Читать книгу REJ - Der spezielle Gefangene - Beli / Tanja Sorianumera / Giesecke - Страница 9

6 - Gnom und Grillgemüse

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Zu seiner Verärgerung spürte Rej, wie Hoffnung in ihm aufkeimte. Was war, wenn seine Leute es tatsächlich geschafft hatten, die Tahemetnesut den ShaoSetFai wieder zu entreißen? Nachdem ihn das Enterkommando gefangen genommen und auf die XSF Segregator gebracht hatte. Vielleicht hatte Shen To das Blatt danach wieder wenden können. Er selbst hatte davon ja nicht mehr viel mit bekommen und bis jetzt hatte man sich gehütet, ihm Informationen darüber zukommen zu lassen. Das einzige was er mit Sicherheit bisher gewusst hatte, war, dass sein Bruder entkommen war und nicht das gleiche Schicksal mit ihm teilte, denn dieser hatte offiziell bekannt gegeben, der neue Anführer der Song zu sein.


Und nun warf man ihm so einen Brocken hin. Es kostete ihn sichtliche Mühe, die aufblühende Freude über den Ausrutscher der Spezialisten nieder zu kämpfen und der Hoffnung den Weg in sein Herz zu verwehren. Es war nicht sonderlich wahrscheinlich, dass sie das Flaggschiff der Song zurück erobern hatten können. Zu dem Zeitpunkt war seine Familie ziemlich angeschlagen gewesen, es hätte einige Zufälle gebraucht, um an der Stelle noch einmal das Ruder herum zu reißen. Viel wahrscheinlicher war, dass die Cadence sein Schiff einkassiert hatte. Und dieser Gedanke widerstrebte ihm genauso. Zwar war es besser, wenn diese exterritoriale Vereinigung die Tahemetnesut unter ihren Fittichen hatte, wenn die XSF schon ihn gefangen hielt - so brachten ihnen immerhin Kommandocodes für die Schiffscomputer nichts, aber er sah es überhaupt nicht gern, dass die Techniker der Cadence nun sein Schiff, sein Zuhause, auseinander nehmen würden.


Nach einer Weile des Schweigens ergriff der Verhörleiter wieder das Wort. "In der Tat, Herr Lio'Ta, wir haben die 56N6 Tahemetnesut nicht." Aus seinem Gesichtsausdruck war nichts heraus zu deuten und Rej wunderte sich, dass der Mann es so offen zugab. "Wir haben sie nicht, weil sie nahezu vollständig zerstört wurde." Der Gefangene registrierte, wie Leik Kataruh dezent nickte, dann erst wurde ihm die Bedeutung der Worte klar. Sein Schiff - zerstört.


"Das behaupten Sie doch jetzt bloß, weil ihnen was raus gerutscht ist!", schmetterte er die Aussage ab, aber in seinem Inneren war die aufsteigende Euphorie und die gewonnene Selbstsicherheit gewaltig ins Wanken geraten. Taisen hob die Schultern, als wäre es ihm relativ gleichgültig. "Glauben Sie was sie wollen. Aus dem ausgebrannten Wrack konnten wir nicht sonderlich viele Informationen bergen. Dafür haben wir ja jetzt Sie da."


Obwohl der ehemalige Song-Kommendan immer noch nicht glaubte, was er da hörte, spürte er, wie er mehr und mehr an Boden unter sich verlor. Ein Teil in ihm war also tatsächlich doch davon überzeugt, dass der Spezialist die Wahrheit sprach.


"Wie viele, außer mir, haben Sie gefangen genommen?", fragte er, aus seiner Stimme war gänzlich die Freude gewichen.


"Darüber können wir keine Auskunft geben", bekam er als Antwort. Wie wahrscheinlich war es, dass alle entkommen waren? Rej wusste nicht einmal, wie viele sich zur Zeit des Angriffs an Bord befunden hatten, ein Zustand, den es vor seinem Unfall nicht gegeben hätte. Aber er hatte völlig kraftlos auf der Krankenstation gelegen, im künstlichen Koma, und war erst geweckt worden, als es für das Schiff längst zu spät gewesen war. Shen To hatte das Kommando über die Tahemetnesut übernommen und der wusste auch über diese Dinge Bescheid. Aber mit dem konnte er jetzt nicht reden, nur mit den drei Herren von den ShaoSetFai, hinter der die Regierung von Xiantiao steckte.


