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Der Typ, der mich am Flughafen in Empfang genommen hatte, wollte im Auto wissen, warum ich «zum Basketballspielen so weit gereist» sei. Als ob er sich darüber auch schon den Kopf zerbrochen hätte. «War nur so ’ne Schnapsidee», sagte ich, und so kam es mir an diesem windigen, sonnigen Morgen beim Aufwachen auch tatsächlich vor. Es war schon so warm, dass ich auf dem Weg zur Halle ins Schwitzen geriet. Ich ging unter der stillgelegten Brücke durch und sah auf der anderen Seite ein paar Geschäfte, einen Zeitungskiosk, eine Bäckerei und eine kleine Kneipe namens Einhorn. Ein Mann im Overall stand an der Kellerluke und rollte Bierfässer nach unten. Die Dunkelheit der Kneipe war mit grünen Staubflecken durchsetzt; eine Frau mit Schürze nahm die umgedrehten Stühle von den Tischen. Anständige Arbeit, dachte ich, und ging weiter Richtung Fluss.

Er führte, wenn man ihm weit genug folgte, in südwestlicher Richtung nach München, die Stadt, die meine Vorfahren vor fast hundert Jahren verlassen hatten. Das Sportzentrum befand sich auf der anderen Seite, ein flacher, überdimensionierter Funktionsbau, wie ihn Stadtverwaltungen errichten. Zwei große Säulen flankierten den Haupteingang. Sonst deutete nichts auf die Erhabenheit der Wettkämpfe hin, die im Inneren stattgefunden hatten. Aufgeregt war ich nicht zuletzt (und darauf will ich hier hinaus), weil ich gleich herausfinden würde, ob ich auch wirklich gut genug war. Basketball ist natürlich ein Mannschaftssport, aber letztendlich beruht er auf dem einsamen Kampf, durch den man ihn erlernt hat: allein, auf dem Court meines Vaters, in heftigem Regen oder der noch heftigeren Hitze von eintausend texanischen Nachmittagen. Es kam mir vor, als müsste ich jetzt das Vorgestellte am wirklichen Leben messen.

Ein übergewichtiger junger Mann mit breiten Nasenlöchern wies mir den Weg zur Umkleide. Jeder, der schon mal in einer Mannschaft gespielt hat, kennt die Szenerie: dieser besondere Geruch, das kalte, intensive, schattenlose Licht, die Anti-Rutsch-Matten auf den Bodenfliesen und die abgenutzten Holzbänke. Es müffelt nach feuchtem Nylon und Fußpilz, man spürt so etwas wie Frontkameradschaft.

Der junge Darmstadt war schon umgezogen, als ich ankam, und suchte fieberhaft nach Basketbällen; er wollte, dass jemand mit ihm spielte. Aus einer Tasche am Boden quollen Trainingstrikots. Ich nahm eine kurze Hose und ein Oberteil und zog sie schweigend an: zum ersten Mal schlüpfte ich in die Rolle des Profisportlers. Olaf war auch schon da und sagte Darmstadt, er solle seinem eigenen Schweif nachjagen oder etwas in der Art – und ihn in Ruhe lassen. Manche von uns sind noch gar nicht richtig wach, sagte er und sah mich teilnahmsvoll an.

Ich ging los, um das Spielfeld zu suchen, und musste in den unbeleuchteten Gängen mehrmals kehrtmachen. Die Halle selbst war groß und schummrig und sah aus wie ein Flugzeug-Hangar. Der Boden war grün, Licht spiegelte sich ganz schwach darauf, was dem Platz eine beinahe unterirdische Düsterkeit verlieh. Jemand hatte die Basketbälle entdeckt, und das Echo des Aufpralls hallte von den hohen Aluminiumstreben zurück. Milo übte Jumpshots: werfen, einem Fehltreffer nachjagen, abrupt stehen bleiben, erneut werfen. Sein Atem war bereits deutlich zu hören.

«Young man», rief mir jemand zu, «young man.» Charlie wollte ein Eins-gegen-Eins; er warf mir den Ball außerhalb der Dreierlinie zu und nahm eine Verteidigungshaltung ein. «Dann lass mal sehen, was du draufhast», sagte er.

