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Freitag, 14. Juni

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Am nächsten Morgen wachte Jao auf und wusste nicht mehr, wie er in sein Bett gekommen war. Er überlegte kurz, aber es blieb dunkel in seinem Gedächtnis. Jedenfalls hatte er einen Schlafanzug an. Hatte er sich alleine ausgezogen? Ihm wurde ganz heiß und kalt bei der Vorstellung, dass es Maria getan haben könnte. Seine Kopfschmerzen waren kaum noch zu spüren. Er war noch immer fiebrig, schien sich aber zu erholen. Erst als er aufstand und versuchte Luft zu holen, merkte er die Lungenentzündung: Ein tonnenschwerer Felsbrocken schien auf seinem Brustkorb zu liegen. Er konnte nur ganz flach hecheln. Als er sich die Zähne putzen wollte, hatte er das Gefühl zu ersticken. Diesen Tag würde er nur ohne Aufregung überstehen. Jeder Atemzug verursachte ein heftiges Brennen. Er machte alles ganz langsam, um keine intensiven Atemzüge zu provozieren. Aber der Arzt kommt heute, dachte er. Senhora Lancha wartete schon mit dem Frühstück auf ihn. »Heute gibt es ein Unwetter. Machen Sie sich auf etwas gefasst.« Baptista sah durch die Fensterscheiben einen blauen Himmel. »So schlimm kann es schon nicht werden.« Nach einer Viertelstunde traf Delgado ein. Baptista konnte nicht erkennen, ob er mit dem Verhalten seiner Frau einverstanden war, ob er überhaupt etwas davon wusste.

»Gut, dass ich schon los bin. Gleich bricht es herunter.« Baptista schaute noch immer ungläubig. Dann wurde es dunkel. Senhora Lancha machte Licht an. Ein starker Regen prasselte schlagartig auf die trockene Straße. Man konnte nichts mehr sehen und sich nur lautstark unterhalten. Blitze zuckten am Himmel. »Der Arzt wird dann heute wohl ausfallen«, meinte Senhora Lancha. Baptista gab innerlich auf. Er wollte weinen. Wie sollte er das aushalten? Senhora Lancha schien das alles nicht weiter zu beeindrucken. Mit beiläufiger Stimme sagte sie: »Dabei hätte ich ihn wegen meines Ischias doch so dringend gebraucht. Aber nächste Woche wird er sicher kommen.« »Haben Sie irgendwelche Schmerzmittel?«, fragte Baptista verzweifelt. »Bei Amarals gibt es sicher etwas«, sagte Delgado.

Baptista ging nach oben, um eine Jacke zu holen. Als er die Tür hinter sich schloss, hörte er wieder, wie sich Senhora Lancha und Delgado wispernd unterhielten. Alle wissen etwas, dass ich nicht weiß, dachte er. Er drückte sein Ohr an die Tür, wie in der Schule, als er ein Mädchen belauschen wollte. Aber er verstand nichts. Baptista nahm die Jacke und ging wieder hinunter. Als er die Tür öffnete, konnte er doch etwas aufschnappen: »... das Auge des Raben ist ein Unglück für ... ruhig. Er kommt.« »Es hat aufgehört zu regnen, Baptista. Wir können zu Pão fahren. Der Sturm richtet keinen Schaden an.« Sie gingen zu Delgados Auto. Baptista war sehr froh, als er saß. Sie fuhren aus Vila Nova raus in Richtung Vulkan. Auf der einzigen Landstraße der Insel gab es eine Vielzahl von Schildern für Touristen.

»Bei besserem Wetter kann man auch zu Fuß hier hoch. Jedenfalls machen dass einige Touristen.« Sie fuhren noch einige hundert Meter die Serpentinen nach oben als Delgado an einer scharfen Kurve unvermittelt auf einen Parkplatz fuhr und ausstieg. »Das ist der Miradouro do Sitio do Portao. Von hier hat man einen hervorragenden Ausblick. Das dort ist Vila Nova und die Hafenbucht. Herrlich, nicht wahr?« Baptista war überwältigt von dem fantastischen Ausblick, der sich trotz des schlechten Wetters bot. Vila Nova und der Hafen erweckten den Eindruck, vom Meer an Land gespült worden zu sein und am Vulkan nur vorläufig zu haften. Es schien, als könnte die nächste Welle alles wieder mit in die Tiefe reißen. Die beiden standen verzückt auf dem Parkplatz und schauten in das Tal. »Kommen Sie, wir sollten weiter. Pão mag es nicht, wenn man zur Mittagszeit kommt.«

