Читать книгу Zimmer 122 - Beatrice Schweingruber - Страница 7

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Der Kommissar stand kurz vor der Pensionierung und war dank seiner jahrzehntelangen Erfahrung einiges gewohnt. Für die Angehörigen der Opfer war die Situation natürlich ungleich schwieriger, nicht nur der Anblick eines durch Gewalt entstellten Toten, sondern auch die Realisierung eines unwiderruflichen Verlusts.

Er stand dicht neben Frau Niedermann, um sie gegebenenfalls zu stützen. Sie war eine kleine, zierliche Frau und er unterstellte ihr intuitiv, nicht so belastbar zu sein wie ihre Freundin, die sie um Haupteslänge überragte und einen sportlichen und trainierten Eindruck machte. Wie erwartet sackte Klara beim Anblick ihres Mannes zusammen. Caduff hielt sie fest und setzte sie mithilfe von Kim Lacher auf die Bettkante. Kim sah nicht wesentlich besser aus als ihre Freundin, blieb aber eisern neben dem Bett stehen.

Der Kommissar gab einem Kollegen der Spurensicherung ein Zeichen, ein Glas Wasser zu bringen und beobachtete gleichzeitig Kim Lacher. Sie wurde immer blasser, hielt sich aber tapfer auf den Beinen und konnte den Blick nicht von Benno Niedermann wenden. Caduff bemerkte ein Beben ihrer Hände und ein leises Zittern ihrer Lippen, sonst verriet sie keine Gefühle.

Endlich wandte sie sich ab und bestätigte Caduff, dass es sich bei dem Toten definitiv um Benno Niedermann handle, den Ehemann von Klara. Schwer liess sie sich auf die Bettkante neben ihre Freundin sinken, nahm dem Beamten der Spurensicherung das Wasserglas aus den Händen und half ihrer Freundin beim Trinken.

Klaras blaue Augen waren aufgerissen, die Pupillen wirkten riesig. »Wer macht so etwas?«, flüsterte sie erneut. Dabei sah sie ihre Freundin an, nicht den Kommissar.

Kim schüttelte den Kopf. »Ich weiss es nicht. Die Polizei wird es herausfinden, Liebes.«

Ihr Blick wanderte von Klara zu Caduff, während sie mechanisch über Klaras Kopf streichelte. »Bitte versprechen Sie uns, dass Sie herausfinden, welches Monster zu dieser Tat fähig war.«

»Ich verspreche Ihnen, dass wir alles daransetzen werden, den Täter zu fassen. Darf ich Ihnen jetzt ein paar Fragen stellen?«

Klara spürte einen aufsteigenden Brechreiz und würgte. Kim tätschelte ihr den Rücken. »Lassen Sie uns bitte in mein Zimmer gehen. Für Klara ist der Anblick nicht zumutbar.«

Nachdem Kim Lacher das Nötigste für ihre Freundin eingepackt hatte, gingen sie in ihr Zimmer. Klara nahm auf dem grossen Sessel beim Fenster Platz, Kim auf dessen Armlehne, um ihrer Freundin nahe zu sein. Caduff setzte sich auf einen Stuhl gegenüber. Tränen rannen über Klaras Wangen und verwischten ihr Make-up. Mit beiden Händen fuhr sie durch ihr schulterlanges Haar. Sie sah mitgenommen und verstrubbelt aus.

Kein Wunder, dachte der Kommissar mitfühlend. Die Wildkatze, wie er Kim insgeheim nannte, hielt sich erstaunlich gut. Sie liess ihre grünen Augen aus dem Fenster schweifen. Caduff konnte ihrem Gesichtsausdruck nicht entnehmen, was sie gerade dachte. Die beiden Frauen schienen sich sehr nahezustehen.

Caduff schaute sich im Zimmer um. Es war geräumig und sah kaum benutzt aus. Die gemusterte Decke über dem Bett war glattgestrichen und alle Gegenstände lagen auf ihrem Platz. Nur ein roter Wecker stand verloren auf dem Nachttisch neben einer Schachtel Kleenex. Kim Lacher musste eine ordnungsliebende und bestens organisierte Frau sein. Wenn er mit seiner Frau in einem Hotel übernachtete, lagen überall Bücher, Zeitschriften und persönliche Gegenstände herum. Hier war es unmöglich, Rückschlüsse über die Persönlichkeit der Bewohnerin zu ziehen.

»Frau Niedermann. Es tut mir aufrichtig leid, Ihnen jetzt einige Fragen stellen zu müssen. Für die Ermittlungen ist es wichtig, keine kostbare Zeit zu verlieren. Ist das in Ordnung?«

Klara nickte und sah ihn an. Trotz der immer noch fliessenden Tränen schien sie ihn wahrzunehmen. Kim legte den Arm um ihre Freundin und schaute weiterhin aus dem Fenster in die Dunkelheit.

»Frau Niedermann, wann haben Sie Ihren Mann zuletzt gesehen?«

»Heute Nachmittag spielten wir alle drei zusammen eine Runde Golf, wir Frauen allerdings nur neun Löcher. Dann verliessen wir den Platz. Benno spielte allein weiter.«

»Neun Löcher, was bedeutet das? Ich verstehe leider nichts von Golf.«

Klara sah ihre Freundin hilflos an, die Caduff informierte: »Wenn Sie eine ganze Runde spielen, sind das achtzehn Löcher insgesamt. Neun Löcher bedeuten deshalb nur eine halbe Runde. Benno war ein ausgezeichneter und eifriger Spieler. Eine halbe Runde reichte ihm nie, um seinen sportlichen Ehrgeiz zu befriedigen. Neun Löcher bezeichnete er immer ein wenig despektierlich als Damenrunde. Deshalb spielte er auch heute allein weiter. Wir machten es immer auf diese Weise. So stimmte es für uns alle.«

»Und Sie beide, wie sah Ihr Programm aus?«

Klara sah Caduff vorwurfsvoll an, ihre Tränen versiegten augenblicklich. »Was wollen Sie damit sagen? Meinen Sie, ich hätte meinen Mann umgebracht?« Ihre Augen sprühten Funken.

