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2.

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Als Erstes zog er das Messer aus dem Toten. Dann durchsuchte er die Anzugtaschen. Der Frau trug er auf, einen Eimer mit Lauge zu füllen und ihm eine Plastiktüte zu besorgen. Zwischendurch fragte er sie, ob es vom Keller aus einen Durchgang zur Garage gebe, die auf Kellerniveau unter dem Haus lag und ob sie ein Auto da habe oder ob ihr Mann damit unterwegs sei. Sie sagte, ihr Mann besitze einen eigenen Wagen, ihrer stehe in der Garage und, ja, es gebe einen Durchgang.

Sie hatte ihn noch einmal angefleht, ihr „bitte, bitte” zu helfen und „bloß nicht, bitte bloß nicht” die Polizei zu rufen. Das würde sie einfach nicht aushalten, wenn sie sich vorstelle, was dann auf sie zukäme. Er hatte sie beruhigt, alles spreche dafür, dass sie in Notwehr gehandelt habe, ihr aber dann zusätzlich versichert, dass er die Polizei nicht informieren werde, nein, und das war ihm nicht einmal besonders schwergefallen.

Er wusste, dass er es nicht über sich gebracht hätte, sie der Polizei auszuliefern, gleich, wie glimpflich das auch hätte enden mögen, wobei er sich eingestehen musste, dass ihn seine tiefergehenden Beweggründe in dieser Hinsicht beunruhigten und irritierten. Normalerweise wusste er, warum er etwas tat. Hätte ihn jetzt jemand nach seinen Motiven für sein Tun gefragt, wäre ihm eine klare Antwort schwergefallen, abgesehen allenfalls davon, dass er die Polizei einfach nicht mochte. Auch wenn er ihre Existenz als Bürger zu akzeptieren hatte, gab es da eine Art instinktive Aversion.

Die Wurzeln dieser latenten Abneigung lagen vermutlich irgendwo in seinen ziemlich verwegenen, bewegten Jugendtagen, und auch darüber mokierte sich Eva bisweilen, wenn sie ihn einen „Gemütsanarchisten” und „ewigen antiautoritären Krypto-Revoluzzer” nannte, was ihn seinerseits amüsierte. Weniger amüsant waren hingegen gewisse Erfahrungen mit Vertretern der Staatsgewalt gewesen, die er im Lauf der Jahre nicht nur in Deutschland, aber auch hier, gemacht hatte und die ihn gelehrt hatten, allen amtlichen Autoritäten mit Misstrauen zu begegnen. Im Prinzip hatte er die Grenzen der Legalität stets beachtet, aber es hatte auch Situationen gegeben, beispielsweise in einigen afrikanischen Ländern, in denen er sie bewusst ignoriert hatte, um andere, aber auch sich selbst zu retten. „Wenn ich immer absolut rechtstreu gewesen wäre, hättest du mich wahrscheinlich nicht kennengelernt”, hatte er es gegenüber Eva einmal etwas theatralisch ausgedrückt.

Er hatte sich verschiedentlich auch schon mit Leichnamen zu beschäftigen gehabt, aber das war jedes Mal in einem doch völlig anderen Kontext geschehen, in irgendwie exotischen Situationen, die gleichsam aufgrund höherer Gewalt entstanden waren.

Die Beseitigung eines Toten aus der Wohnung einer ihm völlig fremden, attraktiven, offensichtlich kultivierten jungen Frau in einem der besseren Viertel Berlins bedeutete auch für den weitgereisten, welterfahrenen und in vielerlei Hinsicht versierten Journalisten Robert Kessler eine völlig neue Herausforderung – zumal es niemand anders als eben diese Frau gewesen war, die mittels eines Küchenmessers dafür gesorgt hatte, dass aus einem großen kräftigen Mann ein lebloses Etwas geworden war. Objektiv gesehen handelte es sich um einen Fall von vergleichsweise banaler Gewalt, wie sie in Polizeiberichten und Fernsehkrimis vorkam.

Wenn es darauf ankam, war er immer höchst pragmatisch vorgegangen und hatte eine auf manche Kollegen geradezu provokant wirkende Gelassenheit an den Tag gelegt. Dennoch konnte er nicht umhin, sich ein wenig über sich selbst zu wundern, wie abgeklärt, ja scheinbar fachmännisch er jetzt zu Werke ging, als er den Inhalt der Brieftasche inspizierte und die Taschen des Toten leerte. Er fand ein Handy und einen Schlüsselbund, der offensichtlich aus einem Haus- und einem Wohnungsschlüssel bestand, aber er fand keinen Autoschlüssel, was insofern wichtig war, als es bedeutete, dass nicht irgendwo in der Nähe der Wagen des Toten stehen konnte. Dafür stieß er auf einen Fahrschein der Berliner Verkehrsbetriebe, abgestempelt um 20.43 Uhr. In der Brieftasche befanden sich zwei Kredit- und mehrere Einkaufskarten sowie ein Fünfzigeuroschein, zwei Zwanziger und etwas Münzgeld. Und sie enthielt den Ausweis, demzufolge es sich bei dem Toten um Oliver Rensing handelte, geboren am 18. Oktober 1974 und wohnhaft an der Falkenseer Chaussee in Spandau.