Baptista vermied es zu sprechen, weil jedes Atmen ihm große Schmerzen bereitete. So stieg er einfach wortlos in das Auto. Dann fuhren sie wieder rund zehn Minuten. Baptista schloss die Augen, um sich auf das ruhige Ein- und Ausatmen zu konzentrieren. So sah er den überwältigenden Blick in den Vulkankrater nicht. Schließlich hielt Delgado am Südwest-Zipfel der Insel an. »Das letzte Stück gehen wir besser zu Fuß. Mein Wagen ist schon einmal in den ausgewaschenen Furchen des Weges stecken geblieben«, sagte Delgado. »Was sind das für schwarze Dinger dort?« »Windmühlen. Sie sind aus schwarzem Basalt gemacht. Und die dreieckigen Segel betreiben im Inneren die Mühle. Die Kuppel ist besonders raffiniert gelagert und dreht sich im Wind.« »Werden die Mühlen noch benutzt?« »Aber sicher. Der verrückte Pão hat sich einen Anbau an eine der Mühlen gemacht und lebt dort wie ein Einsiedler. Kommen Sie, da vorne ist der Eingang.« »Gehen Sie schon voraus. Ich mache langsam.«

Um nur ganz langsam und flach zu atmen, bewegte sich Baptista auch nur sehr langsam. Er konnte sein Gleichgewicht kaum noch halten und hatte das Gefühl, bald keine Luft mehr zu bekommen. Warum muss ich auf dieser verdammten Insel sterben, dachte er. Warum nicht in einer Pizzeria in Neapel während eines Rendezvous’ von der Mafia dahingerafft werden? Warum hier, auf schwarzem Basalt? Dann wurde es schwarz vor seinen Augen. Er spürte nicht, wie ihn Pão Amaral und Senhor Delgado vom Boden aufhoben und in das Haus von Pão trugen.

Er wachte erst auf, als Pão eine Schürfung an seinem Kopf mit einem Tuch abtupfte und einige stinkende Kräuter darauf legte. Er blickte in ein paar Augen, in denen ein wildes, beinahe wahnsinniges Feuer zu flackern schien. »Ich bin Pão Amaral. Sie liegen hier in meinem Bett, weil Sie eben ohnmächtig wurden. Senhor Delgado ist nach Vila Nova, um Medikamente zu holen. Machen Sie sich keine Sorgen und bleiben Sie ruhig liegen.« Baptista wollte etwas sagen, aber durch seine Lungen ging nur ein Pfeifen. Deswegen nickte er bloß leicht. Er lag in einem geräumigen Zimmer, in dem auch die Küche untergebracht war. Daher sah er Pão, als dieser sich in der Küche zu schaffen machte. Pão war etwas über 40 Jahre und ein sehr hagerer, dürrer Mensch. Seine einfache Leinenkleidung baumelte an seinen Knochen wie an einem Wäscheständer. Das Gesicht schien keine Falten zu haben, was ihm ein seltsam entrücktes Aussehen gab.

In seinem fiebrigen Delirium fühlte sich Baptista bedroht. Mal schien im schwarzen Basalt der Kopf des toten Francisco eingemeißelt. Dann heulte der Wind von draußen lautes Wehklagen herein. Von Panik wurde er schließlich ergriffen, als Pão ein riesiges Messer aus dem Holzblock nahm. Schreien konnte Baptista dennoch nicht. Seine Stimme versagte ihren Dienst. Pão legte einige getrocknete Kräuter und andere merkwürdige Dinge auf den großen alten Holztisch in der Mitte des Raums und zerkleinerte alles sorgfältig. Anschließend zerstieß er mit einem Mörser alles zu einem gräulichen Pulver. Er kochte Wasser auf und rührte das Pulver hinein. Diesen Sud bot er dann Baptista an. Angeekelt vom Geruch drehte der sich weg. Schließlich überwand er sich jedoch und trank den übelriechenden Tee, der – einmal im Rachen – jedoch ein großes Wohlgefühl verbreitete. Schnell dämmerte er weg.

Baptista wachte vom Gewisper zweier Stimmen auf. Delgado und Pão Amaral unterhielten sich leise. Er versuchte zu verstehen, was sie sagten, aber er war zu schwach. Dennoch konnte er erkennen, dass die Gesichter etwas Düsteres an sich hatten. Er hörte mehrfach den Namen von Francisco. Wieder sank er unter die Oberfläche des Bewusstseins.

Das Schweigen der Familie

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