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VORWORT ZUR NEUAUFLAGE
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Uwe Johnson, der «Dichter der beiden Deutschland», so lautete das Kennwort, das die Literaturkritik für ihn geprägt hatte (und das er nicht sonderlich goutierte), ist lediglich ein halbes Jahrhundert alt geworden. Er kam am 20. Juli 1934 im (damals noch deutschen, heute polnischen) Cammin in Pommern zur Welt, nicht weit von den Ufern der Dievenow entfernt, die sich bei Cammin bereits zum Bodden erweitert, und starb dann in der Nacht vom 23. zum 24. Februar 1984 in seinem Reihenhaus im englischen Sheerness-on-Sea an den Ufern der Themse, die dort bereits in die Weite der Nordsee übergeht. Wie die Weite des Wassers im Zusammenspiel mit den zuweilen nicht weniger reiβenden Strömungen der gesellschaftlich-politischen Entwicklung das Leben und vor allem das Schreiben eines Autors bestimmten, der aus der DDR nach Westberlin, von da nach New York und dann nach Sheerness zog, ist u.a., Gegenstand der nachstehenden Biographie. Sie erschien erstmals vor zwanzig Jahren, im gleichen Verlag, der nun diese Neuausgabe anlässlich des im Jahr 2014 anstehenden 80. Geburts- und 30. Todestages des bedeutenden Schriftstellers Uwe Johnson herausgibt.
Das Vergehen der Zeit erlaubt eine Neueinschätzung aus gewachsenem Abstand und mit gröβerer Objektivität. Uwe Johnsons Werk (und er hat ein Werk hinterlassen, so früh er verstorben ist) handelte nahezu durchgehend von der problematischen „Heimat“ Mecklenburg und von der Zeit unter der Herrschaft des „Dritten Reichs“ und danach in der DDR, der inzwischen ebenfalls verstorbenen „Deutschen Demokratischen Republik“. Hier war Johnson aufgewachsen, und nachdem er Literatur und deren Geschichte in Rostock und vor allem in Leipzig studiert hatte, musste er die DDR verlassen, um als Autor leben zu können. Wie sie den Literaturstudenten geprägt hat, in verblüffender Widersprüchlichkeit zu orthodoxem Marxismus und mit Ausblicken in die neueste, „dekadente“ westliche Literatur vor allem im Leipzig Hans Mayers, geht nicht nur aus der neu aufgelegten Biographie, sondern auch aus Johnsons Klausuren und Verlagsgutachten hervor, die 1992 in zwei Bänden bei Suhrkamp, Johnsons Verlag, erschienen sind. Jeder kundige Rückblick von der Warte neuester Jetztzeit bestätigt die Langzeitwirkung von Johnsons Lebensthema geradezu verblüffend: „Der Untergang der DDR war das Beste, was der deutschen Literatur passieren konnte. Immer wieder beschäftigen sich Romanciers mit den privaten Wirklichkeiten im real existiert habenden Sozialismus …„ (Felicitas von Lovenberg, FAZ, 29.VI.2013). Manche Namen sind im hier gegebenen Kontext eher zufällige – nicht aber der andere und eine Name, der in diesen Zusammenhang gehört, nämlich der des Uwe-Johnson-Preisträgers Uwe Tellkamp. Dessen monumentaler „Turm“ aus dem Jahr 2008 steht als ein literaturgeschichtlicher Meilenstein des deutsch-deutschen Romans allerdings in Johnsons Nachfolge, ein Gegenentwurf zu Günter Grass` völlig und grotesk missglücktem „Weiten Feld“. Tellkamp hat letzteres selbst so gesehen. Der Rückblick von heute aus erkennt zudem die gesellschaftskritische Linie, die, ausgehend von der Schilderung der DDR, wie sie seit Uwe Johnsons ebenfalls monumentalen vierbändigen „Jahrestagen“ vorliegt, bis zu dem Jüngeren sich erstreckt. Wie wiederum die „Jahrestage“ durch die Begegnung mit Hannah Arendt in New York und aus deren Totalitarismustheorie heraus modelliert wurden, ist in der nachstehenden Biographie nachzulesen. Ebenso, dass an Johnsons Abschlusswerk der Jahrhundertschriftsteller Thomas Mann mit seinem deutsch-repräsentativen Literaturbegriff Pate gestanden hat, - eine Nähe, die sich bei Tellkamp stilistisch unübersehbar kundtut. Es offenbaren sich literaturgeschichtliche Wirkungslinien.