Jari erhob sich von seinem Stuhl und trat an Rej heran, packte ihn grob an den Haaren und zwang ihn, ihn anzusehen. Dem dunkelhaarigen Mann mit dem Drei-Tage-Bart schien es zu gefallen, Macht über den Gefangenen auszuüben. "Außerdem, Mistkerl", er brachte sein Gesicht ganz nahe an Rejs heran, "hast du hier keine Fragen zu stellen. Du hast sie nur zu beantworten. Kapiert?" Innerhalb des Griffs schüttelte der Gefangene den Kopf. Das würde er sicherlich nicht tun. Ob sein Schiff nun zerstört war, oder nicht, das änderte doch nichts. Einige Song waren noch da draußen und wurden von der AneLAAN auch noch als ernste Gefahr angesehen, also war ihre Sache noch nicht gestorben, und deshalb durfte er ihnen keinerlei nützliche Antworten geben.


"Kommen wir doch noch einmal auf den Vorfall zurück, Herr Lio'Ta, bei dem Sie so schwer verletzt wurden", begann der Ttog erneut und zeigte mit einer Handgeste, dass Kailani den Befragten loslassen solle. "Sie wollten uns erzählen, was dabei passiert war, nicht wahr?" Rej erkannte die Masche des Song-Spezialisten, ihm mit seinen Worten zu suggerieren, was er wollte, aber über diese Sache zu reden war immer noch besser, wie Fragen über die Song selbst beantworten zu müssen, oder, weil er das ja nicht vorhatte, erneut von Jari gepiesackt zu werden.


"Hatte ich eigentlich nicht vor", gab er Kataruh zu verstehen. "Aber egal. Wie ich schon sagte, es war ein Unfall, ein ziemlich blöder." Der weizenblonde Mann stand nun auf und zog sich seinen Stuhl näher an den Gefangenen heran, hob die Atemmaske auf und drückte sie Rej auf Mund und Nase, so dass der ein paar Atemzüge mit reinem Sauerstoff machen konnte. Dieser wusste das sehr zu schätzen, obwohl ihm auch klar war, dass Leik Kataruh nun Antworten von ihm erwartete. Aber es war ein gutes Gefühl, genügend Luft in die Lunge zu bekommen. Der Ttog nahm sie schließlich wieder von ihm weg, setzte sich und bettete die Maske auf seinen Schoss, während er dem Song aufmunternd zunickte.


"Also, wie kam es zu diesem Unfall? Was hat Sie so zugerichtet?" Rej lagen einige gehässige Antworten auf der Zunge, die mit zu leidenschaftlich entflammten Herzen oder außer Kontrolle geratenen Toastern zu tun hatten, aber er entschied sich dagegen. "Ich... bin gestürzt. Und ziemlich unglücklich gefallen", gab er zögerlich als Antwort. Leik fuhr mit weiteren Suggestivfragen fort. "Sie haben das nur knapp überlebt, oder?"


Rej nickte. "Kann man wohl sagen. Meine Innereien waren verbrannt oder zermatscht, die Knochen zerbröselt. Das Ergebnis sehen Sie ja hier." Er blickte einmal knapp an sich herab, dann sah er wieder zu dem Verhörspezialisten. "Der Kopf und ein Arm sind mir geblieben - der Rest ist Schrott - und beim Kopf bin ich mir noch nicht mal so sicher." Er lachte. "Sie mögen noch so ein netter Haufen sein, Sie drei, aber ich kann Sie nicht sonderlich gut sehen. Meine Augen sind seit dem Unfall ziemlich mies. Aber dass Sie Mohn zwischen den Zähnen haben, Kailani, das kann sogar ich noch erkennen", ließ er sich den Seitenhieb gegen den Grobian nicht nehmen. Der ging darauf ein, indem er Rej die Zähne bleckte.


"Erinnern Sie sich daran, was genau passiert ist?" Der Song musste sich eingestehen, dass er die Stimme des Ttogs irgendwie sympathisch fand. Sie klang aufgeschlossen und neugierig, war aber nicht aufdringlich oder übertrieben emotional.


"Meine Erinnerungen sind verschwommen", log er. Nur zu gut konnte er sich an Details aus diesem bedeutenden Moment seines Lebens erinnern. Er fragte sich, warum sich Kataruh so sehr dafür interessierte. Vermuteten sie, dass es innere Konflikte zwischen den Song gab, die zu seinem Sturz geführt hatten, oder hofften sie auf Informationen darüber, ob nicht vielleicht die Cadence ihre Finger mit im Spiel gehabt hatte? Vielleicht konnte er sie eine Weile mit dieser Frage beschäftigen und sie dabei von den wirklich wichtigen Themen ablenken. "Ich erinnere mich nicht mehr genau."


Leik Kataruh schien ihm zu glauben. "An was erinnern Sie sich noch davon? Fällt Ihnen etwas ein, ein Detail?"