„Oliver Rensing heißt du also”, murmelte er, „oder genauer gesagt: hießest du.” Zugleich ging ihm durch den Kopf, dass er immer noch nicht wusste, wie eigentlich die Frau hieß, die das Dasein dieses Oliver Rensing aus dem Präsens ins Imperfekt befördert hatte. Und ebenso wenig wusste sie ihrerseits, wer jener fremde Mann war, der sich da freundlicherweise bereitgefunden hatte, ihr diesen toten Oliver Rensing endgültig vom Hals zu schaffen. Genau so formulierte er es im Geiste, und die Situation kam ihm für einen kurzen Moment derart aberwitzig, ja surreal vor, dass er dachte: Gleich ist es so weit, gleich werde ich wach und bin erleichtert, weil ich das alles nur geträumt habe.

Doch die Frau hatte mittlerweile ganz real den Putzeimer und die Tüte herbeigeschafft und schaute ihm aus einigem Abstand zu. In ihren Augen lag immer noch Angst, aber es schien ein bisschen weniger geworden zu sein.

„Mir fällt gerade ein, dass wir uns einander noch gar nicht vorgestellt haben”, sagte er. „Vielleicht sollten wir das allmählich nachholen. Es sei denn, wir verständigen uns darauf, dass wir es dabei belassen, bei dieser Anonymität, meine ich. Vielleicht wäre das ja besser so.”

„Oh”, machte sie und kam näher, mit leichter Röte und einem Ausdruck von Verlegenheit im Gesicht. „Ich weiß auch nicht, also...”

Sie streckte ihm die Hand hin und er ergriff sie, ohne in dieser Sekunde daran zu denken, dass diese Hand vor wahrscheinlich nicht einmal einer Stunde ein Küchenmesser in die Brust eines Menschen gestoßen hatte. Dieser Gedanke kam ihm erst, als er ihre Hand wieder losließ, die sich zart, aber fest und trocken anfühlte, und er verdrängte ihn schnell wieder.

„Ich heiße Julia”, sagte sie mit einem entfernten Anklang unschuldiger Koketterie. „Julia Gerlach.”

Er nannte ihr seinen Namen und fuhr dann gleich fort:

„Wir müssen hier gründlich sauber machen. Seine Sachen sowie das Messer packen wir erst mal in die Tüte. Was wir damit machen, werden wir dann später sehen. Aber zuerst müssen wir ihn mal runter in die Garage bringen, in Ihren Wagen. Und dabei müssen Sie mir ein bisschen helfen. Vielleicht haben Sie ja auch irgendwo noch eine alte Decke oder so was.”

„Ich? Helfen? Oh Gott! Wieso denn? Wie denn?”, stotterte sie und wich zurück und wurde blass.

„Na los, Sie müssen schon mit anpacken. Allein schaffe ich das nicht. Wo geht's denn in den Keller? Machen Sie schon mal die Tür auf und das Licht an.”

Es war eine schmale, niedrige weiße Tür, die er bis dahin übersehen hatte, in der Wand rechts von Haustür, unter dem Treppenaufgang ins Obergeschoss.

Er zog den Toten über die Schwelle der Küchentür, bis er in der Mitte der Diele lag, und sagte ihr, sie solle ihn nun bei den Füßen nehmen und vorausgehen, während er von hinten den Oberkörper umschlang und ihn ein wenig anhob. Sie zögerte immer noch, und er forderte sie abermals auf.

„Nun machen Sie schon!”

„Ich...ich kann das nicht.”

„Sie müssen.”

Endlich überwand sie sich. Der Tote war schwer, noch etwas schwerer, als er erwartet hatte, und schon auf halber Höhe der engen Kellertreppe merkte er, wie ihm der Schweiß ausbrach. Die Frau namens Julia Gerlach bat ihn immer wieder um Pausen und stieß kleine verzweifelte Laute aus. Schließlich hatten sie ihn unten, in einem schmalen Gang, von dem mehrere Räume abgingen.

„Wo?”, fragte er.

Sie wies auf die Eisentür am Ende des Ganges.

„Holen Sie schon mal den Autoschlüssel, und denken Sie an die Decke”, sagte er. Unterdessen schleppte er den Toten bis zu der Tür, öffnete sie, schleifte ihn hindurch und tastete nach dem Lichtschalter. Schwer atmend lehnte er an der Wand, als sie mit einer grauen Decke zurückkehrte, von der ein muffiger Geruch ausging.

„Ist die richtig? Ich habe sie hinten zwischen einigen alten Sachen gefunden”, erklärte sie mit zitternder Stimme und eifrig, so als spiele das eine Rolle.

Der Wagen war ein silbergrauer Kombi, ein ziemlich neuer Dreier-BMW. Er ließ sie die Heckklappe aufmachen und Platz auf der Ladefläche schaffen, indem sie einiges Zeug, das dort lag, beiseite schob. Er selbst breitete die Decke aus. Dann befahl er ihr erneut, mit anzupacken, und sie wuchteten den Körper hinein und schlugen die Deckenenden über ihn.

Die Frau am Tor

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