Читать книгу Von Menschen und der Liebe - Berenice Boxler - Страница 7
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ОглавлениеDoch ich ließ mich nicht verunsichern! Oder doch, vielleicht ab und zu ein kleines bisschen. „Die Welt ist gar nicht so großartig, wie du sie dir vorstellst.“ Einer der wenigen ruhigen und verständnisvollen Stimmen. „Es gibt Unglück, Unwetter, Unheil, nicht so rosarot, wie du dir das vorstellst.“ „Vielleicht hast du recht, es gibt doch aber auch Zusammenhalt, Zuversicht, Zukunftspläne und Zufall, du Pessimist!“ Hah, wer mit mir Wortspiele veranstalten möchte, der muss sich in Acht nehmen, ich bin gewappnet! Wie lange ich dort blieb? Ich weiß es nicht. Nach einiger Zeit lernte ich, meine Gefühle und Stimmungen für mich zu behalten. Ich wurde still, ersparte mir so den Kummer der öffentlichen Ausgrenzung. Und lauschte nur noch, träumte ganz für mich allein.
Da war zum Beispiel die Geschichte von Susanne, der braunhaarigen Angestellten, die jeden Tag einen anderen Rock anhatte und damit aus der uniformen meist blauen Hosenmode heraus stach. Sie lächelte oft schüchtern, wenn sie neue Bücher in die Regale stellte und dabei kurz die Klappentexte las. Ich sah sie nicht oft, hörte aber die anderen über sie reden. Über sie und Felix. Über ihre Hochzeitspläne und seinen Drang nach Unverbindlichkeit. Über ihre unausgesprochene Angst vor der tickenden Uhr und seine überspielte Unsicherheit. Eines Tages nahm sie sich ein Herz und sprach mit ihm. Erzählte ihm, was ihr wichtig war, was sie sich erhoffte. Und er war sich endlich sicher, dass er Teil ihrer Zukunft sein wollte. So jedenfalls stellte ich mir das Ende der Geschichte vor oder besser den Anfang ihrer gemeinsamen Geschichte. „Unverbesserlicher Romantiker!“ Ja, vielleicht. Ob es in Erfüllung ging? Das ist nicht wichtig. Was zählt ist, dass dieser Werdegang der Ereignisse möglich war.
Oder Clara, der kleine blonde Wirbelwind, der in seinem kindlichen Elan etliche Bücher aus den Regalen zog und sich dann irgendwann mit einem Bilderbuch auf einen der kleinen bunten Kindersessel setzte und anfing zu blättern. Und die Wärme in den Augen ihres Vaters – unverkennbare Zusammengehörigkeit, beide hatten die gleiche kräftige Stirn über den geschwungenen Augenbrauen – wenn er sie beobachtete, einige Minuten, ehe er mit leiser aber fordernder Stimme sagte: „Clara, wir müssen nach Hause.“ Ich konnte es von weitem beobachten und stellte mir vor, wie diese Familie harmonisch in einem kleinen Stadthaus lebte und die Kinder von klein an mit Büchern in Kontakt waren, sich an Bildern und Buchstaben erfreuten und sich gegenseitig vorlasen. Übertrieben, unrealistisch, ich weiß, aber meine Phantasie ging oft seltsame Wege. Und ich träumte mich in eine schöne Welt, in eine perfekte Welt. Was auch immer das heißen soll: perfekt. Nichts ist je perfekt, das ist mir bewusst. Das wäre ja auch zu langweilig, das Leben viel zu einfach. Aber ich träumte meine Reise entlang eines ebenen Pfads, gesäumt von Bäumen und bunten Blumen, idyllisch eben. Vielleicht habe ich ja zu lange den anderen zugehört, mit ihren Geschichten von Liebe, Romantik und dem obligatorischen „sie lebten glücklich und zufrieden bis ans Ende ihrer Tage.“ Aber träumen werde ich ja wohl noch dürfen!