Читать книгу Die Frau am Tor - Ben Worthmann - Страница 3
1.
ОглавлениеSie tauchte auf, gerade als er in Höhe des Gartentors war, und im ersten Augenblick glaubte er, es mit einer Schlafwandlerin zu tun zu haben. Sie kam über den schmalen, von dichten, teilweise überhängenden Fliederbüschen gesäumten Pfad, der zum Hauseingang auf der Rückseite führte. Er war tagsüber gelegentlich hier vorbeigekommen und hatte sich gefragt, wer wohl in diesem schmucken Haus mit den Sprossenfenstern, den taubenblauen Schlagladen, die nur der Dekoration dienten, und dem schiefergedeckten Walmdach leben mochte, ohne allerdings je einen der Bewohner gesehen zu haben.
Die Frau, die jetzt von dort auf ihn zukam, war so gut wie unbekleidet, wie trotz des spärlichen Lichts, das der kaum halbvolle Mond und die fahle Hausnummernbeleuchtung spendeten, unschwer zu erkennen war. In ihren Bewegungen lag etwas Verhaltenes, Verzögertes, sodass es fast wie ein Waten durch einen unsichtbaren Nebel aussah. Bei den letzten, plötzlich schnelleren Schritten bis zum Tor geriet sie beinahe ins Stolpern. Sie öffnete es und erstarrte, so als bemerke sie ihn erst jetzt, da sie nur noch wenige Zentimeter voneinander getrennt waren. Doch ihr Blick galt gar nicht ihm, so weit das für ihn auszumachen war, sondern schien auf irgendeinen fernen Punkt gerichtet, von dem wahrscheinlich nicht einmal sie selbst wusste, wo er sich befand.
Das alles spielte sich in Sekunden ab, und er registrierte es mehr instinktiv als bewusst, viel zu verblüfft, um einen Sinn darin auch nur erahnen zu können. Im nächsten Moment spürte er ihren Körper gegen seinen sacken und packte sie, einem Reflex gehorchend, um sie aufzufangen. Es war ein sehr schlanker, fester, junger Körper, was ihm trotz seiner Verwirrung nicht entging, zumal der Körper mit nichts als einem dünnen, kurzen Hemd bedeckt war, das kaum bis zu den Hüften reichte und unter seinem Griff auch noch hochrutschte.
Ihre Arme hingen schlaff herab. Auf einmal hob sie den Kopf – sie war nur wenig kleiner als er – und wandte ihm ihr Gesicht zu. Es war ein hübsches, etwas katzenhaftes Gesicht mit großen, ziemlich weit auseinander stehenden Augen, umrahmt von knapp schulterlangem, dunkelblondem Haar, das allerdings ziemlich unordentlich wirkte, was zu ihrem aktuellen Gesamtbild passte. Ihm ging kurz durch den Kopf, dass sie bei anderer Gelegenheit gewiss noch weit attraktiver auszusehen verstand, mit einem Make-up, das nicht zerlaufen und einem Mund, der ordentlich geschminkt statt mit Lippenstift verschmiert war.
Die Lippen bewegten sich schwach, als wollten sie etwas sagen, während ihr Blick zwischen jenem fernen, undefinierbaren Punkt und dem Anblick des Mannes, dessen Arme sie hielten, hin und her zu irren schien. Und dann, eher er sich versah, hatte sie sich plötzlich von ihm losgerissen und versuchte, sich an ihm vorbei zu drängen. Gleichzeitig stieß sie einen lauten Schrei aus. Er versperrte ihr den Weg und nahm sie am Arm, um sie zurückzudrängen, und warf einen prüfenden Blick die Straße entlang. Sie lag still und friedlich da, kaum beleuchtet von den wenigen Laternen, mit ihren hohen Platanen auf beiden Seiten, die eine Art Dach über ihr bildeten, und mit den soliden, zumeist etwas älteren, gepflegten Häusern, die von großzügigen Grundstücken umgeben und in gebührendem Abstand voneinander aufgereiht waren. Die Kolbestraße – so hieß sie, wie er sich entsann – gehörte zu jenen Vorortstraßen tief im Südwesten Berlins, in denen es so gut wie immer ruhig war, vor allem, wenn es, wie jetzt, auf Mitternacht zuging.
