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Kurz vor Dagebüll, Landstraße 191, 10:47 Uhr

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Der Himmel war noch ungewöhnlich hell, doch der Wind hatte stetig zugenommen, je näher sie der Küste gekommen waren. Joshuas Laune hatte sich dadurch nicht gerade gebessert, weil er inzwischen wohl einsehen musste, dass es doch besser gewesen war, das Fahrrad zu Hause zu lassen. Seit geraumer Zeit fuhr Martin nur noch mit beiden Händen am Lenkrad. Schon bevor sie von der Autobahn abgefahren waren, und ebenso jetzt auf der Landstraße. Es flogen immer wieder Müll und Äste über die Fahrbahn. Manche Böen waren so heftig, dass er glaubte, sie würden den Wagen aushebeln und hochheben. Alle vier saßen angespannt auf ihren Sitzen und blickten konzentriert auf die Straße. Nur Piet bekam von alldem nichts mit, er brabbelte munter und gut gelaunt vor sich hin.

Martin sah auf die Uhr. Es waren nur noch dreizehn Minuten bis zur Abfahrt. Sie mussten sich beeilen, doch der Wind bremste ihre Fahrt, so fest er auch aufs Gaspedal trat.

»Fahr doch schneller«, beschwerte sich Joshua und zappelte ungeduldig mit seinem Bein.

»Ich drücke das Pedal bereits voll durch«, entgegnete Martin.

Als sie endlich den Hafen erreichten und der Wind nochmals an Stärke gewann, sie den Deich überquerten und das Wasser sehen konnten, lenkte Martin den Wagen in die letzte geöffnete Kassenspur. Er ließ das Fenster runter, und die Luft drückte mit aller Macht herein und ließ ein paar Tankbons auffliegen.

»Glück gehabt!«, schrie der Mann im Kassiererhäuschen sie an. »Das ist die letzte Fähre für heute, dann is Schicht im Schacht!«

Martin nickte dankbar und reichte ihm seine EC-Karte.

»PIN-Nummer bidde!«, schrie der Mann und reichte ihm das Display zurück. »Spur 15! Gute Fahrt!«

»Danke!«, schrie Martin zurück und schloss das Fenster wieder. Sie waren die Vorletzten in Spur 15, nur noch ein einziger Wagen hielt kurze Zeit später hinter ihnen.

Weiter vorn arbeitete sich die Fähre durch das aufgewühlte Wasser auf den Anleger zu. In unregelmäßigen Abständen ergossen sich von Gischt gekrönte Wellen über die Plexiglasabsperrungen. Und obwohl es noch nicht regnete, landeten dicke Tropfen auf der Windschutzscheibe des Passats und zerstoben augenblicklich in alle Richtungen.

»Müssen wir da etwa raus?«, fragte Dani.

»Wir können auch im Wagen bleiben, aber im Restaurant ist es warm, und wir können was essen«, sagte Martin.

»Ich bleib im Wagen«, murmelte Joshua und konzentrierte sich auf sein Handydisplay.

»Wir gehen alle nach oben«, entschied Alexandra, »ohne Ausnahme.«

Sie ergatterten einen freien Tisch, zwar nicht am Fenster, aber hinter der Glasscheibe zwischen Küche und Restaurant, sodass sie zu beiden Seiten hinaus auf die tosende Nordsee blicken konnten.

Das Schiff schaukelte bereits am Anleger, und je weiter sie hinausfuhren, desto schlimmer wurde es. Jedes Mal, wenn die Kellner eine Bestellung brachten, hatten sie Angst, dass alles vom Tablett rutschen würde. Der Wind blies stetig von Backbord auf die Fähre ein und legte sie leicht schief, wie ein Segelschiff. Immer wieder klatschte Wasser gegen die Scheiben und hinterließ einen milchigen Film.

»Hoffentlich kotzt Piet nicht«, meinte Joshua mit einem zweifelnden Blick auf seinen kleinen Bruder.

»Hoffentlich kotzt du nicht«, gab Daniela zurück.

»Kinder, könntet ihr über was anderes reden, während ich versuche, meinen Kaffee zu trinken?«, bat Martin.

»Könntest du uns dann nicht ›Kinder‹ nennen?« Joshua blickte ihm in die Augen, ohne zu blinzeln.

»Na klar, wie darf ich dich denn ansprechen? Jugendlicher oder Erwachsener oder Homo Sapiens, wie hättest du’s gern?«

»Du kapierst gar nichts«, gab Joshua beleidigt zurück und wandte sich ab.

Martin warf seiner Frau einen hilflosen Blick zu. Am Nebentisch fuhr ein vielleicht fünfzehnjähriger Junge auf, weil seine Mutter ihm verboten hatte, weiter auf seinem Handy zu spielen. Alexandra lächelte.

»Es ist überall dasselbe.«

Inseldämmerung

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