»Natürlich nicht, Frau Niedermann. Ich muss Sie das fragen. Reine Routine.«

Kim Lacher beantwortete die Frage, während Klara erneut in Tränen ausbrach.

»Wir machten uns frisch und trafen uns danach zu einem Spaziergang am See, bis es Zeit zum Abendessen war. Der Abend war wundervoll. Wenn wir geahnt hätten …« Kim blinzelte die aufsteigenden Tränen energisch weg.

»Was denken Sie, wurden Sie von jemandem gesehen?«

»Sie behandeln uns wie Mörder«, begehrte Klara mit schriller Stimme auf. »Mein Mann ist tot. Was wollen Sie von uns? Suchen Sie besser den Mörder!«

Kim legte schützend den Arm um sie. »Lass gut sein, Liebes, er macht nur seinen Job.« Dann wandte sie sich gereizt dem Kommissar zu: »Ich weiss nicht, ob uns jemand gesehen hat, gehe aber davon aus. Von der Terrasse aus sieht man den Weg bis zur Biegung. Viele Gäste waren beim Apéro, als wir das Hotel verliessen.«

»Wann haben Sie das Hotel verlassen?«

»Das muss kurz nach 20:00 Uhr gewesen sein.«

»Danke. Wir werden das überprüfen.«

»Tun Sie das, Herr Kommissar.« Der Sarkasmus in ihrer Stimme war unüberhörbar.

Caduff seufzte innerlich. Er kannte diese ablehnenden und beschuldigenden Reaktionen zur Genüge. Das war etwas, was er wirklich nicht mehr brauchte, musste er sich eingestehen.

Er ging zum Fenster, kehrte den beiden Frauen den Rücken zu und zog sein Handy aus der Tasche. »Wie läuft’s?«, fragte er leise.

»Wie üblich. Niemand hat irgendetwas Verdächtiges gesehen oder gehört. Die drei schienen ein eigenartiges Trio zu sein. Benno Niedermann machte auf die anderen Gäste einen überheblichen Eindruck, er hat offenbar keine Sympathiepunkte gesammelt.«

»Bitte überprüft, ob jemand die Frauen beim Spaziergang gesehen hat.«

»Von welcher ungefähren Zeit sprechen wir?« Sanja war kurz angebunden.

»20:00 Uhr oder etwas später. Und klärt ab, wann genau sie auf die Terrasse zurückkamen. Mich interessiert ihre Stimmung. Waren sie fröhlich und lachten oder eher gestresst und ängstlich? Sofern der Kellner etwas taugt, erinnert er sich an die beiden.«

»Okay, Chef.« Die Verbindung wurde abgebrochen.

»Herr Caduff, wir bitten Sie, uns jetzt in Ruhe zu lassen und zu gehen. Frau Niedermann muss ihre beiden Kinder benachrichtigen. Sie können kaum nachvollziehen, wie belastend das ist.«

Die Wildkatze hatte gesprochen. Caduff warf einen Blick auf Klara. Klein und zusammengesunken hing sie wie ein verlorenes Kind in dem riesigen Sessel. »Ich werde morgen um 10:00 Uhr hier sein. Bitte halten Sie sich zu meiner Verfügung.« Er drehte sich nochmals um. »Wie alt sind Ihre Kinder?« Seine Stimme hatte einen empathischen Klang angenommen.

»Fünfzehn und siebzehn«, schluchzte Klara. »Ich weiss nicht, wie ich es ihnen beibringen soll.« Ihre Tränen flossen wieder in Strömen. »Ich will heim zu ihnen. Sie brauchen mich. Im Moment ist nur meine gesundheitlich angeschlagene Mutter bei ihnen.«

»Wo wohnen Sie, Frau Niedermann?«

»Wir wohnen in Olten.«

»Sobald wir uns morgen gesprochen haben, steht Ihrer Heimreise nichts im Weg. Das verspreche ich Ihnen. Wie gesagt, es tut mir sehr leid, Frau Niedermann.« Mit diesen Worten verliess er das Zimmer und schloss leise die Tür hinter sich.

Auf der Terrasse waren Sanja und Philipp immer noch mit der Befragung der Gäste beschäftigt. Als Sanja den Kommissar entdeckte, ging sie zu ihm.

»Es waren ausschliesslich Hotelgäste auf der Terrasse. Sie bleiben alle hier und halten sich zu unserer Verfügung. Ein einziger Zeuge hat die Damen Niedermann und Lacher beim Verlassen des Hotels beobachtet. Er sagte, das sei um 20:05 Uhr gewesen. Willst du mit ihm sprechen?«

»Das mache ich morgen. Es ist schon weit nach Mitternacht. Gehen wir nach Hause und treffen uns morgen um 8:00 Uhr im Foyer.« Als er sich schon umgedreht hatte, schickte er noch ein »Gute Nacht« hinterher und ging gemessenen Schrittes zu seinem Wagen.

Zimmer 122

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