Читать книгу Endlich Leben - Beate Hilker - Страница 8
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Soll ich mal ehrlich sein? Ich wusste nicht wie ich beginnen sollte bei diesem, meinem, Jahresrückblick. Bei einem Märchen fängt es meistens mit "ES WAR EINMAL VOR .........." an. Ich überlege gerade und stelle fest: HOPPLA, es könnte doch ein Märchen sein. Wie würde ich anfangen? Es war einmal ein kalter Oktoberabend, da kam ein Ritter in glänzender Rüstung auf einem Hengst daher geritten und rettete mich. Nee, das passt nicht. Es ist nicht einfach ein Jahr "Erlebtes" in Worte zu fassen. Wenn ich zurückdenke, wird es mir, jetzt im Moment, richtig warm ums Herz, sogar mit Herzklopfen. Mir kommen gerade die Tränen, weil ich in dem vergangenen Jahr wieder erfahren durfte, was das eigentlich ist " LEBEN". Man könnte darüber stundenlang philosophieren. Was dieses einfache Wort für andere bedeutet, weiß ich nicht. Für mich ist es ganz viel: Atmen, Fühlen, Spüren, Erleben verbunden mit Glück, Freude, Liebe, Mut, Hoffnung, Zweifel, aber auch mit Angst, Frust und Rückschlägen, Zielen, Wünschen. Ich könnte immer noch aufzählen. Das sind aber für mich die wichtigsten.
Naja, wenn ich genau wäre, müsste der Schlüsseltag normalerweise der 08. Oktober sein. Der 09. Oktober ist das Datum des Befundes, und das war für mich wichtig. Wir hatten es schwarz auf weiß und konnten es sooft wir wollten immer wieder lesen. Ich hätte auch das erste Telefonat nehmen können. Lange genug darum gedruckst hatte ich ja, vier Tage bis ich mich getraut habe anzurufen. Die Visitenkarte von dem Arzt hatte ich vom Apotheker aus dem Nachbarort. Jetzt hatte ich eine Karte mit einem Namen, der außergewöhnlich war, aber der Zusatz "Facharzt für Neurologie" machte mir Angst. Angst war übrigens mein zweiter Vorname. Ich fand dann doch den Mut anzurufen, um einen Termin zu machen, denn mein Mann nervte extrem. Als ich anrief, sprang die Mailbox an. Ich kann mich nicht mehr erinnern, was ich sagte. Die Wartezeit auf den Rückruf war eine Qual. Dann nach 18.00 Uhr rief der Arzt zurück. Ich zitterte so schlimm, vor Aufregung, dass mein Mann meine Beine festhielt. Ich wurde immer etwas ruhiger, denn es war etwas in der Stimme, was mich plötzlich hoffen ließ. Wir machten einen Termin aus.
Dann kam der 08.Oktober und der Arzt kam zu uns nach Hause Mein Mann hatte Nachtschicht, er schaute auch als auf die Uhr. Er wollte pünktlich zur Arbeit, es war noch früh. Der Arzt wollte um 18.00 Uhr kommen, rief aber an, dass er sich etwas verspätet. Es war so 18.45 Uhr. Ich lag wie immer im Bett. War vor Aufregung mindestens 20 x auf Toilette. Dann kam er. Ich sehe es noch vor mir, er stand im Schlafzimmer im Türrahmen, schaute mich an und plötzlich war die Angst weg. Innerlich flehte ich nur, bitte helfen sie mir. Dann gab er mir die Hand. Er setzte sich und stellte mir Fragen, danach bat er mich auf zustehen, was natürlich ohne die Hilfe meines Mannes nicht ging. Dann sollte ich paar Schritte gehen. Das ging nicht. Ich sagte es und mir rollten Tränen übers Gesicht. Das war mir so etwas von peinlich, und ich entschuldigte mich. Er meinte nur, nicht schlimm - ihre Reaktion ist gut, wir versuchen es später nochmal. Legen sie sich wieder. Dann fragte er, wo man eine Untersuchungsliege hinstellen könne, er würde sie gern holen. Unser Yogazimmer war perfekt. Ich wieder auf, rüber ins andere Zimmer und rauf auf die Liege, mit Hilfe versteht sich. Dann fing er an mich zu untersuchen. Ich dachte nur. Was macht der denn, so intensiv wurde ich noch nicht mal in der Neurologie untersucht. Dann nochmal ein paar Laufversuche. Mein Mann half, wie immer. Dann legte ich mich wieder um. Er schrieb alles auf. Und dann klärte er uns auf. Seine Vermutung
P a r k i n s o n .
