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„Die Welt verlassen“
ОглавлениеMönch wird man mit dem einschneidenden Schritt, „die Welt zu verlassen“.
Spirituell muss das ebenfalls jeder Mensch tun, dem die gängigen Ziele des ihn umgebenden bürgerlichen und sozialen Lebens zu oberflächlich und folglich zu wenig sind, und vielleicht auch sozial zu ungerecht. Das kann ins praktische Leben eine ziemliche Spannung bringen, sofern die Maßstäbe des inneren Weges und des äußeren Lebensverlaufs womöglich immer weiter auseinanderzuklaffen beginnen.
Folglich beginnt Gregor seine spirituelle Anleitung7 mit der Erzählung von diesem Schritt des jungen Benedikt, der ihn allerdings plakativ und folglich auch äußerlich radikal tut, indem er sich völlig von der Gesellschaft absetzt.
Diesen Schritt soll er zu Anfang des 6. Jahrhunderts getan haben, und zwar als Student in Rom und schon in jungen Jahren – vermutlich war er noch keine zwanzig. Das könnte ungefähr im Jahr 505 gewesen sein. Im Jahr 476 war der letzte römische Kaiser von einem ostgotischen Heerführer gestürzt worden. Rom war daraufhin auf den Rang einer Provinzhauptstadt herabgesunken und wurde von Korruption und Dekadenz zerfressen. Entwurzelte aus aller Herren Länder sammelten sich dort. Schon seit Jahrhunderten hatte es ein buntes Gemisch aller nur erdenklichen Kulte und Philosophien angezogen. Den jungen Mann aus soliden Verhältnissen in der Provinz stieß das alles ab. So schreibt sein Biograf: Er hatte von Kindheit an das Herz eines weisen Alten. Mit seinem Verhalten war er seinem Alter weit voraus. Er gönnte seinem Geist kein Vergnügen, denn solange er noch auf dieser Erde weilte, die er eine Zeitlang ungehindert hätte genießen können, verachtete er die Welt mit ihrer Blüte, die ihm dürr erschien.
Er entstammte einem freien Geschlecht in der Provinz Nursia und man hatte ihn zum Studium der Freien Künste nach Rom gegeben.
Dabei sah er viele in die Abgründe von Lastern stürzen und zog deshalb seinen Fuß, den er sozusagen gerade erst in die Welt gesetzt hatte, wieder zurück. Er wollte sich nicht von der weltlichen Wissenschaft anstecken lassen und dann womöglich am Ende in eine bodenlose Tiefe stürzen.
So verschmähte er das wissenschaftliche Studium. Er verließ das Haus und die Güter seines Vaters und suchte in seiner Sehnsucht, Gott zu gefallen, einen dementsprechenden Lebensstil.
Er zog sich also wissentlich ins Nichtwissen und mit Weisheit in die Ungelehrtheit zurück.
In diesem Text ist recht pauschal von der Welt- und Wissenschaftsverachtung des Helden die Rede: Benedikt verachtete die Welt mit ihrer Blüte, die ihm dürr erschien. Der lateinische Begriff dafür, mundum despicere, „die Welt verachten“, wurde zum Standardbegriff für die Grundhaltung des Mönchs. Wörtlich heißt er: „auf die Welt herabschauen“. Wenn man von der arroganten Konnotation dieses Ausdrucks absieht, kann man darin den guten und auch heute brauchbaren Sinn erkennen: „sich die Welt aus einigem Abstand ansehen“. Das brauchen wir heute sogar unbedingt, um nicht jeder Ideologie, jeder Mode, jedem Geschmack und jeder Spinnerei des Zeitgeists, also jeder dürren Blüte, auf den Leim zu gehen.
In der Aufzählung Gregors lassen sich durchaus Impressionen und Verhältnisse spiegeln, die man auch als Mensch von heute kennt, selbst wenn man die Welt nicht derart radikal verachten will: die Hohlheit eines Großteils unseres Vergnügungsbetriebs mit seiner „Blüte, die einem dürr erscheint“; die „Abgründe der Laster“, von denen in den Medien zuhauf die Rede ist, weil sie das interessierte Publikum offensichtlich zu einer Mischung aus ständiger Faszination und Empörung anstacheln; die Eitelkeit in manchen Bereichen des Wissenschaftsbetriebs oder jedenfalls die Sucht nach Titeln, Diplomen und Zertifikaten, infolge derer sogar bekannte Persönlichkeiten „in eine bodenlose Tiefe stürzen“.
Es tut gut, manches „wissentlich nicht wissen“ zu wollen und aus Weisheit über manches unbelehrt zu bleiben.
Dieser einleitende Abschnitt der Lebensbeschreibung Benedikts spricht ganz kurz etliche weitere interessante Themen an. Betrachten wir sie der Reihe nach etwas gründlicher.