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Der Aufbruch in die „Wüste“

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Benedikt soll, wie bereits gesagt, um die Jahre 480/490 in der antiken Stadt Nursia zur Welt gekommen sein, dem heutigen Norcia in der umbrischen Provinz Perugia (154 km nordöstlich von Rom, 95 km südöstlich von Perugia sowie 83 km westlich der adriatischen Küste bei Porto d’Ascoli). Seine Eltern sollen einem angesehenen Geschlecht der Oberschicht angehört haben. Sie hatten ihrem Sohn also ein Studium der Freien Künste in Rom ermöglichen können. Außerdem hatten sie ihm dorthin als Haushälterin eine „Amme“ mitgegeben – recht bequeme Umstände, ein Studentenleben führen zu können.

Aber Benedikt fand das auf andere Weise ungenügend. Deshalb machte er eines Tages – ungefähr im Jahr 505 – damit Schluss und verließ Rom, um „die Wüste aufzusuchen“, petere deserta: das ist in der gesamten frühen Mönchsliteratur der klassische Begriff zur Bezeichnung der für den Geist besonders fruchtbaren Umgebung, die der Mönch aufsucht. Benedikt kehrte gar nicht mehr heim, sondern ließ seine Eltern einfach auf Nimmerwiedersehen hinter sich. Solche herzlosen Abschiede waren im frühen Mönchtum Brauch.

Der sechzig oder siebzig Jahre vor Benedikts Geburt verstorbene rigorose Asket und später nicht unbedingt deswegen heiliggesprochene Hieronymus hatte in einem Brief an einen gewissen jungen Heliodor geschrieben: „Selbst wenn dein kleiner Neffe sich dir an den Hals klammern würde; selbst wenn deine Mutter mit aufgelösten Haaren und zerrissenem Kleid dir ihre Brüste vorweisen würde, mit denen sie dich gestillt hat, und dein Vater sich auf die Türschwelle legen wollte: Setz den Fuß über deinen Vater und schreite über ihn hinweg, wende dich von deiner Mutter ab, geh fort und flieh trockenen Auges! Hier grausam zu sein ist der einzig richtige Erweis der Elternliebe.“9

Heute würde man einem solchen Briefschreiber zu Recht einen Sektenbeauftragten auf den Hals schicken – es sei denn, die familiären Verhältnisse wären absolut desolat und destruktiv; aber das waren sie ja im Fall Benedikts offensichtlich nicht.

Das Körnchen Wahrheit bleibt für heutige „Weltmenschen“, dass man sich – nicht unbedingt familiär, aber vielleicht im eigenen Lebensstil, in der Firma, im Umfeld oder auf irgendeinem anderen Gebiet derart ver- oder festgefahren haben kann, dass man sich nur noch durch einen radikalen, gnadenlosen Bruch mit dem Bisherigen retten kann.

Es muss nicht immer gleich eine derart akute Notsituation sein, wenn heutige Menschen spüren, dass sie dringend eine andere Dimension als ihren ständigen Alltagsbetrieb brauchen, eine „Wüste“, in der einmal einfach „nichts“ ist, oder wenigstens einen „Wüstentag“.

Viele aber meiden solche Aufenthaltsorte wie der Teufel das Weihwasser, und zu Recht, denn wie bereits die „Wüstenväter“ erleben mussten, tummeln sich in der Wüste die „Dämonen“ und fallen über den Besucher her, der naiverweise gemeint hatte, dort absolute Ruhe zu finden. Das wird bei den heute modischen Versprechungen vom idyllischen Leben, das man in der Stille und Abgeschiedenheit unverzüglich finde, weithin unterschlagen; es würde die Kunden abschrecken.

Die Wüstenväter machten es sich regelrecht zum Programm, diese Dämonen aufzuspüren und zu besiegen. Damit wurden sie genau genommen zu den Urvätern der Psychologie, für die man sich im profanen Bereich erst ungefähr anderthalb tausend Jahre später systematisch interessierte. Allerdings waren sie nicht an Erkenntnissen über die Psyche interessiert, sondern an der „Kardiognosie“, der Herzenserkenntnis.

Wenn in der „Wüste“ absoluter Ruhe und Unabgelenktheit die Dämonen lauern, ist es natürlich kein Wunder, dass die meisten Menschen sich in der Unruhe und Ablenkung wohler fühlen.

Benedikt von Nursia

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