Ich fühlte nichts, war wie starr. Ich dachte nur, wie, der Arzt hat schon eine vorläufige Diagnose. Er hat mich doch erst vor 2 Stunden kennen gelernt und behandelt. Wie geht das. Die anderen hatten nach Jahrzehnten nichts Richtiges festgestellt. Sollte er etwa doch der gewisse Arzt sei, der meinem Leiden ein Ende setzte. Ich seufzte und auf einmal setzte ein Gefühl ein - Erleichterung. Ich konnte dieses Gefühl kaum zuordnen. An diesem Abend wurde mein Parkinson das erste Mal namentlich erwähnt und sollte von nun an mein Begleiter sein. Um sicher zu sein, standen mir zwei L-Dopa Tests bevor. Also bekam ich ein Magenpräparat. Am 16. Oktober war es endlich soweit. Ich war richtig ungeduldig. Zu dieser Zeit war ich so kopfgesteuert, ich wollte alles erzwingen, das Gefühle "Hoffnung" wollte ich noch nicht richtig zulassen, hatte Angst enttäuscht zu werden. Also, der Arzt kam mit einer Tablette (früher war immer mein seligster Wunsch, es möge jemand kommen, mir nur eine Tablette geben, und alles wäre wieder gut). L-Dopa. Die wurde in Wasser aufgelöst und ich musste sie zügig trinken. Dann legte ich mich wieder ins Bett und wir unterhielten uns. Plötzlich spürte ich wieder was. Mein Körper beruhigte sich etwas, heute kann ich sagen Mr. Parkinson und ich kamen etwas zur Ruhe. Nach einer halben Stunde musste ich das erste Mal aufstehen. Ängstlich, mit der Hilfe meines Mannes . Dann ließ er los und es ging. Ich konnte es kaum glauben, ich konnte alleine stehen und paar Schritte laufen. Dann wieder ins Bett. Nach einer weiteren halben Stunde, wieder auf und los ging es. Ich traute dem ganzen nicht. Wie ein kleines Wunder. Der Arzt sagte, dass die Wirkung nach ca. 5 Stunden wieder nachlässt. Das war mir so etwas von egal. Ich konnte selber wieder ohne Hilfe laufen, ohne mich an der Wand abzustützen. An diesem Abend lief ich als im Haus hin und her, ich freute mich. Mit Spannung erwarteten wir am kommenden Tag die Wiederholung. Dann war das Wunder perfekt. Der zweite Test war genauso erfolgreich wie der am Tag zuvor. Ich war so "ungeduldig". Meine Frage, und jetzt, wie geht es weiter. Er merkte es und lächelte wie immer, er kam mir vor wie der Weihnachtsmann, als er sagte, ich habe ihnen schon was mitgebracht. Denn mein Hausarzt war gerade im Herbsturlaub. Er hatte in seiner Tasche das Zaubermittel Pramipexol 0,35 mg und gab es mir. Die Dosierung 3 x tgl. 1 Tablette. Dann kam für mich das Wunder, verbunden mit Gefühlen und Emotionen. Ich nahm die Tabletten und konnte mich von Tag zu Tag besser bewegen. Mein Parkinson war nicht mehr so aufgeregt. Und ich war so euphorisch. Vor allem waren wir glücklich zu wissen, was das in mir war. Ich hatte was Greifbares, und es war einfach eine Erleichterung. Meine Anspannung wich der Entspannung und ich wollte und habe mich nur bewegt. Bin als Rein - raus. Hoch - runter. So gut wie es eben ging, in meinem Anfangsstadium. Mein Arzt rief am darauf folgenden Freitag an. Sogar öfters. Ich hatte das Telefon nicht gehört. Ich war am Kochen. Bis dahin unvorstellbar. Ich stand wirklich vor dem Herd, und schwang, sprichwörtlich, den Kochlöffel. Es kam alles langsam wieder, und mein Körper aktivierte sich, ich konnte wieder am Leben teilhaben.
