung von 12 Kaiserviten, die von Caesar bis Domitian reicht. Aus dem Ritterstand stammend, hatte er eine erstaunliche Karriere bis zum Leiter des kaiserlichen Sekretariats (ab epistulis) hinter sich, als er im Jahr 122 von Hadrian unehrenhaft entlassen wurde. Durch seinen Posten hatte er Zugang zu den kaiserlichen Archiven und nutzte diesen für seine Lebensbeschreibungen. Sueton wurde in der Fachwelt nicht selten die nötige Ernsthaftigkeit und Reflexion abgesprochen. Man betrachtete sein Werk eher als Unterhaltungsliteratur, da er es für ebenso wichtig hielt, über das Aussehen, die persönlichen Marotten oder die Krankheiten der Kaiser zu berichten, wie über deren Außenpolitik und Gesetze. Suetons Ansatz war es dabei, den Prinzipat als Herrschaftssystem in seinen individuellen Ausprägungen unter den einzelnen Kaisern zu spiegeln. Im Gegensatz zu Tacitus’ Werken wurden seine Kaiserviten von der Antike bis ins Mittelalter vielfach wieder aufgelegt, rezipiert und nachgeahmt.
L. Claudius Cassius Dio Cocceianus (ca. 164–235 n. Chr.)
Cassius Dio schrieb seine „Römische Geschichte“ mit deutlichem zeitlichem Abstand zu den Ereignissen. Er stammte aus der östlichen Provinz Bithynien, verfasste sein Werk entsprechend auf Griechisch. Auch er war Mitglied des Senates, seine Familie gehörte zur provinzialen Elite, so stieg er schnell auf und übernahm Spitzenpositionen im Reich unter den severischen Kaisern: Zweimal bekleidete er den Konsulat – einmal davon, 229 n. Chr., sogar gemeinsam mit dem Kaiser –, dreimal ist für ihn das Amt eines Statthalters überliefert. Cassius Dio stand in gewisser Hinsicht in der Tradition des Tacitus: In beiden Werken wurde die Politik eines Kaisers daran gemessen, wie er sich zum Senat verhielt. Ähnlich wie Tacitus stellte Cassius Dio die eigene Zeit als Abstieg dar, als Epoche eines ‚eisernen und rostigen Kaisertums‘. Auch sein Werk verfolgte also die Absicht, in der historischen Darstellung die eigene Zeit zu spiegeln.
Velleius Paterculus (ca. 20 v. Chr.–nach 30 n. Chr.)
Velleius Paterculus ist ein Korrektiv zu den genannten drei Autoren – wenn auch ein durchaus problematisches. Seit der Entdeckung der Handschrift seiner „Römischen Geschichte“ im Jahr 1515 sind sein Werk und seine Person umstritten und wurden lange nicht genug gewürdigt. Dabei ist Velleius einer der wenigen Zeitzeugen unter den heute vorliegenden Autoren. Er kannte Tiberius persönlich und diente unter seinem Kommando mehrere Jahre in Germanien und Pannonien. Aber genau dieser Umstand hat ihm den Vorwurf eingebracht, ein Schmeichler und Parteigänger des Tiberius gewesen zu sein, der die historischen Fakten zugunsten des von ihm hochverehrten Kaisers Tiberius gefälscht habe. Velleius Paterculus stammte aus einer ritterlichen Familie mit langer republikanischer und militärischer Tradition. Wie seine Vorfahren schlug er die Offizierslaufbahn ein, begleitete auf dem Höhepunkt seiner militärischen Karriere den Tiberius als Stabsoffizier und Legat (Legionskommandant) in Pannonien und erreichte im Jahr 15 n. Chr. die Prätur. Zweifellos war Velleius ein Profiteur des Prinzipatssystems, aber gerade diese Tatsache eröffnete einen Blick auf Tiberius und seine Zeit, wie ihn die senatorische Geschichtsschreibung eines Tacitus nicht zuließ. Velleius blickte nicht idealisierend zurück auf die Zeit der res publica. Für ihn lief die gesamte römische Geschichte auf ihren Höhepunkt in der Regierungszeit des Tiberius zu. Homines novi wie Velleius empfanden die neue Zeit des Prinzipats vielmehr als Chance denn als Verlust einer vermeintlichen Freiheit. Manche Analysten seines Werkes kamen sogar zu dem Ergebnis, dass Velleius die fundamentale Seite des Wesens und der Leistung des Tiberius sicher erfasst und plastisch gestaltet habe. In jedem Fall ist Velleius eine zeitgenössische Stimme, die zur meinungsbildenden kleinen Gruppe der Senatoren einen Gegenentwurf präsentiert und sicher eher die Mehrheitsmeinung der Reichsbewohner widerspiegelt.