Ich fing entspannt an zu dribbeln, die ballabgewandte Seite zu ihm gedreht. Ich war nicht sicher, wie ernst ich das nehmen sollte, aber er bückte sich und grabschte nach dem Ball, doch seine Handflächen schlugen auf den Boden.

Charlie nahm mich als Rechtshänder, was mir im Grunde auch lieber ist. Die meisten rechtshändigen Spieler sind Linksfüßler – so halten sie beim Springen die Balance. Ich bin da eine Ausnahme. Nach der Schule hatte ich immer stundenlang geübt, an imaginären Gegenspielern vorbeizudribbeln und zu werfen. Ein innerer Kritiker beurteilte mich dabei: war ich schnell genug etc. Aber der eigentliche Punkt war, dass ich mir dabei die Ticks und Marotten eines Autodidakten zulegte. Außerdem noch die eine oder andere falsche Schreibweise, also das sportliche Äquivalent dazu. Jedenfalls ziehe ich gern mit links, deshalb wechselte ich vor ihm die Seite, hielt beim Hochspringen des Balls inne und ging an ihm vorbei.

«Mach das noch mal», sagte er, nachdem der Ball im Korb gelandet war. «Und noch mal», meinte er, als ich den Move wiederholt hatte. Diesmal drehte ich mich aber aus dem Dribbellauf und versenkte einen Fünfmeterwurf, während er noch versuchte, mich einzuholen. Schon ganz außer Atem, die Augen gegen den Schweiß zusammengekniffen, hörte ich mein Herz in den Ohren trommeln. Das war der Rhythmus zu einem stillen Refrain der Selbstbeglückwünschung: du kannst das, du kannst das. «Young man», sagte Charlie und rieb sich die Hände, «jetzt kommen wir langsam zur Sache» – aber Herr Henkel blies in seine Trillerpfeife und rief uns in die Mitte des Spielfelds.

Was folgte, waren eineinhalb Stunden Routine-Übungen. Henkel war ein technikorientierter Trainer. Die Session war bis auf die Minute genau auf einem Klemmbrett notiert, das er mit dem Handgelenk an die Hüfte presste. Nicht dass er etwas gegen eine Abwechslung gehabt hätte. Nach der Hälfte des Trainings ließ er uns bei einer Runde Freiwürfe verschnaufen, nur wurde er nach ein paar müden Airballs sauer und drohte dem gesamten Team für jeden weiteren Fehltreffer Suicides an. Ein Suicide ist wie ein Hundert-Meter-Sprint auf dem Gefängnishof, immer hin und her, deshalb war die Halle erfüllt vom Quietschen überdehnter Sneaker und dem Klatschen von Händen, die auf den Boden schlugen.

Ich warf meine beiden daneben. Das Blut in meinem Kopf hatte begonnen, meinen Blick einzufärben wie eine Quetschung. Charlie warf ebenfalls einen daneben. Er hatte eine merkwürdige Wurftechnik, eine Korkenzieherdrehung, die irgendwo hinter seinem Kopf begann. Zwischen den Grundlinien war er auch nicht gerade der Schnellste (diese Ehre gebührte Milo, der das sehr ernst nahm), und ich fragte mich, ob Charlie wirklich der Mannschaftskapitän war. Um Viertel vor elf öffnete Henkel die Türen, und ein paar beleibte Männer in Krawatten und Freizeithosen strömten lächelnd herein, in der Hand Fotoapparate oder Notizbücher. Mittlerweile konnte ich fast nicht mehr aufrecht stehen.

Der Trainer teilte uns in Fünfergruppen ein. Olaf und ich spielten zusammen mit Plotzke und Darmstadt. Plotzke war ein richtiges Vieh, mit dickem Bauch und den hochgezogenen Schultern eines Buckligen: seine Stimme hingegen war sanft, fast schon weinerlich. Er studiere BWL, pausiere derzeit aber für ein Jahr, erklärte er mir in einer kleinen Unterbrechung. Das hier sei nur eine Art Urlaub, sagte er und lächelte mit hochrotem Kopf. Charlie hatte Karl an der Seite, außerdem Milo und eine lange Bohnenstange mit Bürstenschnitt namens Michel Krahm, der sich wie ein Insekt bewegte und den ganzen Tag noch nichts gesagt hatte. Dabei hatten die meisten von uns etwas gefunden, über das sie sich beschweren konnten.