Die Frau ließ sich ohne weitere Gegenwehr auf den dunklen Pfad am Haus entlang in Richtung des Eingangs dirigieren, dem eine kleine Terrasse vorgesetzt war, auf die man über fünf Treppenstufen gelangte. Über der Haustür, die halb offen stand, brannte eine Lampe, die den gesamten Eingangsbereich beleuchtete und ihm noch mehr von der Frau enthüllte, als er bereits gesehen hatte. Bevor sie hinaufstiegen, blieb sie stehen und klammerte sich an ihn.
„Ich habe Angst, ganz schreckliche Angst”, stieß sie hervor.
Du lieber Himmel, dachte er, in was gerate ich hier denn nur hinein. Da gehst du, wie so oft, an einem schönen Sommerabend noch ein bisschen spazieren – und dann passiert dir so etwas. Am besten siehst du zu, dass du schleunigst von hier weg kommst.
„Nun bleiben Sie doch mal ruhig”, sagte er und versuchte sich vorsichtig loszumachen. „Was ist denn eigentlich los mit Ihnen?”
„Ich brauche Hilfe, dringend. Jemand muss mir helfen. Helfen Sie mir? Bitte sagen Sie Ja, helfen Sie mir, bitte!”, fuhr sie in einem solch verzweifelten, flehenden Ton fort, dass ihn ein ungutes Gefühl überkam, dem jedoch noch etwas anderes beigemischt war, das er nicht hätte benennen können.
„Kommen Sie, kommen Sie mit”, drängte sie und nahm seine Hand, um vorauszugehen. Er konnte nicht anders, als ihr zu folgen, den Blick unwillkürlich auf das Muskelspiel ihres nackten Gesäßes geheftet, wobei er gegen ein diffuses Gefühl von Scham ankämpfte. Sie betraten die von zwei herabgedimmten Wandlampen matt erhellte Diele, auf deren Terrakotta-Fliesen einige weibliche Kleidungsstücke verstreut lagen. Doch die bemerkte er nur mit halbem Blick. Der wesentlich größere Teil seiner Aufmerksamkeit wurde von etwas anderem beansprucht.
Der Mann lag auf der Schwelle der Tür zur Küche, die von der Diele abging und in der ebenfalls Licht brannte. Zunächst sah er von ihm nur die Beine, die leicht gespreizt in die Diele ragten. Die Füße steckten in braunen geflochtenen Slippern. Der Oberkörper befand sich auf dem schwarzweiß gefliesten Küchenboden. Es handelte sich um einen ziemlich großen, ziemlich kräftigen Mann, soweit sich das aus dieser Perspektive abschätzen ließ. Er war mit einem hellen, modisch geschnittenen Anzug bekleidet, dessen Jackett nicht zugeknöpft war und die Brust freigab, sowie mit einem Hemd, das er am Hals offen trug. Das Hemd war rosafarben. Zumindest war es das einmal gewesen. Jetzt war der größte Teil dessen, was davon sichtbar war, in ein dunkles Rot getaucht. Den Mittelpunkt des großen dunkelroten Fleckens bildete der schwarze Kunststoffgriff eines Messers, der daraus hervorragte.
Verdammt, dachte er abermals, wo bin ich hier bloß hineingeraten, und tausend Fetzen von Gedanken wirbelten ihm durch den Kopf, verschlangen und verknoteten sich und stieben wie ein irrer Schwarm wieder auseinander. Er musste an das viele Sterben denken, über das er aus verschiedenen Teilen der Erde berichtet hatte, mehr als über das Leben, an Bilder von Menschen, die auf fast jede nur denkbare Weise zu Tode gekommen waren, in Kriegen, bei Putschversuchen und Naturkatastrophen, und deren Schicksal jahrzehntelang den Stoff hergegeben hatte für all die Geschichten, die der Reporter Robert Kessler für gut zahlende Zeitschriften und Magazine geschrieben hatte. Ohne es zu wollen, spulte er im Geist den notorischen Kanon jener Fragen ab, die jedem Jungjournalisten als erstes beigebracht werden – die Fragen nach dem Wer-wie-was-wo-wann, die jedes Mal beantwortet werden müssen, wenn etwas Berichtenswertes entstehen soll.