Von eigener Ironie erscheint hierbei, dass Tellkamps Roman für viele auch ein Schlüsselroman ist – wobei die aus den „Vorbildern“ Stefan Hermlin und Peter Hacks komponierte Figur des „Eduard Eschschloraque“ nicht nur als ein „sprechender Name“ wiederum in der Thomas-Mann-Nachfolge vor uns steht, sondern mit Hermlin auch einen Akteur bezeichnet, der zum Zustandekommen der Johnson-Biographie einiges beigetragen hatte. Er hat dies zwar im Bewusstsein getan, es ginge um die Rekonstruktion der Geschichte eines im „unmenschlichen Westen“ letztlich unheilbar Gestrandeten – das ändert aber nichts an der kollegialen Dimension von Hermlins Hilfestellung, wenn er wesentliches Material aus dem Leipziger Universitätsarchiv ans Licht zu befördern vermochte. Hier hatte einer Einfluss im alten und ganz gewiss eher „zentralistischen“ als „demokratischen“ System der DDR. Doch „Eschschloraque“ nutzte seinen damaligen Einfluss im Interesse eines „Republikflüchtlings“. In der Kurt-Fischer-Straβe erkundigte sich Stefan Hermlin damals nach Reisezielen und Reisezeiten des präsumptiven Johnson-Biographen; griff, im Beisein von Besucher und Ehefrau, zum Telefon und bestellte doch tatsächlich „allzeit offene Türen“ für den „Kollegen aus Norwegen“. Der enge Gefährte Erich Honeckers, mit dem er während des „Dritten Reichs“ gemeinsam inhaftiert war, handelte in der gleichen Gespaltenheit, einer Doppelheit aus Humanismus und Repression, die auch Tellkamps „Turm“ in seiner Nachfolge der DDR-Darstellung im Kielwasser der „Jahrestage“ kennzeichnet, - wobei beiden, Johnson wie Tellkamp, die gleiche objektive Distanz zu Grass` Geschichtsklitterung der DDR als einer „kommoden Diktatur“ in seinem „Fonty“-Roman zu eigen ist. Doch immer schon hatte Johnson, und das ist hier nachzutragen, mit groβer Hellsichtigkeit in Grass keineswegs einen wahren Freund erblickt (wenn einer diesen Titel zeitweilig hätte beanspruchen dürfen, so wäre das gewiss Martin Walser gewesen). Sondern er hat ihn als einflussreichen (weshalb die nachstehend zitierte Eintragung nur ins abgeschirmte „Merkbuch“ gelangte) Bekannten aufgefasst, der für ihn offenbar weniger ein Schriftsteller-Kollege, als vielmehr der gewiefteste aller literarischen public-relations-Fachmänner der damaligen westlichen Republik gewesen ist – und das lange bevor dieser „Moralist“ dann daranging, die über Jahrzehnte verschwiegene eigene SS-Zugehörigkeit publizistisch als das Häuten der Zwiebel zu vermarkten.