Am Abend, wo die vorläufige Diagnose "Parkinson" gestellte wurde, rief ich meine Mutter an und erzählte es ihr. Sie war still, so richtig unheimlich. Ich freute mich und wiederholte es fast singend. Ich sagte noch, Mutti ich bin einfach nur glücklich. Ich brauche mich nicht mehr durch den Tag zu quälen. Es wird mir geholfen, und ich schwärmte von dem Arzt. Dann sagte sie, das hätte sie sich gleich gedacht. Vermutet haben wir es doch alle, ich selber ja auch. Mit der Diagnose fing für mich ein anderes Leben an. Meine Mutter machte sich Vorwürfe und suchte nach einem Schuldigen. Das haben wir zu einem späteren Zeitpunkt dann geklärt. Plötzlich bekam alles um mich herum wieder Farbe. Alles schien zu strahlen. Mein Mann und ich überlegten, wie sagen wir es den anderen. Meine Meinung, einfach in die Offensive. Als unsere Schwägerin Geburtstag hatte, rief ich am Vormittag meine Schwiegermutter an und erzählte es ihr. Sie war geschockt. Verständlich. Dann gratulierte ich unserer Schwägerin, per Telefon, und erzählte es ihr auch, war Taktik von mir, sie nahm mir die Arbeit ab, es den anderen zu erzählen. Denn das Kaffeetrinken bestand nur darin; Hast du schon gehört........ Es kam also ins Rollen. Hätte ich das gewusst, was da auf meinen Mann zukommt. Er wurde gefragt und gelöchert. Komisch, dachte ich nur, wieso fragen die nicht mich. Ich fand das merkwürdig, soviel falsche Rücksichtnahme ärgerte mich. Da war ein Gefühl - Ärger - war toll. der Arzt hat mir gesagt, ich soll es nicht mit dem "Bewegen" übertreiben. Mir war klar, ich musste vieles wieder aktivieren. Laufen konnte ich ja, nur die Umsetzung ging noch nicht so. Mein Ruhe Puls war bei 130 und zu hoch. Also musste ich auf das Ergometer, auch Heimtrainer/´Rad genannt. Er schrieb in seinem Bericht 2 x 15 Minuten am Tag. Ich dachte nur, der spinnt. Konnte mich gerade mal 3 Minuten darauf halten, und radeln konnte man das auch nicht nennen. Meine Ausdauer ließ also zu wünschen übrig. Ich war zwar enttäuscht, aber trotzdem stolz. Mein Mann hatte von Anfang an die Order, darauf zu achten, dass ich es nicht übertreibe. Ich fing wirklich an zu üben. Schrieb alles auf. Und mein Ehrgeiz war geweckt. Unser Yogalehrer gab mir Tipps zum Einkaufen, auch da fehlte die Ausdauer beim Laufen. Zu diesem Zeitpunkt machten wir schon eine Zeitlang Yoga. Ich schob immer den Wagen und wenn es nicht mehr ging, hielt ich an und inne. Ich fand das Leben einfach nur toll. War jahrelang nicht mehr in einem Geschäft und verhielt mich wie ein Schwamm, ich saugte alles auf. Mir wurde bewusst, was ich alles verpasst und versäumt hatte. Es war trotzdem schön, wieder alles neu zu entdecken. Was mich schockte, waren die Preise, als ich das letzte Mal einkaufen war, kosteten die Zigaretten noch 3 Euro - heute kosten sie 6 Euro. Etwas traurig war ich dann schon über die verlorenen Jahre. Aber, es hatte alles so sein sollen. Es war vorbei.