Robert Kessler, sagte er stumm zu sich selbst, nach Lage der Dinge hast du es hier mit einer anderen Art von Geschichte zu tun, als du sie bisher je erlebt hast, mit einer völlig anderen.
Obschon er keinen Zweifel daran hatte, dass der Mann tot war, beugte er sich über ihn und befühlte den Hals, der noch warm war, aber keinerlei Anzeichen eines Pulsschlags erkennen ließ. Die Frau stand zitternd an die Wand neben der Küchentür gedrückt, knetete ihre Hände und stammelte vor sich hin:
„Oh Gott, was soll ich tun? Ich habe Angst, so furchtbare Angst. Bitte helfen Sie mir doch.”
„Jetzt beruhigen Sie sich doch erst mal”, sagte er wieder, mit einer Stimme, die seinen eigenen Ohren fremd war, und kam sich dabei wie ein Narr vor. „Und, bitte, ziehen Sie sich etwas an.”
Er konnte es nicht mehr ertragen, immerzu ihren nackten Unterleib ansehen zu müssen und die Brüste, die sich deutlich unter dem dünnen Hemd abzeichneten. Sie sammelte die Kleidungsstücke vom Boden auf, warf sie aber gleich wieder in eine Ecke und ging auf unsicheren Beinen in einen der übrigen drei Räume, die von der Diele abzweigten, ohne die Tür hinter sich zu schließen. Er hörte sie unter leisem Wimmern an einem Schrank hantieren. Als sie wenig später wieder herauskam, trug sie eng sitzende Jeans, ein schwarzes T-Shirt und weiße Sneakers.
„Können wir uns irgendwo setzen?”, fragte er, bemüht, so normal wie möglich zu klingen. Sie öffnete die mittlere der Türen, schaltete das Licht an und führte ihn in eines der Wohnzimmer, das durch eine Flügeltür mit einem weiteren verbunden war. An den Wänden hingen einige großformatige, wild-bunte Gemälde. Die Einrichtung – ein Designer-Sofa, drei zerbrechlich wirkende Korbsessel, ein Glastisch sowie ein in die Wand eingelassener Flachbildschirmfernseher mit integrierter Musikanlage – wirkte teuer und war für seinen Geschmack eine Spur zu absichtsvoll minimalistisch gehalten. Auf dem Tisch standen zwei Gläser und eine halbvolle Rotweinflasche. Sie ließ sich in einen der Sessel fallen, stand aber sofort wieder auf und fragte ihn, ob er etwas trinken wolle. Ohne seine Antwort abzuwarten, verschwand sie im Nebenzimmer und kehrte mit einem frischen Glas zurück. Es war mehrere Jahre her, dass er zuletzt Alkohol zu sich genommen hatte, und er zögerte einen Moment. Dann füllte er das Glas, trank zwei tiefe Züge und ergab sich dem Gefühl, das vom Magen her in einer warmen Welle durch seinen Körper und seinen Kopf rieselte.
„Wer ist der Mann? Und weshalb haben Sie ihn umgebracht?”, fragte er. „Das haben Sie doch, oder?”
Statt etwas zu erwidern, kauerte sie sich mit angezogenen Beinen in ihren Sessel, vergrub das Gesicht in den Händen und brach in ein hemmungsloses Weinen aus.
„Bitte, Sie müssen...Sie müssen mir helfen”, stotterte sie schluchzend, “Sie müssen mir versprechen, dass Sie mir helfen! Bitte!”
„Wer ist der Mann?”, wiederholte er.
„Ein früherer...jemand, mit dem ich mal zusammen war, früher, eine ganze Zeit bevor ich geheiratet habe...Er hat mich....er wollte mich...Irgendwie musste ich mich doch wehren, ich meine, ich musste ihn doch davon abhalten, dass er mich....Aber ich wollte doch nicht, dass er stirbt...Es war ein schrecklicher Unfall, ein Unglück.”