Es fiel Rej nicht schwer, in Gedanken die Szene Revue passieren zu lassen, viel zu oft machte sie sich in seinem Inneren breit, wenn er gerade nicht damit rechnete. Darum war auch das Unbehagen, dass er beim Erzählen empfand, nicht gespielt. "Die Schmerzen", seufzte er und schlug die Augen nieder, "ich erinnere mich an diese grauenhaften Schmerzen, als der Strom meine Muskeln verkrampfte und meinen Körper verbrannte, während ich bei vollem Bewusstsein war." Seine Stimme wurde leise und brüchig, die Erinnerungen daran ließen sein Gesicht noch blasser werden. Der Ttog gönnte ihm ein paar Atemzüge über die Sauerstoffmaske, dann sprach Rej weiter. "Ich hatte keine Orientierung mehr, wusste nicht, wo ich war, wie ich dort hin gekommen war. Ich versuchte mich von dort weg zu ziehen, aber es ging nicht. Ich hatte keine Kraft, keine Kontrolle mehr über meine Muskeln." Er blickte auf und sah in Taisens und Kataruhs Gesichter, sie hörten ihm gebannt zu. Obwohl durch die lebhaften Erinnerungen Übelkeit in ihm aufstieg und sich immer weiter ausdehnte, legte er noch einen oben drauf.


"Ich habe mich selbst schreien hören und das Dröhnen der Energie, gespürt, wie sich mein rechter Unterarm auflöste, ich habe mein eigenes verbranntes Fleisch gerochen, nur noch Blut geschmeckt und dann ging meine Lunge in Flammen auf." Die anderen Anwesenden schwiegen. "In dem Moment habe ich mir nur noch gewünscht, dass es vorüber geht, dass ich endlich sterben darf, aber irgendwie hat man mich dann doch gerettet." In seinen Erinnerungen hörte er Shen Tos Stimme und wie mit seiner Ankunft das zerstörerische Gleißen in seinem Körper schlagartig aufhörte, doch die Hölle noch immer in ihm brannte. Dann spürte er die Hand seines Bruders an der seinen. Er war sich sicher, dass er in wenigen Sekunden sterben würde und er musste den Bruder wissen lassen, dass er ihm vertraute, dass er überzeugt war, dass Shen To die Song führen konnte. Doch sein Mund war voll Blut, sein Kehle, er hatte nicht mehr genug Luft in seinen Lungen, um auch nur ein Wort zu flüstern.


"Wissen Sie, wer Sie gerettet hat?", riss Leiks Stimme ihn aus den Gedanken und Rej zuckte zusammen. Sein Körper hatte wieder zu zittern begonnen und sein Magen rebellierte. Er befürchtete, sich übergeben zu müssen, wenn er jetzt antwortete, darum schüttelte er nur den Kopf.


"Dir ist doch klar, dass die Opfer deiner Attentate ähnliches durchleiden mussten?! Wegen dir Drecksack! Dass die Sprengsätze im elektronischen Versorgungszentrum von ThanaVelu zwei Menschen das Leben gekostet haben und fünf weitere schwer verletzt wurden?!", fuhr Jari nun dazwischen. Er hatte keinerlei Empathie für den Gefangenen und nur wenig Geduld, packte ihn am Kragen und schüttelte ihn durch. Rej wurde dabei noch übler und Drehschwindel begann, seine mühsam aufrechterhaltene Konzentration zu zerschlagen. "Dass sie genauso Schmerzen dabei empfunden haben, wie du Abschaum, als ihre Haut durch die Explosionen verbrannte und ihre Knochen durch die Druckwelle und die Trümmer zerschmettert wurden?!"


Finster sah Rej dem Mann in die Augen. "Es hätte niemand da sein sollen! Das Gebäude hätte leer sein müssen!", erklärte er mit Vehemenz und versuchte sich aus dem Griff zu winden.


"Es war aber nicht leer und das hätte Ihnen klar sein müssen!", wurde nun auch Taisen lauter und schlug mit der flachen Hand auf den Tisch.


"Und ich sagte, dass mir das sehr leid tut und dass ich die volle Verantwortung dafür übernehme!", erwiderte Rej deutlich. Doch der Verhörspezialist überging ihn einfach.


"Sie haben billigend in Kauf genommen, dass Unbeteiligte zu Schaden kommen! Ihnen war es doch egal, wen es dabei trifft!"


"Das ist eine Unterstellung und sie ist nicht wahr!", entgegnete Rej wütend. "Aber Sie nehmen es billigend in Kauf, dass in Son'Guin immer noch täglich Menschen leiden und sterben! Und wer übernimmt dafür die Verantwortung?" Herausfordernd starrte er die drei Männer nacheinander an. "Die AneLAAN tut es nämlich nicht!"


