Читать книгу REJ - Der spezielle Gefangene - Beli / Tanja Sorianumera / Giesecke - Страница 5
2 - Widerstand ist doch zwecklos
Оглавление"Das ist ganz schön mies. Hey, Sie bekommen ja kaum Luft, Rej", fiel dem freundlichen Pfleger an seinem Mithäftling auf. Der hatte versucht, seine Kurzatmigkeit zu verbergen, aber nun war es Sajan aufgefallen. "Da müssen wir was dagegen machen."
"Ja, die Sauerstoffsättigung in Herrn Lio'Tas Blut ist auch etwas zu niedrig. Wir können seine Atmung mit Sauerstoffgabe unterstützen." Sajan fand den Vorschlag gut, nickte und ließ sich von dem Doktor das Gerät geben. Er schaltete es an und drückte die Sauerstoffmaske dann dem Verletzten auf Mund und Nase, legte ihm das daran befestigte Gummiband um den Kopf. "Besser so?", fragte er fürsorglich und Rej bejahte das, indem er deutlich blinzelte.
Noah beobachtete über den Scanner, wie die Sauerstoffsättigung in Lio'Tas Blut langsam stieg und auch seine Gesichtsfarbe änderte sich zum Besseren. Der bläulich violette Schimmer trat mehr in den Hintergrund. Er nickte zustimmend und wandte sich dann an den Helfer. "Ich muss aber erst noch in Erfahrung bringen, ob ich die Sauerstoffmaske mit auf die Zelle mitgeben darf."
Sajan runzelte die Stirn. Die Aussage hatte ihn wohl verärgert. "Was soll er denn damit anstellen? Es ist nur Sauerstoff. Und es geht ihm damit besser!"
Noah setzte eine entschuldigende Miene auf und hob die Schultern. "Herr Lio'Ta ist nicht hier, um sich besser zu fühlen, sondern um den ShaoSetFai Antworten zu liefern. Und soweit ich weiß, ist reiner Sauerstoff immer ein herrlicher Brandbeschleuniger."
Sajan wurde nun richtig wütend, was irgendwie nicht zu seinem sonst so freundlichen Gesicht passte. "Ich glaube, ich höre nicht richtig?! Glauben Sie wirklich, dass jemand mit solch schweren Brandwunden sofort Lust darauf hat, mit Brandbeschleuniger zu spielen, wenn der ihm eigentlich nur so etwas Essentielles wie Atemluft bescheren soll? Das ist doch paranoid!"
Noah hob beschwichtigend die Hand und versuchte die Wut des Pflegers zu mäßigen. "Ganz so absurd, wie Sie sagen, ist das nicht. Außerdem, wer sagt denn, dass er das Gerät für irgendwelche Machenschaften missbrauchen will? Sie teilen sich mit ihm eine Zelle. Vielleicht setzen Sie sich hier nur deshalb so vehement für diesen Terroristen ein, weil Sie selbst an den konzentrierten Sauerstoff gelangen wollen?"
Sajan starrte den Medic ungläubig an. Dann schüttelte er mehrere Male den Kopf und ging wieder neben Rejs Kopf in die Hocke. Er warf dem Arzt einen scharfen Blick zu und piekte mit dem Finger in seine Richtung. "Erkundigen Sie sich! Erkundigen Sie sich, ob das zulässig ist! Und hören Sie auf, solchen Schwachsinn zu reden!" An Rej gewandt meinte er dann: "Der spinnt doch!"
Noah ignorierte die Beleidigung und widmete sich übertrieben intensiv dem Display des Scanners. Es war eine Gratwanderung. Er selbst hatte durch die Terrorakte der Song keine Angehörigen oder ihm bekannte Personen verloren, aber die Medien hatten ihm genug von den Taten der Widerstandsbewegung gezeigt. Er hatte von der Sache des Energieverteilers gehört und der Song-Kommendan hatte in mehreren Ansprachen und öffentlichen Forderungen gezeigt, dass sie nicht vor hatten, ihren extremen Kurs zu ändern. Stets war er von seinem Standpunkt nicht auch nur eine Haaresbreite zurück gewichen, war felsenfest in seinen Forderungen geblieben. Zwar bedauerte wohl auch er die Kollateralschäden, aber sie hatten ihn nicht dazu bringen können, die terroristischen Handlungen gegen ThanaVelu und die Regierung von Xiantiao einzustellen. Und diese Härte, die er den Opfern dadurch entgegen gebracht hatte, fiel nun auf ihn selbst zurück.
