Читать книгу Ein schönerer Schluss - Bekim Sejranović - Страница 4

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I

1.

Ich sitze in der alten Hütte auf Großvaters „Ranch“. Im Tal ist die Nacht hereingebrochen und hat die waldumhüllten Berge verschluckt. Hier bin ich schon geraume Zeit, ich fühle keine Unruhe mehr. Ich fühle mich wie ein Mensch, der einmal eine Geschichte schreiben wollte, was ihm aber nicht gelang, weil die Geschichte die Kontrolle über die Wirklichkeit übernahm. Es war nicht mehr klar, was wirklich ist, die Geschichte oder das Leben. Und ob das Leben die Geschichte schreibt, oder ob es vielleicht umgekehrt ist.

Ein Siebenschläfer rumort auf dem Dachboden ohne jede Rücksicht. Eines Nachts wurde ich wach und sah gerade noch seinen Schwanz, als er über die Kante der abgewetzten Couch sprang, auf der ich schlafe. Er verschwand in einem Loch in der Wand unter der Gardinenstange.

Die Glühbirne an der Decke geht an und aus, vermutlich ein Wackelkontakt. Die Wände der Hütte sind voller Löcher vom abgefallenen Putz. Darunter sieht man die Bretter, aus denen die Hütte eigentlich gemacht ist.

Die „Ranch“ ist ein Acker von siebeneinhalb dulum, den hatte Großvater gekauft, als er in Pension ging, um hier einen Pflaumengarten anzulegen. Ich erinnere mich an alles, aber das ist jetzt nicht wichtig. Weder Großvater noch Majka (so nannte ich Großmutter) gibt es noch, und auch meine Mutter, ihre Tochter, ist nicht mehr. Es gibt auch die „Ranch“ nicht mehr. Jetzt gibt es hier nur Gestrüpp und einen im Vergessen gefangenen Obstgarten. Das Anwesen gehört Tante Zika, die mich hier sein lässt, so lange ich will.

Ich weiß nicht genau, wann ich hergekommen bin, aber der Sommer ging seinem Ende entgegen, und die Pflaumen vergammelten, weil niemand da war, der sie aufgesammelt hätte.

Tagsüber surren die Wespen in Kampfformation und fressen sich an den überreifen saftigen „Ungarischen“ satt. Vögel in unterschiedlicher Größe und Farbe hüpfen krächzend in der ganzen Misere herum und picken mal die Früchte, mal sich gegenseitig. Auch irgendwelche fetten Heuschrecken kommen in Scharen, und diese lästigen winzigen Fliegen, die sich einem direkt ins Auge stürzen.

2.

Ich erzähle ein und dieselbe Geschichte schon zum wiederholten Mal, so als würde ich hoffen, dass mir einmal ein schönerer Schluss einfällt. Die Geschichte könnte mit dem Zeitpunkt einsetzen, als ich an jenem Oktobernachmittag, vor zwei Jahren, in die Save gefallen war.

Damals bin ich aus dem Fluss ans lehmige Ufer geklettert. Als ich den steilen, glitschigen Pfad hinaufstieg, glitt ich aus, platschte auf den Hintern und rutschte einen halben Meter zurück zum Fluss. Als ich endlich auf der Dammkrone war, zog ich Jacke und Hemd aus. Mein Körper dampfte.

Ich saß eine Zeit lang auf dem Boden, in Erwartung von irgendwas. Ich dachte, ich würde zu weinen anfangen, ich würde, wie in einem schlechten Film, hier am Flussufer Tränen vergießen und sie mir über die Wangen laufen lassen. Und mich dann beruhigen, die Tränen abwischen und lächeln. Mich vorsichtig erheben und langsam in die Zukunft hineinschreiten. Egal in was für eine. Aber das tat ich nicht. Ich saß am Ufer, nackt bis zum Gürtel, und sah zu, wie meine Brustwarzen steif wurden.

3.

Schon seit Längerem höre ich Stimmen. Es sind mehrere. Einzelne erkenne ich wieder und weiß, dass sie einem anderen Ich von mir gehören. Bei den anderen bin ich mir nicht sicher. Die kommen wie aus einem Abgrund herauf, melden sich ein oder zwei Mal und verstummen dann für immer.

Eine der bekannten Stimmen stänkert, dass sie sich nicht ganz sicher sei bei diesem, nennen wir ihn mal so, Versuch des Ertrinkens. Ihr scheint, dass ich nur ungeschickt ausgerutscht und in den seichten Schlick geplatscht bin. Sie nörgelt ätzend, ich hätte keine Eier für so was, worin ich ihr, wenngleich ungern, recht gebe.

Ich sehe mich auch selbst, wie ich nachdenklich, mit einer Zigarette in der Hand, am Ufer der Save stehe. Ich sehe auf den Fluss, ringsum ist das Krächzen der Krähen zu hören, in der Brust pocht das Herz immer stärker. Ich fühle, wie mich der Zigarettenrauch erstickt, ich weiß, dass mich jetzt dieser Anfall heimsucht, mit dem ich schon seit Jahren lebe, von dem ich nur nicht weiß, wie ich ihn nennen soll. In Panik werfe ich die Zigarette vor mir in den Lehm und trete sie mit der Sohle meines Turnschuhs aus. Ich sehe meinen Fuß, wie er sich bewegt und wie der Boden unter ihm nachgibt. In dem Moment begreife ich, dass ich in den Fluss stürze.

Der Kontakt mit dem kalten Wasser bringt mich zu Bewusstsein. Wütend schwimme ich zu dem einen halben Meter entfernten Ufer, bevor ich begreife, dass mir das Wasser gerade mal bis zur Hüfte geht.

Ein schönerer Schluss

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