"Es geht hier nicht um die Slums in Son'Gashania, sondern um die Menschenleben, die Ihre Attentate gekostet haben!", wiegelte Taisen ab, während Jari zeitgleich wütete: "Das ist hier aber nicht das Thema, du behinderter Scheißkerl!" Ein Wort ergab das andere.


"Doch, genau das ist das Thema! Genau deswegen sitzen wir hier! Weil niemand bereit dazu ist, die Verantwortung für die Menschen aus Son'Guin zu übernehmen! Aber weil ich das getan habe! Weil wir genau diesen Menschen zu Gerechtigkeit verhelfen werden! Weil es sonst keiner tut! Und weil diese Menschen es genauso verdient haben, in Würde zu leben und nicht im Dreck zu krepieren!" Er schnappte nach Luft. "Genau darum geht es hier und um nichts anderes!"


Leik Kataruh nickte zustimmend. Rej war kalter Schweiß auf die Stirn getreten und er fühlte sich unendlich müde und schlapp. Mit zitternden Lippen und glasigem Blick atmete er mehrere Male so tief ein und aus, wie es ihm möglich war, dann sah er erschöpft zu Taisen auf. "Ich kann nicht mehr", keuchte er und sein Kopf sank ihm auf die Brust. Tatsächlich drehte sich alles um ihn. Nun hatte er den Moment erreicht, an dem nichts mehr ging. Sein Körper bebte und dunkle Nebelschwaden schoben sich vermehrt in sein Blickfeld.


Taisen nickte und Jari ließ endlich Rejs Hemd los. "Lassen wir es für heute gut sein, Herr Lio'Ta, Sie waren ja doch teilweise recht kooperativ und der Abendappell findet auch bald statt. Arbeiten Sie am besten morgen von Anfang an mit, dann ersparen Sie sich weitere Unannehmlichkeiten. Herr Bjantiya wird Sie gleich hier abholen." Mit diesen Worten gab der Verhörleiter seinen Kollegen ein Zeichen und die Männer verließen mit ihm gemeinsam den Raum. Das Licht ging aus und die Tür fiel ins Schloss.


Dämmerung hüllte ihn ein und Stille. Rej fluchte. Sie hatten vergessen, ihm die Atemmaske wieder zu geben, aber vielleicht war es auch Absicht gewesen. Sie lag auf dem Tisch direkt vor ihm und war trotzdem nicht erreichbar für ihn. Testweise versuchte er die Finger der linken Hand nach vorne zu schieben, aber die Kabelbinder hielten seine Hand an Ort und Stelle fest und schnürten ihm das Blut ab, sobald er sich auch nur ein wenig dagegen stemmte. Resigniert gab er auf und konzentrierte sich darauf, weiterhin so tief wie möglich zu atmen. Seine Brust tat weh und mit jeder weiteren Sekunde, die er hier sitzend verbringen musste, schmerzte sein Rücken mehr. Obwohl er völlig erschöpft war, grollte noch immer tiefe Wut in ihm. Nicht nur, dass die drei ShaoSetFai ihn so aus der Fassung gebracht hatten, es war ja zum Teil nicht verkehrt, ihnen immer wieder klar zu machen, wer die eigentlichen Verbrecher waren, sondern auch ihr absolutes Desinteresse an seinen Motiven ärgerte ihn zutiefst. Besonders Jari Kailani schien ein äußerst stupider, geistig zurückgebliebener Handlanger der AneLAAN zu sein, der nicht groß hinterfragte, was er tat und gerne Schmerzen verteilte, wenn sein Boss ihn von der Leine ließ. Nur Kataruh war wohl wenigstens ein bisschen dazu in der Lage, sich in die Situation der Song hinein zu versetzen. Aber Rej war auf der Hut. Vielleicht war auch genau das seine Masche, um Informationen aus ihm heraus zu bekommen.


Sajan ließ sich Zeit. Der Mann tauchte nicht auf und die Zeit in der Dämmerung dehnte sich in die Länge. Gedanken über das Verhör kreisten in seinem Kopf und vermischten sich mit der Sorge um Shen To und den Rest seiner Familie, die draußen in der Welt noch für ihr gemeinsames Ziel kämpften. Und zudem hatte er die Erinnerungen an seinen hässlichen Unfall heraufbeschworen, die nun unentwegt bei ihm anklopften und nicht mehr gehen wollten. Rej wollte sich nicht mehr daran erinnern, wie es war, mit zerschmetterten Knochen bei lebendigem Leibe zu verbrennen, aber er fühlte sich hilflos und ohnmächtig dem Moment ausgeliefert, bekam kaum Luft, hatte mit der aufkeimenden Pein in seinem Körper zu kämpfen und verlor das Gefühl für Raum und Zeit. Und das alles hatte unangenehme Parallelen zu seinem wahrgewordenen Albtraum, der sein Leben so sehr verändert hatte.