Aber gleichzeitig sah Noah auch einen Menschen vor sich, der durch die Hölle gegangen war und nun noch weitere Höllentage bis zu seiner Exekution vor sich hatte. Und der Medic war sich auch darüber bewusst, dass eine solche Härte gegenüber anderen immer eine Ursache hatte. Einen Quell von voraus gegangenem eigenem Leid.
An sich selbst hatte er beobachten müssen, wie durch fortwährende Qualen aus einem freundlichen hilfsbereiten Mann, ein in sich zurück gezogener kalter Mensch geworden war, der für den Staat nicht nur als Mediziner, sondern auch als Folterer arbeitete. Von dem einst selbstlosen, aufgeschlossenen und sympathischen Assistenzarzt war nicht mehr viel übrig geblieben.
"Ich schicke eine Anfrage", meinte er schließlich, um auf einen versöhnlichen Kurs mit dem Pfleger zu kommen. Eine Zusammenarbeit mit ihm konnte schwierig werden, wenn sie sich nicht wenigstens einigermaßen verstanden.
"Tun Sie das", pflichtete ihm Sajan unwirsch bei und erhob sich wieder. "Lassen Sie uns weiter machen, damit wir endlich auf unsere Zelle kommen."
Es ärgerte Noah, dass der Mann ständig im Befehlston mit ihm sprach, obwohl ihm das überhaupt nicht zustand. Und es irritierte ihn, dass dieser Kerl so mit dem Widerständler sympathisierte. Vielleicht löste dessen Hilflosigkeit und Leiden eine Art Beschützerinstinkt in ihm aus, wie der eines älteren Bruders, immerhin hatte er den Beruf des Pflegers gelernt und solch sozial veranlagte Menschen neigten häufig dazu, stets helfen und beschützen zu wollen. Vielleicht war es aber auch weniger der Mensch an sich, dem er sich zugewandt fühlte, sondern mehr dessen Bedeutung. Rej war das ehemalige Oberhaupt der Terroristengruppe Song und Noah kannte Sajans Hintergrund nicht, die Umstände, aus denen er kam. Es war gut möglich, dass dieser die Nähe zu den Widerständlern suchte, weil er ihre Werte teilte. Wenn dies tatsächlich der Fall war, musste Noah aufpassen, dass die beiden nicht zu einer ernsten Gefahr wurden. Allerdings erbot sich daraus auch die Möglichkeit, mehr aus dem Song-Kommendan heraus zu bekommen, als diesem bewusst war.
Noah machte sich eine gedankliche Notiz darüber, die Vergangenheit und Herkunft des dunkelhaarigen Häftlings zu überprüfen. So konnte er auf Nummer sicher gehen. Gleichzeitig wollte er sich aber bemühen, sich ebenfalls mit dem Mann gut zu stellen. Wenn die beiden Häftlinge der Meinung waren, dass er es gut mit ihnen meinte und dass sie ihm vertrauen konnten, war es leichter für ihn, ihre Tätigkeiten zu überblicken. Allerdings hatte Noah in den letzten Minuten gemerkt, dass er viel von seinem sozialen Kommunikationsvermögen eingebüßt hatte, was ihn nicht gerade unbedingt zur charismatischen Vertrauensfigur machte. Für den Moment war dieser Zug jedenfalls abgefahren, der Augenblick war verloren, aber es würden sich sicher noch mehr Möglichkeiten im Laufe der nächsten Tage bieten.