Ein neuer Lebensabschnitt hat begonnen. Mein Traum, die Mariengrotte, wurde bereits 1999 gebaut und war noch nie dort, die Entfernung ca. 500 m. Dorthin zu gehen war mein Ziel. Einmal im Monat ging ich zu meinem Arzt. Das halte ich bis heute bei. Gibt mir Sicherheit. Er schaute mir immer direkt in die Augen, der Gesichtsausdruck und das Gangbild sind für ihn immer wichtig. Er liest in dem Menschen. Hat sich auch bis heute nicht geändert. Mein Ziel war, nicht mehr so oft im Bett zu liegen. Das hatte ich mir auch schnell abgewöhnt und hielt mich mehr im vorderen Teil auf. Dann kam der Winter. Damals noch mein Wunsch, ein Weihnachtsmarkt. Habe es zu dieser Zeit noch nicht realisieren können. Ich sage nur "ALLE JAHRE WIEDER". Ich hatte mir bereits neue Stiefel, Schuhe und Jacken usw. gekauft. Ich ging ja jetzt wieder vor die Tür, das war ein Gefühl von Freiheit. Es fing an zu schneien. Mein Mann sagte mir, er würde Schneeschieben wenn er zu Hause wäre. Ich dachte mir, warum versuche ich es nicht einfach. Ich fing langsam an. Mein Herz schlug bis zum Hals und der Tremor (Parkinson) war durch die ungewohnte Tätigkeit unruhig, es machte Spaß, war anstrengend, ich schwitzte unwahrscheinlich, und es wurden bei jeder Aktion so ca. 3 Etappen. Das hieß, ich ging jedes Mal ins Haus, ruhte mich etwas. Dann ging es weiter. Es wurde immer besser. Ich schrieb bei einem Bericht. Radfahren ausgefallen, war zu erschöpft von den Schneeschippen. Als mein Arzt das las, schaute er mich an und fragte ungläubig, sie haben wirklich Schnee geschippt??!! Nicht alles, dass er gesagt hätte, ich spinne.
Dann ging ich das erste Mal wieder zu meinen Schwiegereltern. Meine Schwiegermutter drückte mich ganz fest und mein Schwiegervater war auch so anders. Mein erster Gedanke, muss ich erst eine Krankheit haben um herzlich behandelt zu werden? Anscheinend ja. Egal, ich fand es doch ganz schön. Soll ich mal ehrlich sein, so ein bisschen genoss ich auch das Mitleid. Jahrelang haben alle an mir kein gutes Haar gelassen, über mich geredet und getratscht. Die Wahrheit, wie schlecht es uns ging, wollte keiner wissen, denn die Wahrheit ist einfach nur uninteressant. Ich hatte jetzt Oberwasser und nutzte manchmal auch mein Parkinson zu meinem Vorteil. Das Beste, ich hatte kein schlechtes Gewissen mehr. Das Leben hatte mich so langsam wieder. Nein, ich holte mir mein Leben wieder Stück für Stück zurück. Nicht mehr Ellenbogentaktik sondern mit Ruhe und Gelassenheit, soweit mir das gelang. Wir gingen bei Schnee spazieren, und wir nahmen bei dieser Gelegenheit gleich die Mariengrotte in Angriff. Ich habe es wirklich geschafft. Ich schrieb solche Erfolgserlebnisse immer in den Fahrrad Ausdauerbericht mit rein Ich musste aber auch lernen, mich nicht zu überanstrengen. Das heißt, zwischendurch Beine hochlegen, denn ich hatte ein kleines Problem mit dicken Fußknöcheln. War mir aber egal, nur meinem Wachhund nicht (… ist nicht böse gemeint). Manchmal putzte ich erst abends um 21.00 Uhr. Es machte wieder alles richtig Spaß. Ich wollte nur noch raus. Wir wurden SPONTANER. Brauchten nicht mehr zu planen. Ein tolles Gefühl. Wir machten auch Spontanbesuche bei der Verwandtschaft. Die "verdutzten Gesichter", wenn wir vor der Tür standen, waren einfach nur hübsch anzusehen. Vielleicht war auch ein bisschen Rache dabei. Wir wurden überall herzlich empfangen. Es sprach sich auch schnell herum, wenn wir irgendwo waren. Die Buschtrommel funktionierte. Soviel Körperkontakt hatte ich bis dato mit meiner Verwandtschaft noch nie. Die Spontanbesuche freuten auch meine Mutter. Und mein Bruder lag auch auf dem Weg. Die neuen Nachbarn (wohnten schon 3 Jahre hier, bevor ich sie ansprach) sind gute Freunde geworden, und wir sind dieses Jahr essen gegangen. War für mich ein Erlebnis, den war verdammt lange her, dass ich außerhalb gegessen habe. Ich konnte mich sogar benehmen. Knigge sei Dank (… kleiner Scherz). Wir unternehmen seitdem viel miteinander, und es ist schön. Mein Lachen funktioniert hervorragend. Plötzlich freuten sich die Menschen, die mich lange nicht mehr gesehen haben, dass es mir wieder gut ging und ich draußen anzutreffen war. Sie stellen keine Fragen und kommen jetzt zu mir. Wir reden, lachen und führen auch ernste Gespräche. Wir gehen freundlich miteinander um. Jetzt, wo wir wieder unterwegs sind, wurde mir wieder bewusst, wie viele Menschen ich kenne.