Als der Pfleger dann endlich kam, befand sich Rej in einer Art Dämmerzustand, irgendwo zwischen Wachen und Bewusstlosigkeit. Sein Herz raste und er reagierte nur zögerlich, als Sajan ihn ansprach. Der andere Gefangene wurde von zwei Soldaten begleitet und schien sofort zu erkennen, dass sein Patient in keinem sonderlich guten Zustand war. Er beugte sich zu dem Widerständler herab und tastete nach seinem Puls an der linken Hand.


"Hey, Rej, was ist los mit Ihnen?", fragte er und dieser brauchte einen Augenblick, bis er sich regte und den müden Blick hob. "Alles... in Ordnung", ächzte er wenig glaubwürdig und schloss wieder die Augen. Sein Körper zitterte noch immer und seine Lippen waren bläulich angelaufen.


Sajan runzelte die Stirn, dann winkte er einen der ShaoSetFai zu sich. "Ey, machen Sie ihn los, ich soll ihn zum Speisesaal runter bringen." Dann wandte er sich wieder an Rej, tastete mit dem Handrücken nach seiner Stirn. Sie war schweißnass und eisigkalt. "Ihr Kreislauf ist völlig im Keller und Luft bekommen Sie...", er unterbrach sich und sah sich dann fluchend nach der Atemmaske um. Er fand sie auf dem Tisch, währenddessen schnitt der Soldat die Kabelbinder auf, die den in sich zusammengefallenen Mann auf dem Stuhl fixierten.


"Das gibt's doch nicht", murmelte er verärgert, während er Rej, der einfach nach vorne kippte, auffing. Er drückte ihm das Atemgerät auf Nase und Mund, zog das Gummiband über seinen Kopf und hielt ihn fest. "Die haben Sie gefoltert, oder?", fragte er, obwohl es mehr eine Feststellung war. "Nein", gab der Gefangene flüsternd zu verstehen, "das Gespräch war nur etwas heftig. Alles gut."


"Atmen Sie und seien Sie still." Eine Weile hielt der Pfleger ihn noch nach vorne gebeugt fest, bis sich Herzschlag und Atmung etwas beruhigt hatten. "Und was ist dann das hier?" Er deutete auf die sich bläulich färbenden Daumengroßen Flecken an Rejs Hals. "Ich erkenne die Manipulation von Schmerzpunkten, wenn ich sie sehe!"


"Ich soll atmen und ruhig sein", setzte Rej keuchend dagegen und ein schiefes Grinsen kam für einen Moment über seine Lippen. Sajan ließ es dabei bewenden. Schließlich schob er sich den linken Arm seines Mithäftlings über die Schulter und zog ihn vom Stuhl hoch. Rej hätte gerne mitgeholfen, aber er fühlte sich so schwach und kraftlos, dass er es einfach bleiben ließ. Es wunderte ihn, dass der Krankenpfleger so fürsorglich und freundlich zu ihm war. Vielleicht teilte er tatsächlich seine Einstellung gegenüber den Song, anders konnte er es sich für den Moment nicht erklären.


"Das darf morgen nicht nochmal so laufen", grollte der und hob den weißhaarigen Mann in den Rollstuhl. Obwohl Rej es sich sehnlichst wünschte, seinen Rücken im Liegen auszuruhen, befanden sich Welten zwischen dem Stuhl des Verhörraums und der gepolsterten, auf ihn eingestellten Fortbewegungshilfe. Er seufzte erleichtert, als Sajan seinen Oberkörper zurücklehnte und ihm die Kopfstütze zurecht rückte.


Für die nächsten Minuten bekam der ehemalige Song-Kommendan nicht mehr allzu viel mit. Der Pfleger schnallte ihn fest und gemeinsam wurden sie dann von mehreren ShaoSetFai aus dem Raum heraus und durch die Gänge des Gefängnisses eskortiert. Ohne die Treppe in ihrem Trakt benutzen zu müssen, erreichten Sie das Untergeschoss mit dem Speisesaal über eine weitere Tür. Einer der Soldaten schloss die Doppelflügeltür zur Essensausgabe auf und schob Sajan dann ungeduldig über die Schwelle.


Mist!, war der erste bewusste und konkrete Gedanke, der dem Widerständler aus seinem Dämmerzustand heraus durch den Kopf hallte. Die anderen sechsundzwanzig Häftlinge saßen schon an ihren Tischen und aßen. Und in dem Moment, wo Sajan mit ihm den Raum betrat, richteten sich wieder alle Augenpaare auf sie. Mittags hatte es Ärger gegeben und nun musste er sich den anderen Gefangenen auch noch in einem solch miesen Zustand zeigen. Nicht nur die Sorge davor, dass ihm die anderen die nächsten sechs Wochen hier das Leben zur Hölle machen konnten, auch sein Stolz fand die Situation mehr als unangenehm.