Die folgende dreiviertel Stunde kümmerten sich die beiden Männer nahezu schweigend um die weiteren Verletzungen des Widerständlers. Noah reinigte die Brandwunden, die sich von der Hüfte über die rechte Seite hinauf, über die Schulter und den Hals tief ins Fleisch gefressen hatten und bedeckte sie mit abiotischen Auflagen. Er war dabei sehr gründlich und gleichzeitig aber so vorsichtig, wie es ihm möglich war. Bald war die komplette Hälfte des Körpers mit den silbernen Streifen bedeckt und diese vereinten sich mit den Bandagen vom Arm zu einer sauberen sterilen Fläche.
Sajan ging ihm fleißig zur Hand und stützte den Körper des Song-Kommendan, wann immer es nötig war, um die Verbände anzubringen. Auch kümmerte er sich immer wieder um Rejs Verfassung, fragte nach, ob die Schmerzen erträglich waren und ob er ihn irgendwie noch unterstützen konnte. Dieser gab sich stark, obwohl deutlich an seinen glasigen Augen erkennbar war, dass ihm die schmerzhafte Prozedur ziemlich an die Substanz ging.
Mit dem Ergebnis war der Arzt schließlich sehr zufrieden. So konnten die Verbrennungen auf jeden Fall besser heilen, wie im vorherigen verwahrlosten Zustand. Und auch der Gefangene würde sich bald besser fühlen. Noah wandte sich erneut dem Scanner zu und warf einen Blick auf das Skelett seines Patienten, das in einem der dreidimensionalen Modelle auf dem Monitor abgebildet war. Zu dem Speichenbruch im rechten Arm, der aber schon durch die Plastikschiene stabilisiert war, waren noch deutlich die Frakturen im Brustwirbelbereich zu erkennen. Der Körper war in den wenigen Tagen nicht dazu gekommen, die Brüche adäquat zu reparieren. Es war besser, den Rücken mit einer Stütze gerade zu halten.
Noah holte das notwendige Equipment und bat dann den Pfleger darum, den Verletzten aufzurichten. Sajan griff dem anderen Gefangenen unter die Arme und hob seinen Oberkörper von der Liege. Rej versuchte sich mit der linken Hand abzustützen, um sich selbst aufzurichten, hatte aber nicht die notwendige Kraft dafür. Er verzog das Gesicht und stöhnte auf, als stechende Schmerzen durch seinen Rücken rasten. "Lassen Sie das, Rej, ich mach das schon für Sie", redete der Pfleger sanft auf den Gepeinigten ein. "Ihr Körper ist nicht in der Lage, das Gewicht Ihres Oberkörpers und Ihres Kopfes zu tragen. Ihr linker Arm ist zwar intakt und noch funktionsfähig, aber er hängt ja mit dem Rest Ihres Körpers zusammen, und der ist es nicht. Ihr Schultergürtel und Ihre Wirbelsäule können die Kräfte im Moment gar nicht aufnehmen. Also lassen Sie mich das übernehmen. Sie werden sich daran gewöhnen, das verspreche ich Ihnen, Rej."
Der weißhaarige Mann schloss verärgert die Augen und hatte Mühe damit, sich nicht gegen Sajans Griff zu wehren. Es musste ihm unheimlich schwer fallen, so die Kontrolle über sich abzugeben. Vor noch weniger als drei Wochen hatte er die Befehlsgewalt über eine im Antitalum äußerst gefürchtete Macht und nun konnte er sich noch nicht einmal von alleine aufsetzen.
"Wenn ich Ihren Rücken erstmal stabilisiert habe, wird es leichter für Sie sein", meinte Noah freundlich und legte eine längliche bläuliche Schale auf der Unterlage zurecht. Sie war aus einem Kunststoff, der atmungsaktiv war und so nicht unangenehm auf der Haut auflag. An manchen Stellen hatte sie Aussparungen um das Gewicht zu reduzieren. An ihr waren mehrere dunkelblaue leicht elastische Gurte angebracht, mit denen sie am Körper des Verletzten befestigt werden konnten.