Johnsons in manchen Interviews geäuβerte Reserve gegen das kollektive Arbeiten der Schriftsteller und wohl auch gegen deren Verbände (so etwa im Gespräch mit Inge Dannemann, „Die Glocke“, Nr. 9, 1969) hatte offenbar eine ganz kräftige und bestimmende Wurzel in Johnsons Verhältnis zu Günter Grass. Im Zusammenhang mit der Frage nach Schriftsteller-Zusammenschlüssen wie etwa die „Gruppe 47“ lehnte Johnson nicht nur das damalige illusorisch-revolutionäre Wortgebaren des SDS ab, sondern wünschte sich, so im Interview, auch das Eintrittsgeld für Grass` Wahlveranstaltungen zurück, nachdem damals die vom Freund Grass gepriesene SPD ein Bündnis mit der CDU unter dem ehemaligen NSDAP-Mitglied Kiesinger eingegangen war. Dazu stimmt weiterhin, dass sich Johnson in einer Notiz in seinem „Merkbuch“ Grass` Auftritt aus dem Jahr 1965 wie folgt notiert hatte: „Gegen 1.30 das Erste Programm des Westdeutschen Fernsehens aus dem Palais Schaumburg. Der Kommentator Müggenburg sprach mit einem Individuum in zerknautschter Kleidung, das stier vor sich blickend nach Art der Betrunkenen seinen Aufenthalt beim Gegner so erklärte: Günter Grass: Günter Grass wolle dem Bundeskanzler, dessen Sieg inzwischen unzweifelhaft geworden war, fragen, wer ihm denn das Haus angezündet habe. Brachte auch etwas Träumerisches vor in Beziehung zum Reichstagsbrand … Am Ende machte GG das dumme Mundwinkelgrinsen eines, der sich sicher ist, es wieder prima hingekriegt zu haben. Es war schwer anzusehen. Einmal weil GG vor aller politisch interessierten Öffentlichkeit die Reputation verlor, zum anderen wegen des beförderten Vorurteils Schriftsteller sind eben solche, die tun so was und wenn die Zuschauer immer noch warten auf seine welthistorische Auseinandersetzung mit dem siegreichen Gegner, hat der Schriftsteller das Haus längst verlassen, klammheimlich.“
Uwe Johnson war auf beiden Seiten des zweigeteilten Deutschland eine wohlbekannte Gröβe. Der Professor Hans Mayer hat, nachdem auch er den Staat wechseln musste, zum Andenken seines ehemaligen Leipziger Schülers im „Westen“ das Seine beigetragen. In der vorgelegten Neuauflage der Johnson-Biographie spiegelt sich denn auch das fortgesetzte Interesse an einem Autor, der bis heute als der bedeutendste Autor der beiden Deutschland begriffen werden muss. Im Jubiläumsjahr wird ein umfangreiches Buch wieder vorgelegt, dessen „Seele“ darin bestehen mag, dass es ausführlich dokumentiert. Dass es zusammenfasst, was einst an nachgelassenem Material im Frankfurter Suhrkamp-Verlag und im dortigen Archiv örtlich vereint lag, zu Zeiten, als der Verlag noch der des Siegfried Unseld gewesen ist, dessen Verlegerfreundschaft mit dem Autor Johnson diese Biographie an zentraler Stelle beschreibt. Hier haben sich Veränderungen ergeben. Inzwischen liegt das Material an anderen Orten, nachdem der Verlag vor seinem Umzug nach Berlin die nachgelassenen Papiere Johnsons nicht, wie es einzig angezeigt gewesen wäre, dem Literaturarchiv in Marbach vermacht hat. Das Archivmaterial (das Siegfried Unseld einst vom Autor Johnson als Erbe übermacht worden ist!) ging vielmehr in Privatbesitz über und von dort an das heutige Johnson-Archiv an der Universität Rostock.
