Читать книгу Zimmer 122 - Beatrice Schweingruber - Страница 11

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Klara Niedermann betrat zögernd den Raum. Ohne ihre Freundin wirkte sie noch kleiner, verloren und scheu wie ein Reh. Im Türrahmen blieb sie unschlüssig stehen.

Caduff erhob sich und begrüsste sie freundlich. Sanja tat es ihm gleich und bedeutete ihr mit einer einladenden Geste, auf dem Sessel, auf dem eben noch Maria Violetti über den gestrigen Abend berichtet hatte, Platz zu nehmen. Die beiden Kommissare setzten sich ihr gegenüber.

Klara trug dieselben Kleider wie am Vortag: eine helle Jeans und einen beigen Pullover. Sie war ungeschminkt und blass. Sie war kein Prachtweib, wie der unangenehme Peter Meierhans sie genannt hatte. Dieser Begriff passte eher zu Kim Lacher, dachte Caduff, auch wenn er ihn abschätzig gegenüber Frauen fand und nie gebrauchen würde. Er fand Klara Niedermann apart. Obwohl es bereits warm war im Raum, schien sie zu frieren.

»Geht es Ihnen besser?«, begann Caduff das Gespräch, obwohl er ihr ansah, dass sie nicht viel geschlafen hatte. Sie sah noch zerknittert und verweint aus, wofür er volles Verständnis hatte. Wenn er sich vorstellte, jemand würde seiner Carole ein Leid antun. Nicht auszudenken, wie es ihm dann gehen würde!

»Frau Niedermann, für unsere Ermittlung ist es wichtig, mehr über Ihren verstorbenen Mann zu erfahren. Wie hiess er mit Vornamen?«, fragte er, obwohl er die Antwort kannte. Er wollte sie mit einfachen Fragen auf den Kern des Gesprächs vorbereiten.

»Benno«, kam die einsilbige Antwort.

»Bitte erzählen Sie uns von Ihrem Mann. Was machte er beruflich? Wie war er als Vater und als Ehemann? Erzählen Sie uns einfach, was Ihnen durch den Kopf geht.«

Klara Niedermann sass auf ihrem Stuhl und sah mit leerem Blick an ihm vorbei. Caduff war nicht sicher, ob sie tatsächlich überlegte oder mit ihren Gedanken weit weg war. Er wartete und spürte, dass Sanja neben ihm langsam ungeduldig wurde. Er sah sie mit hochgezogenen Augenbrauen an und signalisierte ihr, ruhig zu bleiben.

Endlich nahm Klara Augenkontakt mit ihm auf. »Benno ist dreiundfünzig. Benno war dreiundfünfzig«, korrigierte sie sich. »Ich kann es nicht fassen, dass er nur dreiundfünfzig Jahre alt wurde. Dabei war er kerngesund …« Tränen schossen ihr wieder in die halbgeschlossenen Augen und liefen ihr über die Wangen bis zu den Mundwinkeln. Energisch wischte sie sie weg.

»Wir haben zwei Kinder, Balz und Laura. Nach unserem Gespräch fahre ich nach Hause zu ihnen. Sie wissen noch nicht, was geschehen ist. Ich wollte sie gestern nicht beunruhigen. Ich möchte ihnen und meiner Mutter die traurige Nachricht heute persönlich überbringen. Wenn sie die Wahrheit erfahren, werden sie mich dringend brauchen.«

Klara war nicht mehr fähig, weiterzusprechen. Der Kloss in ihrem Hals wurde grösser und sie schluckte heftig. Caduff und Sanja warteten ab, bis sie sich wieder unter Kontrolle hatte.

»Selbstverständlich können Sie heute zu Ihren Kindern fahren. Sobald wir dieses Gespräch beendet haben«, bestätigte Caduff, worauf sich Klara ein wenig entspannte. »Ich habe nur ein paar Fragen. Welchen Beruf hatte Ihr Mann?«

»Mein Mann war Banker. Er war Private Banker, um genau zu sein. Er war mit der Bank verheiratet.«

Als Klara bewusst wurde, was sie gesagt hatte, schlug sie sich erschrocken eine Hand vor den Mund. »Unsere Ehe war vorbildlich, nicht dass Sie falsche Rückschlüsse ziehen. Wir waren glücklich miteinander. Uns verband wesentlich mehr als die Ehe und unsere beiden Kinder«, bemühte sie sich um Richtigstellung. Sanja kniff die Augen zusammen, was erfahrungsgemäss darauf schliessen liess, dass sie skeptisch war.

Caduff erwartete ihre Reaktion, die prompt nicht auf sich warten liess. »Was verband Sie mehr als die Ehe und Ihre gemeinsamen Kinder, Frau Niedermann?«

Klara sah Sanja aus tränennassen Augen an. »Das heisst nichts anderes, als dass wir viele Gemeinsamkeiten hatten. Wir waren immer füreinander da, falls Sie sich das vorstellen können. Sind Sie verheiratet?«

Ihre Stimme hatte einen scharfen Unterton angenommen. Es war nicht zu überhören, dass sie von diesem Gespräch genervt war und sich überfordert fühlte. Als Sanja nicht antwortete, hakte Klara nach. »Sind Sie verheiratet?«

Sanja verneinte. »Also können Sie mich nicht verstehen und meine Situation nicht nachvollziehen«, triumphierte Klara. Die Stimmung wurde aggressiver. Caduff versuchte, das Gespräch in eine andere Richtung zu lenken. »Könnte es sein, dass Ihr Mann Feinde hatte?«