Vorsichtig senkte Sajan Rejs Rücken wieder ab, während Noah dessen Kopf stützte und die Wirbelsäulenschiene geringfügig ausrichtete. Die Stütze brachte den Körper des Mannes automatisch in eine gerade Position. "Ist es Ihnen irgendwo unangenehm? Oder drückt die Schiene Sie irgendwo?", fragte der Mediziner und als der Häftling den Kopf schüttelte, zog er die Riemen über dessen Brust und Bauch, verschloss sie und zog sie fest, wobei er gerade auf der rechten Körperhälfte besondere Vorsicht walten ließ. Auch die Riemen waren aus einem speziellen Material und blieben auf der Haut haften, so dass sie einen starken zusätzlichen Halt boten. "Sie werden merken, Sajan wird Ihnen gleich nochmal beim Aufsitzen helfen, dass es so sehr viel weniger schmerzhaft für Sie ist. So kann Ihre Wirbelsäulenfraktur auch weiter ausheilen, wenn Sie auch aus der liegenden Position heraus gehen." Der Pfleger nahm das als Aufforderung, griff dem Patienten erneut unter die Arme und brachte ihn in eine sitzende Position. Es schien dem Gefangenen weniger Schmerzen zu bereiten, als gerade noch zuvor.
Noah befestigte einen weiteren Riemen, den er unterhalb der rechten Schulter durchführte und zog damit den Oberkörper mehr nach links in die Aufrechte. Da die Rückenmuskulatur auf der rechten Seite des Körpers stark geschädigt war, brauchte sie besondere Entlastung. Der Gurt führte über die linke Schulter und stabilisierte den Rücken dadurch noch stärker. "Sehen Sie?", meinte er bemüht freundlich zu seinem Patienten. "Das fühlt sich schon ganz anders an, oder? Damit können Sie auch bequemer im Rollstuhl sitzen, ohne dass Sie wieder in sich zusammenfallen."
"Rollstuhl?", echote der Häftling mit verächtlichem Unterton, nachdem er sich die Atemmaske vom Gesicht gezogen hatte. "Selbstverständlich", gab der Medic zu verstehen. "Herr Bjantiya wird Sie nicht die ganze Zeit auf Armen herum tragen können", meinte er mit einem entschuldigenden Lächeln. "Jedoch sind Sie hier genauso ein Sträfling, wie all die anderen hier. Und darum werden Sie auch am allgemeinen Tagesablauf hier teilnehmen. Dazu werde ich später noch kommen."
Missmutig blickte der ehemalige Song-Kommendan auf seine rechte Hand hinab und beobachtete die minimalen Bewegungen, die Daumen, Zeige- und Mittelfinger ausführen konnten, während Sajan seinen Oberkörper wieder nach hinten kippte und ihn auf die Liege zurück legte. "Wie soll ich mit dieser Hand einen Rollstuhl bedienen?", fragte Rej mit gerunzelter Stirn. Im Moment schien er seine Hilflosigkeit durch ein aufkeimendes Ärgergefühl zu kompensieren, welches ihm deutlich im Gesicht abzulesen war. Der Pfleger wollte ihm die Atemmaske wieder auf Mund und Nase schieben, wurde jedoch von Rej zurückgehalten. So berührte er ihn stattdessen nur besänftigend an der Schulter. "Alles mit seiner Zeit. Dazu kommen wir später. Jetzt werden wir Sie erstmal an die Blutwäsche anschließen und Sie als nächstes selbst waschen. Ihr Körper ist voller Dreck und Blut und frische Kleidung benötigen Sie auch."
Neugierig beobachtete Noah, wie sich die Miene des Patienten verhärtete, der Ärger sich in Ablehnung verwandelte und er vor der Berührung des Krankenpflegers zurückwich.
"Sie werden mich nicht anfassen!", verdeutlichte er, was er von dem weiteren Behandlungsplan hielt. Mit dem linken Arm versuchte er sich erneut an der Liege abzustützen und sich aus eigener Kraft aufzurichten, doch wie Sajan es zuvor gesagt hatte, fehlte ihm genau diese dafür. Zudem hielt er ihn sanft mit der Hand an der Schulter auf der Unterlage fest. Besonders interessant war, dass sich der schwer verletzte Mann weniger gewehrt hatte, als sie ihm beim Versorgen der Wunden Schmerzen zugefügt hatten, wie als es darum ging, Tätigkeiten für ihn zu übernehmen, die er eigentlich mal selbst verrichten hatte können. Er konnte also besser mit Schmerzen umgehen, als die Erniedrigung durch Hilfe zu ertragen.
