Читать книгу Sag' mal was - Baden-Württemberg Stiftung - Страница 7
1.1.1 Sprache, Mehrsprachigkeit und alltagsintegrierte Sprachförderung
ОглавлениеSprache gilt als die zentrale Schlüsselkompetenz und Voraussetzung eines Menschen für gelingenden Wissenserwerb, Bildungserfolg und -gerechtigkeit sowie für die Möglichkeit zur aktiven Teilhabe am gesellschaftlichen Leben (Clegg, Hollis, Mawhood & Rutter, 2005; Deutsches PISA-Konsortium, 2011; Hasselhorn & Sallat, 2004). Schon für Kinder in der Kita ist Sprache ein wichtiges Medium, mit dessen Hilfe sie bspw. Bedürfnisse und Wünsche kommunizieren und Beziehungen mit Kindern und Erwachsenen gestalten. Sprachkompetenzen sind daher bereits für die Teilhabe von Kindern an Interaktionen in der Kita von Bedeutung (Albers et al., 2017). Auch für die spätere Schullaufbahn scheinen sprachliche Kompetenzen relevant zu sein. So ergaben Studien z. B. einen Zusammenhang von (in unserem Fall deutschen) Sprachkompetenzen mehrsprachig aufwachsender Kinder zum Zeitpunkt der Einschulung mit Lernzuwächsen in Sachfächern und dem Übergang zwischen Primar- und Sekundarstufe (Übersicht bei Kempert et al., 2016). Von Bedeutung sind auch frühe Erfahrungen mit mündlich vermittelter, aber „schriftförmiger“ („konzeptionell schriftlicher“) Sprache, wie sie Kita-Kinder z. B. beim Erzählen sammeln können, sowie erste Erfahrungen mit Büchern und mit Schrift. Derartige Erfahrungen werden auch als „Literacy“ bezeichnet.
In verschiedenen Untersuchungen zeigten sich zwischen ein- und mehrsprachig aufwachsenden Kindern bei Schulbeginn große Unterschiede in den deutschen Sprachkompetenzen (vgl. z. B. Simon & Sachse, 2011). Bei differenzierterer Betrachtung wird jedoch deutlich, dass die Unterschiede in vielen Fällen weniger mit der Mehrsprachigkeit als mit der sozialen Herkunft der Kinder zusammenhängen (zusammenfassend bei Kempert et al., 2016). Hierzu zählen z. B. der sozioökonomische Status der Herkunftsfamilie, der Bildungsstand der Eltern sowie ihre Kenntnis über das Bildungssystem und/oder zeitlich (zu) spät einsetzender Erwerb der deutschen Bildungssprache (Gogolin, 2012).
Eine aktuelle Studie (Hippmann et al., 2019) konnte darüber hinaus zeigen, dass zwischen der Mehrsprachigkeit eines Kindes und seinen Leseleistungen in den ersten beiden Schulklassen kein signifikanter Zusammenhang besteht. Mehrsprachig aufzuwachsen ist daher per se kein „Risikofaktor“.
Von Bedeutung ist auch die Art und Weise, wie die Sprachkompetenz erhoben wird: Studien zu den deutschen Sprachkompetenzen mehrsprachig aufwachsender Kinder beruhen in der Regel auf der Testung mit Verfahren, die an deutsch-einsprachigen Kindern normiert wurden. Verfahren wie der Test „LiSe-DaZ®“ (Linguistische Sprachstandserhebung – Deutsch als Zweitsprache, Schulz & Tracy, 2011) hingegen bieten je nach Kontaktzeit mit der deutschen Sprache unterschiedliche Normen an und geben ein differenziertes Bild über die Sprachfähigkeiten eines Kindes. Des Weiteren sollten bei der Erhebung des Sprachstandes auch die Kompetenzen in den weiteren Sprachen des Kindes berücksichtigt werden (Ronninger et al., 2019).
Vor diesem Hintergrund erscheinen eine bessere Anschlussfähigkeit der vielfach immer noch stark mittelschichtsorientiert und einsprachig ausgerichteten Bildungseinrichtungen Kita und Schule an familiäre Bedingungen sowie die Berücksichtigung familiärer Sprach(en)- und Literalitätserfahrungen in der Kita unabdingbar (vgl. Montanari & Panagiotopoulou, 2019).
Sprachliche Bildung und Förderung sowie die Unterstützung der Literacy-Entwicklung ein- oder mehrsprachig aufwachsender Kinder gehören daher zu den zentralen Aufgaben von Einrichtungen der frühen Bildung, Betreuung und Erziehung (Baden-Württemberg Stiftung, 2014). Die Verankerung des Bildungsbereichs Sprache im Orientierungsplan für Bildung und Erziehung in Kindergärten und Kindertageseinrichtungen des Landes Baden-Württemberg verdeutlicht deren Relevanz und Stellenwert (Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg, 2011). Bei der sprachlichen Bildung und Förderung haben sich alltagsintegrierte Ansätze als besonders effektiv erwiesen (Hofmann, Polotzek, Roos & Schöler, 2008; Lisker, 2011; siehe hierzu auch unten und den Beitrag von Jens Kratzmann in Kap. 2.1 des vorliegenden Bands).
In frühpädagogischen Einrichtungen muss jedoch nicht nur der Erwerb der Grundlagen der deutschen Sprache in den Blick genommen werden, sondern auch die Wertschätzung und Förderung von Mehrsprachigkeit.