Sajan schob ihn bis zum Tresen vor und beugte sich dann in die Aussparung des Gitters. "Hey, kriegen wir auch noch was?", rief er in der Vermutung nach hinten, , dass sich in der Küche noch Personal befand. "Oder ist hier heut Selbstbedienung?"


Nur einen Moment später tauchte eine Frau mit unfreundlich verzogenem Gesicht hinter der Theke auf und knallte dem dunkelhaarigen Mann zwei Teller mit trockenem Brot vor die Nase. "Aufstrich und Belag ist zum Selber nehmen!", ergänzte sie und deutete auf einen Teller mit weißlichem Käse und einer Schale mit Kräuterquark. Der Krankenpfleger lud beides auf einen Teller und schob dann das fertig beladene Tablett zu Rej vor. Der versuchte danach zu greifen, aber seine Hand zitterte immer noch so sehr, dass es ihm nicht gelang, das Ding auf seinen Schoß zu ziehen. Sajan brachte ihn schließlich an ihren Tisch und ging dann noch zweimal, um alles zu holen, was sie zum Essen benötigten. Die anderen Häftlinge wandten sich langsam wieder ihren eigenen Mahlzeiten zu.


Gegenüber saßen wieder die freundliche Beszarfrau mit den großen Kulleraugen und den frech gefärbten Haaren, und der schwarzhaarige Mann, der sich mit Rifka vorgestellt hatte. Beide hatten schon zur Hälfte aufgegessen, als Sajan Rej die Atemmaske vom Gesicht zog und ihm erstmal ein Glas Wasser reichte. "Trinken Sie", forderte er den Song auf und ließ den Becher erst los, als er sich sicher war, dass der andere Mann ihn fest im Griff hatte. Rejs Hand zitterte noch immer, als er das Glas an die Lippen führte und trank. Er fühlte sich nicht in der Lage, um Widerstand zu leisten, auch wenn es ihm eigentlich missfiel, dass er die Befehle seines Helfers unkommentiert befolgte. Und das Wasser tat gut in seiner ausgetrockneten Kehle.


"Ihr seid heute aber spät dran", kommentierte Rifka zwischen zwei Bissen. "Layla und ich haben uns schon gefragt, ob es euch bei uns nicht gefallen hat", meinte er grinsend und deutete mit der Schnitte auf die Frau neben sich. Diese nickte und beugte sich zu Sajan und Rej vor. "Es ist nicht gut, zu spät zum Abendappell zu kommen. Das kann negative Konsequenzen haben." Ihr Blick wanderte konkret zu Rej und machte eine Gesamtaufnahme von ihm. "Außer man hat natürlich gute Gründe dafür", ergänzte sie. "Kommen Sie gerade von der Krankenstation? Sie sehen überhaupt nicht gut aus, Rej? Sie haben Schmerzen, oder?", fragte sie, doch bevor er auch nur überlegen konnte, ob und wenn ja, was er antworten wollte, kam ihm Sajan zuvor. "Lass ihn", meinte er zu Layla und schüttelte den Kopf. "Er hat einen harten Tag hinter sich. Lass ihn in Ruhe."


Die Beszar ließ sich durch die Aufforderung kaum aus dem Konzept bringen - stattdessen richtete sie ihre Frage nun an Sajan. "Er hat Schmerzen, oder?", flüsterte sie halblaut, als säße Rej nicht mit am Tisch und würde es nicht hören. Der trank noch ein paar Schlucke von dem Wasser und stellte dann das Glas zurück. Er war froh, als er es nicht mehr halten musste, denn dann konnte man das starke Zittern seiner Hand nicht mehr so deutlich sehen. Das Brot, das Sajan für ihn in der Zwischenzeit mit Quark bestrichen hatte, rührte er nicht an. Die Übelkeit tobte noch immer in seinem Magen und allein der Gedanke daran, etwas zu essen, ließ sie nur noch mehr erstarken. Er würde im Moment keinen Bissen herunter bekommen.


"Was glaubst du denn?", gab nun Rifka für Sajan die Antwort. "Der sieht völlig fertig aus. Hinüber. Er soll ja einen schweren Unfall gehabt haben. Als die Segregator ihn geschnappt hat. Viermal mussten sie ihn wiederbeleben", klugscheißerte der blauäugige Mann und untermalte seine Worte mit ausschmückenden Gesten.