"Beruhigen Sie sich, Rej", befahl der ältere Häftling sanft und versuchte erneut Blickkontakt zu dem Verletzten aufzunehmen, um zu ihm durchzudringen. "Ihr Widerstand ist doch zwecklos."
Doch der Song-Kommendan blickte an Sajan vorbei und als er den letzten Ausspruch von ihm hörte, begannen sich seine Augen vor Zorn zu weiten. "Zwecklos?!", keuchte er, dann schnellte seine Hand nach oben und packte den dunkelhaarigen Mann am Kragen seiner Häftlingsklamotten. "Widerstand ist niemals zwecklos! Niemals! Solange wir noch nicht alle tot sind, könnt ihr drecks AneLAAN-Speichellecker vergeblich darauf warten, dass unser Widerstand zerbricht!" Die letzten Worte waren mehr ein Krächzen, der ehemalige Song-Kommendan bekam einen Hustenanfall und Tränen schossen ihm in die Augen.
Sajan ließ sich nicht davon beirren. Sanft löste er die verkrampften Finger von seinem Pullover und hielt seine Hand dann fest. Dann legte er seinen Arm um seine Schultern und zog den verzweifelten Mann zu sich heran. Der Kopf des Widerständlers kippte gegen Sajans Brust, er brach schließlich gänzlich in sich zusammenbrach und begann verzweifelt zu weinen.
Der Pfleger sparte sich den Satz, dass alles wieder gut werden würde. Denn für Rej Lio'Ta würde nichts wieder gut werden. Er würde nicht mehr gesund werden, er würde in naher Zukunft öffentlich exekutiert werden, und seiner Organisation hatte man durch seine Erfassung zudem einen empfindlichen Schlag versetzt und sie dadurch von ihrem angestrebten Ziel ein ganzes Stück fort getrieben. "Ganz ruhig", meinte er in entspanntem warmen Tonfall stattdessen. "Atmen Sie. Atmen Sie ganz ruhig."
Erneut beeindruckte Noah, wie der andere Häftling mit dem schwerbehinderten Terroristen umging. Er hatte eine für diesen gänzlich unbezwingbare Art, die sich irgendwie aus Sanftheit, Behutsamkeit und Beharrlichkeit zusammensetzte. In Sajan Bjantiyas Gegenwart zerbrach der harte Widerständler zu einem völlig mutlosen und verzweifelten Geschöpf, das so verletzlich und schwach war, wie ein kleines Kind. Der Pfleger brachte ihn dazu, sich fallen zu lassen, ob er das wollte, oder nicht.
Und an diesem Ansatzpunkt sah der Medic seine Chance. Sajan und er konnten zwei unterschiedliche Rollen erfüllen. Und so auf zwei unterschiedlichen Kanälen Informationen über den Song-Kommendan heraus filtern. Vielleicht sollte er bei seinem Vorgesetzten anbringen, dass eine Befragung des Krankenpflegers ebenso sinnvoll sein konnte, um etwas über die Song zu erfahren, wenn Rej sich dem anderen Häftling erst einmal anvertraut hatte. Und Noahs Art, mit Rej Lio'Ta umzugehen, förderte die andere Seite ans Tageslicht, die starke, sarkastische und humorvolle, die wenig Angst zu haben schien. Auch diese Seite konnte dadurch, dass sie sich selbst zu viel Sicherheit vorgaukelte, zu einem Informationsgewinn führen.