Ihre Worte gingen beinahe in dem Schluchzen unter und waren kaum zu verstehen. Plötzlich sprang sie auf.
„Wo ist denn nur meine Handtasche? Ich brauche meine Handtasche. Oh Gott, ich glaube, sie ist in der Küche auf dem kleinen Tischchen. Aber ich kann doch jetzt nicht dort hineingehen.”
Er stand auf und durchquerte die Diele und stieg über den Toten hinweg, was nicht ganz einfach war. Als er ihr die Handtasche reichte, begann sie sofort mit hastigen Händen darin zu kramen und zog eine Schachtel Valium hervor. Sie drückte drei Tabletten aus der Palette, warf sie sich in den Mund, schüttete etwas Wein in eines der benutzten Gläser und spülte sie damit hinunter.
„Um Himmels willen, hoffentlich war das jetzt mein Glas und nicht seins”, sagte sie erschrocken, als sie es absetzte, und begann erneut zu weinen.
„Können Sie mir vielleicht, bitte, der Reihe nach erzählen, was eigentlich genau passiert ist?”, sagte er mit leisem Drängen und nahm sich den restlichen Wein.
„Okay, gut, okay, ich versuche es”, begann sie stockend. „Wo fange ich an? Also, er war ein alter Bekannter. Ich hatte ihn lange nicht gesehen. Er rief mich heute Nachmittag an und fragte, ob er am Abend bei mir vorbeischauen könne. Ich war ganz froh darüber, denn ich bin nicht gern allein, müssen Sie wissen. Und ich bin oft allein, weil mein Mann geschäftlich sehr viel unterwegs ist. Ich lade mir dann manchmal eine Freundin ein oder bin bei ihr, auch über Nacht. Ich hasse es, allein zu sein. Jedenfalls war ich ganz froh, als er heute anrief. Ich meine, wir hatten uns damals in Frieden getrennt, und was sprach schon dagegen, einen alten Bekannten oder Freund oder was weiß ich wiederzusehen? Das ist doch an sich nichts Schlimmes, oder?”
In ihrer Stimme war jetzt etwas sehr Junges, das ihn berührte. Sie schwieg eine Weile, als erwarte sie eine bestätigende, beschwichtigende Antwort, und schaute ihn dabei an, als nehme sie ihn jetzt überhaupt zum ersten Mal richtig wahr. Die Farbe ihrer Augen changierte im Lampenlicht zwischen Blau und Dunkelgrün. Er fragte sich, wie alt sie sein mochte und schätzte sie auf maximal dreißig. Und er fragte sich, was sie wohl über diesen Mann dachte, der ihr gegenüber saß und wesentlich älter war als sie; in vier Monaten würde er sechsundfünfzig werden. Er selbst hätte sich schwergetan mit einer Selbstbeschreibung, obwohl er schon so viele und so vieles beschrieben hatte. Soweit es nur die Äußerlichkeiten betraf, war es noch relativ einfach: Er war mittelgroß und schlank, dabei aber ziemlich kräftig und insgesamt in akzeptabler Form, weil er auf dergleichen achtete und mindestens zwei Mal die Woche ins Fitnessstudio ging, hatte kurzes graues Haar und ein schmales Gesicht mit tiefliegenden graublauen Augen, die manchmal etwas müde, meistens aber wach und neugierig blickten und er legte im Allgemeinen Wert auf seine Kleidung. An diesem Abend trug er schwarze Jeans, ein anthrazitfarbenes Polohemd und eine leichte Jacke aus dunklem Leinen und dazu weiße Turnschuhe, was einen gewissen Stilbruch darstellte; aber er hatte ihn sich gestattet, da es bei seiner einsamen, späten Wanderung durch die Straßen nicht so darauf ankam.
Seine Freundin Eva amüsierte sich bisweilen über seine Eitelkeit und nannte sie kurios angesichts der Tatsache, dass er doch schließlich in all den vielen Jahren, in denen er Gott weiß wo in der Welt unterwegs gewesen war, bestimmt nie Wert auf seine Kleidung gelegt habe. Vielleicht kompensiere er ja einen gewissen Nachholbedarf. Irgendwie passe das jedenfalls nicht richtig zu ihm, da er bekanntlich allem Materiellen wenig Bedeutung beimesse. Manchmal nannte sie ihn einen unverbesserlichen idealistischen Träumer.