Rej verdrehte genervt die Augen. Das konnte doch nicht wahr sein. "Ich bin hier. Ich sitze mit am Tisch", meinte er deshalb und seine Stimme klang dabei in etwa genauso brüchig, wie verärgert. "Der Unfall hatte nichts mit der XSF Segregator zu tun", klärte er dann die anderen auf. "Und laut meines Arztes musste man mich nur zweimal wiederbeleben. Der sollte es wissen." Er hustete und verzog das Gesicht. "Hätte er das mal besser gelassen."


Einfühlsam und voller Mitleid sah die Beszarfrau den weißhaarigen Widerständler an. "Es ist schon grausam, was man Ihnen hier antut, Rej?", seufzte sie und versuchte seinen Blick aufzufangen. Aber Rej hatte keine Lust, sich in Mitgefühl und Selbstmitleid zu baden. Seine Miene versteinerte zu einer ausdruckslosen harten Maske und er blickte die blauhäutige Frau herablassend an. "Was man uns hier antut", weitete er ihre Aussage auf alle Anwesenden aus und schielte dann auf das Essen vor sich. "Der Fraß hier ist ja nicht auszuhalten." In einstimmiger Meinung nickten die vier am Tisch sitzenden, trotzdem hatten Sajan und Rifka ihre Teller leer gegessen. "Es ist Brot mit Aufstrich", meinte er. "Und es gibt erst morgen früh wieder was."


Als Rej bemerkte, dass sich zwei Personen vor ihm aufgebaut hatten, war Sajan schon längst neben ihm aufgestanden, um sich zwischen ihn und die Störenfriede zu schieben. "Es steht noch eine Entschuldigung aus", forderte der große dunkelhaarige Mann, der sich nach dem Mittagessen mit dem Gnom solidarisiert hatte und schlug mit der flachen Hand nach Rejs Schulter. Sajan griff dazwischen und fing die Hand auf, bevor sie den ehemaligen Song-Kommendan berühren konnte.


"Du behältst deine Griffel bei dir", raunte er finster.


"Der Mann schuldet Rufus noch eine Entschuldigung!", verlangte der andere mit herausforderndem Glitzern in den Augen und deutete auf den schmächtigen Kerl neben sich, den Rej in seinem Kopf unter 'Gnom' abgespeichert hatte.


"Und der ist nicht Manns genug, um für sich selbst zu sprechen, oder wie? Der braucht seinen Beschützer, der für ihn die Dinge regelt?", hakte Sajan nach.


"Das ist nur fair", antwortete der Schwarzhaarige, auf dessen aufgenähtem Namensschild Darbin Dasarath stand, und zog seine Hand zurück. "Er hat doch auch einen Beschützer, der für ihn spricht. Wenn er so behindert ist, dass er nicht reden kann, dann nehmen wir die Entschuldigung auch gerne von dir an!" Sein Finger piekte einmal in Richtung Rej, dann zielte er auf Sajans Brust.


Die anderen Gefangenen hatten sich in die Schlange gestellt, um die Tabletts an der Tür zurückzugeben und die ShaoSetFai schien es nicht sonderlich zu interessieren, dass sich am Ende beim Tisch von Rifka, Layla, Sajan und Rej ein kleiner Stau gebildet hatte.


"Doch er kann reden", mischte sich nun Rej selbst ein, "er hat nur keine Lust, sich mit so einem Kinderkram auseinander zu setzen. Ich habe mich gestern bei dem Gnom entschuldigt und das sollte reichen." Seine Antwort trug nicht gerade zur Deeskalation bei. Sofort zeichnete sich Empörung in dem hageren Gesicht von Rufus ab. "Wie hast du mich genannt?", empörte er sich und am Ende kippte seine Stimme um eine Oktave nach oben. "Das nimmst du sofort zurück! Entschuldige dich gefälligst bei mir!"


Eigentlich fühlte sich Rej zu müde für eine Diskussion, oder gar einen Streit, aber sein loses Mundwerk ließ sich davon trotzdem nicht aufhalten. "Wofür soll ich mich entschuldigen?", fragte er in provokantem Tonfall. "Dafür, dass Mutter Natur dich wie einen Gnom aussehen hat lassen? Dafür kann ich doch nichts?"


"Das sagt gerade jemand, der wie ne gegrillte Folienkartoffel aussieht!", mischte sich nun eine weitere Stimme von hinten ein. Sie gehörte zu einer grünhäutigen Nena mit Honigblondem Haar und einem teigigen Gesicht mit fliehendem Kinn. Während sie neben die beiden anderen Häftlinge trat, griff sie nach dem Arm von Rufus und hakte sich bei ihm unter. "Mein Rufus ist ein wunderschöner Mann!", ergänzte sie noch, damit auch dem dümmsten Anwesenden klar wurde, dass sie und der Elf ein Paar waren.