Ein Ritual habe ich mir auch zugelegt. Den Morgen alleine auf der Bank, vor der Tür, zu begrüßen. Die Ruhe und das Erwachen der Natur zu erleben ist herrlich. Und nicht zu vergessen meine Trockenübungen. Sooft es das Wetter zuließ war ich draußen, mit Decke und Tee. Dann kam der Frühling und ich wollte selbst wieder Handanlegen. Blumen wurden gekauft und eingetopft. Dekorations-Artikel gestrichen. Mein Mann wachte mit Argusaugen darüber, wenn ich Hilfe brauchte, war er da. Meine Ausdauer war mittlerweile gut hergestellt, und mein Arzt war zufrieden. Dann bot er ein Lauftraining "Chi Running" an. Hörte sich beeindruckend an. Wir meldeten uns an. Der erste Termin war am 02.06. Ich machte mir darüber Gedanken, ob ich so etwas überhaupt schaffen würde. Der Name hat mich neugierig gemacht. Als wir begonnen haben, oh Schreck, klammerte ich mich noch an meinen Mann. Mein Arzt hielt alles auf Video fest um, wie er sagte, den Erfolg zu dokumentieren. Und jetzt. Ich bin so stolz, was ich in diesen 12 Wochen gelernt und was für Hürden ich überwunden habe. Schneller zu laufen als Schrittgeschwindigkeit ist super. Das Chi Running macht mir riesigen Spaß, und was mich freut, meinem Mann auch. Er ist so begeistert, dass er irgendwann mal einen Marathon laufen möchte. Und die Lauftruppe ist so prima. Ich habe sogar eine Freundin gefunden. Er wird uns bei Zeiten die Videos zeigen. Bin sehr neugierig. Deshalb sage ich immer gerne: Mein Arzt kam, ich sah, wir siegten. Ich musste in dieser Zeit viel lernen. Ein Abnabelungsprozess, der normalerweise zwischen Mutter und Kind stattfindet, stand uns bevor. Ich war so auf ihn fixiert. Ich habe wieder gelernt, alleine zu bleiben und das Alleinsein zu genießen. Beim Frisör, die Zeit alleine da zu sein, ohne dass mein Mann auf mich wartet und aufpasst, dass mir nichts passiert. Sogar Besuch kam, wo ich alleine zu Hause war, und das Wunder, ich habe ihnen sogar die Tür geöffnet und sie hereingelassen.
Meine fortwährenden Schwierigkeiten möchte ich in drei Kategorien teilen. Die erste Kategorie "DAFÜR KANN ICH NICHTS" betreffen vor allem die Sache mit der Rente. Dazu eine Erklärung, es kann uns jungen Parkinson Patienten passieren, dass wir vor der Diagnose nicht in der Lage waren unserem Beruf weiter hin aus zu üben und deshalb aus der sogenannten fünf Jahresregelung fallen, d.h. In den letzten fünf Jahren keine 36 Monate Pflichtbeiträge gezahlt zu haben. Das ist mir passiert und habe alles in meiner Macht stehende dafür getan. Auf den weiteren Verlauf habe ich keinen Einfluss mehr. Die zweite Kategorie "KANN VORKOMMEN" ist die gesundheitliche Kategorie. Es betrifft den Rücken, den Ischias und damit verbundene Schmerzen, die dann in die Beine ausstrahlen. Auch mal Verspannungen. Dann die dritte und letzte Kategorie "Unwissenheit schützt vor Torheit nicht". Das Endergebnis ist die entzündliche Wundrose, die Ursache war extrem Kühlen durch tiefgekühlte nasse Handtücher. Hat bei Hitze und geschwollenen Beinen sehr gut getan. Mein Fazit: Würde es nie wieder tun. Ich leiste mir den Luxus von zwei Ärzten. Einem Hausarzt und einen Neurologe. Und das ist sehr wichtig für mich. Außer ich benötige noch einen dritten Arzt, wie diesmal für Diagnose entzündliche Wundrose. Seit der ersten Stunde nehme ich täglich meine Tabletten und das funktioniert super. Zusätzlich noch Kräuterlinge, die ich auch gut vertrage. Wie heißt es so schön, bin gut eingestellt.
