Читать книгу Von Menschen und der Liebe - Berenice Boxler - Страница 3
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ОглавлениеMein Rücken schmerzt. Jeder Stoß, jedes unachtsame Anschlagen verursacht kleinste Kratzer. Es ist eng und stickig, dunkel, bedrückend. Die Luft ist dick und zäh wie in einem von der Sonne aufgeheizten Dachgeschoss. Wie lange werde ich hier bleiben müssen? Um mich herum sperrige Gegenstände, unförmig, manche mit spitzen Ecken. Es ist still, nur von draußen dringen gelegentlich gedämpfte Laute, Stimmen, etwas Musik. Hier drinnen gibt es nur mich und meine Gedanken. Mit meinen Nachbarn kann ich mich nicht unterhalten, kann ihnen keine Geschichten erzählen oder ihre Abenteuer, sofern sie denn welche erlebt haben, erfahren. Ich habe es versucht, ganz am Anfang, mehrfach. Anfangs hörte ich noch Geräusche, unverständlich, mit fordernder Stimme, dann Ungeduld und schließlich Stille. Jetzt schallt nur das leise Echo zurück, das in seiner Verzerrung meiner Fragen beinahe höhnisch klingt. Nach einiger Zeit habe ich es aufgegeben. Manchmal ist es sehr einsam.
Es ist nicht einfach. Seit ich denken kann, werde ich herumgereicht, bin durch einige energische, vorsichtige, feingliedrige und leider manchmal auch schmierige Hände gegangen. Den Fettfilm, der zuvor als Krönung oben auf dem Salamibrot gewesen war, trage ich heute noch links unten mit mir. Ich wurde nur oberflächlich und lieblos abgewischt. Die letzten Monate – sie kommen mir vor wie Jahre – lag ich oft ziellos inmitten eines Stapels von Büchern und Papier, das bekritzelt, verknickt, befleckt war, die dicken Bücher ausdruckslos und eintönig. Auch dort hatte ich eine Unterhaltung versucht, hatte mich vorgestellt, erzählt, gefragt. Doch es kamen nur Formeln zurück, dann Bilder von Erdformationen mit ihren seltsamen Namen, zähe Fallstudien in mechanischer Fachsprache. Auch die anderen lagen vergessen und irgendwann verstummt und reglos herum. Anfangs noch hoffte ich auf Abwechslung, auf einen Lichtwechsel, neue Bekanntschaften und aufregende Erzählungen. Aber es änderte sich nichts. Ab und zu bewegte sich der fast meterhohe Stapel, die Papiere raschelten und wirbelten den Staub auf, der sich auf den freiliegenden Kanten festgesetzt hatte. Doch kein Freund, keine verwandte Seele, keine Wärme war zu spüren oder auch nur zu sehen. Ich weiß nicht, wie lange ich dort so eingezwängt lag. Es kam mir vor wie eine Ewigkeit.
Diese langen Monate und oft auch Jahre ohne geistige Nahrung sind normal, hat man mir beigebracht. Damals, in der Fabrik, als man mir meine Haut gab, meinen Rücken, mein Innenleben. Als man mir meine Bestimmung aufdruckte. Ein älteres Exemplar erzählte mir und den anderen, wie die Reise nun weitergehen würde. Was wir erleben, erdulden, erfahren würden. Und was wir erleiden würden, sollten wir in die falschen Hände geraten. „Du hast Glück“, sagte er zu mir. „Du wirst sicherlich gut behandelt werden, nur Liebhaber werden sich mit dir beschäftigen“. Woher er das wusste? Jedenfalls glaubte ich ihm. Wir alle glaubten ihm. Er klang so überzeugend und bestimmt. Er sollte nicht Recht behalten.
Über die Einsamkeit hat er mir auch nichts erzählt. Es ist schwieriger, damit klarzukommen, wenn es einen völlig unvorbereitet trifft. Nur noch vage, wie durch einen Schleier von Zeit und Erinnerungen, sehe ich die lange Reise, die ich gemacht habe. Zunächst in einem großen Karton, geschnürt, beschriftet, Papier an Papier, ohne Luft zum Atmen oder Träumen. Keiner unterhielt sich, nur gelegentlich hörte man Wimmern und Klagen, der Geruch von Angst und Unsicherheit, das Geräusch von Hilflosigkeit. Keiner wagte zu sprechen, niemand wusste, wo die Reise für ihn enden würde. Doch war da noch etwas anderes, ein Schimmer, ein schwaches Leuchten der gespannten Neugier, der freudigen Aufregung über das bevorstehende Abenteuer des Lebens. Als dann aber …