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TRUMPUTINISMUS – DIE NATIONALISTISCHE SACKGASSE

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Es gibt keine »wahre Natur des Menschen«, die verhindert, dass wir die gesellschaftlichen Verhältnisse demokratisch gestalten. Wer behauptet, es gebe zu einer Welt der freien Marktwirtschaft, der globalen Konkurrenz und des schlanken Staats keine Alternative, dem ist vielmehr daran gelegen, den demokratischen Entscheidungsspielraum massiv einzuengen. Damit kommt sie oder er in einen unlösbaren Konflikt mit dem Grundkonzept der Demokratie, nämlich mit dem Postulat der aktiven Gestaltung der gesellschaftlichen Verhältnisse durch die Betroffenen. Demokratie ist dann nur noch »marktkonform« (Angela Merkel) denkbar. Doch genau dieses Diktat der Märkte macht die Menschen ohnmächtig, liefert sie dem Konkurrenzkampf aus und bringt sie dabei gegeneinander in Stellung: als Individuen auf den Arbeitsmärkten, als Belegschaften im Unternehmenswettbewerb, als Nationen im Kampf der Wirtschaftsstandorte. Damit geht dann tatsächlich jede Bemühung verloren, die Weltverhältnisse zivilisiert zu gestalten.

Für eine dauerhafte Etablierung demokratischer Prozesse sind verlässliche Daten unabdingbar. Wir müssen seriös ermitteln, ob und wie schnell die durchschnittliche Temperatur auf der Erde ansteigt. Wir brauchen überprüfbare Erklärungen dafür, warum dies geschieht. Wir benötigen belastbare Modelle über die Wirkungen auf die Ökosphäre und auf die Lebensbedingungen für die Menschen. Erst auf einer solchen Grundlage kann über sinnvolle Maßnahmen im Zusammenhang mit der Klimaerhitzung diskutiert, können zielgerichtete Maßnahmen identifiziert und entsprechende Entscheide gefällt werden. Nur auf dieser Grundlage können verschiedene Interessen eingeordnet und demokratisch legitimierte Entscheide ausgehandelt werden. Dazu hat der sozialkritische Thinktank Denknetz 2019 Thesen mit dem Titel »Wahr sagen: Kritische Öffentlichkeit, Demokratie und Macht« publiziert. In der Einleitung heißt es: »Wahr zu sagen ist die Bemühung, alle relevanten Fakten auf den Tisch zu bekommen und diese Fakten kritisch zu analysieren. Eine widerstandsfähige Kultur des Wahr Sagens ist der Lackmustest für eine Gesellschaft, die auf der demokratischen Regelung der öffentlichen Angelegenheiten basiert. Ein solche Kultur des Wahr Sagens steht von Seiten der Mächtigen schon seit je unter Druck. In den letzten Jahren ist nun aber ein eigentlicher Zerfallsprozess in Gang gekommen, der mit der Wahl von Donald Trump zum Präsidenten der weltweit mächtigsten Nation eine neue Stufe erreicht hat. Dabei geht es nicht mehr ›nur‹ um Druck und Zensur, also darum, wer sich im Kampf um die publizierten Fakten und deren Bewertung durchsetzt. Vielmehr wird in Frage gestellt, dass das Bemühen um Faktentreue überhaupt noch von Belang sein soll. Offen wird behauptet, wahr sei, was für wahr gehalten wird.«

Trump hat gemäß der Fact-Checker-Website der Washington Post seit dem Beginn seiner Präsidentschaft bis zum zum 9. Juli 2020, also in 1267 Tagen, 20’055 Mal öffentlich gelogen oder Falschinformationen verbreitet. Das sind sechzehn »alternative Fakten« pro Tag. Trump lügt nicht gelegentlich, sondern prinzipiell. Hannah Arendt hat in ihrer Schrift »Wahrheit und Politik« die zentrale Erkenntnis formuliert: Wenn alles nur noch Meinung ist und es keine gemeinsam festgestellten Tatsachen mehr gibt, wird Demokratie unmöglich. Wenn es legitim ist, zu sagen, die Erde sei eine Scheibe, die Juden würden die Welt beherrschen, Muslime seien verantwortlich für Corona oder der Klimawandel eine Erfindung der Chinesen, dann wird eine öffentliche Debatte unmöglich.

Keine Frage: Leute wie Chelsea Manning, Edward Snowden oder Julian Assange werden nicht erst seit Trump verfolgt und müssen erleben, wie ihre Gesundheit und ihr Leben angegriffen werden, weil sie Wahrheiten ans Licht gebracht haben, die die Mächtigen bloßstellen. Ihr Mut, dies trotz der drohenden Repressalien zu tun, ist von großem Wert. Wenn aber erst einmal die Relevanz einer klaren Unterscheidung von Lüge und Fakten vom Tisch ist, dann wird damit auch jede Bemühung um Wahrheitsfindung belanglos, dann läuft das Engagement von Manning, Snowden oder Assange ins Leere. Nur solange anerkannt wird, dass es Lügen gibt, können diese aufgedeckt werden. Nur solange anerkannt wird, dass es Lügen gibt, kann verlangt werden, dass die Lügenden ihre politischen Ämter niederlegen müssen und sanktioniert werden. Gibt es hingegen keine Unterscheidung zwischen Wahrheit und Lüge mehr, dann bleibt nur noch das »Recht« des Stärkeren übrig. Dann gilt nur noch das, was durchgesetzt werden kann. Und dann wird Gewalt zum alltäglich normalen politischen Mittel.

Da passt es leider genau ins Bild, dass die Trump-Regierung reihenweise aus internationalen Vertragswerken und Organisationen aussteigt, etwa aus dem Pariser Klimaabkommen, aus der Weltgesundheitsorganisation WHO, aus dem Open-Skies-Abkommen, aus dem Atomabkommen mit Iran, aus dem Vertrag über atomare Mittelstreckenraketen. Dann hat dies nichts mit allfälligen Versuchen zu tun, die Institutionen zu verbessern. Vielmehr ist es eine unverstellte Absage an jede Bemühung, die globalen Herausforderungen auf der Basis von Fakten zu benennen und kooperativ anzugehen. Entsprechend ist es auch wenig überraschend, dass das Bulletin of the Atomic Scientists seine berühmte Weltuntergangsuhr Ende Januar 2020 auf 23:58:20 gesetzt hat, also 100 Sekunden vor zwölf. Seit Beginn der Zählung 1947 war die Welt nach Einschätzung der beteiligten Wissenschaftler*innen noch nie so nahe an einer unkontrollierbaren, gewalttätigen Katastrophe.

Die Service-Public-Revolution

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