Stichwort
homo novus, Pl. homines novi
Als „neue Männer“ werden Personen bezeichnet, die als erste ihrer Familien ein höheres Amt (Prätur oder Konsulat) bekleideten und damit Zugang zum Senat erhielten. Unter Augustus wurden ungewöhnlich viele Männer aus dem Ritterstand in den Senat erhoben und waren dem ersten Prinzeps daher in besonderer Weise zu Dank und Loyalität verpflichtet.
Flavius Josephus (ca. 37/38–100 n. Chr.)
Flavius Josephus war ebenfalls persönlich in die Ereignisse am Ende der julisch-claudischen Herrschaft involviert, und auch seine Perspektive sollte als Korrektiv und Ergänzung verstanden werden. Josephus nämlich war kein Römer, zumindest nicht in den ersten 32 Jahren seines Lebens. So lange trug der aus einer einflussreichen jüdischen Priesterfamilie in Jerusalem stammende Mann den Namen Josephus ben Mattitjahu. Er unternahm als Mitglied der jüdischen Oberschicht diplomatische Missionen zu Kaiser Nero und beteiligte sich zunächst am großen Aufstand gegen Rom im Jahr 66 n. Chr. Dann aber wechselte er 67 n. Chr. die Seiten, da er erkannt hatte, wie er selbst schreibt, dass ein römischer Sieg Gottes Wille sei. Er prophezeite dem römischen Oberkommandierenden im Jüdischen Krieg, Flavius Vespasianus, die Kaiserwürde und erhielt, als dies tatsächlich eintrat, von ihm das römische Bürgerrecht. Flavius Josephus, wie er sich nun nannte, wirkte in der Folge als Vermittler zwischen Rom und Jerusalem. Vor allem sein Werk über den Jüdischen Krieg (Bellum Iudaicum), das in der Zerstörung des Tempels von Jerusalem gipfelte, und seine jüdische Geschichte von den biblischen Anfängen bis ins Jahr 66 n. Chr. (Antiquitates ludaicae) sind für die julisch-claudische Epoche relevant.
Dichtung, Philosophie, Fachschriftstellerei
Als Ergänzung zu diesen Autoren können philosophische Schriften, Dichtung und Fachschriftstellerei herangezogen werden.
L. Annaeus Seneca (ca. 1–65 n. Chr.)
Als Erzieher und Berater Neros hat der römische Autor Seneca gewirkt. Seine literarischen Werke, Briefe und philosophischen Betrachtungen können zwar nur bedingt für die Rekonstruktion historischer Abläufe herangezogen werden, eröffnen aber einen Einblick in die Mentalität und Wertewelt der senatorischen Oberschicht. Auch in ihrer zum Teil dem Kaiser zugewandten, zum Teil ihn extrem ablehnenden Haltung spiegeln sie aufschlussreich die kulturhistorischen Entwicklungen in der Epoche der julisch-claudischen Kaiser wider.
Die Dichter Martial (ca. 38–104 n. Chr.) und Juvenal (ca. 67–nach 138 n. Chr.) stehen zeitlich zwar eher in der Epoche der Flavier und Antonine, zeigen aber gerade in ihren historischen Rückgriffen auf die Vorgängerepoche, wie diese von der nachfolgenden Generation wahrgenommen wurde. Auch die Fachschriftsteller zu Geographie und Naturkunde erlauben uns recht oft Einblicke in die Gegebenheiten und Vorstellungen der Zeit. Als Autoren sind hier Plinius der Ältere (23–79 n. Chr.) mit seiner „Naturgeschichte“ zu nennen, einer enzyklopädischen Sammlung des bekannten Wissens über die Natur in 37 Büchern, oder Strabon von Amaseia (Mitte 1. Jh. v. Chr.–ca. 24 n. Chr.), der mit der „Geographika“ eine kulturgeographische Beschreibung der Mittelmeerwelt verfasste.
Dokumentarische Quellen
Eine sehr gute Ergänzung, nicht selten auch ein Korrektiv zu den oft problematischen literarischen Quellen, können dokumentarische Quellen sein, also archäologische Überreste, Inschriften, Münzen oder Papyri. Reste kaiserlicher Palastanlagen in Rom – wie beispielsweise die sogenannte domus aurea des Kaisers Nero –, aber auch Bauten einzelner Kaiser außerhalb der urbs werden im Verlauf der Darstellung als monumentale Reste bestimmter Herrschaftskonzepte thematisiert werden. Vor allem die Kaiserbildnisse sowie die Kaiserinschriften, deren reichsweite Verbreitung von der herrscherlichen Durchdringung auch der Provinzen Zeugnis ablegen kann, werden heute als Elemente des öffentlichen Diskurses verstanden, die als Medium kaiserlicher Kommunikation und Repräsentation großen Einfluss ausüben konnten. Gleichzeitig erlauben uns die in den Provinzen aufgestellten Inschriften und Kaiserbildnisse aber auch einen seltenen Blick auf die Rezeption der Kaiser im Reich.