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PROLOG

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Ist Ihnen das Folgende schon einmal passiert? Sie lesen zehn Minuten lang in einem Buch und bemerken plötzlich, dass Sie nicht die geringste Ahnung haben, was Sie gerade gelesen haben? Ich bin mir fast sicher. Und vielleicht kennen Sie auch dieses Phänomen: Sie sitzen beim Frühstück vor der Tageszeitung, lesen die Headline und die ersten beiden Zeilen eines Artikels und plötzlich … finden Sie sich im nächsten Artikel wieder? Und so geht es quer durch die ganze Zeitung, ohne dass es Ihre bewusste Entscheidung war, alles nur überfliegen zu wollen. Executive reading nennt es der Manager stolz, wenn sein Gehirn täglich unzählige Dokumente und E-Mails in beeindruckender Geschwindigkeit geistig scannt. Dabei glauben wir fest daran, alles Wesentliche auch verstanden zu haben. Mag sein. Aber immer mehr Menschen in unserer Berufswelt ertappen sich leider auch bei folgendem Phänomen: Ein Kollege oder Mitarbeiter spricht mit uns, und – Sie ahnen wahrscheinlich schon, was jetzt kommt – während dieser Mensch spricht, denken wir bereits an etwas völlig anderes. Denn wir sind inzwischen innerlich bereits einen Schritt weiter und tun nur aus Höflichkeit so, als ob wir noch zuhören. Executive listening nennt man die Fähigkeit, sofort zu „wissen“, also zu antizipieren, was gleich gesagt werden wird. Vorschnell gefällte Urteile, die unserer Lebenserfahrung entspringen, machen das möglich. Geduldig und aufmerksam zuzuhören und sein Gegenüber wirklich verstehen zu wollen, ist aber etwas ganz anderes. Der CEO weiß genau: Zuhören ist der erste Schritt zu richtigen Entscheidungen! Aber weiß er auch, dass Aufmerksamkeitsstörungen nicht nur bei Kindern zunehmen? Es ist die Unfähigkeit, sich auf nur eine Sache konzentrieren zu können, die in unserer Arbeitswelt zunehmend zum Problem wird.

Der Trend zum second screen ist voll im Gang: Viele haben sich bereits daran gewöhnt, während sie fernsehen, im Internet zu surfen und gleichzeitig neue E-Mails, SMS, Facebook-, Twitter- und WhatsApp-Nachrichten zu kontrollieren. Unser Gehirn hat darauf bereits reagiert und seine Arbeitsweise an die neuen Herausforderungen angepasst. Über einige dieser Veränderungen können wir uns freuen: Jugendliche SMS-Profis können definitiv schneller tippen als viele Fünfzigjährige. Sie machen beim SMS-Schreiben auch weniger Tippfehler, denn ihr Hirnareal, das für die Steuerung des Daumens zuständig ist, hat sich messbar (!) vergrößert. Ich hatte kürzlich am Flughafen das Vergnügen, einer jungen Japanerin beim hastigen Schreiben einer Nachricht auf ihrem Smartphone zuzusehen: Ich finde, das war zirkusreif. Respekt. So viel Text in so kurzer Zeit, das schaffe ich nicht einmal beim Sprechen. (Und ich spreche schnell …) Gut, man könnte sich fragen, wozu, wenn klar zu sein scheint, dass wir in Zukunft alle Befehle und Eingaben direkt über die Spracherkennung des Computers diktieren werden. Aber vielleicht ist es auch nur Neid, weil ich nicht so schnell tippen kann …

Sehr positiv finde ich auch folgende Beobachtung: Chirurgen, die in ihrer Freizeit häufig Computerspiele spielen, operieren mit computergesteuerten Systemen messbar besser. Die räumliche Vorstellungskraft am zweidimensionalen Computerbildschirm scheint besser ausgeprägt. Liebe Chirurgen, auf zur Spielkonsole! Da die wenigsten Unternehmen Chirurgen beschäftigen, müssen wir wohl versuchen, die Erkenntnisse der Hirnforschung in unsere Arbeitswelt zu übertragen. Wir werden dabei nicht nur die wenigen Vorteile, sondern auch die gut belegten Nachteile unserer Arbeitsweise beleuchten.

In der heutigen Berufswelt arbeiten leider viele Menschen nicht „hirngerecht“. In diesem Buch werde ich darstellen und zu erklären versuchen, was diese Behauptung mit unserem körpereigenen „Belohnungssystem“, unserem Gedächtnis, aber auch mit Arbeitsunterbrechungen und Ablenkbarkeit, Multitasking und unserer sinkenden Veränderungsbereitschaft zu tun hat. Auswirkungen des nicht hirngerechten Arbeitens sind ja bereits erkennbar: Psychische Erkrankungen scheinen rasant zuzunehmen, während gleichzeitig die Belastbarkeit des Einzelnen ebenso schnell abzunehmen scheint. Stress und Burnout werden (leider auch oft undifferenziert) zum Bedrohungsszenario.