»Feinde? Mein Mann hatte nicht mehr Feinde als jeder andere Banker auch. Das Geschäftsleben sei kein Ponyhof, erklärte er immer seinen Kunden, wenn er sie enttäuschen musste. Und Sie als Polizist machen sich definitiv keine Freunde mit Ihrer Fragerei. Meinen Sie, Benno sei selbst schuld an seinem Tod? Oder glauben Sie, dass ich ihn erschlagen habe?«

»Natürlich nicht«, versicherte Caduff und bemühte sich, die Wogen zu glätten. Das Gespräch ging in eine komplett falsche Richtung. Er blieb ruhig und beobachtete Frau Niedermann, wie sie um Fassung rang. Als sie sich nach einer Weile etwas beruhigt hatte, fragte er, ob ihr Mann gern Banker gewesen sei.

»Sehr gern. Er konnte stundenlang über Bankgeschäfte sprechen«, lächelte Klara. Caduff und Sanja warfen sich einen Blick zu. Gut. Sie schien sich gefasst zu haben und das Gespräch konnte weitergehen.

»Was waren seine Hauptaufgaben?«

»Als Private Banker verwaltete er die Vermögen von gut situierten Privatpersonen sowie kleineren bis mittelgrossen Firmen und tätigte in deren Namen neue Anlagen«, erklärte Klara. Aus ihrem weiteren Bericht schloss Caduff, dass er wohl selbstständig gearbeitet hatte und stolz darauf war, Entscheidungen autonom zu fällen. Ihm kam es vor, als zitierte Klara die wichtigsten Punkte aus einem Anforderungsprofil für Private Banker. Benno hatte insgesamt neun Mitarbeitende unter sich, für die er die Verantwortung trug. Gemäss ihrer Meinung war er ein fordernder, aber fairer Chef. Leider habe er kaum ein privates Wort mit seinen Untergebenen gewechselt und sich nicht ansatzweise für ihr Privatleben interessiert. Das ginge ihn nichts an, habe er immer gesagt, wenn sie ihn darauf ansprach. An Jahresend-Essen wollte niemand neben ihm sitzen, weil sich seine Themen ausschliesslich um Bankgeschäfte drehten. Er war freundlich, aber distanziert und lachte aus Prinzip selten. Klara konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass ihm jemand aus der Bank nach dem Leben trachtete. Auch mit seinen Kunden und Geschäftspartnern war er in keinem herzlichen, aber nichtsdestotrotz guten Einvernehmen.

Nach weiteren Fragen zu Bennos Job realisierte Caduff, dass aus Klara Niedermann heute nichts mehr herauszuholen war. Sie war erledigt und wollte zu ihren Kindern. Eine traurige, heikle und schwierige Aufgabe wartete auf sie, sodass sich ihre Gedanken nur noch darum drehten. Es war auch nicht der Moment für private Fragen.

Caduff schaute sie an. »Eine letzte Frage habe ich noch für heute. Weshalb hat Ihr Mann seine Golftasche im Hotelzimmer aufbewahrt?«

Klara hob erstaunt die Augenbrauen. Sie hatte eine weitere Frage zu seiner Arbeit erwartet. »Das ist eine gute Frage. Er reinigte und pflegte seine Schläger selbst. Seine Golfsachen waren ihm heilig. Mein Mann traute grundsätzlich nur wenigen Leuten. Mit seinem Putter führte er jeden Abend vor dem Schlafengehen noch ein paar Übungsschläge aus. Dieses Ritual war ihm wichtig, auch zu Hause. Deshalb stand sein Putter stets griffbereit neben der Schlafzimmertür.«

Obwohl Caduff keine Ahnung hatte, um was für einen Golfschläger es sich beim Putter handelte, erhob er sich und streckte ihr die Hand entgegen, die sie ergriff. »Ich danke Ihnen, Frau Niedermann. Sie können jetzt heimfahren. Ich bitte Sie, zu Hause zu bleiben und sich weiterhin zu unserer Verfügung zu halten. Es tut mir sehr leid. Ich wünsche Ihnen alles Gute.«

Unter der Tür drehte er sich nochmals um. »Wo haben Sie Ihre Golfschläger im Hotel aufbewahrt, Frau Niedermann? Wir haben nur die Tasche Ihres Mannes im Zimmer gefunden.«

»Mein Golfbag befand sich im Caddy-Raum. Wie die Taschen aller anderen Gäste ebenfalls«, kam ihre postwendende Antwort.

»Ich danke Ihnen, Frau Niedermann.«

Mit diesen Worten verliess er den Raum zuerst und machte sich im Kopf eine Notiz. Er wollte sich erkundigen, um welchen Schläger es sich beim Putter handelte. Ob und wie sich Sanja und Frau Niedermann voneinander verabschiedeten, kümmerte ihn nicht mehr.

Zum Mittagessen fuhr Caduff heim, was selten vorkam. Meistens nahm er im Büro eine Kleinigkeit zu sich. Aber heute zog es ihn zu seiner Frau Carole, die ihm nicht nur etwas Gutes zu essen kochen würde, sondern auch eine ausgezeichnete Zuhörerin war und kluge Fragen stellte. Sie kannte ihn in- und auswendig und wusste, wann ihm zum Sprechen zumute war. Und das brauchte er heute.

Zimmer 122

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