Insofern hat die breite „dokumentarische“ Anlage der Biographie, ursprünglich zahlreichen noch nicht publizierten Briefwechseln geschuldet, nun einen zusätzlichen Sinn erlangt: In ihr gelangt zur Zusammenschau, was inzwischen verstreut aufbewahrt liegt. Und noch aus anderen Gründen scheint die „dokumentarische“ und „archivalische“ Grundanlage an ihrem rechten Platz. Sie passt nämlich in eine neue Zeit, die, wenn der in Pittsburgh lehrende Literaturwissenschaftler und Ideenhistoriker Jeffrey Williams Recht hat, das Archiv als heuristisches Prinzip neu entdeckt hat. Das geschah, so vermutet es Williams nicht ohne Gründe, nachdem die Ära der „Theorie“ in ihren Erscheinungsformen als „Postmoderne“ und als „Poststrukturalismus“ mitsamt von deren zentralem „Dekonstruktions“-Prinzip gründlich kollabiert ist. Nun aber könne, so meint Williams, die Ära des Archivs, des durch aufbewahrte und berücksichtigte Belege Verbürgten, in der Literaturwissenschaft erneut beginnen. Dies gehe mit einer Neuentdeckung und geradezu Emphatisierung der philologischen Arbeit am konkreten Material Hand in Hand, die auch die Texttreue als dominante Auslegungsinstanz neu konstituiert habe. Das Verlangen nach dem Konkreten und Anschaulichen ergänze sich mit einer erneut durchgesetzten Hochschätzung von Erinnerungsarbeit und Erinnerungskultur im Gefolge der Theoriebildung von Jan und Aleida Assmann. Nun würde von einer am Spekulativ-„Theoretischen“ gründlich irregewordenen Generation das Nachgelassen-Konkrete im Rahmen von Biographien, als Geschichten über geschriebenes Leben, bevorzugt; ein Paradigma, das schon einmal seine Konjunktur besessen hat. Nämlich zu Zeiten des bedeutenden Präzeptors einer selbstreflektierten „Geisteswissenschaft“ Wilhelm Dilthey, der von der „unberechenbar wertvollen Bereicherung“ sprach, die man durch die Dichternachlässe und die Tage- und Merkbücher als Bausteine späterer Biographien besäβe. Einzig hier zeige sich noch die „pulsierende Handschrift des Dichters“, wie sie andererseits vor allem durch dessen Biographie zu bewahren sei.
„In der heutigen Rede vom `kulturellen Gedächtnis` … bleiben Goethes und Diltheys Ansprüche unausgesprochen bestehen“ (FAZ, 7.VIII. 2013, „Zerstörerische Mäuse und unwürdige Verwandte“). In diesem Sinne dient die dokumentarische Grundanlage dieser Biographie dem „kulturellen Gedächtnis“ des einst als „deutsch-deutschen Schriftsteller“ annoncierten Uwe Johnson. Der Autor wird kontextuell, immer in strengem Zusammenhang mit seiner Zeit und seinen Texten, vorgestellt. Dem kommt zugute, dass Johnson, wie alle Autoren der Moderne, im Stande eines zunehmenden Nachlassbewusstseins gearbeitet und gelebt hat. Dies sprach sich nicht nur in der Ernennung des Verlegers Siegfried Unseld zum Erben aus, sondern auch in der Entscheidung dieses Erben, dem Biographen Zugang zu allen Materialien, ungefiltert, zu gewähren. Das war auch eine Entscheidung gegen das Vergehen der Zeit, wie es ganz generell, als zentrales Movens, in der Epik des Uwe Johnson zugegen ist. Das gleiche Vergehen der Zeit bewirkt heute das Entstehen von Einzigartigkeit und Unersetzbarkeit durch Nichtwiederholbarkeit: Viele von denen, die seinerzeit zu Konzentration und faktischer Fülle in dieser Biographie beigetragen haben, mit Auskünften über den Schüler, Studenten und Autor Uwe Johnson, sind nicht mehr am Leben. Sie sind dennoch unvermindert gegenwärtig dadurch, dass sie eine dauernde Erinnerungsarbeit möglich machten, die dem gesammelten Gedächtnis des Erinnerungsschriftsteller Uwe Johnson dient, - es für die Zukunft am Leben zu hält.
Trondheim, im September 2013