"Dein Rufus ist auf Streit aus", erwiderte Rej, "und das sollte er tunlichst lassen. Denn da legt er sich mit dem Falschen an!"


Für einen kurzen Moment schwiegen alle Beteiligten und musterten den im Rollstuhl Sitzenden. Bei den einen schien sein selbstbewusstes Auftreten, trotz des Handicaps, Eindruck zu machen, die anderen fragten sich vermutlich, ob er lebensmüde war.


"Mit anderen Worten", ergänzte Sajan nun, "ihr stellt euch jetzt dort an der Schlange an und gebt Ruhe. Und lasst euch in der Nähe unseres Tisches nicht mehr blicken!"


Das Funkeln in Darbins Augen wurde teuflischer und in seinem Kopf schien gerade ein Entschluss zu entstehen. Er hob seinen Finger auf Gesichtshöhe und deutete direkt auf den Pfleger. "Du. Du wirst dir noch wünschen, dich nicht eingemischt zu haben. Das verspreche ich dir!" Mit diesen Worten wandte er sich um und kehrte zu seinem Tisch zurück. Rufus und seine Freundin folgten ihm.


Sajan schüttelte genervt den Kopf. "Na, das fängt ja gut an. Zweimal Essen, zweimal Ärger. Dass Sie es auch nicht lassen können, diesen Kerl zu provozieren", schimpfte er mit Rej und sammelte sein Tablett ein. Der Song sah das etwas anders. "Die brauchen sich hier nicht groß aufplustern. So was hab ich dicke. Machen aus 'ner Mücke 'nen Elefanten, nur damit sie 'nen Aufhänger für einen Streit finden. Solche Typen sind es, die andere unterdrücken und nach ihrer Pfeife tanzen lassen. So was macht mich wütend." Er griff nach seiner Sauerstoffmaske und nahm ein paar tiefe Atemzüge, ließ sie dann wieder fallen. "Ich dachte vorhin, ich kriege keine Luft mehr", grinste er, "aber für so was werde ich immer Luft zum Atmen finden."


Der Krankenpfleger verdrehte die Augen. "Ein bisschen mehr Zurückhaltung würde Ihnen nicht schaden, Rej. Sie müssen sich nicht gleich in den erst besten Krieg stürzen. Ich hab keine Lust, Sie am Ende wieder aufsammeln zu müssen." Das Grinsen des ehemaligen Song-Kommendans wurde breiter. "Unterschätzen Sie mich nicht, nur weil man mich mit einem Grillgemüse verglichen hat."


Layla und Rifka hatten gespannt den Wortwechsel mit Darbin und seinen Leuten verfolgt, sich aber nicht eingemischt. Trotzdem schien ihnen das neue Duo ganz gut zu gefallen. "Das war nicht ganz uncool", stellte Rifka fest, während er den Tisch aufräumte. "Dasarath macht gerne einen auf dicke Hose. Mit dem legt man sich auch besser nicht an, weil der hat ziemlich mächtig Dreck am Stecken. Hat ein paar Leute verschwinden lassen und ist in irgendwelche Bandengeschäfte verstrickt gewesen. Ein gefährlicher Kerl. Und ist bei den zwei Schwachmaten Rufus und Karine sofort auf fruchtbaren Boden gestoßen. Der hat die schon gegen dich aufgehetzt, da warst du hier noch gar nicht eingetroffen."


Rej fühlte sich besser, wie noch vor dem Streit. Er war immer noch ausgelaugt und erschöpft, aber die kleine Konfrontation mit dem Alaver hatte seinen Kreislauf wieder etwas in Schwung gebracht und ihm auch gezeigt, dass er immer noch in der Lage war, jemandem die Stirn zu bieten. Sajan hingegen schien nicht ganz so zufrieden wie er selbst. Der Zellengenosse wirkte verärgert und ein wenig gestresst. Er hatte den Wortwechsel nicht auch nur annähernd so genossen wie sein Patient. Schweigend und mit ernstem Gesicht schob er den Rollstuhl in die Schlange und gab dann die beiden Tablette zurück. Wieder wurde akribisch geschaut, ob auch alle Besteck- und Geschirrteile noch vorhanden waren.


Sie trotteten hinter den anderen Gefangenen her und achteten darauf, dabei niemandem in die Hacken zu fahren. Draußen vor der Treppe wurden sie von einem der ShaoSetFai zur Seite genommen. "Kommen Sie mit!", befahl der und winkte sie mit seiner Waffe zur gegenüberliegenden Tür. "Dr. Bianco möchte Sie sehen!"

REJ - Der spezielle Gefangene

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