Bei dem Gedanken an Eva wurde ihm unwohl. Was sie sagen würde, wenn sie ihn hier sitzen sähe, wollte er sich lieber gar nicht ausmalen.
„Das ist doch im Grunde nichts Schlimmes gewesen, oder?”, wiederholte die Frau im Sessel gegenüber. „Ich konnte doch nicht ahnen, wie das Ganze dann laufen würde.”
Er schüttelte den Kopf, sagte aber nichts. Ihre Stimme klang inzwischen um einiges gefasster, offenbar tat das Valium seine Wirkung. Sie schilderte, wie sie beide zunächst im Wohnzimmer gesessen und sich unterhalten hätten. Ganz normal und unverfänglich sei das gewesen. Irgendwann sei sie dann in die Küche gegangen, um eine Kleinigkeit zum Essen anzurichten.
„Und auf einmal stand er dann vor mir. Er hat mich gepackt. Ich habe versucht, mich loszureißen, aber er ist....er war...so viel stärker, Sie müssen ihn sich ja nur ansehen, ein großer, kräftiger Mann. Ich habe trotzdem versucht, mich zu wehren, aber in der Diele hat er mich wieder gepackt und er fing an, mir die Kleider vom Leib zu reißen. Irgendwie waren wir dann plötzlich wieder in der Küche, und er drückte mich gegen die Spüle. Ich wusste nicht mehr, was ich machen sollte, vor lauter Angst, und irgendwie bekam ich dann dieses Messer zu fassen, das noch auf der Spüle lag, weil ich damit Tomaten geschnitten hatte. Wissen Sie, ich wollte Mozzarella mit Tomaten machen...”
Ihre Stimme brach, sie räusperte sich ein paarmal und fuhr fort:
„Und dann...irgendwo habe ich gehört oder gelesen, man müsse ihnen das Knie zwischen die Beine rammen, und das tat ich dann, und er trat einen Schritt zurück und krümmte sich so ein bisschen nach vorn, und da habe ich ihm das Messer...”
Abermals machte sie eine Pause.
„Er ging noch einen oder zwei Schritte, bis zur Tür, und dann brach er zusammen, er fiel auf den Rücken, es gab einen schrecklichen Rumms, und dann lag er nur noch da...”
Sie begann erneut in ihrer Handtasche zu kramen und holte eine Schachtel Zigaretten hervor. Dann fiel ihr ein, dass sie einen Aschenbecher und ein Feuerzeug brauchte und sie stand auf und ging nach nebenan, um beides zu holen. Er betrachtete ihre Bewegungen und hatte dabei das Bild ihres nackten Körpers vor Augen, den er vorhin gesehen hatte. Vorhin? Es kam ihm vor, als sei seither eine halbe Ewigkeit vergangen. Er hatte jedes Zeitgefühl verloren, aber ein Blick auf seine Uhr zeigte ihm, dass es gerade einmal zwanzig Minuten her war, seit sie taumelnd wie eine Somnambule am Gartentor erschienen war. Es war noch nicht einmal halb eins.
„Hier, möchten Sie auch?”, sagte sie und hielt ihm die Packung hin. Er nahm eine, obwohl er sich schon vor Jahren das Rauchen abgewöhnt hatte, zusammen mit dem Trinken. Aber kam es jetzt darauf noch an?
„Eigentlich rauche ich nicht. Frank, mein Mann, mag es nicht. Nur wenn er nicht da ist, genehmige ich mir hin und wieder mal eine”, erklärte sie ihm, so als sei das von Wichtigkeit. Die Art, wie sie die Zigarette hielt und den Rauch ausblies, wirkte tatsächlich nicht besonders routiniert.
„Und was nun?”, fragte er, wohl wissend, dass es eine eher rhetorische Frage war. Seit er den Toten gesehen hatte, war ihm im Grunde klar, worauf es hinauslaufen würde.