Das ist erstaunlich, denn immerhin leben wir, objektiv betrachtet, in einem Zustand von Wohlstand und Sicherheit, wie es ihn in unseren Breiten noch nie gegeben hat. Wir könnten jetzt fragen, ob wir möglicherweise dadurch zu „verwöhnt“ oder vielleicht nicht in der Lage sind, erarbeitete oder geschenkte Privilegien teilweise wieder abzugeben. Oder stimmt die Hypothese, dass unsere Arbeitswelt keine idealen Rahmenbedingungen für eine „artgerechte Haltung“ bietet? Sind Führungskräfte und Mitarbeiter Opfer des „Systems“ oder sind wir eigenverantwortlich für die Schaffung hirngerechter Bedingungen?

Ich behaupte, dass wir mehr Leistungskultur brauchen! In unserer Erfolgskultur entsteht zwangsläufig ein Problem mit der individuellen Belastbarkeit und der Lust an der eigenen Leistung, weil hauptsächlich der Erfolg des Systems honoriert wird. Das klingt grundsätzlich nicht unattraktiv, wirft aber die Frage auf, ob der Einzelne die kleinen täglichen Erfolge auch emotional spüren kann.

Das Ziel dieses Buches ist es, die Erkenntnisse, Theorien und Hypothesen der Neurowissenschaften, Evolutions- und Verhaltensbiologie, Psychologie und Glücksforschung vor allem für eine spezielle Zielgruppe zu verknüpfen und aufzubereiten: für Führungskräfte und Mitarbeiter von Organisationen. Menschen also, die Arbeiten erledigen müssen, die andere vorgeben. Die Ziele umsetzen müssen, die primär nicht ihre eigenen Ziele sind, und die täglich schnell möglichst viele Dinge – am besten gleichzeitig – tun sollten.

Die unterschiedlichen Wahrnehmungen und „Sprachen“ der Wissenschafts- und Arbeitswelt allgemein verständlich zusammenzuführen, ist das Ziel meiner beruflichen Tätigkeit. Mein Drang, immer ein „Generalist“ zu bleiben und Fragen grundsätzlich fächerübergreifend beantworten zu wollen, wurde durch einen meiner Lehrer, Rupert Riedl, geprägt und spiegelt sich in diesem Buch wider. So wird dem aufmerksamen Leser bestimmt nicht entgehen, dass sich Begrifflichkeiten aus unterschiedlichen Bereichen der Wissenschafts- und Businesswelt wiederfinden.

Den Kompromiss der Vereinfachung, der bei der Übersetzung naturwissenschaftlicher Erkenntnisse in allgemein verständliche Bilder einzugehen ist, muss ich akzeptieren. Das ist nicht ganz so einfach, wie es vielleicht scheint. Aus wissenschaftlicher Sicht ist dadurch manche sprachliche und inhaltliche Unschärfe der von mir dargestellten Bilder offensichtlich: Ich werde dennoch durch die Verwendung von Begriffen wie beispielsweise Frosch, Spitzmaus, Controller, Arbeitsspeicher, Hardware und Software versuchen, die Vorteile einer einfachen, trennenden und bildhaften Darstellung zu nutzen, um den Leser die evolutionsbiologische „Logik“ unseres Gehirns näherzubringen. Mir ist dabei natürlich bewusst, dass unsere heutige Vorstellung neurobiologischer Abläufe im Gehirn von zusammenhängenden, nicht linearen Netzwerken geprägt ist und nicht von klar getrennten Hirnbereichen. Die Nachvollziehbarkeit der Funktionsweise unseres Gehirns, das sich über Jahrmillionen an völlig unterschiedliche Rahmenbedingungen und Anforderungen anpassen musste, war mir dabei ein wichtiges Anliegen. Ich bin davon überzeugt, dass wir durch diese bildhafte Vorstellung die Logik unseres Verhaltens besser nachvollziehen und daraus lernen können.

Meine jahrelange Praxis in der universitären Lehre, in Vorträgen, Führungskräftetrainings und Management-Beratungen bestätigt die Nützlichkeit dieser „Übersetzungshilfen“. Mir geht es dabei nicht nur um eine Auflistung spannender und unterhaltsamer Erkenntnisse, sondern darum, die Eigen- und Fremdwahrnehmung zu schärfen und die Motivation zu mehr Achtsamkeit zu erhöhen. Wenn mir das gelingt, ist mein persönliches Ziel erreicht. Daher verzichte ich bewusst zugunsten der besseren Lesbarkeit und aufgrund der Zielgruppe, für die dieses Buchs geschrieben wurde, auf die wissenschaftlich üblichen Zitate und Fußnoten. Ich habe aber versucht, eigene Hypothesen, Gedanken und Erfahrungen deutlich erkennbar zu machen. Die erwähnten Studien sind mit wenig Aufwand im Internet zu finden.

Abschließend noch eine Bemerkung zum Thema „gendergerechtes Formulieren“: Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird im Text verallgemeinernd das generische Maskulinum verwendet. Diese Formulierungen umfassen gleichermaßen weibliche und männliche Personen; alle Leserinnen und Leser sind damit selbstverständlich gleichberechtigt angesprochen.

Besser fix als fertig

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