Er wartete, bis der Weinkrampf ein wenig nachgelassen hatte, dann näherte er sich den beiden Gefangenen und löste Rej Lio'Ta sanft aus dem festen Halt des anderen Mannes. "Ich werde Ihnen jetzt einen zentralen Zugang legen, um mit der Dialyse beginnen zu können. Über diesen erhalten Sie auch Antibiotika und Kreislaufstabilisatoren", erklärte er leise dem Patienten. "Versuchen Sie ein wenig zu schlafen." Dieser sah mit leerem Blick an ihm vorbei, schloss jedoch dann erschöpft die Augen.
Noah ließ die Krankenliege ein Stück nach hinten kippen und tastete dann nach der Vena jugularis interna an der rechten Seite von Rejs Hals. Zeitgleich zog er den Roboterarm mit dem Scanner über den Patienten und ließ sich ein Sonogramm seines Blutkreislaufs zeigen. Mit geübten Handgriffen desinfizierte er die Stelle, legte den Katheter für das Dialysegerät und befestigte ihn mit einem breiten Pflaster. Dann schloss er den Blutfilter an und startete den Vorgang.
Rejs Herzschlag beruhigte sich langsam, das Zittern hörte auf, während Sajan ihm das Atemgerät wieder aufsetzte, dabei noch immer seine Hand festhielt.
Gemeinsam begannen sie dann, den Körper des Verletzten zu waschen, entfernten mit in heißes Wasser getauchten Tüchern die Schmutz- und Blutreste von seiner Haut, die nicht in das frische Verbandsmaterial gehüllt war. Im Anschluss zogen sie ihm frische Kleidung an. Kurzerhand schnitt der Pfleger den rechten Ärmel des dunkelgrauen Pullovers ab, da dieser nicht über die Verbände und die Armschiene gepasst hätte. Die Ellenbogenlangen Ärmel des Übergewandes der orangen Häftlingskluft waren weit genug, um darüber zu gehen. An die Füße kamen bequeme Turnschuhe. Als Rej fertig eingekleidet war, betteten sie ihn wieder zurück auf die Liege und warteten, bis die Blutwäsche durchgelaufen war. In der Zwischenzeit bereitete Sajan einen Rollstuhl vor, stellte ihn ungefähr auf die Größe des Patienten ein und positionierte ihn neben der Krankenliege. Mit einem Piepen meldete das Gerät schließlich, dass es fertig war.
"Sehen Sie, Rej, es war alles halb so schlimm."
"Ja, und während wir hier schuften mussten, konnten Sie hier faul herum liegen", ergänzte der Medic weniger taktvoll, was den weißhaarigen Gefangenen tatsächlich erneut zum Grinsen brachte. Für den Moment war die Krise überwunden. Das ganze Adrenalin, was durch die Schmerzen und den Stress ausgeschüttet worden war, war verbraucht und war völliger Erschöpfung gewichen.
Noah entfernte die Schläuche vom Venenkatheter an Rejs Hals und verdeckte ihn unter einem weiteren Pflaster. "Mittlerweile habe ich auch Nachricht bekommen, was das Atemgerät angeht", teilte er den beiden anderen Männern mit. "Solange sich die Werte der Sauerstoffsättigung in Ihrem Blut nicht bessern, können wir Ihnen die Atemmaske mitgeben. Allerdings erhalten Sie ein Filtergerät, dass den Stickstoffanteil aus der Umgebungsluft filtert. So brauchen wir Ihnen keinen konzentrierten Sauerstoff mit auf die Zelle mit geben und Sie beide können damit keinen Unfug anstellen." Sajan wirkte bei der Lösung des Problems zufrieden, warf dem Mediziner aber einen missbilligenden Blick zu, als dieser ihnen erneut unterstellte, dass sie den Sauerstoff zum Bau einer Bombe missbrauchen könnten. "Da das Gerät erst im Laufe des Abends angeliefert werden kann, gebe ich Ihnen für die nächsten Stunden noch die Sauerstoffflasche mit auf Ihr Zimmer. Ich hoffe, Sie sehen dies nicht als Gelegenheit." Während er sprach, schob er eine unterarmlange Batterie aus drei gebündelten Zylindern in den hinteren Bereich des Rollstuhls und befestigte sie mit Gurten. "Nach dem Abendessen werden diese dann durch das modernere Gerät ersetzt."