Gern würde ich sagen, dass wir ihnen halbwegs gewachsen waren. Nur verstand ich jetzt, was Charlie beim gestrigen Mittagessen demonstriert hatte: warum ihn jeder seine Sprüche klopfen ließ. Er dribbelte hoch und wütend (obwohl er der kleinste Spieler auf dem Feld war) und schlug den Ball wie einen Gerichtshammer zu Boden, während er sich über das Feld bewegte. Dabei hatte er die ganze Zeit den Mund auf, schrie herum und sagte den anderen, was sie tun sollten. «Backdoor, backdoor», rief er irgendwann. Milo sah ihn verständnislos an, und Charlie warf einen Pass, der ihn voll im Gesicht erwischte, zog Richtung Korb, griff sich den wegspringenden Ball und versenkte ihn. «Gutes Zuspiel», sagte er dann und rannte zurück in seine Hälfte.

Später, nach einem langen Rebound, schickte Olaf mich auf einen Fast Break. Nur Charlie war zurückgelaufen. Ich hatte ihn ganz für mich allein, direkt an der Freiwurflinie, und spulte den Seitenwechsel ab, mit dem ich ihn vorher ausgetrickst hatte. Nur schnappte er sich diesmal den Ball so schnell, dass ich mich noch in die Bewegung beugte, als er schon längst wieder weg war. «Schön wär’s», rief er mir über die Schulter zu. «Aber nicht mit mir …»

Die eigentliche Offenbarung dieses Trainings war jedoch Karl. Ich weiß nicht, ob er schneller oder stärker war als wir, oder woran es sonst lag. Er schien sich in einer komplett anderen Dimension zu bewegen. Einmal wollte ich ihm den Weg versperren und sah ihn schon einen Moment später, als ich mich noch fragte, wohin er verschwunden war, hinter mir am Rand des Korbs hängen. «Look at the Kid!», rief Charlie. «Look at the Kid!»

Charlies Art, seine Teamkollegen zu loben, hatte etwas Großkotziges, aber der Spitzname blieb haften. Sogar die Lokalzeitungen übernahmen ihn. (Die Deutschen haben eine merkwürdige Vorliebe für englische Bezeichnungen.) Irgendwie überdeckte der Spitzname jedoch die Tatsache, dass Karl tatsächlich noch ein Kid war, ein siebzehnjähriger Junge, der nervös in die Rolle schlüpfte, die ihm sein Talent auferlegt hatte. Er hatte die Angewohnheit, sich bei den Jumpshots nach hinten zu lehnen, geradezu lachhaft bei einem Zwei-Meter-noch-was-Mann; versuchte zu viele Dreier und traf oft nur den vorderen Korbrand; schlief in der Abwehr und fuchtelte dann wild mit den Armen, um den Boden wiedergutzumachen, den seine Füße nicht gewonnen hatten.

Genau deshalb konnten wir sie auch fast besiegen. Karl ließ mich bis an die Dreierlinie vor, und ich konnte die Augen scharf stellen und einen Zweier versenken, bevor er überhaupt reagierte. Beim nächsten Mal zog Charlie ihn von mir ab (gewaltsam, mit beiden Händen) und bedrängte mich, kaum dass ich die Mittellinie überquert hatte. Ich kämpfte mich bis zu den Blocks vor und ging dann wieder leicht zurück. Olaf deckte mich an der Freiwurflinie, und ich drehte mich raus, fing den Pass und ging hoch, um zu werfen. Ich bin fünfzehn Zentimeter größer als Charlie, und er wusste, dass er meine Wurfhand nicht erreichen konnte. Stattdessen boxte er mir den Handballen in den Bauch. Der Ball senkte sich weit vor dem Korb, während ich ein Foul reklamierte. Der Trainer saugte an seiner Pfeife, pfiff aber nicht, und Charlie rief mir augenzwinkernd zu: «Ich dachte, das hier ist ein Sport für Männer.» Karl jagte da bereits über den Flügel nach vorne, und Charlie bekam von hinten den Outlet. Er faltete den Ball aufs Handgelenk wie eine Teppichrolle und schickte einen weiten Bogenpass über das Spielfeld, der Karl mitten im Lauf erreichte. Er dunkte ihn, ohne auch nur abzubremsen, und ließ sich von der Wucht seines Sprints wieder zurücktragen.