Jetzt muss ich mal ein Loblied auf meine Ärzte singen, sie alle unterstützen mich, sogar bei dem Rentenantrag. Besonders möchte
mich aber mein Arzt, Neurologe, hervorheben. Ich bin stolz, so einen Arzt zu haben. Ich nenne ihn meinen Lebensretter. Er unterstützt mich, vor allem akzeptiert er mich so wie ich bin. Ich kann ganz schön nervig sein. Er ist geduldig und strahlt eine Ruhe und Freundlichkeit aus. Und er gibt mir ein Stück Geborgenheit. Es ist wichtig für mich zu wissen, solange er praktiziert, ist er für mich da. Es sei denn, ich nerve so schlimm, dass er mir die Freundschaft kündigt.
Da wo ich heute, nach gut einem Jahr stehe, habe ich in erster Linie mir selber zu verdanken. Hat viel Anstrengung, Fleiß, Ehrgeiz, Schweiß und auch mal eine Träne gekostet. Natürlich hat mir mein Mann soweit ich es zu gelassen habe, mir den Rücken frei gehalten. Die Umstellung viel mir leichter als ich erwartet hatte. Ich wurde hungrig auf mein Leben. Ihm fiel die Umstellung schwerer. Er wurde mit seiner Fürsorge plötzlich von 100 auf 0 abgebremst. Im Gegenzug gab ich Gas. Meine handwerkliche Begabung, die tief vergraben lag, ist wieder da. Von der dekorativen Ader ganz zu schweigen. Mein Mann ist manchmal ganz schön genervt. Dann sage ich zu ihm, gehe bitte, und er macht es gerne.
Für mich ist wichtig zu wissen, dass ich vieles wieder selber machen kann, und das stärkt mich zusätzlich. Die harte Arbeit hat sich gelohnt. Es gibt ups and downs. Die hat jeder einmal. Bin gut gelaunt, werde auch mal böse. Aber ansonsten bin ich positiv. Nach meiner Einschätzung habe ich mich sehr verändert. Von der Optik reden wir nicht. Das eine Jahr brachte mir auch paar Kilos zusätzlich. Akzeptiere ich auch. Bin fröhlicher, hilfsbereiter, selbstbewusster, schlagfertiger, diplomatischer, ausgeglichener, und mir wird sogar nach gesagt, ich wäre freundlich frech. Vor allem bin ich nicht mehr nachtragend und kann schneller verzeihen. Die Prioritäten haben sich verschoben. Ich habe jetzt auch ein Blick für das Wesentliche bekommen. Mich kann so schnell nichts mehr aus der Ruhe bringen. Ich bin jetzt bei mir angekommen.
In dieser kurzen Erzählung habe ich mein Parkinson kaum erwähnt. Es könnte der Eindruck entstehen, dass ich nicht gerne über ihn rede, weil er mir unangenehm oder sogar peinlich ist. Oder schlimmer noch, das ich ihn hasse. Nein. Genau das Gegenteil ist der Fall. Er hat mir ins Leben zurückgeholfen. Mich unterstützt. Er zeigt mir meine Grenzen und beschützt mich. Er ist aber auch neugierig und kommt manchmal dann zum Vorschein, wenn ich ihn nicht gebrauchen kann. Es sei ihm verziehen. Ich kann nur sagen, wir haben gute und schlechte Zeiten. Zurzeit haben wir nur "Gute Zeiten". Ich bin so dankbar für ihn. Übrigens heißt er für mich " Mr. Parkinson" und hat so für mich eine Identität. Ich hatte von Anfang an versucht, so eine Art "Parkinson Tagebuch" zu führen. Ich hatte so viel zu erzählen, dass die eine Seite nicht reichte. Ich stieg ab Juni um, es im Computer zu schreiben und nenne es jetzt "Aufzeichnungen". Mir hilft es sehr und macht dazu noch einen Riesen Spaß. Der Kopf wird frei. Mir geht es gut.
Mein Fazit von diesem Jahr. SO GESUND KOMMEN WIR NICHT MEHR ZUSAMMEN. "Ich fühle mich einfach gesund" (Ich verbessere mich jetzt mal, ich fühle mich gesünder).
Udo Jürgens singt das Lied "Mit 66 Jahren, da fängt das Leben an, mit 66 Jahren hat man Spaß daran, mit 66 Jahren da kommt man erst in Schwung, mit 66. ist noch lange nicht Schluss". Ich habe es abgeändert auf 48 Jahre.