Читать книгу Von Menschen und der Liebe - Berenice Boxler - Страница 8
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ОглавлениеWie lange mag ich dort gestanden haben, unbeweglich aber aufmerksam? Drei Tage? Dreizehn Wochen? Zeit ist eine schwierige Weggefährtin. Sie macht mir Angst, um ehrlich zu sein. Eigentlich ist sie nicht da, denn sobald man sie greifen möchte, ist es schon wieder vorbei. Gegenwart, das existiert doch gar nicht! Alles ist Vergangenheit, wenn man versucht, das Jetzt festzuhalten. Und dann ist da noch die Zukunft. Die Zeit ist überall. Es sollte mich nicht stören, denke ich, was bedeutet Zeit schon für mich, für meinesgleichen? Aber ich habe den Umgang der Menschen mit ihr beobachtet, mit ihrer Allgegenwärtigkeit, ihrer gottgleichen Macht und der ohne Zweifel dunklen Seite, der ihr innewohnt. Ein Schleier, ein Nebel, der sich im Gehirn der Menschen allzu oft zu einem Gebilde aus Druck und Unwohlsein entwickelt. Ich glaube, ich habe mir die menschliche Wahrnehmung von Zeit angeeignet, doch eigentlich widerwillig. Es gefällt mir nicht, aber mir tat sich kein anderer Weg auf, um in dieser Welt verständlich zu sein. Dennoch kann ich nicht sagen, wie lange ich dort war. Es muss einige Zeit gewesen sein, viele Veränderungen konnte ich beobachten. Aber manchmal lässt mich mein Gedächtnis in Stich, manchmal kann ich nicht sagen, was ich gesehen habe und was andere berichtet haben und in meinem Kopf dann so lebendig widergespiegelt wurde, als hätte ich es selbst erlebt.
Es war ein reicher Ort, ein bereichernder Aufenthalt. Oft fragte ich mich, ob die anderen ebenso aufmerksam um sich blickten wie ich. War die Sehnsucht bei allen so groß wie bei mir? Weshalb hörte ich nicht mehr Enttäuschung und Wehklagen? Bildete ich mir vielleicht nur etwas ein? Ja, die Unsicherheit bahnte sich immer wieder ihren Weg, um dann am Ende von meinem Herzen abrupt gestoppt zu werden. Denn im Grunde spielte es keine Rolle, was wahr war und was nicht, und vor allem nicht, was die anderen dachten. Gut, wenn ich ehrlich bin, spielte es doch eine Rolle, was die anderen taten. Aber nicht vorrangig. Da ging es vor allem um mich und wie ich die Welt, meine Welt sah. Wie ich in dieser Welt bestehen könnte, wohin ich gehen wollte. Natürlich im übertragenen Sinn, denn ich war ja abhängig von den Menschen, von ihren Wünschen und Zielen. Aber tief in mir drin war ich überzeugt, dass ich mit mir selber im Reinen sein musste, um da draußen nicht den Verstand zu verlieren. Also versuchte ich, mein eigenes kleines Universum zu ordnen und alles in mich aufzusaugen, was mich erreichte.