Das Spiel war aus. Fotoapparate blitzten, und am nächsten Tag konnte ich in der Zeitung seinen Gesichtsausdruck sehen. Ein barbarischer Aufschrei, würde ich sagen – außer dass seine Augen, die weit aufgerissen waren, eher besorgt als glücklich wirkten. Ich betrachtete das Foto (es gab noch eines, auf das ich gleich zu sprechen komme) am nächsten Morgen mehrere Minuten lang, während ich mein müdes und so gut wie appetitloses Frühstück einnahm. «Riesenschritte» lautete die Bildunterschrift, mir kam jedoch eine ganz andere in den Sinn, die seine Miene viel besser beschrieb: Stilles Gebrüll. Er imitierte die Stars, die er aus dem Fernsehen kannte, die meisten davon schwarz, hatte allerdings noch nicht gelernt, die Wut oder Freude zu empfinden, die sie angesichts ihrer Fähigkeiten verspürten und im Spiel zum Ausdruck brachten. Karl jubelte, weil man das irgendwie von ihm erwartete.

Die Zeitung hieß Bayrisches Bauernblatt. Auflage: zwanzigtausend. Ich war früh aufgestanden, um mir einen Liter Milch zu kaufen, und hatte sie in dem Laden am Fuß des Hügels mit eingepackt. Die meisten Meldungen drehten sich ums Wetter, die Preise für Viehfutter, das Landwirtschaftsministerium etc. Sie wurde hier in der Stadt gedruckt, mit einer altmodischen Presse, direkt in der Redaktion. Diese befand sich im zweiten Stock eines Bürgerhauses aus dem neunzehnten Jahrhundert, das gegenüber dem Theater am anderen Flussufer stand. Im Stockwerk darunter war der hiesige Lokalsender angesiedelt, der sich eine Reihe von Mitarbeitern mit der Zeitung teilte. Die beiden Fotos zierten die Titelseite. Nach dem Frühstück schnitt ich das zweite aus, um es nach Hause zu meinen Eltern zu schicken. Sie bewahrten es auf, steckten es in einen Rahmen und gaben es mir wieder, als ich ein paar Jahre später danach fragte. Ich betrachte das Foto gerade.

Mein jüngeres Ich sieht mich an – auf dem billigen, dünnen Papier zu nichts als einem Umriss verblasst. Ein Tropfen Milch, auf irgendjemandes Schuhe gekleckert, hat sich über die Jahre in ein zartes Violett verwandelt. Es ist ein Mannschaftsbild, zweireihig arrangiert. Die vorderen knien: Charlie Gold, Willi Darmstadt (grinsend wie der Schulbub, der er war), Milo Moritz und Herr Henkel. Die größeren Spieler in der hinteren Reihe stehen Arm in Arm; Karl hat seine Hand auf meiner Schulter. In einem Anflug von Vermessenheit liegt meine Handfläche auf Charlies Kopf, auf dem, was von seiner Lockenpracht noch übrig ist. «Spieltage» lautet die Bildunterschrift.

Die Fotoapparate sorgten für Ausgelassenheit, daran erinnere ich mich. Ich meine damit nicht nur das Bild an sich, sondern die Gegenwart der Fotografen. (Die Presse tauchte nie wieder bei einem Training auf.) Sie verwandelten die düstere Halle am Rand einer bayrischen Kleinstadt in einen Ort mit Bedeutung; sie machten uns zu Basketballspielern. Nur ein paar Zeilen Text haben die Rahmung des Fotos überlebt. Herr Henkel, steht da, hat eine Reihe junger Talente ins Team geholt, um den Sprung in die Bundesliga zu schaffen. Er sagt, Charlie Gold, der Star der letzten Saison, sei genau der Richtige, um sie zu Höchstleistungen anzutreiben. Das einzige Fragezeichen ist Hadnots Knie; ob er sich vor Saisonbeginn von seiner Operation erholt. Für den Fall der Fälle wurde ein junger Amerikaner verpflichtet, der ihn ersetzen kann …

Spieltage

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